Krefelder Laufroboter Rosie (Modell Anymal von Anybotics) geht im Stahlwerk von Outokumpu auf eine seiner Missionen

Rosie, der Krefelder Laufroboter, kann etwa zwei Stunden arbeiten, dann sind zwei Stunden Ladezeit angesagt. Ist der Weg versperrt, findet das Gerät eine alternative Route. (Bild: Outokumpu)

Der Stahlhersteller Outokumpu erprobt in mehreren Pilotprojekten die automatisierte Inspektion von Maschinen und Anlagen. Dazu hat das Unternehmen drei Laufroboter von Anybotics geordert. Die vierbeinigen Maschinen werden – so ähnlich wie neue Mitarbeitende – mehrere Wochen lang angelernt, ehe sie autonom ihre Aufgabe erfüllen.

Das erste Exemplar traf im Juni 2023 am Standort in Krefeld ein. Etwas zeitversetzt, um erste Erfahrungen zu machen, kommen der zweite und dritte Roboter dazu, deren Einsatzorte in Schweden und Finnland liegen. PRODUKTION sprach darüber mit:

  • Thorsten Piniek, Vice President Health and Safety, Outokumpu
  • Sebastian Kegel, Mitarbeiter der Arbeitssicherheit, Outokumpu
  • Enzo Wälchli, Chief Commercial Officer bei Anybotics

Outokumpu hat sich bei diesen drei Pilotprojekten für das Model Anymal von Anybotics entschieden. Warum gerade dieser Laufroboter?

Thorsten Piniek: Für uns ist wichtig, dass der Roboter nach IP67 bestmöglich geschützt ist, weil wir – beispielsweise im Beizprozess – mit diversen Chemikalien arbeiten. Und in unseren Werken in Finnland und Schweden werden Metalle geschmolzen. Da reden wir also über hohe Temperaturen, Stäube und Verbrennungsprozesse.

 

Welche Vor- und Nachteile haben die Anymal-Roboter gegenüber dem Modell Spot von Boston Dynamics für Outokumpu?

Enzo Wälchli: Wir haben bei Anybotics einen klaren Fokus auf industrielle Applikationen. Dazu gehört die gerade schon erwähnte Schutzklasse IP67, aber auch die Zuverlässigkeit und Robustheit, um sich in Fabriken zu bewegen. Deshalb ist der Roboter ein bisschen schwerer und bewegt sich vielleicht nicht so elegant – was im Entertainment wichtig sein mag, aber für die Industrie nicht.

Ein weiterer Unterschied ist, dass wir ein von Ende zu Ende gedachtes System gebaut haben: Alle relevanten Sensoren bauen wir selbst ein oder arbeiten sehr eng mit Partnern zusammen, sodass sie voll integriert sind. Der Kunde hat also ein getestetes, zertifiziertes Gerät, an dem er nichts mehr ändern muss.

Ein Hauptunterschied ist auch, dass unser Laufroboter von Anfang an für voll autonomes Arbeiten entwickelt wurde. Es ist auch möglich, diese Autonomie wieder zu beschränken und mehr zu interagieren. Aber vom Grundkonzept her arbeitet der Roboter allein. Diesen Schritt zurück zu machen, ist viel einfacher als den umgekehrten Weg zu gehen und einen Roboter, der grundsätzlich auf Interaktion ausgelegt ist, zu kompletter Autonomie zu befähigen.

Reinigung: Anymal-Roboter von Anybotics wird mit Wasser abgespritzt
Der Roboter ist nach IP67 geschützt gegen Staub und zeitweiliges Untertauchen. (Bild: Anybotics)

Was kostet die automatisierte Inspektionslösung, die Outokumpu jetzt in Krefeld anwendet?

Piniek: Zu den Preisen möchten wir uns nicht im Detail äußern. Aber ich kann sagen, dass wir schon einigen Aufwand treiben bei der Implementierung: Mein Kollege Sebastian Kegel aus dem Werk in Krefeld ist momentan nahezu zu 100 Prozent abgestellt, um diesen Laufroboter anzulernen. Außerdem werden wir für den Wissenstransfer zwischen den einzelnen Standorten sorgen.

