Das Unternehmen EMAG ECM will mit dem Verfahren das klassische Bohren, das Räumen und sogar das Fräsen ersetzen. Dafür sprechen eine Reihe von Vorteilen gegenüber der Zerspanung.
„Der Strukturwandel ist in vollem Gange und trifft auch die fertigende Industrie“, ist Franz Groß, Vertriebsleiter bei EMAG ECM in Heubach, überzeugt. Schon allein durch die fortschreitende Elektromobilität sinkt die Gesamtzahl der benötigten Teile langfristig. Zudem würden Bauteile in Zukunft anders aussehen. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an Werkstoff, Form, Komplexität und Genauigkeit. So entstünden beispielweise, abgeleitet aus Vorbildern der Natur, mehr strömungsoptimierte Bauteile.
Eine Antwort auf diese Herausforderungen: die elektrochemischen Metallbearbeitung ECM. Sie kann mittlerweile in vielen Bereichen die klassische Zerspanung ergänzen oder sogar ersetzen – mit Vorteilen für Qualität und Wirtschaftlichkeit. Groß: „Der Verschleiß des Werkzeugs ist wesentlich geringerer als bei spanenden Fertigungsverfahren, aber auch das Werkstück selbst wird geschont, da es keinen mechanischen und thermischen Belastungen ausgesetzt wird.“
Die Werkzeuge bestehen meist aus den gängigen Edelstählen 1.4301 (X5CrNi18-10) oder 1.4303 (X5CrNi18-10). Sie sind einerseits besonders korrosionsbeständig, lassen sich andererseits aber gut bearbeiten und müssen nicht gehärtet werden. Abhängig vom Werkstoff des Werkstücks seien Oberflächengüten bis zu Ra 0,5 Mikrometer und besser drin. Damit ließen sich berührungslos Konturen, Ringkanäle, Nuten oder Auskesselungen mit höchster Präzision herstellen. „Durch eine geschickte Werkzeugform lassen sich auch schwer zugängliche Stellen gut bearbeiten und komplizierte Formen sogar im Bauteilinneren realisieren“, erklärt Groß.
Elektrolyse bildet Basis
ECM nutzt das physikalisch-chemische Verfahren der Elektrolyse. Wie das funktioniert, erklärt Franz Groß: „Werkzeug und Werkstück befinden sich in einer Elektrolytlösung. An beiden liegt eine Gleichspannung mit konstantem oder pulsierendem Strom an. Das Werkzeug bildet die Kathode und fährt an ein Werkstück, die Anode, heran. Es kommt zu einer Entladung, die Material aus dem Werkstück löst, das von der Elektrolytlösung abtransportiert wird.“
Vor jedem Hub fließt sauberes Elektrolyt nach. Dafür sorgt ein Elektrolyt-Management in einem geschlossenen Kreislauf. Leistungsfähige Filter holen das abgetragene Material aus dem Elektrolyt, das dem Prozess frisch gereinigt wieder zugeführt wird. Groß: „Je nach Anforderung bildet das Elektrolyt-Management einen integralen Bestandteil bei Einzelplatzmaschinen oder versorgt als separate Komponente mehrere ECM-Module.“ Für die Filtration stehen Wechselpatronen, Kammfilterpressen oder eine Mikrofiltration mit Rückspülung zur Verfügung. Eine automatische Aufbereitung hält den pH-Wert im neutralen Bereich. „Das Elektrolyt sollte im Schnitt einmal jährlich gewechselt werden“, empfiehlt der ECM-Experte.
Erklär-Video
Eine detailreiche Erklärung zum ECM-Verfahren inkl. Video finden Sie hier.
