Künstliche Intelligenz kann in der Fertigung gut eingesetzt werden, um Daten zu analysieren, Zusammenhänge zu erkennen und Optimierungen vorzunehmen.

Künstliche Intelligenz kann in der Fertigung gut eingesetzt werden, um Daten zu analysieren, Zusammenhänge zu erkennen und Optimierungen vorzunehmen. (Bild: APchanel - stock.adobe.com)

Intelligente Bilderkennung, Texte schreiben mit ChatGPT oder eine optimierte Produktionsplanung - künstliche Intelligenz verändert gerade die Lebens- und Arbeitswelt. Wie sieht das im Maschinen- und Anlagenbau aus und welche Lösungen gibt es bereits?

Wir stellen Ihnen in diesem Artikel die folgenden drei Beispiele für erfolgreichen Einsatz von künstlicher Intelligenz vor:

  1. Schwäbische Werkzeugmaschinen: Kausale KI optimiert komplette Fertigungslinie
  2. Festo: KI-Standard-App überwacht automatisiert Zylinder
  3. Trumpf: Neuronale Netze und Bilderkennung helfen beim Teile sortieren

(Falls Sie ein Beispiel besonders interessiert, können Sie über die Links direkt zum jeweiligen Abschnitt springen.)

1. Schwäbische Werkzeugmaschinen: Kausale KI optimiert komplette Fertigungslinie

Bei Schwäbische Werkzeugmaschinen (SW) setzt man schon seit geraumer Zeit auf KI. Dies gilt auf vielen Ebenen, von der Werkzeugschneide über den Kugelgewindetrieb bis hin zur gesamten Fertigungsanlage. Die Bedeutung von Daten hat man bei SW bereits vor zwanzig Jahren erkannt und sammelt und analysiert seitdem Maschinendaten. Auf dieser Basis forscht ein eigenes Team kontinuierlich an neuen Technologien und Innovationen, die in Proof of Concepts getestet werden. Mittlerweile gibt es ein breites Angebot an Digitalen Services für die Kunden.

"Eine spannende Anwendung betrifft Causal AI mit Fokus auf eine komplette Anlage, die aus einer Vielzahl unterschiedlicher Maschinen bestehen kann", berichtet Hendrik Jacobsen, Product Manager Industrial Data Services bei SW. Dazu arbeitet SW mit einem Technologiepartner zusammen, der diese neuartigen Analysemodelle ursprünglich für den Gesundheitsbereich entwickelt hat. Statt des Patienten soll nun aber das Werkstück oder die Maschine mit ihrem Gesundheitszustand im Mittelpunkt stehen.

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Ausschuss reduzieren: KI sucht nach Ursache-Wirkung-Zusammenhängen

In der modernen Fertigungswelt übersteigt die Komplexität schnell das menschliche Vorstellungsvermögen – zum Beispiel in einer Fertigungslinie, die mit 15 oder 20 Maschinen verschiedene Varianten von Werkstücken in jeweils unterschiedlichen Prozessen fertigt. "Im Fehlerfall experimentiert man heute meist mit einzelnen Prozessparametern und hofft, dass die richtigen Einflussgrößen für das Problem dabei sind. Das ist ressourcenintensiv und ein eher schmerzhafter Prozess von Versuch und Irrtum", so der KI-Experte.

Hendrik Jacobsen ist Product Manager Industrial Data Services bei Schwäbische Werkzeugmaschinen.
Hendrik Jacobsen ist Product Manager Industrial Data Services bei Schwäbische Werkzeugmaschinen. (Bild: Schwäbische Werkzeugmaschinen)

Eine neu entwickelte Lösung ändert das nun grundlegend. "Der Unterschied liegt darin, dass Causal AI nicht nur statistisch auswertet oder Anomalien und Trends berechnet, sondern in sehr großen Datenmengen nach konkreten Ursache-Wirkung-Zusammenhängen sucht", erklärt Jacobsen. Als eines der ersten Unternehmen habe man diese Technologie in die Fertigungswelt übertragen. Dabei geht es zum Beispiel um die Suche nach den Ursachen für Ausschuss oder Nacharbeit.

