Reality versus Digital Twin bei der Klotz GmbH

Das frühzeitige Testen am digitalen Zwilling bringt für Unternehmen vielseitige Vorteile mit sich. (Bild: Klotz)

Die Firma Klotz hat ein Inbetriebnahme-System entwickelt, mit dem Anwender ihre Maschinen vor der physischen Auslieferung virtuell in Betrieb nehmen und Fehler frühzeitig erkennen und beheben. Die digitalen Maschinen entsprechen exakt ihren physischen Gegenstücken und verfügen über die originalgetreue Software.

Die Entwicklung dieser Technologie erstreckte sich über einen Zeitraum von rund vier Jahren. Dabei bestand die technische Herausforderung darin, eine Simulationsumgebung zu erschaffen, die die riesige und stetig wachsende Menge an Daten, die im Unternehmen während einer Anlagenentwicklung generiert werden, teils automatisiert verknüpft und mit Hilfe von Komponentenbausteinen große Systemabbilder generiert. Erst dadurch wird eine realistische und sehr detaillierte Anlagensimulation möglich. Klotz hat als Fundament eine umfangreiche Modellbibliothek aufgebaut, die es ermöglicht, innerhalb nur weniger Wochen einen physisch und technisch authentischen digitalen Zwilling einer Maschine oder Anlage zu erstellen.

Was ist ein Digital Twin?

Der Begriff "Digital Twin" bezieht sich auf eine virtuelle Kopie eines realen Systems, Produkts oder Prozesses, die in der Regel durch eine vorangegangene Datenanalyse erstellt wird. Er nutzt Daten, die in Echtzeit von einem physischen System gesammelt werden, um ein digitales Modell dieses Systems zu erstellen und zu aktualisieren. Ein digitaler Zwilling kann verwendet werden, um verschiedene Szenarien zu testen, Prozesse zu optimieren und Entscheidungen zu treffen, bevor Änderungen am realen System vorgenommen werden.

Jörg Thomas, CTO (Chief Technology Officer) der Klotz GmbH
Jörg Thomas ist CTO (Chief Technology Officer) bei Klotz. (Bild: Klotz)

PRODUKTION: Sie appellieren an Unternehmen, sich für digitales Engineering zu öffnen. Warum?

Jörg Thomas: Weil es existentiell für die Unternehmen ist. Bislang werden Maschinen und Anlagen klassischerweise sequenziell geplant, konstruiert, montiert und in Betrieb genommen. Die Digitalisierung macht diesen Workflow obsolet. Mit dem Einsatz von Softwaretools für die Erstellung und Bearbeitung eines physisch und technisch authentischen digitalen Zwillings wird statt der Abfolge von Einzelschritten eine parallele, zeitund ressourcenschonende Bearbeitung möglich. Wer am Markt erfolgreich bestehen will, muss sich dieser Entwicklung öffnen.

Welche Vorteile hat die parallele Bearbeitung der einzelnen Prozessschritte, also die frühzeitige virtuelle Inbetriebnahme einer Maschine oder Anlage?

Thomas: Der wichtigste Vorteil liegt darin, dass der spätere Automatikbetrieb nun frühzeitig durch Simulationen abgesichert wird. Salopp gesagt heißt das, dass das Risiko unliebsamer Überraschungen minimiert wird. Das erhöht die Qualität der Produkte und spart dem Unternehmen und dem Kunden Zeit und Geld. Letzteres gilt auch für die allgemein kürzere Durchlaufzeit der gesamten Entwicklung.

Die frühzeitige virtuelle Inbetriebnahme, also das Offline-Testen im digitalen Zwilling, beschleunigt also Engineering-Prozesse, validiert deren Konzepte und Mechanismen – und legt mögliche Probleme bereits in der Planungsphase offen. Das ist schlichtweg eine neue Ära im Maschinenbau, eine kleine Revolution.

Nun ist Digitalisierung ja kein ganz neuer Hut mehr und ebenso wenig ein digitaler Zwilling. Was macht die Klotz-Lösung so besonders?

