Reluktanzmotoren: Erfolgsgeschichte oder One-Hit-Wonder?

90 Jahre lang spielten Reluktanzmotoren im Maschinen- und Anlagenbau keine Rolle. Durch Effizienz und Robustheit erwachte die Technik in den 2010er Jahren aus dem Dornröschenschlaf. Aber mit Permanentmagnet-Motoren betritt ein neuer Wettbewerber den Markt. Können sich Synchron-Reluktanzmoren dagegen dauerhaft am Markt behaupten?

1923 wurde das Funktionsprinzip des Reluktanzmotors erstmals beschrieben. Anders als bei konventionellen Asynchronmotoren fließt kein Strom durch den Rotor. Der Rotor selbst hat keine Wicklungen, Magneten oder einen Kurzschlusskäfig. Vielmehr besteht der Rotor aus weichmagnetischen Blechen in speziellen Geometrien und die Drehbewegung wird rein über magnetische Kraft aus dem Stator erzeugt.

Synchron-Reluktanzmotor mit guter Energieeffizienz

„Synchron-Reluktanzmotoren können aber nicht direkt an das Stromnetz angeschlossen werden, sondern benötigen immer einen Frequenzumrichter“, verdeutlicht Johannes Erdmann, Sales Support Specialist bei ABB Motion. „Die ersten Umrichter waren aber nicht für Reluktanzmotoren geeignet.“ Das änderte sich mit immer leistungsfähigerer Hard- und Software. Gleichzeitig rückt seit mehr als zehn Jahren das Thema Energieeffizienz immer stärker in Fokus der Industrie – und hier kommt der Synchron-Reluktanzmotor ins Spiel.

Traditionell werden Pumpen, Lüfter oder Kompressoren von Asynchronmotoren mit direktem Anschluss an das Stromnetz und fester Drehzahl angetrieben. Sobald diese Leistung den aktuellen Bedarf übersteigt, wandelt eine Drossel überschüssige Energie in Wärme um. Eine eindeutige Energieverschwendung, zumal gerade die typischen Anwendungen sehr hohe Betriebszeiten aufweisen. Bei drehzahlvariablen Antrieben dagegen senkt ein Umrichter die Leistung bedarfsgerecht ab und reduziert den Energieverbrauch je nach Einsatz bis zu 60 Prozent und mehr.

Was den Synchron-Reluktanzmotor so effizient macht

Reluktanzmotoren haben für diesen Anwendungsfall eine wunderbare Eigenschaft, denn sie bieten auch bei Teillast sehr gute Wirkungsgrade. „Unsere SuPremE Motoren erreichen schon bei 25 Prozent der Nennleistung mehr als 95 Prozent des Nennwirkungsgrads“, rechnet Daniel Gontermann, Produktmanager Standardpumpen bei KSB, vor. KSB ist ein weltweitweit führender Anbieter von Pumpen und Armaturen für nahezu jedes Einsatzgebiet. Synchron-Reluktanzmotoren sparen nicht nur allein durch die Drehzahlvariabilität, sondern auch durch ihr Konstruktionsprinzip.

Welche Vorteile bringt das magnetfreie Design?

Die Motoren entsprechen sehr häufig schon seit Jahren den Effizienzklassen IE4 und IE5. ABB erfüllt jetzt in der Baureihe SynRM als einer der ersten Hersteller die erwartete Effizienzklasse IE6 mit einem magnetfreien Design. Zwar wurde IE6 noch nicht in einer offiziellen Industrienorm spezifiziert, doch bisher wies jede neue IE-Effizienzklasse 20 Prozent weniger Energieverluste als die vorherige Stufe auf – und das erfüllt nach Angaben von ABB auch der neue Motor.

Reluktanzmotoren überzeugen mit längerer Lebensdauer

Johannes Erdmann weist auf einen weiteren Vorteil hin: „Im Rotor fließt kein Strom und die Temperatur im Motor liegt um bis zu 20° Kelvin niedriger. Damit erreicht die Wicklung eine 3-fache Lebensdauer und das Lagerfett hält durch die niedrigeren Temperaturen doppelt lang wie bei Asynchronmotoren.“ Wärme entsteht nur im Stator und kann je nach Ausführung per Luft- oder Wasserkühlung abgeleitet werden.