Nur mit dem Wissen über Ursache und Wirkung sind schließlich korrigierende Eingriffe möglich. "Mit dieser Technologie können wir die Kapazitäten auf die Bereiche fokussieren, die uns tatsächlich helfen, die Anlage zu verbessern und die Ausschussraten zu optimieren", sagt Jacobsen. Zwar hätten Anlagenbetreiber oft schon ein Gespür dafür, wo die richtigen Stellschrauben zu finden sind. Hier könne der Algorithmus ursächliche Einflussgrößen quantitativ gegeneinander abwägen und ermitteln, welches Gewicht eine solche Vermutung tatsächlich hat. Oft würden auch Faktoren aufgedeckt, deren Prozessrelevanz vorher gar nicht bekannt war.

Wichtige Voraussetzung: Die Datenbasis muss stimmen

Dank eines umfangreichen digitalen Portfolios von SW können die Fertigungsanlagen der Kunden umfassend beschrieben werden. Mit einer Traceability-Lösung lässt sich beispielsweise für jedes Werkstück nachvollziehen, welchen Weg es durch die Anlage genommen hat und wann es unter welchen Bedingungen bearbeitet wurde. "Eine solche Datenbasis ist eine wichtige Grundlage, um kausale Algorithmen überhaupt sinnvoll einsetzen zu können", berichtet Hendrik Jacobsen. Bereits im ersten Pilotprojekt konnte die Produktionsfehlerquote von über zehn Prozent auf unter zwei Prozent gesenkt werden, nachdem sowohl die kritischen Temperaturbereiche im Waschprozess als auch die Qualitätsunterschiede in den Gussnestern der Rohteile identifiziert wurden.

"Die Anwendung ist als unterstützendes Werkzeug für den Anwender zu verstehen, um die Ergebnisse des Algorithmus und letztlich auch Aufwand und Nutzen von Korrekturmaßnahmen zu bewerten", so der KI-Experte. Aus dem Projekt ist eine standardisierte Software entstanden, die nun als Cloud-Service angeboten wird. "Wenn wir weitere Fertigungslinien unserer Kunden analysieren wollen, ist der Sprung jetzt nicht mehr groß", erklärt Jacobsen. Das sei der logische nächste Schritt für digitalisierte Anlagen – sozusagen "das Sahnehäubchen".

Bei Künstlicher Intelligenz den Durchblick behalten!

Das ist nicht immer einfach, doch wir wollen es Ihnen leichter machen! Daher haben wir für Sie einen praktischen Überblick zu den wichtigsten Fragen erstellt: "Künstliche Intelligenz - verständlich erklärt". Damit können Sie Ihr KI-Wissen auffrischen.

Anwendungsbeispiele, Einordnungen und vieles mehr finden Sie in unserem Fokusthema KI.

2. Festo: KI-Standard-App überwacht automatisiert Zylinder

Festo hat in den vergangenen Jahren sowohl viele KI-Algorithmen in der eigenen Produktion getestet und eingesetzt, als auch über hundert Anwendungsfälle bei Kunden umgesetzt. Zuständig dafür ist eine eigene Business-Unit. Bei der Übernahme von Resolto Informatik kamen vor fünf Jahren weitere IT-Experten mit KI-Knowhow hinzu: "Ein wichtiger Sprung", sagt Eberhard Klotz, Global Sales Director Industry 4.0 and Digitalisation bei Festo.

Mittlerweile ist der Steuerungs- und Automatisierungsspezialist soweit, das gesammelte und in Algorithmen geflossene Wissen in der Breite zu skalieren – eine Herausforderung, die bisher nur wenige Unternehmen gemeistert haben. Anfang 2024 wird mit Festo AX Motion Insights Pneumatic die erste KI-Standard-App auf den Markt kommen, die für eine automatisierte Zylinderüberwachung sorgt. Sie lässt sich für Predictive Maintenance aller Zylinderfabrikate nutzen. In anderen Projekten arbeitet Festo auch für die Vorhersage der künftigen Qualität (Predictive Quality) oder des Energieverbrauchs (Predictive Energy).

