„Die Plattformökonomie ist ein Megatrend, der uns im Maschinenbau ganz sicher treiben wird“, ist sich VDMA-Referent Volker Schnittler sicher und fragte: „Wo kommen wir hin, wenn wir das weiter und fertig denken?“. In einer Studie mit Unternehmensvertretern, versuchte der VDMA letztes Jahr diese Frage zu klären.
Vor allem gehe es darum, Angebot und Nachfrage zusammenbringen, Verbindungen zwischen Marktteilnehmern zu schaffen und unterschiedliche Transaktionen abzubilden. Der Preisbildungsprozess und die Zahlungsbereitschaft der Kunden blieben dabei in der Regel zunächst unklar.
Grundsätzlich ist das Bewusstsein für neue, digitale Geschäftsmodelle in der Branche angekommen, stellte Schnittler fest. Eine Umfrage unter den Forums-Teilnehmern zeigte: Rund 50 Prozent suchen noch nach einem geeigneten digitalen Geschäftsmodell, ein knappes Drittel verdient damit bereits Geld und 14 Prozent sagen, dass sie bereits ein solches Geschäftsmodell erarbeitet haben.
Eigentlich braucht die Branche eine übergreifende Plattform
„Wir haben im Augenblick die Situation, dass Wettbewerb Branchensynergie schlägt: Es gibt wenig Bereitschaft, sich auf Plattformen zu engagieren“, so Schnittler. Derzeit wolle jeder seinen eigenen Weg gehen. Ob diese Haltung perspektivisch nützlich ist, zweifelten die Experten im Forum an.
Mag. Michael Breidenbrücker, CEO des österreichischen Startups Senseforce, zog die Analogie zu großen Plattformen der US-amerikanischen Tech-Companies, die teilweise über mehr als ein Jahrzehnt hinweg rote Zahlen schrieben. „Wenn man eine Plattform für den Maschinenbau aufbauen will, muss man ganz andere Summen investieren“, konstatierte Breidenbrücker. Bleibe die Frage, ob im Maschinenbauumfeld jemand die Mittel hat, eine Plattform über fünf bis zehn Jahre ohne Return on Investment zu finanzieren.
„Innerhalb des Ökosystems wird das Werteversprechen an den Kunden von mehreren Partnern gemeinsam bestritten“, nennt Dr. Julia Duwe den wohl wichtigsten Aspekt der Plattformökonomie. Das sei nicht mehr so überschaubar und einfach, denn hier gehe es um den Widerspruch zwischen der traditionellen, effizienzorientierten Top-Down-Organisation versus der Ökosystem-basierten Kollaboration und Vernetzung. Sich für Partnerschaften zu öffnen, ist eine enorme Herausforderung, meint die Agile-Expertin. Dennoch sollte der Maschinenbau seinen weltweiten Vorsprung nutzen – erst in der Kombination werde seine „unglaubliche Schlagkraft“ sichtbar.
Trumpf hat bereits viel Erfahrung mit der Plattform-Thematik
„Der Paradigmenwechsel vom Maschinenbauer zum vernetzten Smart Factory Platform Business erfordert ein radikales Umdenken. Der Mittelpunkt verschiebt sich nicht einfach, sondern er wird ausgetauscht“, stellte Duwe fest, die sich als Chief Agile Manager Production Platforms bei Trumpf Werkzeugmaschinen um Menschen und Vernetzung kümmert. Der Hersteller hatte als eines der ersten Unternehmen der Branche mit digitalen Services und einem Plattform-Ansatz begonnen.
Auch Duwe kennt die in anderen Vorträgen angesprochene Schwierigkeit, ein Bild und eine Sprache für das Neue zu finden, das kommen soll. „Wenn wir es nicht denken können, können wir es nicht tun. Was wir nicht fühlen können, können wir nicht darstellen“, erklärte die Agile-Expertin. Deshalb habe man nach Modellen gesucht. Das alte Modell bestehe darin, die Maschinen immer noch besser zu machen. Gleichzeitig gibt es als neues Modell die Aufgabe, in der Digitalisierung ein ganz neues Business hochzuziehen. Entscheidend sei, das gesamte Business, altes und neues, in Plattformen zu denken, erklärte Duwe.
