Maschinenbau trifft Menschenähnlichkeit

Im Fokus: Humanoide Roboter im Maschinenbau

Humanoide Roboter sind keine Sci-Fi mehr – sie stehen kurz vor dem industriellen Durchbruch. Zwischen KI-gesteuerten Bewegungen und demografischem Druck formt sich ein Milliardenmarkt, der den Maschinenbau revolutionieren könnte.

Veröffentlicht Geändert
Sie laufen, sprechen, denken – zumindest fast. Humanoide Roboter ahmen den Menschen in Aussehen, Verhalten und Fähigkeiten nach.
Sie laufen, sprechen, denken – zumindest fast. Humanoide Roboter ahmen den Menschen in Aussehen, Verhalten und Fähigkeiten nach.

Warum humanoide Roboter im Maschinenbau wichtig sind

Humanoide Roboter faszinieren seit Jahrzehnten und haben das Potenzial, die Organisation von Fabriken durch Maschinenbauer grundlegend zu verändern. Die ersten Prototypen, wie der Roboter „Elektro“ auf der New Yorker Weltausstellung 1939, konnten sprechen, einfache Bewegungen ausführen und auf Fragen reagieren. In den 1970er-Jahren folgte der zweibeinige WABOT-1 der Waseda-Universität, später setzten NAO und Pepper neue Maßstäbe. Ab den 2000er-Jahren kamen Modelle wie ASIMO, Atlas, H1, G1 und 4NE-1 hinzu, die deutlich beweglicher und intelligenter waren.

Doch was genau sind humanoide Roboter, welche Forschung wird dazu in Deutschland betrieben, wie sieht die Marktsituation aus, welche Unternehmen sind aktiv und worin unterscheiden sie sich von klassischen Industrierobotern?

Definition: Was sind humanoide Roboter?

  • Menschenähnliches Aussehen: Humanoide Roboter haben eine menschenähnliche Gestalt – von abstrakten bis realistischen Formen. Sie können nur einen Kopf oder einen vollständigen Oberkörper mit Armen und Beinen besitzen.
  • Fähigkeiten und Ausstattung: Moderne Modelle verfügen über zahlreiche Freiheitsgrade, Sensorik, Spracherkennung und KI‑Funktionen. Es gibt funktionale sowie soziale Varianten; letztere werden als Companion Robots eingesetzt und sollen Emotionen simulieren.
  • Allzweckroboter: Viele Entwicklungen zielen auf Allzweckroboter ab. Im Gegensatz zu spezialisierten Industrierobotern sollen sie sich frei bewegen und verschiedene Aufgaben übernehmen – von Montage und Logistik bis zu Sicherheits‑ oder Servicediensten.
  • Ethische Aspekte: Die menschenähnliche Form wirft Fragen zur Datenverarbeitung, zu moralischen Regeln und zur Rolle im Arbeitsleben auf.

Forschung und Entwicklung in Deutschland

Deutschland zählt zu den führenden Forschungsstandorten für humanoide Roboter. Folgende Institutionen spielen eine Schlüsselrolle:

KIT – Projekt ARMAR‑6

Der Roboter ARMAR‑6 vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) besitzt zwei Arme, Hände und einen humanoiden Oberkörper. Er ist für die direkte Zusammenarbeit mit Menschen ausgelegt. 3‑D‑Kameras, Lasersensoren und Drehmomentsensoren erfassen Personen und Objekte; natürliche Sprache ermöglicht eine einfache Interaktion. ARMAR‑6 lernt neue Aufgaben durch Imitation und exploratives Lernen, unterstützt durch KI‑Algorithmen. Ziel ist der Einsatz bei industriellen Wartungs‑ und Servicearbeiten.

Fraunhofer IPA – Projekt KMUmanoid

Im Projekt KMUmanoid werden Anwendungsfelder wie Materialtransport, Kommissionieren und Montage für kleine und mittlere Unternehmen erprobt. Ein Leitfaden zur Sicherheit empfiehlt eine Kombination aus Abstand, Geschwindigkeitsbegrenzung und Arbeitsraumüberwachung. Ein zweiter Leitfaden zur Wirtschaftlichkeit betont, dass sich hohe Engineering‑Kosten nur bei mehrfacher Nutzung und Skalierbarkeit amortisieren.

