Lieferketten sind weitverzweigt und involvieren viele verschiedene Akteure, Systeme und Prozesse. Process Mining hilft Unternehmen dabei, ihre Scope-3-Emissionen zuerst zu quantifizieren und anschließend zu senken.

Lieferketten sind weitverzweigt und involvieren viele verschiedene Akteure, Systeme und Prozesse. Process Mining hilft Unternehmen dabei, ihre Scope-3-Emissionen zuerst zu quantifizieren und anschließend zu senken. (Bild: greenbutterfly - stock.adobe.com)

Emissionen entlang der Liefer- und Wertschöpfungskette zu erfassen, ist komplex. Um ganzheitliche Nachhaltigkeitsmaßnahmen umzusetzen, ist dieser Schritt jedoch unerlässlich. Process Mining hilft Unternehmen dabei, Scope-3-Emissionen zu quantifizieren und effizient zu senken. Der Stahlhersteller thyssenkrupp Rasselstein und das Chemieunternehmen Archroma zeigen, wie es geht.

Deutschland soll bis 2045 klimaneutral werden – das nimmt vor allem produzierende Unternehmen in die Pflicht, ihre Emissionen zu senken. Schließlich ist die Industrie einer der emissionsstärksten Wirtschaftssektoren und verursachte 2022 mehr als ein Fünftel des nationalen Treibhausgasausstoßes. Um ihr Wirtschaften emissionsärmer zu gestalten, müssen Hersteller ihre Lieferkette in den Blick rücken. Denn neben direkten Emissionen aus eigenen oder eigens kontrollierten Quellen (Scope 1) und indirekten aus eingekaufter Energie (Scope 2) fällt ein beträchtlicher Teil des Schadstoffausstoßes eines Unternehmens entlang der Wertschöpfungskette seiner Produkte an (Scope 3). Die Herausforderung: Oft sind Lieferketten weitverzweigt und involvieren viele verschiedene Akteure, Systeme und Prozesse.

Relevante Informationen liegen häufig verstreut in verschiedenen Systemen, die nicht miteinander verbunden sind. Oft bleiben sie in Transaktionsdaten in ERP-Software, Excel-Sheets oder isolierten Tools verborgen. Dies erschwert es Unternehmen nicht nur, Emissionen zu messen, sondern macht es zugleich schwieriger, gesetzliche Berichterstattungspflichten zu erfüllen. Schließlich sind große und börsennotierte Unternehmen seit Anfang 2023 durch die Neufassung der CSR-Richtlinie angehalten, über wesentliche Nachhaltigkeitsaspekte in ihrem Unternehmen Bericht abzulegen.

Process Mining: Überblick über Prozesse

Eine Lösung, einen übergreifenden Einblick in die Datenlage zu erlangen, bietet Process Mining. Diese Technologie fungiert wie ein Röntgengerät für Prozesse, indem sie Daten zu bestehenden Abläufen analysiert.. Dies hilft, zu identifizieren, wo Ineffizienzen, Engpässe oder Schwachstellen bestehen und ermöglicht auch, diese (teil)automatisiert zu beheben. Dabei erlaubt Process Mining-Technologie Unternehmen, Daten aus verschiedenen Quellen zusammenzuführen und mit weiteren internen und externen Informationen anzureichern, beispielsweise Lieferantenbewertungen, Risikodaten oder Emissionsfaktoren.

Prozessintelligenz und KI ermöglichen es, zu identifizieren, bei welchem Prozessschritt welche Emissionen anfallen, und diese mit konkreten Maßnahmen zu minimieren. Effizientere Prozesse sorgen oftmals automatisch dafür, dass der Ressourcenverbrauch und somit der Schadstoffausstoß sinkt – zum Beispiel indem unnötige Leerfahrten vermieden und Produktionsprozesse effizienter gestaltet werden. So lassen sich kurzfristig messbare Ergebnisse erzielen, ohne sofort das gesamte Geschäftsmodell auf Klimaneutralität umstellen zu müssen.

