Frau Bitterle, Sie arbeiten als Führungskräfte-Coach und Mental-Trainerin viel mit Unternehmern und Managern zusammen. Die müssen vor allem in der derzeitigen Krise Führungsstärke beweisen. Was sind denn momentan die größten Herausforderungen für die Entscheider?
Katrin Bitterle: Sie müssen erst einmal mit sich selbst klarkommen, also mit den Ängsten und Unsicherheiten, die derzeit überall herrschen. Überall wird live über die Krise berichtet, das kreiert bei vielen ein Angstgefühl, auch wenn man mental stark ist. Die Frage ist dann, wie schaffe ich es, für mich mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen und wie transferiere ich das an meine Mitarbeiter. Denn man ist ja auf einmal auch dafür verantwortlich, dass sich die Beschäftigten nicht von ihrer Angst leiten lassen.
Eine weitere Herausforderung ist die Wirtschaftlichkeit. Also wie führe ich mein Unternehmen durch die Pandemie. Und dann kommt jetzt noch die zweite Welle dazu. Während im ersten Lockdown noch viel Solidarität herrschte und sich Führungskräfte oft erkundigt haben, wie es den Mitarbeitern geht, herrscht jetzt eine gewisse Müdigkeit, viele sind genervt.
Wie können Führungskräfte in solchen Situationen die Motivation unter den Mitarbeitern wiederherstellen?
Bitterle: Es ist einfach, aber unheimlich wirkungsvoll: Man sollte sich nicht ständig im hier und jetzt verlieren, sondern dahin zurückkehren, was man wirklich will. Denn viele haben die Ziele aus den Augen verloren. Wenn wir aber ein Ziel haben, dann treibt uns das unglaublich an, Ziele geben eine Richtung vor, man hat etwas zu tun und wird wieder kreativer. Man kann dann zusammen schauen, wie man das Ziel als Team zusammen erreicht und kann so den Mitarbeitern wieder Tatendrang mitgeben.
Durch Kurzarbeit und der schlechten wirtschaftlichen Situation haben viele momentan Existenzängste. Was kann ein CEO da machen?
Bitterle: Es ist wichtig, Empathie und Verständnis zu zeigen und dem ganzen einen Raum zu geben. Also einen sicheren Raum zu schaffen, wo die Mitarbeiter ihre Ängste, Sorgen und Bedenken loswerden können. Als Führungskraft sollte man die Situation dann nicht schönreden, aber auch nicht schwarzmalen, sondern einfach darüber reden. Denn oft ist es so, wenn man darüber spricht, ist das für die Betroffenen schon eine Erleichterung.
Wie könnte dieser sichere Raum denn in der Praxis aussehen?
Bitterle: Das können zum Beispiel Betriebsmeetings, aber auch Einzelgespräche sein. Ich empfehle meinen Kunden immer, auch über die eigenen Erfahrungen zu sprechen, das kann und will aber nicht jeder. Ansonsten gibt es auch noch andere Wege. Man kann zum Beispiel auch einen Coach oder Psychologen zu Rate ziehen. Eine andere Möglichkeit ist, ein Treffen ohne Führungskraft, wo sich die Mitarbeiter untereinander austauschen können.
Stichwort Homeoffice: Mobiles Arbeiten hat die Art der Unternehmensleitung bei vielen von einem Moment auf den anderen komplett geändert. Wie funktioniert Führen in Homeoffice-Zeiten?
Bitterle: Es ist tatsächlich kein Management mehr durch Anwesenheit, sondern ein Management durch Ziele. Das ist für einige eine Umstellung, weil man im Büro eine gewisse Kontrolle hatte: Wer ist wie lange da und arbeitet. Das lässt sich aber durch Ziele auch im Homeoffice regeln.
Das heißt, es werden zum Beispiel Tages- und Wochenziele festgelegt, die dann erreicht werden sollen. Das kann man auch kontrollieren, zum Beispiel durch tägliche morgendliche Kurzmeetings, in denen dann nochmal besprochen wird, wer im Team welche Tagesziele hat und wer vielleicht Hilfe dabei braucht. Je nach Team kann man sich dann später am Tag auch nochmal virtuell treffen, um zu schauen, wie die Mitarbeiter vorankommen und ob noch jemand Hilfestellung benötigt.
Indem man Ziele setzt, gibt man auch Verantwortung an Mitarbeiter ab, was eigentlich auch eine schöne Sache ist.
Fällt Führungskräften und Mitarbeitern diese Umstellung leicht? Wie ist da die Rückmeldung bei Ihren Kunden?