Nächsten Dienstag kommt beispielsweise eine Kollegin von Anybotics nach Krefeld, um diverse Themen weiter voranzutreiben. Da wird es um die Zuverlässigkeit bei den Rundgängen gehen, die der Roboter macht. Diese bezeichnen wir als Mission. Und auch um die Inspektionstiefe, also die genauere Definition der Kontrollpunkte. Als Anwender muss man in diesen Bereichen neue Kompetenzen aufbauen. Das betrifft bei uns vor allem Sebastians Zuständigkeitsbereich, also die Arbeitssicherheit.

Sebastian Kegel: Ja, diese Art Roboteranwendung war für mich neues Feld. Ich bin eigentlich Maschinenbautechniker und seit 20 Jahren im Unternehmen tätig – in der Arbeitssicherheit seit rund einem Jahr, davor als technischer Experte in der Abteilung, wo der Roboter eingesetzt wird. Ich und meine Kollegen arbeiten uns nach und nach ein. Dabei kommen ständig neue Fragen auf, deshalb ist es gut, dass Anybotics immer erreichbar ist.

Es begann mit dem ersten Training, wo man noch an der Oberfläche kratzt. Mittlerweile würde ich es mir zutrauen, Roboter auch allein in Betrieb zu nehmen – zumindest bis zu einem gewissen Level.

Piniek: In der Einarbeitungsphase ist es gut, jemanden wie Sebastian Kegel zu haben, der das Werk und die Abläufe im Betrieb aus dem Effeff kennt. Denn der Roboter wird auch auf die Umgebung trainiert, in der er arbeiten soll. Das Training hat vor knapp zwei Monaten begonnen, wir sind also noch ganz frisch in der Trainingsphase.

Der Roboter lernt zum Beispiel über eine bestimmte Treppe zu gehen, seinen Weg zu finden und wo er auszuweichen hat. So ähnlich, wie man auch einen Hund trainieren würde.

Laufroboter Anymal von Anybotics auf einem Inspektionsrundgang im Krefelder Werk des Stahlherstellers Outokumpu
Wenn das Trainig abgeschlossen ist, bewegt sich der Roboter auf seinen Inspektionsrundgängen alleine und sammelt Daten. (Bild: Outokumpu)

Wie tritt man mit dem Roboter in Kontakt, wenn er einem im Werk begegnet?

Kegel: Als unbeteiligte Person eigentlich gar nicht – der Roboter bleibt immer erstmal stehen. Für die Operator gibt es verschiedene Schnittstellen, das kann per Remote sein oder über Onlinetools. Wenn wir dem Roboter neue Wege oder Missionen in der Anlage beibringen, verwenden wir ganz klassisch Laptop und Tablet – sofern es sich um einen Teil des Werks handelt, in den man mit Laptop betreten darf.

In diesem Zusammenhang ist das Interessante, dass der Laufroboter ja nur ein Teil des ganzen Systems ist. Da steckt ein komplettes Softwarepacket dahinter. Die Daten, die der Roboter erfasst, werden gespeichert, ausgewertet, archiviert und verglichen. Der Roboter ist gerade mal die Spitze des Eisbergs – eine mobile Messstelle, die sich im Werk bewegt.

Welches Ziel verfolgt Outokumpu mit dem Projekt?

Piniek: Es geht um die Arbeitssicherheit. Wir wollen beim Thema Unfälle Schritt für Schritt Richtung Null kommen. Und das schafft man insbesondere, indem man erstens die Mitarbeitenden keinen potenziellen Gefahren aussetzt. Und zweitens, indem man zuverlässig laufende Anlagen hat. In beiden Bereichen hilft uns der Roboter.

In unseren Gefahrenbereichen setzen wir in Krefeld beispielsweise auch Flusssäure und Salpetersäure als Arbeitsmedium ein. In diese Bereiche muss bald kein Mensch mehr hineingehen. Der Roboter wird durch den Keller laufen und die Inspektionen durchführen.

Dabei können wir ihm zusätzlich unzählige Messstellen als Hausaufgabe mitgeben, sodass wir den Anlagenzustand sehr engmaschig kontrollieren und dann sehr zielgerichtet präventiv reparieren können. Die Reparaturen sind dann auch viel besser planbar im Vergleich zu irgendwelchen Ad-hoc-Maßnahmen.