Robotics Institute Germany (RIG)

Das RIG weist auf die Lücke zwischen mediengetriebenem Hype und technischer Reife hin. Fehlende Standards, Sicherheitsrisiken, unklare Wirtschaftlichkeit und eine unzureichende Datenbasis bremsen die Entwicklung. Gefordert wird mehr anwendungsorientierte Forschung, um humanoide Systeme sicher und skalierbar zu gestalten.

Marktsituation: Zahlen, Potenziale und deutsche Perspektiven

Globale Marktanteile

Rund 45 % der Unternehmen, die humanoide Roboter entwickeln, befinden sich in China; etwa 27 % in den USA. In Deutschland ist bisher nur ein einziges aktives Unternehmen mit humanoidem Schwerpunkt bekannt. Trotz hochwertiger Forschung fehlen Start‑ups und Kapital.

Marktpotenzial und VDMA‑Position

Der Verband Deutscher Maschinen‑ und Anlagenbau (VDMA) erwartet, dass der Markt für humanoide Roboter in der Industrieautomation bis 2030 ein Volumen von bis zu einer Billion US‑Dollar erreichen könnte. Für körperliche Arbeiten wie Reinigung oder Materialhandling wird langfristig ein Potenzial von mehreren Dutzend Billionen US‑Dollar diskutiert.

Der VDMA fordert eine nationale Strategie zur Serienproduktion, steuerliche Anreize und vereinfachte Genehmigungsverfahren. Nikolai Ensslen von Synapticon bezeichnet die Fähigkeit von KI, physische Aktionen auszuführen („Physical AI“), als entscheidenden Wettbewerbsvorteil.

Demografischer Druck

Bis 2030 wird fast jeder dritte Deutsche über 60 Jahre alt sein; Europa droht eine Arbeitskräftelücke von sieben Millionen Menschen, China sogar von über 80 Millionen. Intelligent gesteuerte humanoide Roboter könnten helfen, diese Lücke teilweise zu schließen.

Unternehmensaktivitäten: Beispiele aus Deutschland und der Welt

FAQ – Humanoide Roboter im Maschinenbau

  • Was sind humanoide Roboter? - Maschinen mit menschenähnlicher Gestalt, Sensorik und KI, die flexibel Aufgaben ausführen können.

  • Wofür werden sie eingesetzt? - Für Montage, Materialhandling, Kommissionierung sowie Assistenz- und Wartungsaufgaben.

  • Wer treibt die Entwicklung? - Forschungsinstitute und Industriekooperationen in Deutschland sowie internationale Technologie- und Robotikunternehmen.

  • Wann kommen sie in die Fabrik? - Einfache Aufgaben kurzfristig, breiter industrieller Einsatz in fünf bis zehn Jahren.

  • Warum sind sie relevant? - Sie erhöhen Flexibilität, passen in bestehende Arbeitsumgebungen und helfen, Fachkräftemangel zu kompensieren.

  • Unterschied zu Industrierobotern? - Industrieroboter sind spezialisiert und abgeschirmt, humanoide Roboter flexibel, lernfähig und für menschliche Arbeitsplätze ausgelegt.

Mercedes‑Benz und Apptronik

Mercedes‑Benz testet den humanoiden Roboter „Apollo“ des texanischen Herstellers Apptronik, um das Handling von Bauteilen, Qualitätsprüfungen und Transporte schwerer Lasten zu automatisieren. Beschäftigte trainieren den Roboter mithilfe von Teaching‑Methoden. Einfache Tätigkeiten wie Knöpfe drücken oder Teile einlegen könnten innerhalb von zwei Jahren automatisiert sein; für den breiten Einsatz werden fünf bis zehn Jahre prognostiziert.

Schaeffler und Neura Robotics

Schaeffler entwickelt kompakte Planetenradaktoren, die Gelenkbewegungen in Schulter, Ellbogen, Knie oder Handgelenk ermöglichen. Diese erreichen Drehmomente bis zu 250 Newtonmeter. Durch den geplanten Einsatz mehrerer Tausend humanoider Roboter bis 2035 entstehen reale Bewegungsdaten, die in das von Neura Robotics aufgebaute „Neuraverse“ – eine Datenplattform für physische KI – einfließen. Ziel ist der Aufbau eines europäischen „Physical‑AI“-Ökosystems mit souveräner Datenbasis.

