Eine Mitarbeiterin überwacht den Maschinenzustand in der Fertigung per Tablet

Eine Mitarbeiterin von Schaeffler überwacht den Maschinenzustand in der Fertigung per Tablet. (Bild: Schaeffler)

„Computer Vision für die Qualitätskontrolle ist derzeit in der Industrie das KI-Thema Nummer eins“, sagt Prof. Marco Huber, Leiter des Zentrums Cyber Cognitive Intelligence CCI und Abteilungsleiter Bild- und Signalverarbeitung beim Fraunhofer IPA. So entfielen im Rahmen des CCI und des KI-Fortschrittszentrums in Baden-Württemberg 60 Prozent der Unternehmensbewerbungen auf geförderte Projekte zum Thema Bildverarbeitung.

Gleichzeitig beschäftigen sich die Unternehmen auch mit anderen KI-Themen wie natürlich-sprachlicher Datenverarbeitung und Sprachassistenzsystemen. 20 Prozent der Projektbewerbungen betrafen Robotik und Automatisierungstechnik. „Roboter sind oft ‚blind‘ und ‚dumm‘, davon will man wegkommen. Der ‚Griff in die Kiste‘, bei dem autonom das richtige Teil gegriffen wird, ist eine der häufigsten Anwendungen“, berichtet Huber, der auch das genannte KI-Fortschrittszentrum leitet. Dabei geht es darum, zu „wissen“ wo und wie ein Bauteil autonom gegriffen werden muss. Vor allem lasse sich damit viel schweres Heben und nicht ergonomische Positionen für den Menschen vermeiden.

Zwar sind die Chancen von Künstlicher Intelligenz und Deep Learning groß. Dennoch bleiben viele KI-Projekte im Proof of Concept stecken: Eine Lösung produktiv einzusetzen, ist eben etwas ganz anderes, als mal mit einem Datensatz zu experimentieren. Auch damit, KI in die Breite zu bringen, über ein einzelnes Anwendungsszenario mit einem bestimmten Maschinentyp hinaus, tun sich Unternehmen oft schwer. Hardwareanbieter wie Intel oder Kontron versuchen zunehmend, dieses Problem mit Plattformen anzugehen, die den Einsatz über mehrere Maschinenarten und Szenarien erleichtern.

Roboterarme, die in zwei Kisten greifen
Im KI-Fortschrittszentrum geht es darum, zu „wissen“ wo und wie ein Bauteil autonom gegriffen werden muss. (Bild: Fraunhofer IPA)
Marco Huber
Prof. Marco Huber ist Leiter des Zentrums Cyber Cognitive Intelligence CCI beim Fraunhofer IPA. (Bild: Fraunhofer IPA)

„Viele Unternehmen starten mit einem Proof of Concept (PoC) und dann bricht es ab“, bestätigt auch Marco Huber. Das könnte vor allem an der Datenthematik liegen. Während für einen PoC oft nur mit einem Datenset gearbeitet werde, müsse man beim Produktiveinsatz kontinuierlich Daten ziehen, die sich jedoch immer weiter verändern. „Es braucht dann eine Infrastruktur, um sicherzustellen, dass das Modell mit den Veränderungen klarkommt und entsprechend nachtrainiert wird“, erklärt der KI-Experte.

Viele Projekte scheiterten auch wegen falscher Erwartungen. Um individuell die richtigen Use Cases auszuwählen, empfiehlt Huber, auf externe Beratung zu setzen. Auch das Fraunhofer IPA bietet beispielsweise AI-Explorer-Workshops an.

Schaeffler: Datenstrategie zahlt sich aus

Um wirklich von KI zu profitieren, ist viel Vorarbeit bei den Daten notwendig. Automobilzulieferer Schaeffler nutzt Technologien wie KI und Machine Learning bereits in ihrer ganzen Breite. „Für uns ist eine durchgängige Datenerhebung essenziell und ein wichtiger Teil unserer Digitalisierungsstrategie. Dafür gilt es in unseren 75 Produktionswerken die Core Assets wie Maschinen und Anlagen zu konnektieren und Daten zu erheben, um Optimierungen zum Beispiel durch Algorithmen zu ermöglichen“, berichtet Roberto Henkel, Leiter Digitalisierung und Operations IT bei Schaeffler.