Laufroboter Rosie (Modell Anymal von Anybotics) allein unterwegs im Outokumpu-Werk in Krefeld
Rosie loggt sich ins Wlan ein, um Daten zu übertragen. Ansonsten kann der Laufroboter auch offline arbeiten. (Bild: Outokumpu)

Welche Sensorik hat der Roboter zur Kontrolle der Anlagen?

Kegel: Wir haben die Möglichkeit, klassische Bilder aufzunehmen, denn der Roboter hat eine sehr hochauflösende Kamera. Die andere Option ist ein Wärmebild. Dabei gibt es die Möglichkeit, festzulegen, welche Temperaturbereiche erwünscht sind. Im Falle einer Abweichung kann der Roboter verschiedene Aufträge daraus generieren, zum Beispiel weitere Bilder anzufertigen.

Die dritte Option ist die Frequenz- beziehungsweise Geräuscherkennung. Der Roboter kann Geräusche erkennen und miteinander vergleichen. Ein verändertes Laufgeräusch bei einem Motor kann zum Beispiel ein Hinweis sein, dass etwas nicht in Ordnung ist. In diesem Fall würden wir für die kommenden Tage eine Instandhaltung oder einen Austausch einplanen.

Die Analyse der Daten beginnt schon im Roboter. Die finale Analyse macht dann später die Software beziehungsweise unsere Systeme, die dahinter geschaltet sind. Sie werten die Daten noch einmal aus und vergleichen aktuelle und frühere Datensätze.

Können Sie aus den vergangenen zwei Monaten ein Beispiel dafür nennen?

Kegel: Ja, wir hatten im Testbetrieb schon erste Erfolge – zwar noch keine Reparaturmeldungen, weil der Roboter noch nicht mit unseren Systemen arbeitet. Aber ich habe auf unseren gemeinsamen Routen Temperaturabweichungen bemerkt und natürlich der Instandhaltung gemeldet – früher, als wir es sonst festgestellt hätten.

Diese Wartungs- und Reparaturmeldungen werden künftig automatisch generiert. An diesem Punkt sind wir zwar noch nicht, aber das gehört zu den nächsten Schritten, die wir jetzt gehen werden.

Die Datensätze, mit denen der Roboter die aktuellen Werte vergleichen kann, bauen wir aktuell noch auf. Das ist einer der Gründe, warum dieser Anlernprozess eine Weile dauert.

Wälchli: Damit dieser Prozess funktioniert, ist einiges an Intelligenz nötig. Sonst kommt der Roboter mit zehn unscharfen Fotos zurück und die Mission ist ein Fehlschlag. Damit auch die Trendanalysen funktionieren, ist es notwendig, die Schnittstelle mit dem System des Endkunden zu verbinden. Die Firmen haben für die kritische Technik in der Regel sehr ausgereifte Predictive-Maintenance-Modelle.

Anschließend wird eine Reihe von Prozessen erstellt, sodass beispielsweise ein Alarm ausgelöst wird, wenn sich über längere Zeit die Temperatur oder die Geräusche eines Geräts ändern. An diesem Punkt sind dann wieder Menschen involviert, weil es deren Erfahrung braucht, um zu verstehen, was eine solche Änderung bedeutet.

Anymal und Vertreter:innen der Firmen Outokumpu und Anybotics auf der Green Steel World Conference
Outokumpu und Anybotics verkündeten das Pilotprojekt auf der Green-Steel-Konferenz im April 2023 an. Der Stahlhersteller nutzt dabei ein Robotics-as-a-Service-Angebot des Herstellers. (Bild: Outokumpu)

Wie läuft der Anlern-Prozess bislang?

Kegel: Der erste Schritt ist, dass sich der Roboter sicher in unserem Werk bewegt und weiß, wo er hingehen muss. Er erhält beispielsweise den Befehl zu einer bestimmten Anlage zu gehen und dort eine von mehreren Inspektionsrouten abzugehen. Das muss er allein schaffen. Und daran arbeiten wir momentan. Bei seinen Rundgängen nutzt der Roboter prinzipiell erstmal die gleichen Wege wie unsere Mitarbeiter – außer er bewegt sich in spezielle Bereiche hinein.

