Um Batterien oder Brennstoffzellen für den Wasserstoffantrieb von Autos künftig kosten- und energiesparend zu produzieren, setzt die Industrie auf Automatisierungstechnik. Dafür entwickelt Innocise neuartige Robotergreifer, deren Prinzip von der Natur abgeschaut ist. Sie nutzen bionische Hafteigenschaften und kommen beim Greifen der Komponenten ohne externe Energie aus. Damit sinkt der Energiebedarf in der Produktion erheblich.
„So wird durch ein bio-inspiriertes, innovatives Greifen beispielsweise die Batteriefertigung und Produktion von Brennstoffzellenkomponenten mit neuen Materialien revolutioniert“, sagt Henrik Ollmann, Head of Technology bei Innocise. Dabei handelt es sich um das F&E-Projekt InnoMat, das die Entwicklung und Charakterisierung der Gecomer-Technologie (Hafteigenschaften der Geckos) zum Einsatz in der Batterie- und Brennstoffzellenfertigung sowie die Prozessintegration der Gecomer-Technik umfasst. Schunk nutzt das Prinzip bereits in einem seiner Produkte, dem Adheso.
Greifer stapelt Batteriefolien und Komponenten der Brennstoffzelle
Als Projektergebnis wird eine neue Entwicklungsstufe der Gecomer-Technologie vorliegen, die zuverlässig und dennoch extrem schnell Batteriefolien und Komponenten der Brennstoffzelle stapelt – bei Haftkräften vergleichbar mit Vakuumgreifern und Schaltzeiten deutlich unter 100 Millisekunden. Diese zum Teil gasdurchlässigen und sehr fragilen Bauteile werden sicher, flexibel und hochpräzise positioniert.
Auf kostspielige Zusatzapparaturen und Infrastruktur wie beispielsweise Saugsysteme und Druckluftversorgung, die die Komplexität und damit Fehleranfälligkeit erhöhen, kann gänzlich verzichtet werden. Dadurch verbessert sich auch die Energie- und Ressourceneffizienz, sowie die Geräuschemission des Gesamtsystems erheblich.
Video: Schunk Adheso-Greifer in der Elektronikindustrie
Das neu zu entwickelnde Produkt wird gezielt im Markt der Energiesysteme insbesondere der Batterie und Brennstoffzellenfertigung zum Einsatz kommen, dabei allgemein im Maschinen- und Anlagenbau sowie zukünftig im gesamten Automotive-Bereich. Allein in Deutschland werden bis 2024 über 13 Unternehmen ihre Produktionsstandorte zur Batteriezellenfertigung errichten.
Wo die Technologie in der Industrie eingesetzt werden kann
Die Gecomer-Technologie bietet Lösungen in folgenden Bereichen:
• Produktion: reduzierte Ausschussrate beim Handling sensitiver Materialien. „Die Handhabung von empfindlichen Bauteilen ist derzeit ein großes Problem in vielen Industriebereichen“, erläutert CEO Marc Schöneich. Vakuumgreifer und mechanische Greifer bauen im Kontakt mit dem empfindlichen Objekt hohe lokale Drücke auf, um es zuverlässig zu halten. Dies führt zum Beispiel bei dünnen Folien regelmäßig zu einer unerwünschten Faltenbildung der Folie im Greifbereich, wodurch das Produkt oft beschädigt wird. Die dünnen 'Hafthaare' der Gecomer-Technologie ermöglichen dagegen eine gleichmäßige Verteilung der Haltekraft über die gesamte Folie und garantieren so die Unversehrtheit des Objekts auch nach vielen Greifzyklen.
• Effizienz und Umwelt: Die Technologie reduziert den Energieverbrauch in industriellen Prozessen durch Wegfall von laufenden Kosten für Kompressoren und weiterer Peripherie. Der niedrige Energieverbrauch der Technologie ist ein ökologischer und ein ökonomischer Vorteil, denn in der Zukunft wird die CO2-Bilanz von Produktions- und Zulieferindustrie eine zunehmende Rolle spielen.
