Prof. Carlo Masala hat auf dem Maschinenbau-Gipfel einen Einblick in die aktuelle sicherheitspolitische Lage gegeben.

Prof. Carlo Masala hat auf dem Maschinenbau-Gipfel einen Einblick in die aktuelle sicherheitspolitische Lage gegeben. (Bild: Anna McMaster)

Prof. Carlo Masala, Leiter der Professur für Internationale Politik an der Bundeswehr-Universität München spannte einen größeren Rahmen. Dabei stand die Frage im Vordergrund, was die Unternehmen im Saal zu erwarten haben. „Wie werden Sie demnächst wirtschaften, was sind die Herausforderungen und Risiken, worauf sollten Sie sich einstellen?“, so Masala.

Es habe auch in der Geschichte immer viele Krisen gegeben, sagte der Sicherheitsexperte. „Neu ist aber, dass diese Krisen auf gewisse Art miteinander verbunden sind. Wir sehen, dass viele Akteure die Aufmerksamkeit ausnutzen, die die USA auf die Ukraine gerichtet haben. Man versucht, strategische Vakuums zu nutzen“, so Masala.

Die aktuellen Krisen beeinflussten sich zudem gegenseitig. Sollte etwa die Krise in Nahost mit dem Iran eskalieren, brauche man den russischen Einfluss auf das Regime in Teheran. Doch die Russen würden dafür einen Preis fordern, der in der Ukraine liege, nannte Masala ein Beispiel.

Russland wird absehbar nicht wieder zum Markt

Klimakrise und Migrationskrise kämen hier noch on top. Es sei eine bewusste Strategie und hybride Kriegsführung der russischen Regierung, Migrationskrisen auszulösen, um uns zu überlasten. Die Polykrisen führten auch dazu, dass Außen- und Innenpolitik direkter miteinander verbunden seien – anders als es noch in den Neunziger Jahren propagiert worden sei. „Wenn hier ein antisemitischer Mob durch die Straßen läuft und wir eine starke, rechtsextreme Partei in den Parlamenten haben, wird das Fachkräfte aus dem Ausland abschrecken“, sagte Masala etwa mit Blick auf den Fachkräftemangel.

In der Ukraine geht Masala von einem längeren Positionskrieg aus. „Wenn die Ukraine sich nicht durchsetzt, werden wir exorbitante Kosten tragen müssen“, ist sich Carlo Masala sicher. Dann hätte man es wie in den Sechziger Jahren mit einem Militärhaushalt von 100 bis 120 Milliarden statt 50 Milliarden jährlich zu tun. Dabei sei unklar, wie vermittelt werden sollte, dass wir alle entsprechend sparen müssten.

Zwar hoffen viele Unternehmen noch darauf, nach dem Krieg wieder in Russland aktiv zu werden. „Vergessen Sie es!“, meinte Masala. Auf absehbare Zeit werde es keine Annäherung geben.

Europa habe die Aufgabe, Russland durch Sanktionen einzuhegen. Stattdessen empfahl der Sicherheitsexperte die Ukraine als Marktalternative, die komplett neu aufgebaut werden müsse.

Der Sicherheitsexperte bezieht sich in seinen Prognosen auf einen Zeitraum von zehn Jahren, weil davon auszugehen sei, dass sowohl Putin als auch Xi Jinping – oder ähnlich orientierte Vertreter –solange die Gegenspieler bleiben. Das sei die Folie, vor der die Unternehmen produzieren, wirtschaften und exportieren. Vieles sei schon absehbar und Vorbereitung nötig.

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USA vs. China: Neutralität ist keine Option für Europa

Derzeit sei es eine offene Frage, ob es den Amerikanern gelingen wird, den chinesischen Aufstieg zu verzögern. „Wenn nicht, gehen wir in eine vollumfängliche Bipolarität“, erklärte Prof. Masala. Es werde allerdings keine multipolare Welt mit mehreren gleichstarken Zentren geben, von der einige europäische Politiker wie Macron träumten. Das gäben die Zahlen nicht her, sagte Masala, und warnte zugleich davor, dass Europa seine Bedeutung konstant überschätze.

Neutral zu bleiben, sei keine Option. „Das sind zwei Achthundert-Pfund-Gorillas, die miteinander kämpfen, wir sind ein 75-Kilo-Schimpanse. Die Vorstellung eines neutralen Europas ist hier nicht nur eine Illusion, sondern auch gefährlich“, gab der Professor zu bedenken. Der Sicherheitsexperte begrüßte es, dass Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock sich mit ihren Reisen bemühen, jetzt möglichst viele Staaten für ein Bündnis zu gewinnen, die auch von China umworben werden.

Während man in Europa noch über Decoupling nachdenke, habe Xi Jinping in Strategiepapieren bereits klargestellt, dass China auf dem Ablösungskurs ist. „Viele Bereiche werden aus China hinausgeworfen. Das müssen wir begreifen. Teile der deutschen Industrie, die immer noch in China investieren, verhalten sich wie Lämmer, die zur Schlachtbank geführt werden, denn China will sich unabhängig machen“, warnte Masala mit klaren Worten.

Lieferketten müssen deglobalisiert werden

„Das wird der bestimmende Konflikt der Zukunft sein und das wird Sie alle betreffen“, so Masala. „Die Frage ist, wer wird innovativer sein und dann mehr Einfluss haben? Es ist das Ende der liberalen, regelbasierten Weltordnung auch im Handel, wenn sich China durchsetzt. Es ist das Ende der Institutionen, wie wir sie kennen“, warnte der Experte.

Dazu zählten WTO, IMF oder Weltbank, die bereits von den Chinesen ignoriert werden. „Sie müssen alle dafür sorgen, dass ihre Lieferketten nicht mehr global sind“, gab der Sicherheitsexperte den Gipfelteilnehmerinnen und -teilnehmern mit auf den Weg. Europa müsse der Raum werden, wo die Innovation stattfindet – und wo das Endprodukt herkommt.

„Wir kommen in eine Phase der Deglobalisierung, wo die Vorteile, die sie kennen, peu à peu zurückgedreht werden“, so Masala. Das sehe man bereits in den USA, wo man stark auf Unabhängigkeit setzt. Bei uns sei Decoupling nicht möglich, denn man habe sich zu stark von China abgängig gemacht. Er sei immer wieder erschrocken, wenn er mit Unternehmen spreche: Geoökonomisches Denken existiert dort nicht, man ist nur auf Quartalsergebnisse ausgerichtet. Das halte er für eine „ziemliche Katastrophe“. Deshalb sei die Vorbereitung auf den Worst Case entscheidend. Es brauche für Unternehmen immer einen Plan B, wenn zum Beispiel keine Halbleiter mehr aus Taiwan geliefert werden.

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