Werkstoffhärte spielt keine Rolle
Je nach Bearbeitungszweck lassen sich verschiedene Verfahren unterscheiden: Für das Entgraten und Verrunden von Verschneidungen eignet sich der Einsatz eines stehenden Werkzeugs. Bei der bewegten Kathode fährt das Werkzeug mit konstantem Vorschub in das Werkstück, vergleichbar dem Bohren und Räumen. Für eine dreidimensionale Bearbeitung steht die Präzise Elektro-Chemische Metallbearbeitung (PECM) zur Verfügung, bei der das Werkzeug eine Negativform des herzustellenden Werkstücks aufweist. „Beim PECM-Verfahren ist Vorschub und Pulselektronik eine oszillierende Bewegung überlagert, die bei einem deutlich kleineren Arbeitsspalt für genauere Toleranzen sorgt“, so Groß.
Franz Groß ergänzt: „Obwohl sich Werkzeug und Werkstück nie berühren, erzielen wir Vorschübe bis zu vier Millimetern pro Minute beim Räumen; bei sehr filigranen Teilen sind es immer noch 0,2 Millimeter.“ Und das praktisch unabhängig vom Material, „einzige Voraussetzung ist die elektrische Leitfähigkeit“. Anders als bei der spanenden Bearbeitung spiele die Härte des Materials für Prozess und Prozessdauer praktisch keine Rolle. „Das spart auch Prozessschritte, weil die Weichbearbeitung vor dem Härten entfallen kann.“
Maschinen für jeden Bedarf
Für das Entgraten und Bohren eignen sich die EMAG-Anlagen des Typs CI und CS. CI steht für Comfort Integrated und bezeichnet Maschinen mit integriertem Elektrolytmanagement. Groß: „Zwei CI-Module lassen sich außerdem zur CI Duo zusammenschließen, beide teilen sich dann das integrierte Elektrolyt-Managementsystem; das ermöglicht eine einfache Skalierbarkeit der Produktionskapazitäten sowie den Einstieg in die Automatisierung des ECM-Prozesses.“ CS bezeichnet die Standard-Variante, die an ein zentrales Elektrolytmanagement angeschlossen wird.
Die Premium Integrated (PI) ist eine modulare Maschinenplattform für den PECM-Prozess und ersetzt das spanende Räumen und Bearbeiten. Sie basiert auf der CI mit den entsprechend kompakten Maßen. „Die gesamte Maschinentechnik mit Elektrolytmanagement und Elektrotechnik findet auf einem staplerfähigen Grundgerüst Platz und benötigt nur 5,5 Quadratmeter Stellfläche“, erklärt Groß.
Der modular aufgebaute Arbeitsraum kann zwei verschiedene Module aufnehmen: das PECM-Modul mit Oszillator oder das ECM-Senkmodul. Beide lassen sich für die Simultanbearbeitung mehrerer identischer Werkstücke nutzen. Auch hier gibt es eine Standardversion (PS) für den Einsatz mehrerer Maschinen, die sich ein zentrales Elektrolyt-Managementsystem teilen.
Die Steuerung der Maschinen übernehmen die weit verbreiteten Siemens-Steuerungen Simatik S7-1500 und Sinumerik 840D sl mit identischer Programmierung. Franz Groß: „Für ein neues Werkstück muss lediglich das passende, hinterlegte Typprogramm aufgerufen und es müssen die entsprechenden Parameter eingegeben werden.“
Die Vorteile der ECM-Verfahren auf einen Blick
- Geringer Werkzeugverschleiß (Kathode), damit gute Voraussetzungen für die Serienfertigung
- Oberflächengüte bis Ra 0,05 Mikrometer
- Präzise Bearbeitung
- Keine thermische und mechanische Beeinflussung der Bauteile und damit keine Veränderungen der Werkstoffeigenschaften
- Härte, Zähigkeit und magnetische Eigenschaften werden nicht verändert
- Herstellung kleiner und dünnwandiger Konturen
- Sehr hohe Wiederholgenauigkeit der Oberflächenstrukturierung
- Einfacher und hocheffizienter Fertigungsprozess, keine Nacharbeiten wie Entgraten oder Polieren notwendig
- Schruppen / Schlichten / Polieren in einem Arbeitsgang
- Bearbeiten von Superlegierungen
- Gleichzeitiges Bearbeiten von Makro- und Mikrostrukturen