Vertreter von Siemens Technology Accelerator und Rethink Robotics beim Abschluss einer Kooperationsvereinbarung

Vertreter von Rethink Robotics und dem Siemens Technology Accelerator freuen sich im Rahmen der Vertragsunterzeichnung über die künftige Zusammenarbeit. - (Bild: Rethink Robotics)

Steigt Siemens in den Cobot-Markt ein? Diese Frage hat die Robotik-Branche beschäftigt als Ende September 2020 bekannt wurde, dass sich der Weltkonzern über seine Tochterfirma ‚Siemens Technology Accelerator‘ (STA) an dem deutschen Cobothersteller ‚Rethink Robotics‘ beteiligt hat.

Die Antwort lautet: Jein! Denn Siemens hat zwar in seiner Forschungsabteilung die Hardware und die Elektrik für einen Leichtbau-Roboterarm entwickelt. Diese Patente hat nun aber das zur Hahn Group gehörende Unternehmen Rethink Robotics übernommen und will den Roboter bereits 2021 launchen. Im Gegenzug erhält STA Anteile an dem Startup aus Bochum. Technologie gegen Firmenanteile lautet das Konzept dieser Vorgehensweise von STA.

Warum Siemens den Cobot nicht selbst auf den Markt bringen wollte, aber dennoch vom Cobot-Markt profitieren will, erklärt dieser Beitrag.

Welche Bedeutung der Cobot-Markt grundsätzlich hat

Kollaborierende Roboter haben zwar nach wie vor einen sehr geringen Anteil am Gesamtabsatz von Robotern, ihr Anteil wächst aber kontinuierlich. Wie die International Federation of Robotics (IFR) im ‚World Robotics Report 2020‘ mitteilte, steckt der Cobot-Markt noch in den Kinderschuhen und wächst rapide.

Laut IFR sind bisher von den 373.000 abgesetzten Industrie-Robotern nur rund 18.000 Einheiten Cobots. Da aber immer mehr Hersteller Cobots auf den Markt bringen und sich zudem das Anwendungsspektrum vergrößert, stieg der Marktanteil 2019 auf 4,8 Prozent. Weiterhin stieg der Absatz von Cobots 2019 im Vergleich zum Vorjahr um 11 Prozent - ganz entgegen dem Trend für die traditionellen Industrieroboter, deren Absatz im Vergleich zum Vorjahr zurückging.

Warum Siemens einen Cobot entwickelt hat

Der Siemens-Geschäftsbereich Digital Industries ist auf Steuerungen und Software-Lösungen unter anderem für Robotik-Hersteller fokussiert. Um diese Geschäfte optimal unterstützen zu können, will man in der zentralen Forschung und Entwicklung genau verstehen, wie die Hardware funktioniert. Und das quasi bis zur letzten Schraube. „Es geht beispielsweise darum, das Schwingungsverhalten von Robotern zu verstehen“, erläutert Dr. Rudolf Freytag, CEO des Siemens Technology Accelerator.

Mit diesem Wissen könne man dann auch bessere Steuerungen entwickeln. Und so sei der Leichtbau-Roboterarm als eine Entwicklungs-Plattform entstanden. „Mit der Zeit haben wir aber festgestellt, dass hier etwas Wertvolles entstanden ist, dass man auch kommerzialisieren könnte“, berichtet Freytag.

Dass Siemens diesen Cobot nicht selbst auf den Markt bringen möchte, ist eine rein strategische Entscheidung. Denn Siemens Digital Industries fokussiert nun mal nicht auf Robotik-Hardware. „Der Siemens-Geschäftsbereich will daher nicht selbst einen Cobot auf den Markt bringen“, erklärt Freytag.

Interview mit Dr. Rudolf Freytag, CEO Siemens Technology Accelerator

Rudolf Freytag ist CEO des Siemens Technology Accelerators, kurz STA.
Rudolf Freytag ist CEO des Siemens Technology Accelerators, kurz STA. - (Bild: STA)

Wird der neue Cobot in Zukunft auch über das Siemens-Vertriebsnetz verkauft?

