Eine Frau zeigt eine Maske, auf die die Flagge Großbritanniens aufgedruckt ist.

Großbritannien leidet derzeit stark unter den Auswirkungen der Coronakrise. - (Bild: Adobe Stock/tanaonte)

Als „absoluten Alptraum“ für sein Land beschreibt Großbritanniens Premierminister Boris Johnson die Corona-Pandemie in einem Radiointerview. Das Vereinigte Königreich wurde mit am schlimmsten von der Pandemie getroffen: Die WHO zählte bisher knapp 290.000 Infizierte und mehr als 44.700 Tote.

„Großbritannien ist ein paar Wochen hinterher, auch was die Lockerungen betrifft. Es herrscht eine hohe Unsicherheit in der Bevölkerung, deshalb ist man auch vorsichtig, die Maßnahmen nicht zu schnell zu lockern“, sagt Ulrich Hoppe, Geschäftsführer der Außenhandelskammer (AHK) Großbritannien, im Gespräch mit PRODUKTION. Auch wirtschaftlich sind die Auswirkungen deutlich spürbar: Im Juni ging das BIP um 20,4 Prozent zurück – der größte Rückgang seit Beginn der monatlichen Aufzeichnungen im Jahr 1997.

Regierung führt Beurlaubungsprogramm ein

Wie Deutschland musste auch Großbritannien schnell reagieren. Nur: Anders als in der Bundesrepublik gab es das Konzept der Kurzarbeit noch nicht. Die Regierung änderte das rasch. Unternehmen konnten ihre Mitarbeiter nun aufgrund der Auswirkungen des Coronavirus beurlauben und der Staat übernahm einen Teil des Gehalts.

AHK-Geschäftsführer Ulrich Hoppe, der Anzug und Krawatte trägt.
In Großbritannien herrscht eine hohe Unsicherheit in der Bevölkerung, berichtet AHK-Geschäftsführer Ulrich Hoppe. - (Bild: AHK London)

„Die Regierung wurde für ihr Beurlaubungsprogramm gelobt, weil es so etwas vorher nicht gab und schnell eingeführt werden musste“, berichtet Hoppe. Es habe aber auch Kritik am Umgang der Regierung mit dem Virus gegeben. Und: „Es gab bei den Staatshilfen natürlich auch Anfangsprobleme zum Beispiel bei der Bearbeitung von Überbrückungsdarlehen. Inzwischen ist das aber besser geworden“, sagt der AHK-Geschäftsführer.

Ab Herbst soll es dann laut Hoppe ein Kurzarbeitergeld geben, dass ähnlich dem deutschen Modell ist. Die Maßnahme sei aber zunächst nur bis Mitte Oktober geplant. Das heißt, ab Herbst müssen Unternehmen ihre Mitarbeiter nicht mehr beurlauben, damit ein Teil des Gehaltes vom Staat gezahlt wird.

So ist die Situation bei Opel in England

Daneben hat die britische Regierung weitere Hilfen beschlossen. Hoppe nennt als Beispiele Infrastrukturmaßnahmen, Kulturfonds und eine Senkung der Mehrwertsteuer. Allerdings nicht generell wie in Deutschland. Es werden nur die Branchen unterstützt, die am stärksten von der Pandemie betroffen sind. Dazu gehören unter anderem der Tourismus und die Gastro-Branche.

Aber auch in anderen Sektoren spüren Unternehmen die Auswirkungen, zum Beispiel in der Autoindustrie. Mitte März hat der Opel-Mutterkonzern beschlossen, die Produktion in allen Werken vorübergehend zu schließen – auch in Luton und in Ellesmere Port. In ersterem wird seit dem 18. Mai wieder gearbeitet, erklärt ein Opel-Sprecher auf Nachfrage von PRODUKTION.

Zunächst lief die Produktion im Ein-Schicht-Betrieb, seit ersten Juni in zwei Schichten. In den kommenden Wochen soll dann wieder im Drei-Schicht-Betrieb produziert werden, so der Sprecher.   Die Groupe PSA habe für alle Werke ein strenges Gesundheitsprotokoll definiert und mehr als 100 Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen umgesetzt.

Die Produktion im Werk Ellesmere Port ist dagegen noch nicht wieder angelaufen. Derzeit bereite sich das Werk aber auf den Wiederanlauf vor, erklärte der Opel-Sprecher. Am Montag (13.7.) berichtete der ‚Chester Standard‘ außerdem, dass knapp 200 Mitarbeiter aus Ellesmere Port vorübergehend in Luton aushelfen werden.

Großbritannien ist stärker betroffen als Deutschland

„Wirtschaftlich leidet Großbritannien stärker als Deutschland“, sagt AHK-Geschäftsführer Hoppe. Das Land sei auch stärker betroffen, weil der Lockdown länger gedauert habe. Andererseits sei das Vereinigte Königreich weniger stark von internationalen Lieferketten abhängig. Deshalb hoffe man, schneller aus der Krise herauszukommen. Das zeigen auch verschiedene Umfragen. So stieg der vom Forschungsinstitut IHS Markit erhobene Einkaufsmanagerindex von 30 Punkten im Mai auf 47,6 Punkte im Juni. In der Industrie wurde sogar die Wachstumsgrenze von 50 Punkten leicht überschritten.

Markit-Chefökonom Chris Williamson rechnet laut Dpa zwar damit, dass die britische Wirtschaft im dritten Quartal wieder auf den Wachstumskurs einschlage. Die Wachstumsaussichten in der längeren Frist seien jedoch sehr ungewiss.

Deutsch-britische Unternehmen sind vorsichtig optimistisch

Ähnliche Ergebnisse liefert auch eine Studie der AHK: Sie hat knapp 80 Unternehmen der deutsch-britischen Wirtschaft befragt. Das Ergebnis: 70 Prozent erwarten eine Reduzierung ihres Umsatzes für das Jahr 2020 um mehr als zehn Prozent. Im Frühjahr waren es noch 80 Prozent. Nur noch 15 Prozent (vorher waren es 30 Prozent) gehen von einem Rückgang von mehr als 50 Prozent aus.

An eine schnelle Erholung der britischen Wirtschaft glauben dagegen nur wenige. Das Ende der Brexit-Übergangszeit am 31. Dezember wird neben Covid-19 als weiteres Risiko für die britische Wirtschaft gesehen. Eine große Mehrheit der befragten Firmen prognostiziert eine negative Auswirkung von über zwei Prozent auf das britische Wirtschaftswachstum in 2021. „Da kommen mit dem Brexit natürlich noch weitere negative Auswirkungen. Zum Beispiel, die zusätzlichen administrativen Hürden, möglicherweise Zölle und viele regulative Fragen und Kosten“, sagt auch AHK-Geschäftsführer Hoppe im Interview.

Neben den wirtschaftlichen Auswirkungen sind die Folgen des neuen Coronavirus auch in den Straßen Londons spürbar: Die meisten seien weiterhin im Homeoffice, berichtet Hoppe. Das sei auch eine Anweisung der Regierung: Wer kann, solle weiter von zu Hause aus arbeiten. Deshalb seien die meisten Büros auch noch geschlossen. Der Geschäftsführer geht davon aus, dass das noch eine Weile so bleiben wird. „Wir rechnen vor Ende des Jahres nicht mit einer Rückkehr zur einer wirklichen Normalität“, sagt er.

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