Bitterle: Es kommt natürlich auf die jeweilige Person an. Einige Mitarbeiter schätzen die neu gewonnene Flexibilität. Viele haben aber auch feste Präsenzzeiten eingeführt, wenn sie merken, zu bestimmten Zeiten müssen alle da sein. Die flexiblen Zeiten kommen natürlich den Mitarbeitern mit Kindern entgegen.
Es gibt aber auch Führungskräfte, die mit der Umstellung kämpfen, weil sie noch viel auf Papier arbeiten und elektronische Daten noch nicht so vorhanden sind. Aber auch hier merkt man eine Verschiebung und viele haben erkannt, dass es gerade keinen anderen Weg gibt.
Die ganze Situation zehrt ja auch an den Nerven der Entscheider. Welche Tipps haben Sie, um damit besser umzugehen?
Bitterle: Das Erste, was ich meinen Kunden immer als Aufgabe mitgebe ist, sich selbst zu beobachten. Dadurch merkt man, wohin einen die Gedanken manchmal tragen. Oft ist es nicht so, dass einem die Situation an die Substanz geht, sondern die Gedanken, die man sich darum macht.
Beim Thema Stress wurde nämlich in Studien herausgefunden, dass das Gehirn nicht zwischen einer realen Stresssituation und einem „Was passiert, wenn“-Gedankenspiel unterschieden kann. Deshalb ist es gut, sich einfach einmal selbst zu beobachten und zu schauen, wohin rasen denn meine Gedanken. Durch dieses Bewusstsein schafft man es schnell, die negativen Gedankenspiele zu durchtrennen.
Dann gebe ich meinen Kunden immer eine Spaßaufgabe mit, die letzten Endes aber auch eine wichtige Aufgabe ist. Denn wir sind Meister im Schwarzmalen. Deshalb sollen meine Kunden sich auch einmal des Best-Case-Szenario in allen möglichen Farben ausmalen. Das hört sich zunächst lustig an, schlussendlich trifft es aber mit der gleichen Wahrscheinlichkeit ein, wie das schlechteste Szenario.
Als dritten Tipp gibt es noch das Thema Visualisierung. Das nutzen Sportler immer. Ein Radrennfahrer malt sich zum Beispiel stundenlang aus, wie ist das Gefühl, wenn ich gewinne, wer jubelt mir zu, wenn ich als Erster durchs Ziel fahre. Diese Zielvisualisierung sollen CEOs auch machen: Also zum Beispiel überlegen, wie es ist, wenn sie neue Kunden gewonnen oder einen neuen Businessbereich etabliert haben. Führungskräfte sollten diese Schönmalerei viel stärker nutzen. Allein dadurch hat man positivere Gedanken.
Das letzte hört sich abgedroschen an, ist aber unheimlich wichtig: Das Thema Atmung. In Stresssituationen atmet man flacher, redet schneller und eines führt zum anderen. In dem Moment, indem man sich selbst beobachtet und sich Zeit für die Atmung nimmt, wird der Pulsschlag langsamer und man merkt, man kann wieder normal denken. Es hilft auch, bewusst durchzuatmen und den Herzschlag wieder beruhigen zu lassen.
Gibt es noch ein Thema, das Führungskräfte beschäftigt?
Bitterle: Ja, zum Beispiel Dankbarkeit. Als Deutsche haben wir die Angewohnheit, uns auf das schlechte zu konzentrieren. Von einer Führungskraft habe ich auch schon den Spruch „Nicht geschimpft ist genug gelobt“ gehört. Da sind amerikanische Führungskräfte anders. Man sollte sich immer wieder bewusst daran erinnern, wofür man dankbar ist. Denn Dankbarkeit erhöht auch die Zufriedenheit, beruhigt Körper und Herz und führt zu einer besseren Grundstimmung.
Wenn Sie sagen, in Amerika sei das anders: Was können sich deutsche Führungskräfte dann von amerikanischen abschauen?
Bitterle: Themen wie Leidenschaft, Dankbarkeit und Wertschätzung. Bei den Amerikanern wird das viel stärker gelebt. Jetzt kann man natürlich sagen, das ist alles oberflächlich und das stimmt auch teilweise. Aber es führt auch zu einer besseren Grundstimmung, denn Menschen funktionieren über Emotionen.
Wenn man sich CEOs wie Elon Musk und Richard Branson von Virgin anschaut: Die ziehen Leute durch ihre Begeisterung und auch die Dankbarkeit und Motivation, die sie an den Tag legen, an.