Es war eine der Börsen-Sensationsnachrichten im vergangenen Jahr: Der US-Elektroautobauer Rivian rangierte nach seinem ersten Handelstag auf Platz 6 der wertvollsten Autobauer – knapp hinter Daimler und vor BMW, Stellantis und Hyundai. Doch nach den neuesten Meldungen, wonach Rivian seine Produktionsziele 2021 nicht erreichen konnte, ist die Euphorie um das junge Unternehmen wieder etwas abgeklungen.
Dennoch stellt sich die Frage: Wie gefährlich ist der US-Konkurrent für die deutschen Autobauer? PRODUKTION hat sich das Unternehmen einmal genauer angeschaut.
Wer ist der Mann hinter dem Erfolg von Rivian?
Robert Scaringe gründete das Unternehmen 2009 im Alter von 26 Jahren. Der Ingenieur hat einen Doktortitel vom Massachussets Institute of Technology (MIT). Von Scaringe sind vor allem zwei Anekdoten bekannt:
- Um seinen persönlichen CO2-Fußabdruck zu verkleinern, war er eine Zeit lang nur zu Fuß und mit dem Fahrrad unterwegs, duschte kalt und wusch seine Wäsche nur von Hand.
- Eine erste Zusammenarbeit mit Ford scheiterte, weil die Ford-Manager Scaringe in ein Steakhouse eingeladen haben. Scaringe ist Veganer.
Welche Autos stellt Rivian her?
Genau wie Tesla setzt Rivian voll auf Elektromobilität – konkret auf elektrobetriebene Pick-ups. Gründer Scaringe sieht darin einen Vorteil gegenüber etablierten Autobauern. Da das Unternehmen bei null anfange, könne es schneller als etablierte Autohersteller vorankommen. Anstatt Dinge, die für Verbrenner entwickelt wurden, für E-Autos zu ändern oder anzupassen, kann Rivian laut Scaringe den besten Weg finden, von Grund auf ein elektrisches Auto zu designen.
Neben dem ersten Pick-up R1T hat Rivian auch noch eine SUV-Version. Der Pick-up wird seit September 2021 produziert. Rund 55.000 R1T-Pick-ups wurden 2021 vorbestellt. Der Truck mit der größten Batterie-Option fährt laut Rivian mit einer Batterieladung 640 Kilometer weit. Zum Vergleich: Das Model S von Tesla hat eine Reichweite von 645 Kilometern und gilt damit als führend.
Die Serienfertigung des SUV R1S soll im Sommer 2022 starten. Beide Modelle sind ab rund 70.000 US-Dollar erhältlich.
Es gibt im Übrigen noch weitere Parallelen zu Tesla: Auch Rivian möchte seine Autos ohne Händler direkt an seine Kunden verkaufen und will ebenfalls ein eigenes Ladesäulennetz errichten.
Erfolg, Misserfolg und Partnerschaften
Rivian ist im November 2021 an die Technologiebörse Nasdaq gegangen und legte einen beeindruckenden Start hin. Die Aktie schnellte auf rund 180 Dollar hoch. Und das, obwohl Rivian bis Ende Oktober nur 189 Fahrzeuge produziert hatte. Bis Anfang Dezember wurden 300 Trucks ausgeliefert.
Mit einem Erlös von knapp zwölf Milliarden US-Dollar gelang Rivian einer der größten Börsengänge des Jahres 2021. Zudem war das Unternehmen mit einer Bewertung von rund 77 Milliarden US-Dollar aus dem Stand mehr wert als etablierte Autobauer wie BMW.
Rivian hat außerdem zwei wichtige Großinvestoren: Ford und Amazon. Für letzteren soll das Unternehmen Elektrolieferwagen bauen. Bis 2025 sollen 100.000 Fahrzeuge an den Internet-Riesen ausgeliefert werden. Amazon gehören nach eigenen Angaben 20 Prozent von Rivian.
Wie auch Tesla zu Beginn, kämpft Rivian jedoch mit Problemen, die Produktion hochzufahren. Mitte Dezember 2021 kündigte das Unternehmen deshalb an, das Jahresziel von 1.200 Elektro-Pick-ups um einige Hundert Autos zu verfehlen. Nach dieser Ankündigung fiel die Aktie des Unternehmens um über elf Prozent. Das hat natürlich auch Folgen für die geplanten Auslieferungen der Autos.
Kunden, die die größte Batterie-Option, bestellt haben, müssen sich dabei am längsten gedulden. Denn diese sollen nun erst 2023 ausgeliefert werden, erklärte Scaringe Anfang Januar. Als Grund sagte er, dass die meisten Vorbesteller die mittlere Batterie-Option mit einer Reichweite von 482 Kilometern gewählt haben und priorisiert behandelt werden sollen.