Thomas: Ganz einfach: Die meisten verstehen unter digitalem Zwilling, dass Maschinen als CAD-Modelle erstellt und Abläufe simuliert werden. Nicht mehr, nicht weniger. Klotz geht aber nun einen riesigen Schritt weiter und sorgt dafür, dass diese digitalen Maschinen darüber hinaus ihren physischen Gegenstücken entsprechen und sogar über die originalgetreue Software verfügen.

Dafür haben wir in den letzten rund vier Jahren eine umfangreiche Modellbibliothek entwickelt, die es ermöglicht, aus dem Stand digitale Zwillinge von Anlagen in der erwähnten Detailtiefe aufzubauen. Das dauert bei komplexen Anlagen nur rund vier Wochen. Bei einfacheren Maschinen sind wir sogar in wenigen Tagen bereit für die virtuelle Inbetriebnahme. Das sind Zahlen, die noch vor zwei Jahren abwegig erschienen.

Und um noch eine Zahl zu nennen: Kunden, die unsere virtuelle Inbetriebnahme aktuell testen, gehen davon aus, dass sich die Zeit, bis sie ihre Maschine oder Anlage real nutzen können, nun um sagenhafte 75 Prozent verringert.

Zitat

„Mein Vater hatte bereits vor 30 Jahren die Vision, beim Maschinenbau das klassische Wasserfall-Modell aus Planung, Entwicklung, Montage und Inbetriebnahme zu überwinden. Ich bin sehr stolz, dass es uns gelungen ist, diese Vision in die Realität umzusetzen und den Maschinenbau von Grund auf zu verändern.“

Jörg Thomas, Klotz

Was läuft dann beim Kunden, also dem Käufer der Maschine oder Anlage, ganz praktisch ab?

Thomas: Der Kunde kann lange vor der Montage und Inbetriebnahme der Anlage diese programmieren und testen. Im Idealfall geschieht das parallel auf drei Bildschirmen: einer mit dem kinematisierten CAD-Modell der Maschine, der zweite mit der HMI-Bedienoberfläche und der dritte mit der Datenbankoberfläche. So kann der Kunde die Maschine ansteuern, die Produktion starten, die komplette Software im Hintergrund ablaufen lassen, Schulungen durchführen, Fehlerszenarien durchspielen und schließlich alles freigeben – ohne, dass etwas in Stahl und Eisen gegossen ist.

Auf welcher technischen Basis bauen Sie dabei auf?

Thomas: Wir setzen Fe.screen-Sim ein. Das ist eine 3D-Simulationssoftware des Automatisierungsspezialisten F.EE, die Simulation, Planung und virtuelle Inbetriebnahme unter anderem für den Maschinenbau ermöglicht. Diese Software haben wir auf unsere Zwecke zugeschnitten und weiterentwickelt. Ebenfalls zum Einsatz kommt unsere eigene Softwareplattform Kinrig. Sie ermöglicht es, Maschinensoftware schnell und einheitlich zu programmieren – ohne zwingend spezielle Programmierkenntnisse besitzen zu müssen. Das erleichtert die Instandhaltung der Sondermaschinen signifikant und gibt dem Kunden sogar die Möglichkeit, selbstständig seine Maschinen weiterzuentwickeln.

Eignen sich alle Anlagen für eine virtuelle Inbetriebnahme?

Thomas: Fast. Rund 90 Prozent der Anlagen können nun frühzeitig virtuell in Betrieb genommen werden. Ausnahmen stellen Anlagen mit zu komplexen externen Schnittstellen dar oder mit zu einfachen, kleinen Modulen.

Wie wird die virtuelle Inbetriebnahme die Arbeitswelt verändern?

Thomas: Sehr tiefgreifend – und meines Erachtens durchweg positiv. Die virtuelle Inbetriebnahme vereinfacht und verbessert die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Abteilungen enorm. Für deutlich mehr Flexibilität sorgt der Umstand, dass wir die virtuelle Inbetriebnahme bewusst Homeoffice-fähig gehalten haben. Und ein weiterer wesentlicher Punkt ist der des Arbeitsschutzes: Automatisierte Tests gefährden keine Menschen und vermeiden zudem Schäden an der Maschine, die beispielsweise durch Programmierfehler entstehen könnten.

Quelle: Klotz

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