Der Fachkräftemangel erreicht laut einer aktuellen Studie der Manpowergroup weltweit gerade ein 17-Jahres-Hoch. Gründe dafür sind vor allem der demografische Wandel, zunehmender Vorruhestand oder der Start der Rentenzeit, die mehr und mehr Fachkräfte abwandern lassen. Kein Wunder also, dass es im Juli 2023 bereits 43,1 Prozent von rund 9.000 an einer Ifo-Umfrage teilnehmenden Unternehmen an qualifizierten Arbeitskräften mangelte.
Insbesondere in der Fertigungsindustrie beginnt gerade schon die Generation der Babyboomer den Shopfloor zu verlassen. Akute Gefahr ist in Verzug, dass mit ihr der lang angesammelte, gut gehütete Wissensschatz und Qualitätsmaßstab einer ganzen Generation verschwindet, der unser Land wirtschaftlich groß gemacht hat. Dieses Wissen stellt einen wichtigen Produktionsfaktor dar und bildet allerorts die Basis für Qualitätssicherung. Wo Fachwissen fehlt, geraten industrielle Produktionsprozesse automatisch ins Stocken.
Die Konsequenzen: Sofort entstehen Wettbewerbsvorteile für die Konkurrenz, aufsteigende Kundenanforderungen kann nicht mehr schnell genug reagiert werden, Aufträge gehen verloren.
Viel Expertise und vor allem die Qualitätsführerschaft 'Made in Germany' könnte sich mit dem ausscheidenden Teil der Belegschaft in Luft auflösen und die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen spürbar leiden. Um die drohenden mittel- und langfristigen Konsequenzen zu vermeiden, ist es zwingend notwendig, den vorhandenen Wissensschatz des Betriebs zu sichern.
Grob-Chef über E-Mobilität, Fachkräftemangel und die USA
Drei Schritte sind jetzt notwendig:
- Implizites Wissen explizit machen
- Zentrale, strukturierte Wissensorganisation aufbauen
- Mitarbeitereinsatz flexibel gestalten
1. Implizites Wissen explizit machen
Der Transfer von mitarbeiterabhängigem Wissen an den Rest der Belegschaft kann zum einen über die einfache Erstellung von bild- und videobasierten Arbeitsanweisungen, Checklisten, Prüfprotokollen u.v.m. geschehen. Wichtig ist, dass die Bedienung intuitiv ist, auf transparenten Review-Prozessen basiert und die Produktionsressourcen „Maschine“, „Mitarbeiter“ und „Information“ miteinander verknüpft.
Zum anderen erfolgt der Wissenstransfer durch die Etablierung eines lebenden Prozesswissens mithilfe eines kontinuierlichen Werker-Feedbacks zur Produkt-, Prozess- und Servicequalität. So ist sichergestellt, dass Wissen nicht veraltet und regelmäßig validiert wird.
Die Unterstützung eines solchen kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP), den man auch aus dem Lean Management kennt, garantiert, dass Mitarbeiter die richtigen Informationen in einer einfachen Darstellungsweise erhalten, und führt zu einer höheren Prozesstreue. Außerdem können intuitive Arbeitsanweisungen Sprachbarrieren überbrücken und damit einen breiteren, globalen Talentpool für das Recruiting eröffnen.
2. Zentrale, strukturierte Wissensorganisation aufbauen
Umfassendes Prozesswissen muss zur besseren und intuitiveren Verarbeitung standardisiert und organisiert werden. Durch eine modulare Strukturierung der Inhalte existiert ein zentraler Punkt der Prozesswahrheit, der auch Anpassungsaufwände in der Prüfdokumentation nachhaltig und drastisch reduziert.
Auf diese Weise lassen sich beispielsweise standardisierte Dokumente auch an internationalen Produktionsstätten eines Unternehmens schnell ausrollen und ähnliche Arbeitsschritte können unkompliziert auf Varianten gemünzt werden. Das schenkt enormen Zeit- und Effizienzgewinn, der nicht zuletzt auch das Onboarding neuer Arbeitskräfte erleichtert.