Ungewohnt: Das Ökosystem wird wichtiger als Produktoptimierung
Doch wie macht man etwas Neues erlebbar? Ein Beispiel: Wenn Rechtshänder versuchen, ihren Namen mit links zu schreiben (und umgekehrt), kommen sie in ein solches Gefühl des Neulands hinein. „Indem man etwas Neues macht, entsteht bei vielen Menschen eine Art Aufbruchsgeist. Ich kann deshalb nur dazu ermutigen, diese oft mit Ängsten verbundene Phase als Chance zu begreifen“, sagte Julia Duwe.
Der Fokus in der Plattformindustrie verändert sich komplett. Plattform-Unternehmen legten größeren Wert auf die Lenkung des Ökosystems, als auf die Produktoptimierung, zitierte Duwe den Autor des Buchs „Platform Revolution“, Geoffrey G. Parker.
Auch bei Trumpf geht es, wie bei vielen anderen Maschinenbauern darum, Lösungen anzubieten. 80 Prozent der Bearbeitungszeit in der Blechverarbeitung seien indirekte Prozesse, die vor und nach der Maschine passieren, berichtete Duwe. Hier wolle man Kunden mit Hilfe von KI-Technologie helfen, ihre Prozesse einfacher und sicherer zu machen und sie mit smarten Materialflusslösungen unterstützen. Grundlage für all diese Services ist die eigene Plattform Axoom.
Auch die klassische Forschung & Entwicklung verändert sich, glaubt Julia Duwe. Sie findet künftig in einem Ökosystem mit vielen Parteien statt: Kunden, externen Partnern, Wissenschaft, Unis und Startups. Hier gelte es, mit Blick auf das Zielbild zu koordinieren, den Parteien die Kollaboration zu ermöglichen und den Kurs mit einem agilen Mindset zu halten. Das erfordere auch eine neue Art der Führung.
Agile: Erst Mühe, dann Vergnügen
Ganz einfach fällt die Umstellung auf agile Methoden wie Scrum nicht, erzählte Dr. Anton Demarmels vom Corporate Technology Management beim Schweizer Baumaschinenhersteller Ammann. In der Software werde ein Update in den nächsten Schritt verschoben, wenn das Ziel eines Sprints nicht erreicht wird.
„Im Maschinenbau hingegen denken wir in Meilensteinen. Wenn es ein Problem gibt, schieben wir den Meilenstein: Das zusammenzubringen ist schwierig“, gab der Experte zu bedenken. Während es für die Ingenieure im Entwicklungsumfeld weniger problematisch sei, sich mehr auszutauschen, falle es den Produktmanagern schwer, die eine andere Arbeitsverteilung hätten. „Wenn die Organisation nicht mitmacht, scheitern die Techniker allein“, so Demarmels.
Mit Blick auf Scrum riet Julia Duwe den Teilnehmern, auch in der anstrengenden Umstellungsphase weiter durchzuhalten. „Natürlich gibt es Widerstände und Unsicherheiten: Wir müssen raus aus der Komfortzone, da ist man erst einmal nicht happy. Stellen Sie sich darauf ein, dass es Diskussionsbedarf gibt – aber hinterher stellt sich heraus, dass die Leute viel lieber so arbeiten“.
Ernst Esslinger, Director Methods/Tools Systems beim Holzverarbeiter Homag aus Deutschland, war überzeugt, dass perspektivisch nur noch die Hälfte des Umsatzes mit dem Maschinenverkauf erwirtschaftet wird. „Die Plattformökonomie ist das Hilfsmittel, um die Lücke mit Mehrwertdiensten für den Kunden zu schließen“. Es gehe vor allem darum, über die Plattformen neue Dinge anbieten zu können – und zwar möglichst als erster.