Herr Saeidi, Herr Naffin, wie sieht Ihr Shopfloor in den nächsten zehn Jahren aus?
Zunächst einmal wird es von der traditionellen Rolle des Shopfloor weggehen: Bisher standen die Transparenz in der Fertigung, das Darstellen des Soll- und Ist-Zustands und die Organisation der Zusammenarbeit im Vordergrund. Dabei wirken das bestehende Silodenken, ebenso wie menschliche Sympathien oder Antipathien und Zeitdruck naturgemäß immer wieder einer echten Bestandsaufnahme der Realität entgegen.
Wir bezeichnen den Shopfloor der Zukunft schon heute als „Trendboard“. Dabei ist uns neben der Nutzung und dem Antizipieren neuer Technologien der Mut zur Wahrheit besonders wichtig. Wir sind digital stark aufgestellt, ein Trend-Officer pflegt den digitalen Zwilling unserer Produktion – so bekommen wir jederzeit Rückmeldungen, was gut und was schlecht läuft. Dann diskutieren wir mit Bereichsleitern und Führungskräften, was wir tun müssen.
Solche objektiven Daten sind sicher auch manchmal unangenehm. Wir glauben aber, dass sich dieser Trend durchsetzen wird: Unternehmen werden es sich nicht mehr leisten können, den menschlichen Filter bei der Informationsweitergabe weiter zu akzeptieren. Entscheidend ist dabei jedoch eine gute Fehlerkultur, bei der entdeckte Fehler dankbar als das genommen werden, was sie sind: Hinweise darauf, dass eine Lücke gefunden wurde, die noch geschlossen werden muss.
Video: Industrie 4.0 bei der WS Kunststoff-Service GmbH
Wie wird es technologisch weitergehen?
Der bei uns eingeschlagene Weg in der Produktion, bei dem Montagevorrichtungen, Maschinen und Leichtbauroboter ebenso wie die Mitarbeiter via Mini-Tablet oder Datenbrille alle digital vernetzt und mit einer von uns entwickelten Softwareplattform verbunden sind, wird innerhalb der nächsten zehn Jahre konsequent weitergegangen.
In zehn Jahren werden alle echten Prozesse als digitaler Zwilling in die Datenwelt übertragen sein, die Möglichkeiten von Augmented und Virtual Reality weiter ausgeschöpft werden. Leichtbaurobotern kommt in Zukunft eine noch wichtigere Rolle zu, gerade auch für den Mittelstand. Daher haben wir ein Beratungskonzept erarbeitet, um anderen Unternehmen aus unserer Erfahrung heraus Hilfestellung beim Einsatz von Cobots zu geben.
Welche Rolle spielt der Mensch dann noch in zehn Jahren?
Die Technologie nutzen wir in erster Linie dafür, dass menschliche Kollegen es jeden Tag ein bisschen einfacher haben: Der Mensch steht bei uns im Mittelpunkt. Wir haben keine Lust auf Stress, Trouble-Shooting und viele Überstunden, sondern wollen lieber mehr Privatleben. Zugleich schenken wir den menschlichen Kollegen in der Produktion durch die neuen Leichtbauroboter-Kollegen neue Zeitkorridore, in denen sie höherwertige Aufgaben übernehmen können.
"Der Shopfloor der Zukunft ermöglicht auch kleinen Unternehmen, Aufträge anzunehmen, die vorher außer Reichweite waren."
Natürlich werden durch die Digitalisierung besonders Jobs von Geringqualifizierten wegfallen. Aber die innovative Technik wird gleichzeitig neue Jobs mit höheren Kompetenzanforderungen schaffen. Daher sind Fort- und Weiterbildung von Erwachsenen probate Mittel, um dem Jobverlust in den betroffenen Bereichen Einhalt zu gebieten. Wir machen derzeit gute Erfahrungen mit der Aufwärtsqualifizierung unserer Mitarbeiter. Wenn alle das Verständnis entwickeln, dass sie sich bewegen müssen, dass sie beim Lernen immer wieder die Komfortzone überwinden müssen, motiviert das auch.
Zugleich wird die Technologie immer anwendungsfreundlicher. Der Shopfloor der Zukunft ermöglicht auch kleinen Unternehmen, Aufträge anzunehmen, die vorher außer Reichweite waren. Wir sind als Unternehmen mit etwa 40 Mitarbeitern nur durch die Digitalisierung und Hilfsmittel wie Datenbrillen oder Cobots in der Lage, zum Beispiel Türaußengriffe für Kleinwagen direkt ohne Umwege ans Produktionsband zu liefern. Einen solchen Auftrag hätten wir früher nicht annehmen können. Das sichert und schafft Arbeitsplätze.
Stichwort Logistik: Wie gestaltet sich der Materialfluss in zehn Jahren?
In der Zukunft wollen wir über den heutigen Status hinausgehen, bei dem Maschinen und Systeme digital vernetzt sind und sich eigenständig melden, wenn ein Problem auftaucht. Ziel sind digitale Minifabriken, die sich eigenständig organisieren und aus einem Team von menschlichen Kollegen, Robotern und digital organisierten Hilfsmitteln bestehen. Das führt weg vom großen Leitstand, der alles organisiert.
In der Intralogistik übernehmen fahrerlose Transportsysteme Aufgaben, die für Menschen wenig anspruchsvoll sind, und eliminieren Flüchtigkeitsfehler. Leichtbauroboter, die mit Menschen arbeiten, werden immer besser und günstiger, so dass sie auch für die Logistik attraktiv sind: Der Mensch kann sich um wichtigere Dinge kümmern, während der Robbi zum Beispiel die Materialien holt.
Automatisierungsquote: Wo arbeiten die meisten Roboter?
Global betrachtet arbeiten im Schnitt 74 Roboter pro 10.000 Mitarbeiter in der Fertigungsindustrie. Das gab die International Federation of Robotics (IFR) in der jüngsten Statistik bekannt. Klicken Sie sich durch und sehen Sie, wie die Roboterdichte laut IFR weltweit verteilt ist.