Besonders in der Luft- und Raumfahrttechnik steigt seit Jahren die Nachfrage nach möglichst effizienten Zerspanungslösungen zur Bearbeitung von Titan. Auch bei der Herstellung von Medizingeräten oder von Leichtbauteilen. Die Einsatzmöglichkeiten von Titan sind vielfältig und das Material bringt viele Vorteile, die Bearbeitung des sehr speziellen Werkstoffs ist allerdings häufig eine besondere Herausforderung.
In diesem Artikel haben wir für Sie zusammengefasst,
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Was sind die Herausforderungen bei der Titanzerspanung?
Titan zeichnet sich durch eine bemerkenswert hohe Festigkeit bei einer geringen Dichte aus. Es reagiert schnell mit dem Sauerstoff der Luft und es entsteht eine sehr beständige Oxidschicht, die vor Korrosion schützt. Diese Eigenschaften sind zugleich die Vorteile im Einsatz von Titan, aber auch die Nachteile bei der Zerspanung.
"Die starke Reaktivität mit Sauerstoff kann insbesondere bei hohen Temperaturen einen Werkzeugverschleiß durch Diffusion verursachen", erläutert Moritz König, Co-Founder und CEO von Facturee, die als Online-Fertiger auch Titanzerspanung anbieten.
Hohe Temperaturen entstehen bei der Titanzerspanung häufig, denn die Wärmeleitfähigkeit des Leichtmetalls ist sehr gering, weshalb die Werkzeuge eine hohe thermische Belastung erfahren. Warum genau erklärt König: "Die geringe Wärmeleitfähigkeit bei gleichzeitig hoher Warmfestigkeit führt zu einer hohen Temperaturbelastung der Schneide, da die Wärmeabfuhr – anders als beispielsweise bei Stahl – nur in geringem Ausmaß über Werkstück und Späne erfolgt."
Philipp Dahlhaus, Leiter Produktmanagement bei der Paul Horn GmbH, ergänzt: "Bei Stahl werden rund 80 Prozent der beim Zerspanprozess entstehenden Temperatur über die Späne abgeführt, bei Titan sind es dagegen nur 20 Prozent."
Weitere Einschränkungen entstehen durch das geringe Gewicht von Titan, das laut Dahlhaus ungefähr 40 Prozent unter dem von Stahl liegt. Dies bedinge eine Streckgrenze von bis zu 900 N/mm².
König sieht in der Steifigkeit von Titan weitere Herausforderungen: "Eigenschaften wie der relativ geringe Elastizitätsmodul, der bei der Bearbeitung Schwingungen verursachen kann, erhöhen die Komplexität der Anforderungen zusätzlich."
Außerdem ist Titan nicht gleich Titan, wie Dahlhaus erklärt: "Man unterscheidet zwischen dem eher harten Grad 5 (Ti-6AI-4V), welches zum Beispiel in der Luft- und Raumfahrt zum Einsatz kommt und dem weicheren Grad 2, das aus 99,7 Prozent Reintitan besteht. Das technische Reintitan ist besonders korrosionsbeständig und findet daher vorwiegend in der Medizintechnik und Implantologie Verwendung." Für die verschiedenen Titan-Werkstoffe sind daher spezielle Bearbeitungsstrategien und -werkzeuge nötig.
Mit welchen Strategien und Technologien lassen sich die Herausforderungen bewältigen?
Sind einem die Eigenschaften von Titan bewusst, so lassen sich die Herausforderungen mit angepassten Bearbeitungsstrategien und adäquaten Werkzeugen lösen (eine Auswahl an Werkzeugen finden Sie weiter unten).
"Bei der Zerspanung von Titan sollten zum Beispiel hohe Schnittgeschwindigkeiten vermieden werden und es sollte mit relativ großem, gleichmäßigem Vorschub gearbeitet werden", erklärt König bezüglich der Bearbeitungsstrategie. "Der Einsatz von ausreichend Kühlmittel ist in den meisten Fällen unabdingbar."
Gibt man Aufträge für die Titan-Bearbeitung nach außen, dann solle man laut dem Facturee-CEO darauf achten, dass der bearbeitende Betrieb über die entsprechende Ausrüstung und das Know-how für diese Tätigkeit verfügt. "Facturee bietet als Online-Fertiger mit einem Netzwerk von mehr als 1.000 Fertigungspartnern die passende Lösung zum jeweiligen Bedarf an", berichtet König. "Wir wählen für die Fertigung von Titanteilen ausschließlich hoch spezialisierte Fertigungsunternehmen aus, die über ausreichend Erfahrung mit dem Werkstoff besitzen."
Zu der entsprechenden Ausrüstung gehören eben auch die Werkzeuge. König: "Bei der Zerspanung von Titan sollten speziell auf die Bearbeitung des Werkstoffs optimierte Werkzeuge, häufig aus Hartmetall, mit scharfen Schneiden eingesetzt werden, um Werkzeugversagen vorzubeugen."