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KI bei Schaeffler: Wo die Technik am intensivsten genutzt wird

Roberto Henkel, Leiter Digitalisierung und Operations IT bei Schaeffler.
Roberto Henkel ist der Leiter Digitalisierung und Operations IT bei Schaeffler. (Bild: Schaeffler)

In den vergangenen Jahren habe man dafür mit der Schaeffler Data Platform ein digitales Ökosystem aufgebaut. Die Daten aus der Produktion werden normiert und auf der Plattform zur Verfügung gestellt, um darauf Analysen mit einem standardisierten Toolset machen oder KI-Algorithmen entwickeln zu können. Ein strategischer Partner dafür ist Microsoft mit seiner Azure-Plattform. „In einigen Fällen arbeiten wir auch mit weiteren Partnern zusammen. In der Breite sind wir mit einer dreistelligen Zahl von Datenspezialisten aber selbst in der Lage, KI-Lösungen zu entwickeln“, stellt Roberto Henkel fest.

Innerhalb der Produktion sei der Einsatz am intensivsten, man beziehe KI unter anderem sehr stark in die Prozessanalyse ein, um einzelne Fertigungsprozesse zu optimieren – beispielsweise beim Schleifen von Bauteilen, bei der Wärmebehandlung oder beim Umformen. „Liegen repräsentative Daten für den Prozess vor, werden Abhängigkeiten unterschiedlicher Prozessparameter und Kenngrößen auf das Prozessergebnis definiert und über KI-Algorithmen optimiert“, so der Digitalisierungsverantwortliche.

Bis zu 25 Prozent höherer Output

Ein weiteres Beispiel für die Anwendung von KI ist die visuelle Qualitätskontrolle. „Bisher sind manuelle Sichtkontrollen im Qualitätsprozess verbreitet. Durch KI lassen sich heute Bilder und Charakteristika jedoch schneller und besser auswerten, als es einem Menschen möglich ist. Das gilt zum Beispiel für fehlerhafte Bauteile, Abweichungen in der Geometrie oder Oberflächenbeschaffenheit“, sagt Roberto Henkel.

Auch in das wohl bekannteste KI-Feld sind die Schaeffler-Experten eingestiegen: Predictive und Preventive Maintenance. In der präventiven Instandhaltung sorgt die Sensorik dafür, Anlagenzustände zu detektieren und so zum Beispiel durch eine Kombination von Sensordaten, Prozesskennzahlen und Prädiktion zum Beispiel Maschinenschäden oder Ausfälle frühzeitig zu erkennen.

Dass sich die ganze Mühe lohnt, zeigen die Ergebnisse. „Durch datengetriebene Prozessoptimierung konnten wir in vielen Fällen den Output um zwischen zehn und 25 Prozent steigern – das sind realistische Zahlen für viele Use Cases“, konstatiert Henkel. Mit KI oder auch nur komplexerer Algorithmik konnte zudem die Anlagenverfügbarkeit (OEE) entlang einer Prozesskette um fünf bis zehn Prozent gesteigert werden.

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KI in der Industrie: Es gibt viele Herausforderungen

Doch es gibt viele Herausforderungen. Eine grundsätzliche Frage ist laut Henkel, auf welcher Ebene die Datenbeschaffung und -verarbeitung stattfinden muss. Der „Cloud first“-Ansatz gilt grundsätzlich auch für die Anwendungen in der Produktion, ist dort jedoch nicht in allen Fällen realisierbar.

Eigentlich ist das Ziel, den Algorithmus so dezentral wie möglich zu handhaben. „Je näher wir an die Anlage kommen, desto kostenintensiver wird es, vor allem, wenn Daten  echtzeitnah verarbeitet werden müssen“, fasst Roberto Henkel zusammen. Wichtig für eine konsequente Entwicklung im KI-Umfeld und die spätere Nutzung im Fabrikumfeld seien durchgängige Tool Chains und die Nutzung von standardisierten Frameworks und Hardware.

Engel Austria: Eigene KI-Expertise wird zum Produkt

Der Spritzgussmaschinen-Hersteller Engel Austria hat sich in seiner Produktion intensiv mit KI-Datenanalytik auseinandergesetzt. Die gemeinsam mit dem langjährigen IT-Partner Uni Software plus entstandene Lösung entwickelte man dann zu einem eigenständigen Produkt weiter und gründete als gemeinsames Joint Venture die Daim GmbH. „Wenn KI in der Fertigung zum Einsatz kommen soll, dann muss die Lösung nicht nur für ganz unterschiedliche Unternehmen – von kleinen Lohnfertigern bis zu großen Zulieferern – mit ihrem jeweiligen Reifegrad einsetzbar, sondern auch besonders einfach anzuwenden sein“, sagt Michael Aichinger, Geschäftsführer von Daim.

Michael Aichinger, Geschäftsführer von Daim
Michael Aichinger ist der Geschäftsführer von Daim. (Bild: Daim)

Entscheidend sei auch, aus den riesigen Datenvolumen, die Maschinen und Anlagen produzieren, die wirklich relevanten Parameter herauszufiltern. „Die Ideen zu digitalen Services müssen zudem darauf geprüft werden, ob sie wirklich rentabel sind und die Cloud-Kosten nicht den Profit übersteigen: Nicht jedes Konzept funktioniert, für die Einschätzung ist entsprechende Expertise nötig“, meint Aichinger auch.

