Der scharfe Wettbewerb bei Elektroautos zeigt, welches Potenzial die Hydraulik hat. Um im Karosseriebau die Herstellkosten im Vergleich zu klassischer Automatisierung mit Robotern zu senken, kommen seit wenigen Jahren Gigapressen zum Einsatz. Mit bis zu 9.000 Tonnen hydraulisch erzeugter Einspritzleistung fertigen sie komplette Rahmenkonstruktionen für E-Autos in einem Schuss. Damit entfällt die aufwändige Montage von rund 80 Einzelteilen. Tesla setzt diese Technologie als erster Hersteller seit 2021 in der Serienfertigung ein. Seitdem haben auch Wettbewerber aus Japan und Korea sowie einer der Big Three in Detroit solche Gigapressen bestellt.
„Wenn es um höhere Kräfte in Kombination mit Geschwindigkeit und Präzision geht, ist der lineare Abtrieb der Hydraulik unschlagbar“, bekräftigt Dr. Mark Krieg, Entwicklungsleitung Business Unit Industrial Hydraulics, Bosch Rexroth AG. Das Unternehmen entwickelt seit den 1990er Jahren Regelelektroniken für die Elektrohydraulik, sowohl für den Schaltschrank als auch 'On-board' direkt an den Aktoren. Auch andere Hersteller wie die Hawe Hydraulik SE, verknüpfen in Antriebs- und Steuerungslösungen die Leistungsdichte der Hydraulik mit elektronischer Ansteuerung, modernen Schnittstellen und Offenheit.
Anwendung bestimmt Steuerungsarchitektur
Dabei stehen unterschiedliche Systemarchitekturen in einem ständigen Wettbewerb. Für Marcus Hofmann, Produktmanager E-Products bei Hawe Hydraulik, ist das der Breite der Anwendungen geschuldet, von Good enough in einfachen Maschinen und Schwellenländern bis zu High-end-Anwendungen wie Gigapressen oder Kunststoffmaschinen. „Jeder Hersteller muss sich für seine Maschine überlegen, welche Steuerungsarchitektur für ihn und seine Kunden die Beste ist,“ betont Marcus Hofmann. „Es gibt aus meiner Sicht kein Patentrezept.“
Weil die meisten Steuerungshersteller auch gleichzeitig elektromechanische Antriebe anbieten, konzentriert sich die Automatisierungstechnik traditionell auf dieses Zusammenspiel. Die Fluidtechnik arbeitet im Gegensatz zu elektrischen Motoren aber nicht linear, deswegen können die meisten Steuerungen die Besonderheiten der Hydraulik nicht ohne zusätzliche Programmierung abdecken.
„Jeder Hersteller muss sich für seine Maschine überlegen, welche Steuerungsarchitektur für ihn und seine Kunden die Beste ist. Es gibt aus meiner Sicht kein Patenrezept", sagt Marcus Hofmann, Produktmanager E-Products, Hawe Hydraulik SE.
On-board-Elektronik mit dezentraler Intelligenz
Die Hydraulikhersteller haben diese Lücke in den vergangenen Jahrzehnten mit dezentral intelligenter Hydraulik geschlossen. Sie haben eine Vielzahl von Elektroniken für den Schaltschrank oder direkt On-board der Ventile und Pumpen entwickelt, in denen sie die Besonderheiten der Fluidtechnologie abbilden. Entsprechend des Konzepts der dezentralen Kommunikation gibt die Maschinensteuerung per Feldbus oder Ethernet die Soll-Zustände vor und die Elektroniken der hydraulischen Aktoren regeln sie vor Ort.
Die hydraulischen Funktionen können meist ohne Programmieraufwand modularisiert in die Maschinen eingebunden werden. Für die Steuerung macht es keinen Unterschied, ob sie die Kommandos an elektromechanische oder elektrohydraulische Aktoren sendet. „Vor allem Unternehmen, die Maschinen in größeren Serien produzieren, schätzen die Vorteile der dezentralen Steuerungsarchitektur“, bestätigt Marcus Hofmann.
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Zentrale Maschinensteuerung spart Hardware
Ein neuer Trend ist die Rückverlagerung der hydraulischen Funktionen in die zentrale Maschinensteuerung. Immer leistungsfähigere Prozessoren bieten mehr Rechenpower und können umfangreichere Software-Funktionalitäten parallel ausführen. Damit regelt die Steuerung Hydraulikkomponenten direkt ohne weitere Elektronikhardware.