Thyssenkrupp Rasselstein: Einsparpotenzial von 4.500 Tonnen CO2

Ein Unternehmen, das seine Emissionen durch Process Mining senkt, ist Thyssenkrupp Rasselstein. Das Tochterunternehmen der Thyssenkrupp Steel Europe AG ist der einzige deutsche Hersteller von Verpackungsstahl (Weißblech) und betreibt im rheinland-pfälzischen Andernach den weltweit größten Produktionsstandort für dieses Material. Der Hersteller beliefert Kunden in über 80 Ländern, was zu hohen Emissionen durch Transport und Distribution führt. Als das Unternehmen eine Initiative zur Emissionsreduzierung in der Logistik umsetzen wollte, stand es vor der Herausforderung, keine Echtzeitdaten aus diesem Bereich zur Verfügung zu haben. Die vorhandenen Daten waren zudem über eine Vielzahl von Systemen verteilt.

Datengestützte App zur Emissionsreduzierung

Thyssenkrupp Rasselstein wandte sich daher an Celonis. Gemeinsam mit dem Process Mining-Anbieter entwickelte das Unternehmen in einem Innovationsprojekt eine datengestützte App zur Emissionsreduzierung im Transportbereich. Diese analysiert nun LKW-Bewegungen an den verschiedenen Thyssenkrupp Rasselstein-Standorten und berechnet unter Einbezug weiterer Kontextdaten den damit verbundenen Schadstoffausstoß.

Die Anwendung basiert auf der Celonis Process Intelligence-Plattform und nutzt die Programmierschnittstelle von Climatiq, einer Lösung zur Berechnung von CO2-Emissionen auf wissenschaftlicher Basis. Diese dient als Vermittler zwischen den IT-Systemen von Thyssenkrupp Rasselstein und verschiedenen analytischen Dashboards, Algorithmen und Automatisierungsprozessen.

Klarer Überblick über CO2-Fußabdruck

Auf Basis der Daten aus dem ERP-System analysierte die App in drei Monaten über 49.000 ausgehende LKW-Bewegungen und berechnete CO2-Emissionen von insgesamt mehr als 58.000 Tonnen. Durch eine intelligente Optimierung der Fahrzeugauslastung wurde ein Einsparpotenzial von über 4.500 Tonnen ermittelt. Über die App kann das Unternehmen die Daten in transaktionale Systeme einbinden, um Prozesse und Entscheidungen zu steuern.

„Celonis hilft uns, einen klareren Überblick über den CO2-Fußabdruck unserer Logistikprozesse zu bekommen, und in Echtzeit an konstanten Verbesserungen zu arbeiten“, erklärt Dominik Heinz, der das Projekt als Bereichsleiter Vertrieb, Planung & Logistik bei thyssenkrupp Rasselstein begleitete.

Leichtere CO2-Bilanzierung möglich

Künftig sollen die datengestützten Erkenntnisse auch genutzt werden, um die Beladung von LKWs zu optimieren. Das Projekt hat nicht nur gezeigt, dass ERP-Daten eine solide Grundlage für eine automatisierte und granulare CO2-Messung bieten. Die entfernungsbasierte Emissionsmessung pro Lieferung (auf der Grundlage dieser Daten) ist so akkurat, dass darauf aufbauend konkrete Ziele festgelegt werden können. Teilt ein Unternehmen diese Daten mit seinen Kunden, kann ihnen das ebenfalls bei der CO2-Bilanzierung helfen – und zugleich die Beziehung stärken.

Die wichtigsten Fragen und Antworten zu Process Mining

Was ist Process Mining?

Process Mining ist eine Methode des Business Process Management, bei der Software die Abläufe im Unternehmen erkennt und analysiert.

Was sind die Vorteile von Process Mining?

Process Mining deckt Schwachstellen, Fehleranfälligkeiten und Engpässe auf, unterstützt die Compliance und hilft, interne Abläufe zu verbessern.

Wie unterscheidet sich Process Mining vom klassischen Business Process Management?

Ein wesentlicher Unterschied ist die Art der Erfassung der Ist-Prozesse. Anstatt diese in aufwendigen Workshops zu erfragen und zu dokumentieren, wertet die Software die Log-Dateien der relevanten IT-Systeme aus und erstellt daraus ein Prozessmodell.

Wem hilft Process Mining?

Process Mining hilft Unternehmen, ihre internen Abläufe zu verbessern, indem es Schwachstellen aufdeckt, die Einhaltung von Vorschriften überprüft und die Effizienz steigert.