Der zweite Schritt ist, Daten zu sammeln und diese über einen Server an die Schnittstelle zu übergeben und die Prozesse zu definieren.

Wie lange wird es dauern, bis sich der Laufroboter sicher bewegt und Daten liefern kann, so, wie Sie es gerade beschrieben haben?

Kegel: Das ist aus meiner Sicht schwer zu beantworten. Also ich denke schon, dass wir noch den einen oder anderen Monat brauchen werden, bis das komplette System sauber laufen wird. Dabei bin ich auch auf die Kolleginnen und Kollegen aus der IT und von Anybotics angewiesen.

Die Laufrobotermodelle Anymal und Anymal X von Anybotics in Fabrikumgebung
Outokumpu setzt das Modell Anymal (links) ein. Für die Bedürfnisse der Öl- und Gas-Industrie gibt es den Laufroboter auch mit Ex-Schutz, genannt Anymal X. (Bild: Anybotics)

Wie orientiert sich der Roboter – mit GPS?

Wälchli: Nein, GPS wäre zu ungenau. Der Anymal hat einen Lidar-Sensor, der mit einem Laser die Distanz zu vorhandenen Objekten und Hindernissen misst. Damit kartografiert man im ersten Schritt die ganze Anlage. Diese Daten sehen wie Punktewolken aus. Mit dieser gespeicherten Karte gleicht der Roboter im zweiten Schritt auf seinen späteren Missionen seine aktuelle Position ab und stellt so fest, wo er ist.

Er nutzt dabei ein Verfahren, das im Technikjargon SLAM genannt wird: Simultaneous Localization and Mapping. Er bewegt sich und aktualisiert gleichzeitig seine Karte. Er versteht auch, wo er durch gehen kann und welche Bewegungsoptionen er hat.

 

Und dass sich diese Umgebung ständig verändert, weil zum Beispiel Leute vorbeigehen, stört ihn dabei nicht?

Wälchli: Nein, damit kann er umgehen.

Gab es Bedenken in der Belegschaft, dass der Roboter Arbeitsplätze kosten könnte?

Wälchli: Mit solchen Robotern können Unternehmen auch Aufgaben automatisieren, die Menschen nicht machen wollen oder machen sollten – in Gefahrenbereichen zum Beispiel. Und wenn man Anlagen produktiver nutzen will, braucht es viel mehr Daten, als uns momentan zur Verfügung stehen. Roboter generieren diese Daten. Die Arbeit wird also sicherer und produktiver.

Piniek: Wir haben unsere Belegschaft sehr früh eingebunden – als die Entscheidung gefällt wurde, dass wir diesen Roboter zu uns ins Werk holen. Es gab sogar einen Wettbewerb, in dem die Belegschaft Namen vorschlagen und auswählen konnte. Die Resonanz war sehr groß. Ich würde sagen, die Akzeptanz ist heute gegeben.

 

Und welchen Namen hat er bekommen?

Piniek: Es hat sich entschieden, dass der Roboter Rosie heißt. Rosie steht für: Robotic Operating System for Industrial Engineering. Ich habe ihn letztens das erste Mal selbst in Aktion gesehen. Das ist natürlich schon neu und anders, wenn da ein Roboter durchs Werk marschiert. Aber man gewöhnt sich daran.

Wie geht es jetzt weiter?

Piniek: In Krefeld arbeiten wir weiter an der Bewegung im Werk und den ersten Inspektionspunkten. Im September kommt der zweite Roboter für den Säure-Bereich in unserem Werk in Schweden. Das ist nochmal eine andere Geschichte als die Beizlinie, die wir hier in Krefeld haben.

Gegen Ende des Jahres gehen wir einen weiteren Schritt: Da bekommt unser Werk in Tornio seinen Roboter. Die Stadt liegt im Norden Finnlands, an der finnisch-schwedischen Grenze. Dort wird der Roboter teilweise auch draußen unterwegs sein und muss sehr niedrige Temperaturen aushalten. Anhand dieser drei Pilotprojekte überlegen wir uns dann mit Anybotics, wie der Roll-out letztlich aussehen wird.

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