Für Marcus Hofmann ein weiterer sinnvoller Ansatz: „Maschinenhersteller können direkten Einfluss auf die Ansteuerung der Aktuatoren nehmen und eigene Regelungen implementieren. Der Freiheitsgrad ist in dieser Architektur oft höher.“ Hier leistet Hawe Hydraulik Engineering-Unterstützung durch den Kundendienst. Aber auch Automatisierungsanbieter wie Beckhoff oder B&R bieten Bibliotheken für hydraulische Grundfunktionalitäten.
„Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sie muss immer einen Wettbewerbsvorteil bieten", sagt Mark Krieg, Entwicklungsleitung Business Unit Industrial Hydraulics, Bosch Rexroth AG.
Hardware-unabhängige Apps für Hydraulik
Bislang ist das Know-how zur hydraulischen Regelungstechnik oft an spezielle Hardware und proprietäre Systeme gebunden. Bosch Rexroth ändert das und bietet jetzt mit der Software-Plattform H4U (Hydraulics for You) Apps für marktgängige Steuerungssysteme an. Damit realisieren Anwender Hydraulikfunktionen ohne zusätzliche Hardware und Programmieraufwand in ihrer gewohnten Automatisierungsumgebung.
Für Mark Krieg ist bei dezentralen wie zentralen Konzepten wichtig: „Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sie muss immer einen Wettbewerbsvorteil bieten.“ Mit den Softwarebausteinen können Hersteller ihre Maschinen und Anlagen sowie Produktionsprozesse durchgängig simulieren. Das spart Zeit über den gesamten Engineering-Prozess. Maschinenanwender, besonders Großunternehmen, nutzen die Möglichkeiten der Vernetzung, um die Flexibilität für kleinere Losgrößen zu verbessern und die Verfügbarkeit über Condition Monitoring und Predictive Maintenance zu erhöhen.
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Das hydraulische Systemdesign treibt Energieeffizienz voran
Auch die Wissenschaft geht von einem dauerhaften Nebeneinander der verschiedenen Steuerungskonzepte aus. „Je nach Anforderungen an die Hydraulik setzen Maschinenhersteller auf zentrale analoge und digitale Ansteuerung oder auf dezentrale Konzepte mit On-Board-Elektroniken“, schätzt Tobias Schulze, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Fluid-Mechatronische Systemtechnik der TU Dresden, die Zukunft ein.
Dezentrale Lösungen für intelligente hydraulische Antriebe bieten eine hohe Flexibilität für den Anlagenentwickler und ermöglichen insbesondere auch kleinen und mittelständischen Unternehmen eine einfache Integration der Hydraulik in ihre Maschinen. Für Anlagen mit einer leistungsfähigen zentralen Steuerung kann sich die Modularisierung mit dem Einsatz der neuen Softwarebibliotheken hingegen von der Hardware in die Software verlagern.
„Je nach Anforderungen an die Hydraulik setzen Maschinenhersteller auf zentrale analoge und digitale Ansteuerung oder auf dezentrale Konzepte mit On-Board-Elektroniken", sagt Tobias Schulze, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Fluid-Mechatronische Systemtechnik der TU Dresden.
Für Denis Ritz, an der Professur für Fluid-Mechatronische Systemtechnik als wissenschaftlicher Mitarbeiter auf Mobilhydraulik spezialisiert, geht der Trend auf seinem Fachgebiet weiter in Richtung dezentrale Steuerungsstrukturen: „Dafür sprechen ein höherer Grad an Autarkie und Stabilität.“
Sowohl für die Industrie- als auch Mobilhydraulik stellt die Verlagerung von Steuerungsfunktionalitäten in die Cloud sehr hohe Anforderungen, die aktuell nur schwer zu erfüllen sind. Die erforderliche Bandbreite, Latenz und Zuverlässigkeit ist mit den aktuell verfügbaren Technologien für die drahtlose Kommunikation nur schwer zu erfüllen. Eine viel wichtigere Marktanforderung an die Hydraulik ist eine verbesserte Energieeffizienz, und die ist für die Wissenschaftler vor allem eine Frage des hydraulischen Systemdesigns.