Dahlhaus betont, dass es bei den eingesetzten Werkzeugen vor allem wichtig ist, die Reibung an der Schneide zu minimieren, da Titan zur Kaltverfestigung neigt. "Hierfür sind scharfe Werkzeuge ein Muss", so der Horn-Experte. "Substrat und Beschichtung müssen exakt aufeinander abgestimmt sein. Das passende Hartmetall-Substrat sorgt für eine hohe Warmfestigkeit und Zähigkeit des Werkzeugs bei hohen dynamischen Schnittkräften, die entsprechende Beschichtung ist für gute Gleiteigenschaften, hohe Temperaturen und gute Isolierung verantwortlich."
Diese besonderen Herausforderungen berücksichtige Horn beispielsweise bei der Optimierung des Frässystems DS für die produktive und wirtschaftliche Bearbeitung von Titan und Titanlegierungen. Aber auch andere Hersteller bringen spezielle Werkzeuge für die Titanzerspanung auf den Markt.
Welche speziellen Werkzeuge gibt es für die Zerspanung von Titan?
Die Redaktion von PRODUKTION hat bei diversen Werkzeug-Herstellern nachgefragt und einige innovative Titanwerkzeuge für Sie zusammengestellt (in alphabetischer Reihenfolge):
Details zu den einzelnen Werkzeugen
Arno: Hochpositive Wendeschneidplatten
Das vielfältige Sortiment an hochpositiven Wendeschneidplatten von Arno Werkzeuge unterstützt Anwendende beim Drehen von Titan. Sie sind besonders scharf und halten so die Schnittkraft gering und bieten bei Bedarf dank Verrundung eine besondere Kantenstabilität. Gegen die schlechte Wärmeleitfähigkeit des exotischen Werkstoffs sind sie durch angepasste Hightech-Beschichtungen gewappnet. Spezielle Geometrien sollen für eine hervorragende Spankontrolle und damit für noch mehr Prozesssicherheit sorgen.
Ceratizit: Monstermill TCR
Der Vollhartmetall-Fräser Monstermill TCR wurde speziell für die Titanzerspanung entwickelt. Vor allem die Geometrie wurde optimiert, aber auch das Material wurde an die Begebenheiten der Titanzerspanung angepasst. Der VHM-Fräser verfügt über eine variable Drallsteigung und eine Ungleichteilung der Schneiden. Letztere soll eine optimierte Spanbildung ermöglichen. Das verwendete Hochleistungssubstrat verleiht dem Werkzeug eine hohe Zähigkeit und starke Biegebruchfestigkeit. Die Beschichtungstechnologie Dragonskin trägt dazu bei, dass der TCR thermischen Belastungen gut standhalten kann.
Gühring: Titanfräser RF 100 Ti Aircraft
Besonders für die Bearbeitung von Strukturbauteilen aus Titan für die Luftfahrt geeignet ist der Ratiofräser 100 Ti Aricraft von Gühring. Der Fräser ist auf Luftfahrtstandards angepasst und funktioniert unter konventionellen, aber auch modernen HPC-Frässtrategien. Ein speziell angepasster Eckradius begünstigt die Spanformung und verbessert das Verschleißverhalten. Außerdem verhindert ein modifizierter und dem Schneidverhalten angepasster Kern ein Durchziehen der Späne im nächsten Schnitt. Das ermöglicht saubere Bauteiloberflächen und lange Standwege.
Hoffmann Group: Garant Master Titan
Die Garant Master Titan Produktfamilie der Hoffmann Group besteht aus Schruppfräsern, Schlichtfräsern, Torusfräsern, Stirntorusfräsern sowie Vollradiusfräsern. Auch Fräser für HPC (High Performance Cutting) und TPC (Troichoidal Performance Cutting) sind erhältlich. Alle sind abgestimmt auf die jeweilige Bearbeitungsart in Titan. Auch hier wurden die Schneidengeometrie angepasst und ein besonderes Substrat verwendet. Laut Hersteller ist letzteres sogar so belastbar, dass die Fräser sogar weiterhin produktiv bleiben, wenn die Beschichtung bereits komplett verschlissen ist. Bei manchen Werkzeugen, wie beispielsweise dem VHM-Schlichtfräser HPC, konnte daher sogar komplett auf Beschichtungen verzichtet werden.
Horn: Frässystem DS
Werkzeughersteller Horn setzt bei der Optimierung von Werkzeugen für die Titanzerspanung vor allem auf ein spezielles Substrat: das IG3I. Das homogene Verschleißverhalten macht eine Erhöhung der Standzeiten möglich. Eine zusätzliche Beschichtung trägt dazu ebenfalls bei. Außerdem unterstützt sie die Schneidkantenstabilität. Die Geometrie des Frässystems DS ist speziell angepasst: Die scharfe Mikrogeometrie an den Schneidkanten, positive Spanwinkel, große Freiwinkel und polierte Spanräume sollen beim Zerspanen von Titan einer Kaltverfestigung der Werkstückrandzone sowie Aufbauschneiden auf den Spanflächen vorbeugen. Variable Drallwinkel und unterschiedliche Zahnteilungen machen den Fräsprozess ruhiger.
