Die Aufgabenstellung bei Lenze war, alles neu zu sortieren und neu zu strukturieren, um mit weniger Produkten die gleiche Abdeckung zu erreichen - in einem Baukastenprinzip mit allen digitalen Fähigkeiten.

Die Aufgabenstellung bei Lenze war, alles neu zu sortieren und neu zu strukturieren, um mit weniger Produkten die gleiche Abdeckung zu erreichen - in einem Baukastenprinzip mit allen digitalen Fähigkeiten. (Bild: Lenze)

Es klingt wie die Quadratur des Kreises: 680 Produktreihen mit 2,4 Millionen Enderzeugnissen. Dann die Produktreihen um die Hälfte reduzieren, um an Ende trotzdem die gleiche Produktabdeckung zu haben. Das geht nicht? Doch – und zwar mittels Product Mining von Soley sowie einer ausgefeilten Plattform- und Baukastenstrategie.

Gerd Schüler, Senior Vice President Process and Quality Management bei Lenze, kennt die Vorgeschichte: „In den letzten drei Jahren mussten Unternehmen eine steile Lernkurve durchlaufen, was robuste Lieferketten betrifft: resilienter sind sie, wenn Produktreihen auf einem Baukastensystem basieren.“

Lenze habe sehr vorausschauend bereits im Jahr 2008 damit begonnen, sein komplettes Produktportfolio zu überarbeiten und in ein Baukastensystem zu überführen. „So gibt es heute kein aktives Produkt mehr, das älter als zehn Jahre ist. Dieses Produktportfolio haben wir komplett neu entwickelt, mit dem Ziel, alles andere abzulösen“, zeigt Schüler auf.

Durchgängigkeit durch Digitalisierung ermöglichen

Vor 2008 habe Lenze viele Unternehmen dazugekauft und in die Unternehmensgruppe integriert. In der Folge sei es zu einem inhomogenen Portfolio mit einer Vielzahl von Produktreihen gekommen. Es existierte kein durchgängiger Produktbaukasten, keine Plattform, keine systemische Durchgängigkeit und keine Synergien.

„Dieses ganze Konstrukt war auch nicht fähig für die Digitalisierung – für das Front End und das Back End, denn weder Daten, Strukturen, Prozesse noch die Konfigurationsmodelle hatten irgendeine Durchgängigkeit“, erläutert Schüler die Dringlichkeit.

So habe es viele historisch gewachsene Informationen an verschiedenen Orten gegeben. Laut Schüler habe es keine Basis sowie keine Grundlage gegeben und es seien auch keine Skaleneffekte vorhanden gewesen. „Es war ein reines additives Produktportfolio mit erheblichen Pflegaufwänden und Kosten von der Vermarktung über die Wertschöpfung bis zu Beschaffung“, so Schüler.

Baukastenprinzip mit allen digitalen Fähigkeiten

„Ich hatte im Unternehmen die Aufgabenstellung im Jahr 2008, gemeinsam mit den Fachbereichen alles neu zu sortieren und neu zu strukturieren. Mit weniger Produkten die gleiche Abdeckung zu erreichen, aber das durchgängig in einem Baukastenprinzip mit allen digitalen Fähigkeiten. Ab 2016 sei dann auch mit der Entwicklung alle digitalen Lifecycle-Services rund um diese Produkte begonnen worden.

„Abgeschlossen werden sollte alles weitgehend bis 2020. Das haben wir auch erreicht“, erläutert Schüler und ergänzt, dass „wir damit nun vor der Herausforderung standen, uns von alten Produkten trennen zu müssen. Die alten Produkte gab es noch und wir mussten nun die Entscheidung treffen, ob eine Abkündigung aus Kundensicht sinnvoll möglich ist.“

Gerd Schüler, Senior Vice President Process and Quality Management bei Lenze
Zitat

Mittels einer gut durchdachten Plattform- und Baukastenstrategie lassen sich Produktkomplexität inklusive der damit verbunden inneren Varianz, bis zur Beschaffung von Bauteilen, signifikant reduzieren.

Gerd Schüler, Senior Vice President Process and Quality Management, Lenze
(Bild: Lenze)

Datengetriebene Entscheidungsprozesse aus Daten in der Cloud

Lenze habe bis zu diesem Zeitpunkt keine Erfahrung mit konsequenten Abkündigungen von Produkten gehabt. Die Entscheidungsfindung hierzu sei entsprechend nicht einfach gewesen. Schüler weiter: „So wurde uns klar, dass wir datengetriebene Entscheidungsprozesse benötigten. Dazu mussten wir unzählige Gigabyte an Daten in die Cloud schicken.“

Deshalb habe Lenze jemanden gesucht, der diese Datenmengen verarbeiten könne - mit der Anforderung, variantenreiche Produkte inklusive der Produktstrukturen, also Stücklistenstrukturen mit hoher Vielfalt, auflösen zu können. „Außerdem wollten wir uns über alle Strukturen hinweg durchnavigieren können. Denn wenn wir etwas abkündigen wollen, müssen wir erkennen können, welche exklusiven Bauteile und welche exklusiven Lieferanten daran hängen“, verdeutlicht Schüler.