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• Wirtschaftlichkeit: Derzeit wird deutlich, dass aufgrund der starken Individualisierung von Technologien das klassische Fließband nach Henry Ford einer modularen Produktion weichen muss. „Innocise ermöglicht den Zugang zu einer modularen Produktion von beispielsweise zerbrechlichen und empfindlichen Materialien, die derzeit nur in Handfertigung realisiert werden kann,“ erklärt Ollmann.
• Low-Cost Automatisierung: Die Technologie ermöglicht eine Vereinfachung industrieller Pick & Place-Prozesse. Technische Grenzen zum Greifen von dünnen Folien oder porösen Blechen können skalenübergreifend von wenigen Mikrometern bis Quadratmetern in verschiedenste Prozessumgebungen realisiert werden. Die Dauer zur Implementierung in einer bestehenden Produktion wird drastisch reduziert.
„Die Handhabung von empfindlichen Bauteilen ist derzeit ein großes Problem in vielen Industriebereichen", sagt Marc Schöneich, CEO bei Innocise. - Bild: Innocise
• Verbesserung Arbeitsbedingungen: Druckluftgeräusche in der Produktion fallen durch die Technologie vollständig weg. Im Vergleich zu konventionellen Greifsystemen besteht ein stark vermindertes Verletzungsrisiko, da das Greifsystem aus einem weichen Kunststoff besteht. Somit ist die Gecomer-Technologie prädestiniert für Anwendungen zur Mensch-Maschine-Interaktion. Im Vergleich zu einem konventionellen Greifer werden Bauraum sowie Gewicht des Greifers maßgeblich verringert.
„Innocise ermöglicht den Zugang zu einer modularen Produktion von beispielsweise zerbrechlichen und empfindlichen Materialien, die derzeit nur in Handfertigung realisiert werden kann“, sagt Henrik Ollmann, Head of Technology bei Innocise. - Bild: Innocise
• Miniaturisierung: Mittlerweile hat Innocise seine Greiflösung auch auf die Handhabung von Bauteilgrößen mit wenigen Mikrometern ausgeweitet. Die Mikrohandhabungstechnologie schließt eine wichtige Lücke in bestehenden Handhabungsaufgaben für miniaturisierte Objekte. Anwendungsbeispiele reichen vom Greifen photonischer Bauelemente wie Mikrolinsen oder Glasfasern über kleinste Sensor- und Elektronikbauteile (SMT-Bestückung) bis hin zur Herstellung modernster LED-Displays.
Haftung wirkt rückstandsfrei und rein physikalisch
Innocise ist eine Technologie-Ausgründung aus dem INM - Leibniz-Institut für Neue Materialien in Saarbrücken, einer international führenden Forschungseinrichtung auf dem Gebiet der Materialforschung. Das Unternehmen hat sich als Technologieführer für reversible Haftsysteme etabliert.
Die Technologie beruht auf einem reversiblen und versatilen Haftsystem nach dem Vorbild der Natur, dem sogenannten Gecko-Effekt. Feinstrukturierte, haarige (fibrilläre) Haftorgane ermöglichen Geckos eine temporäre und steuerbare Haftung auf verschiedensten Oberflächen. Durch die trockene, rückstandsfreie und rein physikalisch wirkende Haftung ist dieses Gecko-Prinzip als nachhaltige Technologie für zahlreiche Anwendungen interessant.
Bioinspirierte Mikrostrukturen
Die Gecomer-Oberfläche zeichnet sich allgemein durch die Anordnung vieler winzig kleiner polymerer 'Füßchen' aus, die durch die Van-der-Waals Wechselwirkung eine herausragende Haftung an zu greifenden Substraten haben. Die bioinspirierten Mikrostrukturen entstammen der Mikrostrukturierung von Geckofüßen. Einzelne Füßchen übertragen immer nur kleine Kräfte, wohingegen die Summe vieler solcher Füßchen an den Fußsohlen der Geckos eine hohe Haftung erzeugt. Die Tiere sind in der Lage an jeder Art Oberfläche auch entgegengesetzt zur Schwerkraft zu haften und sich wieder abzulösen, um sich so fortzubewegen.
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