Wie wird Process Mining in der Praxis eingesetzt?

Process Mining ermöglicht eine schnelle und einfache Process-Discovery, die Identifikation von Engpässen und Performance-Problemen sowie die schrittweise Erweiterung der Datenanalyse zur kontinuierlichen Prozessoptimierung.

Archroma quantifiziert weltweites Versandnetz

Auch das Schweizer Chemieunternehmen Archroma war auf der Suche nach einer Möglichkeit, mehr Transparenz über die Emissionen entlang seiner Supply Chain zu erlangen. Zum einen forderten die Kunden des Spezialchemieanbieters mehr Informationen über den CO2-Fußabdruck der verschiedenen Produkte, zum anderen musste Archroma seine selbst gesteckten Nachhaltigkeitsziele erreichen. Hinzu kam eine angespannte Kostensituation angesichts steigender Energiepreise. Mit dem Ziel, sämtliche Kohlenstoffemissionen für jedes einzelne Produkt entlang der gesamten Lieferkette zu identifizieren, holte sich das Unternehmen Unterstützung von Celonis.

Übersicht über alle aus- und eingehenden Lieferungen

Mithilfe der Process Mining-Software verschaffte sich Archroma zunächst eine Übersicht über alle aus- und eingehenden Lieferungen. Die Software durchleuchtete dafür die zugehörigen Abläufe im Unternehmen und entlang der Lieferkette. Um die Prozesse anschließend datenbasiert zu optimieren, führte sie alle relevanten Daten aus den IT-Systemen von Archroma sowie aus externen Quellen zusammen. Für die Ermittlung der Versandemissionen etwa bezog sie Adressdaten und Informationen zu Versandart oder Gewicht aus dem ERP-System mit ein.

Auch die Auslastung der LKWs wurde erfasst. Dies machte Ineffizienzen wie Leerfahrten oder unnötig lange Transportwege sichtbar und ermöglichte Archroma, auf Basis automatisierter Empfehlungen des Systems Gegenmaßnahmen zu ergreifen. In weniger als einem Jahr erfasste die Software die Emissionen von 150.000 Lieferungen und schaffte es so, das weltweite Versandnetz von Archroma zu quantifizieren. Dadurch konnte Archroma die größten Emissionstreiber erkennen und Einsparpotenziale von sechs Prozent identifizieren.

Fachkonferenz: Die CO2-neutrale Fabrik

Fachkonferenz: Die CO2-neutrale Fabrik
(Bild: mi conect)

Experten aus Wissenschaft, Forschung und Industrie tauschen sich jedes Jahr auf der Fachkonferenz CO2-neutrale Fabrik zu den aktuellen Themen rund um klimaneutrale Industrie aus.

 

Prof. Alexander Sauer hat 2023 einen Vortrag zum Thema "Defossilierung der Produktion" gehalten. Im Podcast Industry Insights hat er die wichtigsten Punkte zusammengefast. Hier klicken, um zur Folge zu kommen!

 

Weitere Beiträge, die sich mit den Themen der Konferenz beschäftigen, finden Sie in unserem Fokusthema CO2-neutrale Industrie. Hier geht's entlang!

 

Die nächste Fachkonferenz findet am 15. und 16. Mai 2024 in Würzburg statt. Hier kommen Sie zur Anmeldung: Fachkonferenz CO2-neutrale Fabrik

Synergieeffekt: Mehr Effizienz durch bessere Prozesse

Process Mining-Technologie ermöglicht es, selbst schwer zu erfassende Scope-3-Emissionen messbar zu machen. So können Unternehmen erkennen, welche die größten Emissionstreiber sind, und sie zielgerichteter minimieren. Zugleich verbessert der Einsatz der Technologie nicht nur den CO2-Fußabdruck, sondern spart oft auch Geld: Indem die Software dabei hilft, Ineffizienzen zu identifizieren, trägt sie zugleich dazu bei, die Qualität der betreffenden Prozesse ganzheitlich zu verbessern. Von effizienteren Abläufen profitieren am Ende auch Mitarbeitende und Kunden. So zahlt sich die datengestützte Prozessoptimierung auf verschiedenen Ebenen aus – und hilft Unternehmen und Umwelt.

überarbeitet von: Dietmar Poll

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