Für Daniel Gontermann sind Reluktanzmotoren einfach 'unverwüstlich'. Auch Sebastian Link, Leiter Niederspannungsmotoren in der Vertriebsregion Deutschland bei Innomotics, früher Siemens, lobt die Robustheit. „Reluktanzmotoren sind wartungsarm und der Austausch des Rotors ist sehr einfach“, hebt er hervor. Für ihn eignen sich VSD4000 Motoren von Innomotics besonders gut auch für das Retrofit älterer Anlagen, weil sie bei gleicher Achshöhe wie Asynchronmotoren deutlich geringere Anschlussleistungen benötigen.

Geberlose Lösungen von Vorteil für den Reluktanzmotor

Eine Herausforderung war zu Beginn der Reluktanzmotoren-Renaissance die Bestimmung der Rotorlage. Der Rotorlagegeber war eine Schwachstelle der ersten Baureihen, deshalb haben die drei führenden Hersteller auf geberlose Lösungen umgestellt. „Unsere geberlose Active Flux Regelung ist so genau, dass die Motoren auch Positionieraufgaben erfüllen können“, betont Daniel Gontermann. Außerdem vereinfacht die geberlose Lageerkennung den Austausch der Rotoren weiter.

Auch bei Einsätzen in explosionsgefährdeten Bereich bietet der Reluktanzmotor Vorteile: „Unsere SynRM sind für ATEX-Zone 1 und 2 zertifiziert und müssen nicht wie Asynchronmotoren gemeinsam mit dem Frequenzumrichter getestet werden“, erklärt Johannes Erdmann von ABB und weist darauf hin, dass dies auch für den Betrieb mit Fremd-Umrichtern gilt.

Permanentmagnete steigern Wirkleistung

Alle drei Anbieter, ABB, KSB und Innomotics arbeiten aber auch an einer anderen Technologie: Permanentmagneten-Motoren. Sie kommen ebenfalls ohne Wicklung im Rotor aus. „Permanentmagneten bieten eine höhere Wirkleistung, kompaktere Baumaße und weniger Gewicht“, beschreibt Sebastian Link von Innomotics die Eigenschaften: „Für die notwendige Gebäudestatik eines Rechenzentrums macht es durchaus einen Unterschied, ob allein der Motor für die HVAC-Anlage auf dem Dach 1.500 kg wiegt oder weniger als 700 kg.“ So deutlich ist der Unterschied zwischen einem Asynchron- und einem Permanentmagnetmotor.

In Anwendungen, bei denen Überlast gefordert ist, beispielsweise in Mischanlagen oder Extrudern, kommt die 200 Prozent Überlastfähigkeit hinzu. „Die Kombination von Permanentmagneten und Reluktanzmotoren in IE5 sind der Türöffner bei vielen Kunden“, betont Sebastian Link.

So steigern Hybridmotoren mit Permanentmagneten die Leistung

Das sehen auch KSB und ABB so. In Gegensatz zu Innomotics setzen beide keine Magnete aus seltenen Erden ein. Die verwendeten Ferrit-Magnet sind hitzeunempfindlich, So bietet KSB SuPremE bei den kleinsten Baugrößen mit 0,55kW/0,75 kW die Kombination Reluktanzmotor mit Permanentmagneten. ABB Motion hat diesen Ansatz mit Baldor Reliance EC Titanium Motoren mit integriertem Umrichter für das Leistungsspektrum bis 15 kW umgesetzt. Aktuell sind nach übereinstimmender Meinung Synchron-Reluktanzmotoren Standard, wenn es um hohe Laufzeiten und Drehzahlvariabilität geht. Auch wenn ABB das Spektrum an luft- und wassergekühlten bis 315 kW abdeckt, so sieht Johannes Erdmann die meisten Aktivitäten im Bereich 22- 75 kW.

Warum bleibt der Reluktanzmotor zukunftssicher trotz Konkurrenz?

Reluktanzmotoren werden – ob mit oder ohne Permanentmagneten - allein aufgrund ihrer höheren Energieeffizienz auch weiterhin eine wichtige Rolle im Maschinen- und Anlagenbau spielen. Die Europäische Union ist hier regulatorisch seit vielen Jahren Vorreiter, aber auch in China und auf anderen Märkten gewinnt das Thema immer mehr an Bedeutung. Damit sind Reluktanzmotoren auch in Zukunft eine gute und zukunftssichere Wahl.

überarbeitet von: Dietmar Poll