Die offen konzipierte Daim Edge Computing Plattform besteht aus einer in der Cloud-Infrastruktur der Kunden angesiedelten Managementplattform und einem Edge Device-Betriebssystem, das auf einem industrietauglichen Box-PC läuft. Das System sorgt für die zentrale Geräteverwaltung von Edge Devices und verbundenen Maschinen. Grundlage ist eine flexible Microservice-Architektur auf Docker-Container-Technologie und einer Linux-Distribution. Damit werden sowohl Zustandsüberwachung, remote Software-Updates als auch die Datenlogistik am Edge ermöglicht. Eigenes KI-Wissen ist nicht erforderlich.

Live-Qualitätsüberwachung und bessere Planung

Ein Beispiel für den Einsatz der Plattform ist beispielsweise der iQ Process Observer von Engel selbst. Das KI-basierte System dient der automatischen Überwachung der Produktionsprozess-Stabilität und darauf aufbauend der Produktqualität, es läuft als Anwendung auf einem Edge Device beim Kunden vor Ort.

Zudem wird die Plattform bereits in der Textilmaschinenherstellung eingesetzt. So können Maschinenbetreiber beispielsweise online Strickmuster über das Edge Device einspielen und diese direkt einschließlich einer Live-Qualitätsüberwachung produzieren. Wichtig war dem Anbieter eine Security-by-Design-Lösung ohne Vendor lock-in.

Viele KI-Optimierungsmöglichkeiten liegen noch brach. „In der Produktionsplanung, der Auftrags- und Personalplanung liegt noch großes Potenzial: Optimierungs- und Planungsthemen und mittel- bis langfristige Planungshorizonte sind prädestiniert für KI-Algorithmen“, so Fraunhofer-Experte Huber.

Die intelligenten Lösungen können dabei helfen, eine bessere Termintreue oder Maschinenauslastung zu erreichen, indem sie ermitteln, welcher Kundenauftrag zu welchem Zeitpunkt auf welcher Produktionsanlage laufen sollte. „Mit den klassischen mathematischen Optimierungsmethoden kommt man hier langsam an Grenzen, weil die Probleme sehr komplex sind und die Annäherung nur approximativ möglich ist.

Diese Algorithmen sind nicht mit der heutigen Welt kompatibel, in der wir mehr Volatilität, kundenbezogene Individualisierung und Einflüsse in der Produktion sehen“, erklärt der KI-Experte. Die Algorithmen aus dem Reinforcement Learning seien besser geeignet, weil sie intrinsisch mit Unsicherheit umgehen.

Enge Zusammenarbeit mit den Fertigungsexperten nötig

Eines der wohl wichtigsten Erfolgsrezepte für KI in der Praxis ist die Einbindung von Domänenwissen. „Wir bringen unsere Datenspezialisten direkt mit den Business-Experten zusammen, damit sich beide Expertisen optimal ergänzen. Oft lohnt es auch, dezentrale Teams nah am Business, also in meinem Fall im Produktionsumfeld, zu etablieren“, sagt der Digitalisierungsverantwortliche aus Erfahrung.

Über die vergangenen Jahre wurden beim Thema datengetriebene Analytik verschiedene Phasen durchlaufen. Heute habe man ein föderales Modell für die Digitalisierung- und IT-Einheiten etabliert. Als größte Herausforderung sieht Henkel die konsistente und qualitativ hochwertige Datenbeschaffung an der Maschine entlang von Prozessketten. Stimmt die Datenqualität nicht, ergeben sich auf Basis von fehlerhaften Daten oft falsche Zusammenhänge und Schlussfolgerungen.

Trotz allem sieht der Schaeffler-Experte für die Anwendung von KI noch großes Potential: „Wir sind jetzt an dem Punkt, im Kontext von Produktion und Supply Chain digitale Lösungen stärker skalieren zu können. Gleichzeitig erschließen wir neue Themenfelder wie Forecasting von Kunden- und Materialbedarf oder Optimierungsmöglichkeiten in indirekten Prozessen wie Einkauf und HR“.

Ob sich KI in der Fertigung durchsetzen wird, sei derzeit schwer einzuschätzen, meint Huber. Ein Treiber könnte noch das Thema Ressourceneffizienz werden. „KI kann bei der Ausschussreduzierung helfen, zum Beispiel indem ein Material bestmöglich geschnitten wird, um Verschnitt zu vermeiden. Auch die Reduzierung von Leckagen oder Druckluftverlust, für die viel Energie aufgewendet wird, ist erreichbar“, sagt Marco Huber.

(Bearbeitet von Anja Ringel.)

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