Nein, das ist nicht Teil der Kooperation. Die Kooperation mit Rethink Robotics besteht rein auf der Entwicklungsebene.

Als STA-Chef haben Sie das Ganze eingefädelt. Was erwarten Sie sich von der Kooperation mit Rethink Robotics?

Es gibt hier zwei Komponenten. Die zeitlich begrenzte Kooperation auf der Entwicklungsebene bis zur Fertigstellung des Prototyps und die finanzielle Beteiligung an Rethink. Und letzteres ist langfristiger. Wir erwarten, dass sich Rethink möglichst schnell gut entwickelt, da dann auch unsere Anteile im Wert steigern. Unser Fokus liegt somit auf dem mittel- bis langfristigen Erfolg der Beteiligung. Selbst wenn die F&E-Kooperation ausläuft, sind wir ja weiterhin Minderheitsanteilsnehmer von Rethink und wollen, dass sich die Firma positiv entwickelt.

Haben Sie ein Ziel vor Augen, wie hoch die Marktanteile des neuen Cobots in ein paar Jahren sein sollen?

Es gibt einen Geschäftsplan, aber ich kann hier leider keine Zahlen nennen. Wir glauben, dass Rethink sehr gut aufgestellt ist, um sich im Cobot-Markt erfolgreich zu behaupten. Und wir hoffen, dass sich diese Erwartungen auch erfüllen werden. Das wird einige Jahre dauern und kommt nicht über Nacht, aber wir sehen da beste Voraussetzungen und durch die Einbindung unserer Hardware haben wir dazu einen wichtigen Beitrag geleistet.

Wie es zur Partnerschaft zwischen Siemens und Rethink Robotics kam

Aufgabe des STA ist es, Technologie zu kommerzialisieren, die bei Siemens entwickelt wurde, aber nicht von Siemens auf den Markt gebracht werden soll. Mit dem Leichtbau-Roboterarm hatte Siemens laut STA-CEO Freytag etwas Innovatives in der Hand, inklusive Patenten und digitalem Zwilling. Der Siemens Technology Accelerator verkauft solche intern entwickelten Technologien gegen Firmenanteile.

„STA hat dann überlegt, zu wem diese Hardware-Technologie am besten passt“, berichtet Freytag. Dabei kam man recht schnell auf Rethink Robotics als möglichen Partner. Denn Rethink habe einen guten Namen als Cobot-Hersteller und es sei am Markt bekannt, dass das Unternehmen mit Intera eine extrem intuitive Software anbietet. Gleichzeitig weiß man laut Freytag aber auch, dass Rethink an einer Industrie tauglichen Robotik-Hardware noch arbeiten muss. „Unsere Hardware, die auch industriellen Ansprüchen genügt, war einfach der perfekte Fit“, sagt der CEO.

Somit nahm der STA Anfang 2020 Kontakt zur Hahn Group auf, zu der Rethink Robotics gehört. „Mit Intera haben wir eine besonders intuitive und einfach programmierbare Software für Cobots“, erläutert Daniel Bunse, der CEO von Rethink Robotics. Die von der Siemens Corporate Technology entwickelte Cobot-Forschungsplattform ist hingegen auf Mechanik und Elektronik fokussiert. „Mit beiden Ansätzen bündeln wir die besten Kompetenzen aus beiden Welten und entwickeln nun zusammen die Technologien weiter“, freut sich Bunse. 

Interview mit Daniel Bunse, CEO Rethink Robotics

Daniel Bunse ist CEO des Roboterherstellers Rethink Robotics
Daniel Bunse ist CEO des Roboterherstellers Rethink Robotics. - (Bild: Rethink Robotics)

Wie sieht der Zeitplan für die Entwicklung des Cobots aus?

Es ist geplant, den ersten Prototypen im Frühjahr 2021 fertigzustellen. Auch der Produktlaunch ist für 2021 vorgesehen. Das ist sportlich, aber alle relevanten Partner für die Produkt-Entwicklung und -Zertifizierung sind schon an Bord.

Wie sieht es mit Traglast und Anwendungsbereich des neuen Cobots aus?