Pneumatikdaten aus der Fertigungsstraße werden automatisch erfasst

Die Idee dahinter: Der Kunde kann die KI-App selbst installieren, pro Zylinder zahlt der Kunde eine kleine Jahresgebühr. Bei großen Endusern der Elektronik- oder Automobilindustrie kommen teilweise über 150.000 Zylinder weltweit zum Einsatz. Statt Einzelprojekte an den Standorten zu machen, könne die KI-App durch eine zentrale IT-Installation weltweit genutzt werden, so Klotz. Dann werden die Pneumatikdaten aus den Fertigungsstraßen automatisch erfasst, unabhängig von welchem Hersteller die Zylinder stammen.

Eberhard Klotz ist Global Sales Director Industry 4.0 and Digitalisation bei Festo.
Eberhard Klotz ist Global Sales Director Industry 4.0 and Digitalisation bei Festo. (Bild: Festo)

Voraussetzung dafür ist, dass die Zylinder mit zwei Endschaltern, also einer Sensorik vorne und hinten ausgestattet sind. Zudem muss ein Festo-Funktionsbaustein auf der SPS installierbar sein, da die App auf die Daten der SPS zurückgreift. "Mit etwas Projektaufwand lassen sich danach auch gleich weitere Werte wie die Temperatur oder Energieeffizienzthemen abdecken, etwa indem der Durchfluss gemessen wird", meint Klotz.

 

Jahrelanges Datensammeln aus digitaler Instandhaltung zahlt sich aus

Zunächst wurde die KI im internen Einsatz entwickelt. Dabei konnten in einer Werkzeugmaschine Stillstandskosten von 15.000 Euro pro Jahr vermieden werden – ausgelöst durch einen kleinen, sehr spezifischen Fehler. Bei Kunden zeigten sich in ersten Projekten vergleichbare Werte. Die Lösung dahinter kommt bereits etwa im Automobilrohbau zum Einsatz, beim Klemmen von Blechen vor dem Schweißen über Zylinder- und Kniehebelspanner. In den Algorithmus flossen über viele Jahre Informationen aus der digitalen Instandhaltung zu Stillständen und Fehlerursachen und das spezifische Pneumatik-Knowhow ein.

Im Praxiseinsatz der Zylinder-App ergaben sich bei anderen Kunden mit großen Pressen 10 bis 20 Prozent weniger Stillstand, weil Drifts in den Zylindern der Zuführsysteme rechtzeitig erkannt wurden. Die Wartung konnte entsprechend geplant durchgeführt werden, berichtet Klotz und ergänzt: "Die Einspareffekte hängen von den jeweiligen Voraussetzungen ab, zum Beispiel, wie gut gewartet wird." Im nächsten Schritt sollen weitere KI-Standard-Apps folgen, die nächste App prüft Servoantriebe von elektrischen Achsen.

Moderne und ältere Produktionsanlagen profitieren gleichermaßen von einer Optimierung auf Basis von Daten und deren Analyse mit modernsten Tools wie Künstlicher Intelligenz.
Moderne und ältere Produktionsanlagen profitieren gleichermaßen von einer Optimierung auf Basis von Daten und deren Analyse mit modernsten Tools wie Künstlicher Intelligenz. (Bild: Festo)

Festos Grundsatz: Die Daten gehören dem Kunden

Auf dem Weg hin zu dieser Stufe der KI-Anwendung gab es viele Learnings. So hatte man zwar schon früh mit dem Sammeln von Daten begonnen. Dabei orientierte man sich an den Normen für das Testen der Produkte. "Allerdings haben wir bald gesehen, dass wir damit im KI-Umfeld leider nichts anfangen konnten, weil die Daten nur stichprobenartig erfasst wurden", erinnert sich Eberhard Klotz. Seitdem werden Daten aus internen Produkttests kontinuierlich in einem Data Lake abgespeichert.

Festo setzt dabei klar auf die Politik, dass keine Kundendaten gesammelt werden, sondern die Daten dem Kunden gehören. "Damit vergibt man sich zwar ein paar Chancen, aus den Daten zu lernen. Uns war es jedoch wichtiger, Vertrauen zu gewinnen. Deshalb haben wir transparente und faire Regeln", erzählt Klotz.