Ebenfalls noch viel Luft nach oben gibt es bei Umsatz und Gewinn. Denn bislang macht Rivian keinen Umsatz. Der Verlust dagegen ist hoch: 1,2 Milliarden US-Dollar (1,1 Milliarden Euro) im dritten Quartal 2021. „Wir erwarten nicht, dass wir in absehbarer Zukunft Profitabilität erreichen werden, und wir können nicht versichern, dass wir es jemals schaffen“, erklärte das Unternehmen in seinem SEC-Report.
Kritik an der Unternehmenskultur
Daneben hat Rivian auch abseits von Zahlen negative Schlagzeilen gemacht: Die ehemalige Rivian-Managerin Laura Schwab wirft Scaringe vor, eine „toxische Bro-Kultur“ geschaffen zu haben. Auf der Plattform Medium schreibt Schwab, die in den USA fünf Jahre lang die Chefin von Aston Martin war, Rivian brüste sich öffentlich mit seiner Unternehmenskultur.
„Deshalb war es ein harter Schlag, als ich in das Unternehmen eintrat und fast sofort eine toxische Bro-Kultur erlebte, die Frauen ausgrenzt und dazu beiträgt, dass das Unternehmen Fehler macht“, schreibt Schwab. Sie habe sich bei der Personalabteilung über die geschlechtsspezifische Diskriminierung durch meinen Vorgesetzten, die "Boys Club"-Kultur und die Auswirkungen auf sie, ihr Team und das Unternehmen beschwert. Zwei Tage später wurde Schwab gefeuert.
Sie berichtet, dass sie trotz ihrer Position als Vizepräsidentin für Vertrieb und Marketing von wichtigen Besprechungen ausgeschlossen wurde, bei denen sie aufgrund ihrer Position und auch der geschäftlichen Erfordernisse auch hätte anwesend sein müssen.
Immer wieder habe sie Bedenken hinsichtlich der Preisgestaltung geäußert, aber niemand habe der erfahrenen Managerin zugehört. Schwab schreibt weiter: „Erst als meine (oft weniger erfahrenen) männlichen Kollegen genau dieselben Ideen vorbrachten, reagierte der Chief Growth Officer (intern Chief Commercial Officer genannt). Noch nie in meiner langjährigen Tätigkeit in der Automobilindustrie hatte ich eine so eklatante Ausgrenzung erlebt.“
Schwab fand heraus, dass es nicht nur ihr so ging, sondern auch eine andere weibliche Führungskraft von Meetings ausgeschlossen wurde. Die Managerin geht nun gerichtlich gegen die Diskriminierung und Kündigung vor. Der Autobauer äußerte sich nicht zu den Vorwürfen.
Streit mit Tesla
Das Unternehmen beschäftigt aber noch ein anderes Gerichtsverfahren: Seit Sommer 2020 stehen sich Rivian und Konkurrent Tesla vor Gericht gegenüber. Der Vorwurf von Tesla: Diebstahl von Geschäftsgeheimnissen. Demnach sollen ehemalige Tesla-Mitarbeiter, die zum Konkurrenten Rivian wechselten, angewiesen worden sein, vertrauliche Dokumente mitzubringen. Rivan bestreitet die Vorwürfe.
Nachdem die Klage im März 2021 abgewiesen wurde, reichte Tesla ein halbes Jahr später wieder Klage ein. Das Unternehmen von Elon Musk warf Rivian in der Anklageschrift erneut vor, sich über ehemalige Mitarbeiter Zugang zu vertraulichen Informationen zu verschaffen. Laut Tesla seien ehemalige Beschäftigte „auf frischer Tat ertappt“ worden. Tesla wirft Rivian außerdem vor, seine Batterietechnologie gestohlen zu haben.
Diese Zukunftspläne hat Rivian
Das Unternehmen will weiter wachsen und plant deshalb den Bau einer weiteren Fabrik und zwar im US-Bundesstaat Georgia. Dort sollen ab 2024 bis zu 400.000 Autos pro Jahr gefertigt werden. Das neue Werk soll ab Sommer gebaut werden. Rivian investiert dafür rund fünf Milliarden US-Dollar.
Das Unternehmen hat bereits ein Werk in Illinois. Dort sollen künftig statt der bisher geplanten 150.000 Autos 200.000 Fahrzeuge pro Jahr gefertigt werden.
Auch in Europa will der US-Autobauer Fuß fassen. Das Unternehmen soll sich dafür Gerüchten zufolge mit dem niederländischen Auftragsfertiger VDL Nedcar zusammenschließen und dessen Werk in Born übernehmen.
Ob und in welchem Ausmaß Rivian den deutschen Autobauern den Elektromarkt streitig machen wird, wird sich demnach erst mit der Zeit zeigen. Dafür muss der US-Konkurrent erst einmal seine Produktionsversprechen einlösen.
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