Genauere Produktspezifikationen werden wir mit dem ersten Prototyp nennen. Es wird aber definitiv ein Leichtbauroboter mit kollaborativen Eigenschaften für den industriellen Einsatz herauskommen. Zunächst werden wir mit einer Traglastklasse starten. Etwas zeitversetzt werden wir weitere Traglasten auf den Markt bringen.

Den bisherigen Rethink-Robotics-Cobot Sawyer sieht man selten in der Industrie. Inwieweit bringt die Kooperation mit Siemens hier neuen Anschub?

Unser Cobot Sawyer ist sehr stark im Bereich Education und Research. Das liegt daran, dass im Roboter nach dem Getriebe eine Feder verbaut ist und er somit nicht steif ist. Das ist kein Fehler im System, sondern eine bewusste Entscheidung. Im Bereich Machine Learning hat diese Nachgiebigkeit viele Vorteile, insbesondere bei automatisch generierten Greifversuchen. Es gibt auch einige industrielle Applikationen, in denen die passive Nachgiebigkeit von Vorteil ist, zum Beispiel beim automatisierten Testen von Bedienelementen.

Wir freuen uns extrem, dass wir für die Entwicklung des neuen Cobots in Siemens einen so starken Partner gewonnen haben. Es zeigt uns auch, dass wir mit der Rethink Robotics einen sehr guten Weg gegangen sind, eine hervorragende Technologie besitzen und mit funktionierenden Geschäftsmodellen agieren. Sonst hätte sich Siemens nicht an uns beteiligt.

Was für die Zukunft geplant ist

STA hat die Technologien und Patente im Rahmen der Entwicklungskooperation in Rethink Robotics eingebracht. Im Rahmen der Vereinbarung hat STA Anteile an Rethink Robotics als Gegenleistung für den technologischen Beitrag erworben. „Gemeinsam mit der Siemens Corporate Technology werden wir das Produkt zur Marktreife weiterentwickeln“, erläutert Bunse. Diese Entwicklungskooperation hat bereits begonnen und es gab in den vergangenen Monaten schon einige Workshops. „Wir zielen darauf ab den ersten Prototypen im Frühjahr 2021 zu präsentieren“, sagt Bunse. Da Siemens für Industrieautomatisierung bekannt ist, werde Rethink Robotics mit dem neuen Cobot einen Fokus auf den Einsatz im industriellen Umfeld legen.

Die Firmenkultur geht laut Rethink-Robotics-CEO Bunse dabei nicht verloren. Denn die Agilität, mit der der Roboterhersteller an Aufgaben herantrete, sei zwar Startup like. Auf der anderen Seite ist die Firma in die extrem professionellen Strukturen der HAHN Group eingebettet.

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Und die Siemens Corporate Technology arbeitet ebenfalls an den Technologie-Neuentwicklungen. „So sind alle Beteiligten sehr gespannt darauf gemeinsam das Produkt zu Ende zu entwickeln“, berichtet Bunse. In der Kooperation habe man sich ein sehr sportliches Ziel im gegebenen Zeithorizont gesetzt. „Siemens wird uns technologisch extrem weiterhelfen, denn die Geschwindigkeit der Neuentwicklung der Hardware bringt uns einen technologischen Sprung“, verrät Bunse. Nur durch die eingebrachte Technologie von Siemens und die bestehende Software von Rethink Robotics lasse sich das in der kurzen Zeit umsetzen.

„Unser Ziel und erster Meilenstein ist es, kooperativ einen hochwertigen Cobot mit Entwicklung und Fertigung in Deutschland zu einem fairen Preis auf den Markt zu bringen“, erklärt Bunse. Die Kostenführerschaft bei Cobots strebe man nicht an, denn da werde es immer günstigere Anbieter aus Asien geben.

Vertrieblich gesehen ist Rethink Robotics in dem Verbund der Hahn Group in Kombination mit dem weltweiten Rethink Robotics Partnernetzwerk laut eigenen Angaben sehr gut positioniert. „Diese nutzen wir, um uns regelmäßig Feedback zu dem Cobot zu holen und somit auf allen Ebenen die Nutzerfreundlichkeit und Anwendungsmöglichkeiten zu verbessern“, sagt Bunse.

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