Iscar: Multi-Master VHM-Fräsköpfe
Die Multi-Master-Werkzeuge von Iscar sind zum Vorschlichten, Schlichten oder 3D-Profilfräsen in der Luft- und Raumfahrtindustrie, dem Werkzeug- und Formenbau sowie der Medizintechnik konzipiert. Betreffend der Geometrie haben Anwender die Wahl zwischen Tropfen- oder Linsenform. Die Werkzeuge bestehen aus der TiAIN-PVD-beschichteten Feinstkorn-Schneidstoffsorte IC908. Neben Titan kann auch gut Inconel und rostfreier Stahl mit den Fräsköpfen bearbeitet werden.
Kennametal: FBX Bohrer
Der FBX-Bohrer ist Teil eines Werkzeugkonzepts, das Kennametal entwickelt hat, um das Zerspanungsvolumen zu maximieren und die Zykluszeiten bei der Bearbeitung von Strukturbauteilen in der Luft- und Raumfahrt zu verringern. Dazu tragen vier effektive Schneiden am Außendurchmesser bei. Die Flachgrund-Stirngeometrie des Bohrers leitet die Schnittkräfte in Richtung der Spindel. Dies reduziert die seitliche Werkzeugabdrängung, wodurch die Werkzeugstandzeit und das Zeitspanvolumen erhöht werden können. Zum Werkzeugkonzept gehören außerdem der Harvi Ultra 8X Walzenstirnfräser und die Harvi VHM-Fräser.
Mapal: NeoMill XPTK Fräserprogramm
Mapal hat unter anderem eine Familie von Werkzeugen mit Wendeschneidplatten zu bieten, die auf die Titanzerspanung abgestimmt sind. Mit im Portfolio: Eckfräser und Walzenstirnfräser als Aufsteck- und Schaftvarianten. Die Topografie der Wendeschneidplatten des NeoMill XPTK Fräserprogramms wurde von Grund auf neu entwickelt, um die Späne des anspruchsvollen Materials optimiert zu formen und abzuführen. Auch der Werkzeugkörper wurde neu entwickelt. Über eine Kammer im inneren des Fräsers wird das Kühlmittel zu jeder Schneide transportiert. Dank fließender Formen befördern die Spannuten den Span aus der Scherzone.
Seco: Vollhartmetall-Tonnenfräser mit HXT-Beschichtung
Eine hohe Oberflächenqualität in schwer zerspanbaren Werkstoffen wie Titan war das Ziel, das Seco bei der Entwicklung der VHM-Tonnenfräser im Auge hatte. Die entstandenen Werkzeuge ermöglichen nun außerdem größere Stepover bei gleichbleibender Schnittgeschwindigkeit und reduzieren den Zeitaufwand. Die für die Tonnenfräsertechnologie benötigten Werkzeugbahnen werden über spezielle CAM-Programmiermodule generiert. Eingesetzt werden auch diese Werkzeuge typischerweise in der Luftfahrtindustrie, der Medizintechnik sowie dem Werkzeug- und Formenbau.
Walter: VHM-Fräser MD377 Supreme und MC377 Advance
Walter hat gleich zwei genau auf die Fertigung von Titanbauteilen abgestimmte Fräser entwickelt. Der MD377 Supreme ist ein High-End-Spezialist für die Luft- und Raumfahrtindustrie, während der MC377 Advance universeller einsetzbar ist. Beide Fräser eignen sich für eine Vielzahl von Einsatzgebieten: Schruppen, Schlichten, Semi-Schlichten, Vollnuten, Rampen, Schulter fräsen und Eintauchen. Mit dem MD377 ist auch dynamisches Fräsen möglich.
Zecha: Kingfisher-Werkzeuge
Die Kingfisher-Serie von Zecha setzt auf ein spezielles VHM-Substrat und eine besonders stabile, leichtschneidende Geometrie mit drei Schneiden. Das besondere an den Werkzeugen: ein ausgeklügeltes Kühlsystem: Ein Innenkühlsystem wird mit einer Powerkammer kombiniert, sodass das Kühlmedium im Kernbereich bis nahe an die Werkzeugspitze geführt wird und an einer oder mehreren Bohrungen gezielt in der Spankammer austritt. Die Powerkammer im Spanbereich erhöht die Durchflussmenge des Kühlmittels. So kann die Temperatur im Prozess gezielt reduziert werden.
Die Autorin Julia Dusold ist Technik-Redakteurin bei mi connect. Sie beschäftigt sich mit verschiedenen Fertigungstechnologien, zum Beispiel der Zerspanung, der Lasertechnik und dem 3D-Druck. Außerdem in Julias Portfolio: Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz und Quantentechnologie. Gemeinsam mit der Wirtschaftsredakteurin Anja Ringel produziert und moderiert sie den Interview-Podcast Industry Insights.
Vor ihrer Arbeit bei mi connect hat Julia zuerst Physik und dann Wissenskommunikation studiert. In ihrer Freizeit ist sie gerne am, im und auf dem Wasser unterwegs oder reist auf diverse Weisen in fiktive Welten.