Produktreihen um 50 Prozent verringert

Es sollte auch klar sein, von welchen Lieferanten man sich trennen müsse und wie hoch das Verlustrisiko sei, einen Kunden zu verlieren. Und wieviel Materialien der Kunde von den Altprodukten kaufe, wieviel von den Neuprodukten und wie wahrscheinlich es sei, dass er wechsele. „Wir haben einfach das Trennungsrisiko simuliert und damit haben wir sehr schnell Entscheidungen getroffen, so dass wir uns in zwölf Monaten von rund 50 Prozent unserer Produktreihen getrennt haben.“

Dazu ergänzt Maximilian Kissel, Geschäftsführer und CGO bei Soley: „Wir bieten eine analytische Grundlage, dass man Gigabyte an Daten handelbar macht, wir nennen es eine Graphdatenbank oder auch Enterprise Digital Twin. Darin werden Vorschläge gemacht, es wird klassifiziert und segmentiert. Das Tool bietet Heatmaps, die anzeigen, welche Produktreihen besonders gefragt sind.“

Schüler berichtet, das Lenze als Ausgangssituation 680 Produktreihen gehabt habe. „Darunter verbargen sich 2,4 Millionen Enderzeugnisse – die mitunter Umsätze hatten, keine Umsätze mehr hatten oder gar nie Umsätze hatten, weil es dazu irgendwann nur eine Anfrage gab.“

Wachstum mit weniger Produkten und geringerer Komplexität

Dabei habe es sich um Unmengen von Daten gehandelt. „Wir haben die letzten drei geschäftsrelevanten Jahre genutzt, diese sinnvoll zu bewerten. Alles, was davor war, haben wir als nicht mehr relevant definiert. Damit blieben nur noch zehn Prozent der verbleibenden Komplexität übrig“, rechnet Schüler vor.

Die anderen 90 Prozent hätten sich historisch kumuliert und seien nicht wiederholend. Auf die zehn Prozent habe sich Lenze dann konzentriert. „Der Umsatzerfolg gibt uns dabei Recht“, freut sich Schüler, denn „als wir vor zweieinhalb Jahren gestartet waren, machte Lenze 680 Millionen Umsatz. Wenn alles gut läuft, werden wir in diesem Jahr die Umsatzmilliarde erreichen.“

Lenze sei somit konstant jedes Jahr knapp 20 Prozent gewachsen – „mit weniger Produkten und geringerer Komplexität wohlgemerkt und auch mit der Entscheidung, Dinge nicht mehr anzubieten“, berichtet Schüler. Die reine Reduzierung auf 50 Prozent der Produktreihen habe einen Zeitraum von etwa zwölf Monaten beansprucht.

Störungen und Engpässe in Echtzeit erkennen

Nachdem nun vieles ‚aufgeräumt‘ ist, stellt sich die Frage, was künftig noch nachkommt. Schüler erklärt, dass Lenze augenblicklich dabei sei, aus der jetzigen ERP-Welt in die nächste zu wandern.

„Dieser Schritt ist für uns weitaus mehr als ein IT-Projekt. Da wird nochmal alles von den Prozessen sauber aufgeräumt, die dann analytisch hinterlegt werden. Wie in einer Schaltwarte möchten wir im nächsten Schritt täglich die SAP-Bewegungsvorgänge sehen sowie Störungen und Engpässe in Echtzeit erkennen. Wir werden im Anschluss an das erfolgreiche Product Mining definitiv den Weg Richtung Process Mining gehen und beide Methoden miteinander kombinieren“, blickt Schüler nach vorn.

„Festzustellen ist, dass der Feind der Resilienz von Wertschöpfungs- und Lieferketten die Komplexität ist. Mittels einer gut durchdachten Plattform- und Baukastenstrategie lassen sich Produktkomplexität inklusive der damit verbunden inneren Varianz, bis zur Beschaffung von Bauteilen, signifikant reduzieren“, findet Schüler.

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Resiliente Wertschöpfungskette hält Produktions- und Lieferfähigkeit aufrecht

Resilienz in der Wertschöpfungskette könne einem Unternehmen dabei helfen, die Produktions- und Lieferfähigkeit aufrechtzuerhalten, selbst wenn unvorhergesehene Ereignisse eintreten. „Die Kosten für Unterbrechungen der Lieferketten werden reduziert, während sich die Kundenbindung gleichzeitig verbessert. Denn was wollen alle? Eine zuverlässige und schnelle Lieferung von Produkten und Dienstleistungen“, schließt Schüler.

Dietmar Poll, Redakteur mi connect
(Bild: mi connect)

Der Autor Dietmar Poll ist Redakteur bei mi-connect und fokussiert sich auf Themen rund um die klimaneutrale Industrie. Nach einem Geographiestudium (ja, er wollte die Welt retten) und mehrjähriger Arbeit als wissenschaftlicher Angestellter wechselte er in den Fachjournalismus, arbeitete in verschiedenen Verlagen und betreute dort unterschiedlichste Ressorts. Spannend findet er, bei der Recherche die Geschichte hinter der Geschichte zu entdecken. Privat erwischt man in häufig auf seinem Mountainbike durch die Berge rumpeln.

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