Digitale Automatisierung.

Wie ist ein maximaler Grad an digitaler Automatisierung zu erreichen? (Bild: NicoElNino – stock.adobe.com)

Anfang der Achtzigerjahre eines vergangenen Jahrhunderts wurde Professor Eversheim in Aachen nicht müde zu warnen, man solle nicht “das Chaos auf den Rechner bringen”. Vor inzwischen 35 Jahren forderte der Chefredakteur einer Fachzeitschrift, man möge Maßnahmen treffen, die absehbare “Ingenieurlücke 2000” zu schließen. Und 2003 rief der Autor in dieser Zeitschrift auf, die Kreativität von Mitarbeitern effizienter zu nutzen und pragmatisch umzusetzen. Heute fassen wir mit dem Wort Digitalisierung zusammen, dass wir Prozesse von Ballast befreien, MINT-Fähigkeiten attraktiv machen und durch Flexibilität Resilienz entwickeln wollen.

Auch das Scheitern lässt sich von den Besten lernen. Heute noch werden bei der Krankenhausaufnahme verschiedenfarbige teils vorgedruckte, teils individuell erzeugte Papiere dem Patienten präsentiert, nachdem diese händisch durch Ankreuzen und Anbringen verschiedener Aufkleber verfeinert wurden. Der Zahler unterschreibt dann zahlreiche Zettel, für deren Verständnis viel nicht verfügbare Zeit, besser aber tiefes Fachwissen erforderlich wäre. Dann werden die Artefakte fein säuberlich in Aktenordnern verstaut.

Lernen aus Schmerz: wie groß der potenzielle Nutzen durchgehend digitaler Erfassung und Speicherung wäre, mag man sich selbst ausmalen.

Automatisierung ist positiv konnotiert

Hilfreich scheint die Frage zu sein, wie ein maximaler Grad an digitaler Automatisierung zu erreichen ist. Während vor Jahren noch der Verlust von Arbeitsplätzen befürchtet wurde, verschwinden heute scharenweise erfahrene Babyboomer vom Arbeitsmarkt. Deutschland ist genau dann weiterhin führend, wenn es um Abgabenlast und Energiekosten geht. Damit ist weitgehende Automatisierung salonfähig und positiv konnotiert. Schließlich müssen am Wirtschaftsstandort Kompetenzen erhalten und Fehlermöglichkeiten ausgemerzt werden. Erst an dritter Stelle folgt das Ziel Kosteneffizienz.

Six Sigma und Lean-Ansätze fordern, sich auf die Prozessschritte zu konzentrieren, die messbar zur Wertschöpfung beitragen. Jede Information soll genau eine Quelle und wenigstens einen definierten Nutzer besitzen und möglichst exakt einmal existieren. Datenhaltung auf Vorrat für eine unbestimmte Zukunft ist von Übel. Die Konversion von Daten zwischen verschiedenen Medien ist in diesem Sinne nicht wertschöpfend. Also bleibt nur ein durchgängig digitaler Datenfluss in Echtzeit, möglichst mit nicht proprietären, einheitlichen Datenformaten.

Wer dies für Binsenweisheiten hält, mag wieder vom Benchmark lernen und schauen, wie und warum die staatliche digitale Verwaltung bis hin zur elektronischen Patientenakte voranschreitet.

Fehler lassen sich nun Produkten und Ursachen zuordnen

Einem streitlustigen Nachbarn, der gerne zum eigenen Vorteil spioniert, würde kaum jemand freiwillig geheime Daten und die Familienkasse anvertrauen. So allerdings verhält sich, wer chinesische oder US-amerikanische Clouddienste ohne Argwohn nutzt. Mit der deutschen DSGVO ist dies kaum vereinbar. Nicht zu unterschätzen ist auch der Aufwand, der mit verpflichtenden Betriebssystemwechseln verbunden ist. Die Unterstützung für Windows 10 beispielsweise wird im Oktober 2025 enden. Diese Gedanken mögen Anreiz sein, sich auch mit quelloffenen Softwarelösungen zu beschäftigen.

Wenn nun für Prozesse repräsentative verlässliche Informationen in Echtzeit vorliegen, dann mag das produktive Datamining beginnen. Trennscharf lassen sich Fehler nun Produkten und Ursachen zuordnen. Aktuell werden Werkzeuge mit künstlicher Intelligenz praktisch einsetzbar. Damit können sich die Ingenieure den wichtigen Wurzelursachen widmen.

Aber hier folgt der Pferdefuß: Datamining, Trennschärfe und Signifikanz fordern den Einsatz statistischer Werkzeuge. Den Sinnspruch zu gefälschten Statistiken muss der Fachmann überwinden. Nach eingehender Analyse als Berater stellte der Autor dieser Zeilen in einer mikroelektronischen Fertigung die statistisch signifikante Eignung eines Schweißprozesses fest. Der Fertigungsverantwortliche widersprach, solche Prozesse müssten Ausreißer haben. Allein, beobachten ließen sich diese Mängel nicht. Bisweilen führt die Anwendung statistischer Methoden zu dauerhaften Aussagen der Qualitätsplanung. Wie aber am Ende entschieden wird, hängt von den kommunikativen Fähigkeiten der Beteiligten ab.

Podcast: Christina Reuter über Digitalisierung bei Airbus

Um diesen Ansatz zu verfolgen, braucht es Verantwortliche und Umsetzer, deren Berufsethos man eher in einem Startup-Unternehmen oder im Leistungssport suchen würde. Solide fachliche Grundlagen schaffen Prozessverständnis und helfen bei der Abschätzung der Folgen des Einwirkens, der Auswahl geeigneter Werkzeuge und der dauerhaften Umsetzung. Kreative Freiräume ermöglichen die Erfolgsplanung und eine gesunde Fehlerkultur. Der Preis für die Lorbeeren ist überdurchschnittliche Leistungsbereitschaft. Und gute Sportler entwickeln sich in den Händen hervorragender Trainer.

Wie von selbst führt der Diskurs zu Flexibilität und Resilienz. Wer aus gesicherten technischen Erkenntnissen dauerhafte Handlungen ableitet, wird die Erfahrung machen, dass dies messbare dauerhafte Erfolge ermöglicht. Wenn sich die Randbedingungen ändern, werden also die Prozesse zügig weiterentwickelt. Das wichtigste Spiel ist immer das nächste.

Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen, was da schiefgehen könne: Man nenne die Herausforderung ein Problem und mache weiter wie bisher!

Das ist unser Kolumnist Ulrich Wünsche

Ulrich Wünsche.
(Bild: Ulrich Wünsche)

Dr.-Ing. Ulrich Wünsche ist seit 2003 selbstständiger Unternehmensberater mit den Schwerpunkten Prozessoptimierung und Softwareentwicklung. Nach seiner Promotion am WZL der RWTH Aachen leitete er in internationalen Unternehmen Vertriebs- und Marketingbereiche, um mit hervorragenden Produkten Kunden zu binden. Die Prozessfundamente waren nicht immer ganz solide, was ihn motivierte, systematische Verbesserungen beispielsweise mit Six Sigma anzutreiben. Noch heute verblüfft ihn, dass sein Methodenbaukasten gleichermaßen in Maschinenbau, Nahrungsmittelindustrie, Chipherstellung und Softwareentwicklung erfolgreich anwendbar ist.

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