Mit der gemeinsamen Entwicklung eines hochmodernen Landkampfsystems wollen sich Deutschland und Frankreich auf die militärischen Bedrohungen der kommenden Jahrzehnte vorbereiten. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und sein französischer Kollege Sébastien Lecornu unterzeichneten dazu jetzt eine Vereinbarung ("Memorandum of Understanding" - MoU), in der auch die lange umstrittene Arbeitsteilung festgelegt wurde. Das milliardenschwere Großprojekt "Main Ground Combat System" (MGCS) soll demnach in acht Säulen gegliedert werden. Deutschland und Frankreich werden jeweils zwei davon leiten. Die übrigen vier Säulen sollen gemeinsam koordiniert werden.
Das neue Waffensystem, das ab den 2040er Jahren bereit sein soll, wird jedoch mehr als nur ein Kampfpanzer sein, denn innovative und digitale Technologien zur vernetzten Operationsführung sowie die Möglichkeiten unbemannter und automatisierter Verfahren werden bei der Entwicklung berücksichtigt. Das Ergebnis wird ein hochmodernes und technologisch führendes Gefechtssystem sein, das sich im Gefecht der verbundenen Waffen durchsetzt. „Wir wollen mit MGCS das Landkampfsystem der Zukunft bauen“, erklärte Pistorius. Es solle ein Fähigkeitsvorsprung für die Landes- und Bündnisverteidigung erreicht werden.
Kampfpanzer der Zukunft: Mögliche Fähigkeiten des MGCS
- Steigerung des Kalibers der Hauptbewaffnung: Aktuelle Überlegungen liegen zwischen einer 130-mm- und einer 140-mm-Panzerkanone, um eine höhere Anfangsgeschwindigkeit und Geschossmasse zu erreichen.
- Verbesserter Schutz der Besatzung: Der Turm des MGCS wird voraussichtlich unbemannt sein, die Besatzung von zwei bis drei Personen in einem besonders geschützten Bereich innerhalb der Fahrzeugwanne untergebracht.
- Erweiterte Schutzmaßnahmen: Einsatz von verbesserter Reaktivpanzerung und abstandsaktiven Schutzsystemen für effektiven Rundumschutz. Zusätzlich verbesserte Sensoren zur Früherkennung von Gefahren und ein fortschrittliches Battle Management System.
- Reduzierung des Gesamtgewichts: Trotz Verbesserungen soll das Gewicht im Vergleich zu aktuellen Modellen gesenkt werden, um die Mobilität zu erhöhen und die Funktionalität als Multiplattformsystem zu unterstützen.
- Innovative Technologien gegen Drohnen: Anpassung des MGCS an die modernen Anforderungen der Drohnenabwehr durch den Einsatz innovativer Technologien.
- Einheitliches Fahrwerk für eine Fahrzeugfamilie: Nutzung eines gemeinsamen Chassis für die gesamte Fahrzeugfamilie und voraussichtlicher Einsatz von Dieselhybriden als Antrieb, mit der Möglichkeit, unter taktischen Bedingungen einen leisen Elektromotor zu nutzen.
- Beibehaltung klassischer Panzerstärken: Konzeptuelle Kombination von modernsten Anforderungen und traditionellen Stärken der Panzertruppe, einschließlich schneller Feuerkraft und hoher Geländemobilität, besonders in urban zerstörten Räumen.
- Datenzentrale für unbemannten Kampf: Der Kampfpanzer soll als Datenzentrale für die Steuerung von Drohnen und anderen unbemannten Systemen dienen.
Deutschland übernimmt Führung bei MGCS
Mit dem Memorandum of Understanding wurde die Verteilung der industriellen Verantwortlichkeiten zwischen Frankreich und Deutschland festgelegt. Vereinbart wurde, dass sich beide Länder als gleichberechtigte Partner an der Rüstungskooperation mit jeweils 50 Prozent an den Kosten beteiligen und die jeweilige nationale Industrie mit entsprechenden Arbeitsanteilen berücksichtigt wird. „Wir folgen bei der Verteilung der Aufgaben des Projekts MGCS spiegelbildlich der Struktur von FCAS (Future Combat Air System)“, sagte Minister Pistorius beim gemeinsamen Statement. Bei FCAS übernehme Frankreich die Führungsrolle und beim MGCS werde Deutschland die Führungsrolle übernehmen.
„Die Verträge sollen fertig sein bis Ende des Jahres“, sagte Pistorius. Im nächsten Jahr sei die Zeichnung der Verträge geplant. Bis dahin werden Angebote sowie Leistungsbeschreibungen erstellt. Außerdem steht noch die Gründung einer Projektgesellschaft an, die aus den Firmen KNDS Deutschland, KNDS France, Rheinmetall Landsysteme und Thales SIX bestehen soll. Sie deckt unter gemeinsamer deutsch-französischer Führung die vier Plattformanteile des Gesamtsystems MGCSMain Ground Combat System – also die Kanonenplattform, die Flugkörperplattform, die Kampfunterstützungsplattform und das Einsatzsystem – ab.
Unterhalb der Projektgesellschaft ist das MGCSMain Ground Combat System-Programm in acht sogenannte Pillar unterteilt:
- Pillar 1 – MGCS-Plattform mit Fahrgestell und automatisierter Navigation unter deutscher Führung
- Pillar 2 – Kanone, Turm und Munition unter deutsch-französischer Führung. In einem ersten Schritt sollen jeweils national unterschiedliche Kanonensysteme entwickelt und nach einer Vergleichserprobung ein System ausgewählt werden.
- Pillar 3 – Sekundärbewaffnung mit zum Beispiel Lenkflugkörpern unter französischer Führung
- Pillar 4 – Kommunikations-, Führungs- und Einsatzsystem als „digitales Nervensystem“ unter deutsch-französischer Führung
- Pillar 5 – Simulationsumgebung unter deutsch-französischer Führung
- Pillar 6 – Sensorik unter französischer Führung
- Pillar 7 – Schutz und Drohnenabwehr unter deutscher Führung
- Pillar 8 – Unterstützung, Logistik und Infrastruktur unter deutsch-französischer Führung
Querelen im Vorfeld
Industrielle Verteilungskämpfe hatten zu Verzögerungen und Spannungen zwischen Berlin und Paris geführt. Hinter den politischen Kulissen war es immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen. Ziel ist es nun, die Verhandlungen über den Industrievertrag für die Technologiedemonstrationsphase bis Ende des Jahres abzuschließen. Auch andere europäische Staaten sollen für das Projekt gewonnen werden. Pistorius nannte hier Italien und Polen.
Viele Technologien müssten noch entwickelt oder weiterentwickelt werden. Dabei sollen Erkenntnisse aus dem Kriegsverlauf in der Ukraine und Annahmen über die Fähigkeiten möglicher Gegner einfließen. Dass Waffensysteme auch unbemannt funktionieren sollen, könnte eine Antwort auf den Mangel an Soldaten in westlichen Gesellschaften und den demografischen Wandel sein. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass Verzögerungen und Kostensteigerungen als Risiken lauern.
Mit Material von dpa und dem BMVG