„Wir beobachten gerade am Markt eine Vielzahl von unterschiedlichen Konzepten für batteriegetriebene, kleinere mobile Maschinen, diese erreichen deutliche höhere Energieeffizienz durch Mehrkreissysteme“, beschreibt Denis Ritz die aktuellen Trends.
„Bei mobilen Anwendungen geht der Trend weiter in Richtung dezentrale Steuerungsstrukturen", Denis Ritz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Fluid-Mechatronische Systemtechnik der TU Dresden.
Fluid 4.0: Hydraulik bekommt digitale Zwillinge
Damit ist die Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen. Sowohl Hawe Hydraulik als auch Bosch Rexroth und die Professur für Fluid-Mechatronische Systemtechnik arbeiten aktuell gemeinsam mit dem VDMA-Fachverband Fluidtechnik und vielen anderen Unternehmen und Forschungseinrichtungen an einer Standardisierungsstrategie im Projekt 'Fluid 4.0'.
Ziel ist die herstellerübergreifende Interoperabilität, durch einen standardisierten Austausch von Daten und deren Bedeutung über Anwendungen und Technologien hinweg. Dazu muss für jedes physische Fluidtechnik-Produkt ein digitaler Zwilling geschaffen werden, der alle relevanten Informationen umfasst, die über den Lebenszyklus benötigt werden.
Die weltweite Marktgröße für Hydraulikausrüstung schätzt das Marktforschungsunternehmen Mordor Intelligence im Jahr 2024 auf rund 47 Milliarden US-Dollar. Der Markt soll bis 2029 auf 56 Milliarden US-Dollar anwachsen.
Handlungsbedarf durch Cyber Resilience Act
Für Maschinenhersteller ist es wichtig, sich mit den verschiedenen Architekturen zu beschäftigen und die Vor- und Nachteile abzuwägen. Im März 2024 hat das Europäische Parlament den Cyber Resilience Act verabschiedet. Es macht das Prinzip 'Security by Design' zur gesetzlichen Voraussetzung, auch für den Maschinenbau. Sobald das Gesetz vom EU-Rat abgesegnet wird, haben Hersteller eine Übergangsfrist von nur 36 Monaten. Danach ist Secure by Design für vernetzbare Maschinen und den in ihnen verbauten Geräten zwingende Voraussetzung für die Vermarktung innerhalb der Europäischen Union. Damit müssen auch bestehende Maschinenkonzepte angefasst werden – die Hydraulik ist bereit dafür.
überarbeitet von: Dietmar Poll
Die wichtigsten Trends in der Hydraulikbranche
- Digitale Zwillinge
Digitale Zwillinge sind virtuelle Repräsentationen physischer Hydrauliksysteme, die mithilfe von Daten, Simulationen und Algorithmen erstellt werden. Sie ermöglichen es, das Verhalten von Systemen unter verschiedenen Bedingungen zu simulieren und zu optimieren, ohne physische Tests durchführen zu müssen. Dies führt zu einer schnelleren und kosteneffizienteren Produktentwicklung.
- Grüne Hydraulik
Grüne Hydraulik konzentriert sich auf die Entwicklung umweltverträglicher und energieeffizienter Lösungen wie biologisch abbaubare Hydraulikflüssigkeiten und energiesparende Komponenten. Dies reduziert den ökologischen Fußabdruck und eröffnet neue Geschäftsmöglichkeiten.
- Intelligente vernetzte Systeme
Intelligente Hydrauliksysteme nutzen Sensoren, Steuerungen, Software und KI, um Daten in Echtzeit auszuwerten und Anpassungen für eine optimierte Leistung und Effizienz vorzunehmen. Die Vernetzung und Automatisierung dieser Systeme wird zunehmen.
- Additive Fertigung
Der 3D-Druck revolutioniert die Herstellung von Hydraulikkomponenten, indem er komplexe Strukturen ermöglicht, die mit herkömmlichen Methoden nicht möglich wären. Dies führt zu leichteren, leistungsfähigeren Komponenten und beschleunigter Produktentwicklung.
- Vorausschauende Wartung
Durch Sammlung und Analyse von Echtzeitdaten können Unternehmen den Zustand ihrer Hydrauliksysteme überwachen und Probleme frühzeitig erkennen. Vorausschauende Wartung hilft, ungeplante Ausfälle zu vermeiden und die Betriebsabläufe zu optimieren.
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