Infineon und Nvidia

Infineon kombiniert Mikrocontroller (PSoC‑Control‑C3) mit Nvidias Jetson‑Thor‑Plattform, um präzise und vibrationsarme Motorsteuerungen für humanoide Roboter zu ermöglichen. Ergänzt durch GaN‑Transistoren, Gate‑Driver, Stromsensoren und Ethernet‑Module entstehen energieeffiziente, sichere Steuerungssysteme. Diese Plattformen verkürzen Entwicklungszyklen und beschleunigen die Einführung humanoider Roboter in Montage, Logistik und Pflege.

Internationale Beispiele

  • Unitree Robotics (China): Zweibeinige Modelle H1 und G1
  • Figure (USA): Plattform Figure 01/02
  • Tesla (USA): Humanoider Roboter Optimus
  • Hyundai (Südkorea): Tests in Montagehallen
  • Amazon (USA/China): Einsatz in Logistikzentren
  • China: Nutzung humanoider Roboter im Unterhaltungsbereich und bei Sportveranstaltungen

Technische Herausforderungen und ethische Aspekte

Mechanik und Steuerung

Die Koordination von Armen, Beinen und aufrechtem Gang ist technisch komplex. Kognitive Fähigkeiten des Menschen müssen mithilfe von KI nachgebildet werden. Derzeit fehlen ausgereifte Sicherheitsstandards; der Fraunhofer‑Leitfaden empfiehlt daher die Kombination mehrerer Schutzmaßnahmen.

Wirtschaftlichkeit

Die Anschaffung und das Engineering humanoider Roboter sind teuer. Wirtschaftlich werden sie erst durch hohe Auslastung und Wiederverwendung. Der VDMA fordert steuerliche Anreize und ein langfristiges Investitionsprogramm.

Gesellschaftliche Akzeptanz und Ethik

Je menschenähnlicher Roboter aussehen, desto unheimlicher wirken sie bei kleinsten Fehlern – der sogenannte Uncanny‑Valley‑Effekt. Die Debatte, ob Roboter Arbeitsplätze ersetzen oder ergänzen, hält an; der VDMA plädiert dafür, sie als Werkzeuge und Unterstützung für Menschen zu verstehen.

Vergleich: Humanoide Roboter vs. klassische Industrieroboter

KriteriumKlassische IndustrieroboterHumanoide Roboter
BauformKnickarm-, SCARA- oder Portalroboter hinter SchutzeinhausungenMenschenähnliche Kinematik mit Armen, Beinen und Oberkörperrobotik
AufgabenSpezialisierte, repetitive Prozesse wie Schweißen, Lackieren, PalettierenFlexible Aufgaben: Montage, Materialtransport, Kommissionieren, Pflege
SicherheitEtablierte Normen, oft mit Schutzgittern und Cobots.Normen im Aufbau; Sicherheit erfordert kombinierte Maßnahmen
ProgrammierungDeterministisch; Umrüstungen erfordern Neuplanung.Imitation Learning, exploratives Lernen und KI
FlexibilitätGeringere Anpassung an neue Aufgaben.Hohe Adaptivität und autonome Anpassung angestrebt
ReifegradMillionenfach im Einsatz.Wenige Pilotprojekte, Technik noch am Anfang

Quellen: plattform-lernende-maschinen.de, ipa.fraunhofer.de

Ausblick auf die nächsten Jahre

Humanoide Roboter im Maschinenbau stehen an der Schwelle zur breiten industriellen Anwendung. Experten erwarten, dass einfache Aufgaben wie das Drücken von Knöpfen oder das Einlegen von Teilen in den nächsten zwei Jahren automatisiert werden können. Für komplexere Einsätze wird ein Zeitrahmen von fünf bis zehn Jahren angenommen. Prognosen zufolge könnten humanoide Roboter bis zu 30–40 % der Aufgaben in standardisierten Produktionsumgebungen übernehmen.

Deutschland verfügt über exzellente Forschung – KIT, Fraunhofer IPA und RIG leisten Pionierarbeit. Doch um international mitzuhalten, müssen Start‑ups, Maschinenbauunternehmen und Politik gemeinsam an einem europäischen Ökosystem für physische KI arbeiten. Kooperationen wie Schaeffler–Neura und Infineon–Nvidia zeigen, dass Traditionsfirmen und Tech‑Unternehmen erfolgreich zusammenarbeiten können. Demografische Veränderungen machen den Bedarf an automatisierten Lösungen drängend. Mit klaren Standards, Investitionen und gesellschaftlichem Dialog können humanoide Roboter zu einer realen Ergänzung der deutschen Industrie werden.

Quellen und Referenzen