Es gebe jedoch Anwendungen wie GripperAI, eine Lösung, mit der ein Roboter mittels Deep Learning unbekannte Objekte greifen und dazu sogar den geeigneten Greifer selbst wählen kann. "Diese Software wird besser, je mehr Erfahrungen einfließen. Wenn Kunden sich also weiter entwickelte Software wünschen, dann können sie mit anonymisierten Daten einen wichtigen Beitrag leisten", so Klotz. In Forschungsprojekten würden derzeit neutrale Datenmodelle entwickelt, bei denen Daten ohne den Rückschluss auf den jeweiligen Fertigungsauftrag anonymisiert in die Cloud fließen können, damit alle profitieren. Der erste Pilotkunde erprobe die aus der Forschung entstandene Lösung bereits.

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Alle Artikel zu künstlicher Intelligenz und Implementierungsmöglichkeiten in der Industrie finden Sie in unserem zugehörigen Fokusthema.

3. Trumpf: Neuronale Netze und Bilderkennung helfen beim Teile sortieren

Auch bei Trumpf wird KI-Technologie rege genutzt, etwa in den Bereichen Service, Diagnose und bei der Programmierung. Besonders exemplarisch zeigt sich das im Produkt Sorting Guide, das beim Sortieren von Blechteilen hilft, die aus der Laserschneidmaschine kommen. Auf einer Blechtafel sind viele verschiedene Teile verschachtelt, die zu unterschiedlichen Aufträgen, Kunden oder Baugruppen gehören können. Mit einer Kamera und KI-Algorithmen erkennt das System, welches Teil der Mitarbeiter greift. Auf einem großen Monitor wird der Mitarbeiter angeleitet, die Teile dem jeweiligen Auftrag zuzuordnen: Eine Aufgabe, die mit dem Sorting Guide-Assistenzsystem deutlich einfacher ist.

Hierfür nutzt Trumpf neuronale Netze, die Hand in Hand mit Bildverarbeitungs-Algorithmen arbeiten. Zunächst hatte man in der Entwicklung mit klassischer Computer Vision angefangen. Doch aufgrund der sehr unterschiedlichen Umgebungsbedingungen und Materialien war bald klar, dass KI notwendig ist. Zwar hatte das Entwicklungsteam bisher noch kein vollständiges KI-System aufgebaut, dennoch gelang die Entwicklung in relativ kurzer Zeit, berichtet Korbinian Weiß, KI-Experte bei Trumpf: "Wir konnten uns schnell einarbeiten, und erste Modelle trainieren, die den bisherigen Algorithmen deutlich überlegen waren."

Data Lake – Datenqualität ist wichtiger als die Quantität

Als Grundlage setzt das Unternehmen auf einen Data Lake als Infrastruktur, was aus Sicht von Weiß vieles vereinfacht. Doch allein das Sammeln von Daten sei nicht zielführend, sagt der Experte: "Wir setzen konsequent um, dass Datenqualität viel wichtiger ist als Datenquantität." Während für den Sorting Guide die Daten noch auf Festplatten verfügbar gemacht wurden, habe sich mittlerweile bei der Infrastruktur und Tools sehr viel getan.

Korbinian Weiß ist KI-Experte bei Trumpf.
Korbinian Weiß ist KI-Experte bei Trumpf. (Bild: Trumpf)

"Heute sind wir in der Lage, große Datenmengen für unsere KI-Systeme bereitzustellen und mit modernsten Werkzeugen die Entwicklung von KI-Modellen voranzutreiben", sagt Weiß. In der nächsten Stufe will Trumpf jetzt sein Geschäftsmodell Pay per Part um KI-Funktionalitäten erweitern. Hier können Kunden den Laservollautomat TruLaser Center 7030 im Sinne eines Equipment-as-a-Service-Modells nutzen. Hier helfen KI-Technologien künftig, Mitarbeiter:innen bei der Fehlerbehebung zu unterstützen.

Das Unternehmen arbeitet zudem mit Large Language Models wie ChatGPT. "Das ist ein Riesenthema und die Möglichkeiten sind wirklich beeindruckend", fasst es Weiß zusammen. Im Wissensmanagement sei es damit perspektivisch leichter, Dokumente und Anleitungen hürdenfrei zugänglich zu machen – und etwa einem Servicetechniker direkt die passende Anleitung zu einer Fehlermeldung anzuzeigen.

Bearbeitet von Julia Dusold

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