3. Mitarbeitereinsatz flexibel gestalten
Durch eine einheitliche Wissensdatenbank, auf die alle Mitarbeiter zugreifen können und durch die intuitiven bild- und videobasierten Anleitungen können auch solche Mitarbeiter für einen kurzen Zeitrahmen an Maschinen eingesetzt werden, die ihnen sonst nicht zugewiesen sind. So können Ressourcen nach Bedarf flexibel umverteilt werden. Das führt zu mehr Sicherheit bei kurzfristigen Personal-Engpässen und beugt Produktionsstopps oder Ausfällen vor.
Mit einer Connected Worker Plattform lassen sich die zuvor genannten Schritte im eigenen Unternehmen einfach umsetzen. Die Plattform schafft durch die variantengerechte Informationsbereitstellung einen zentralen und zugleich flexiblen Punkt der Prozesswahrheit von Montage- und Prüfprozessen. So lassen sich bei steigender Produktvielfalt die Komplexität für den Werker erheblich reduzieren und Duplikate sowie Informationsredundanzen vermeiden. Das führt auch dazu, dass Mitarbeiter entlastet werden. Durch effizientere Prozesse, die diese Entlastung bedingen, kann eine bessere Mitarbeiterbindung an das Unternehmen unterstützt werden. Mitarbeiter kommen lieber in ein strukturiert und effizient arbeitendes Unternehmen und bleiben dort länger.
Unserer Erfahrung nach sind diejenigen Unternehmen die Gewinner beim Thema Fachkräftemangel, die bereits jetzt konsequent auf eine digitale Lösung setzen. Sie positionieren sich als attraktiver Arbeitgeber vor allem für die junge, nachrückende Generation, indem zusätzliche Anreize durch ein modernes, nachhaltiges Arbeitsumfeld geschaffen werden, das die Mitarbeiter aus ihrem privaten Umfeld kennen.
Fazit: Wissensschatz im Unternehmen frühzeitig sichern
Um der hohen Fluktuation von Leiharbeitern und dem allgemeinen Fachkräftemangel entgegenzuwirken, müssen wir schon heute damit beginnen, den existenten Wissensschatz im Unternehmen zu sichern und möglichst intuitiv neuen Arbeitskräften bereitzustellen. Connected Worker Plattformen stellen Informationen unternehmensübergreifend und visuell aufbereitet Mitarbeitern zur Verfügung. So werden Sprachbarrieren überbrückt, Missverständnissen vorgebeugt und Fehlerquoten reduziert, sodass auch übergangsweise Mitarbeiter an anderen Maschinen arbeiten können, die ihnen sonst nicht zugeteilt sind.
Auch erlaubt es Unternehmen, auf einen größeren Talentpool für die Nachwuchsakquise zuzugreifen. Somit ebnet eine Connected Worker Plattform den Weg für ein Höchstmaß an Qualität – unabhängig von Ort, Sprache und Mitarbeiter Qualifikation. Mit einer Softwarelösung für vernetztes Arbeiten kann ein Unternehmen folglich mit der bestehenden Belegschaft mehr leisten, als ohne eine solche Lösung.
Vor diesem Hintergrund stellen der Fachkräftemangel und eine sinkende Belegschaft für ein Unternehmen auch keine Bedrohung mehr dar, sondern sind lediglich Variablen in einer Gleichung, für die die Lösung bereits gefunden wurde.
Über den Autor
Benjamin Brockmann ist seit 2017 CEO und Co-Founder bei Operations1. Er studierte von 2014 bis 2016 an der TU München und forschte gemeinsam mit seinen Mitbegründern am Fraunhofer Institut, wo er auch die inhaltliche Grundlage für die Gründung durch seine Masterarbeit über Werkerinformationssysteme bekam. Weitere Erfahrungen sammelte er bei KPMG im Bereich IT & Finance Consulting sowie bei Arthur D. Little im Bereich Strategy, Innovation & Technology.