Piece Picking Applikation von Roboterzellen

SSI Schäfer bietet eine standardisierte Piece Picking Applikation, die branchenübergreifend bei typischen Kommissionieraufgaben eingesetzt werden kann. - (Bild: SSI Schäfer)

Moderne Robotics-Applikationen sind ein fester Bestandteil moderner Logistik 4.0-Lösungen. Denn Markttrends wie Omnichannel-Distribution, Losgröße 1, immer kürzere Auftragsdurchlaufzeiten und Lieferzyklen sowie die Handhabung einer ständig größer werdenden Sortimentsvielfalt stellen hohe Anforderungen an die Intralogistik. Für die Kommissionierung bedeutet das eine Veränderung vom case-basierten Picking hin zur Einzelstückkommissionierung.

Piece Picking Applikation: Mehr als 800 Stück pro Stunde

"Wir bieten eine Piece Picking Applikation mit dem Fokus auf Kleinteilen an. Dabei geht es um Medikamentverpackungen aus Karton oder Kunststoffflaschen, wie sie im Bereich Healthcare & Cosmetics vorkommen. Das besondere an der Lösung ist, dass wir eine Leistung von 800 bis 1.000 Stück pro Stunde anpeilen, was jetzt im Wettbewerb so nicht erreicht wird. Eine Pilotanlage haben wir bei einem Pharma-Konzern bereits realisiert. Besonders hervorzuheben ist bei dieser Lösung, dass wir alle Teile per Barcode identifizieren können", sagt Markus Jammernegg, Product Technology Cluster Manager Robotics bei SSI Schäfer.

Markus Jammernegg, SSI Schäfer
(Bild: SSI Schäfer)

"Wir haben eine Roboter-Arbeitszelle hinzugefügt, die die Last einer Person an einem Kommissionierarbeitsplatz übernimmt. Dabei haben wir die Integration des Roboters so optimal gewählt, dass der Pickvorgang eben auch für den Roboter 'ergonomisch' ist", sagt Markus Jammernegg, Product Technology Cluster Manager Robotics bei SSI Schäfer.

Kommissionieren: Kombination von Mensch und Maschine

Für diese Aufgabenstellungen bietet - nicht nur - SSI Schäfer standardisierte Piece Picking Applikationen und kombiniert Robotik mit verschiedensten Fördersystemen zu intelligenten Gesamtsystemen. Die von SSI Schäfer und dem Roboterspezialisten FPT gemeinsam entwickelte Applikation ermöglicht eine effiziente Einzelstückkommissionierung. Die Piece Pick Roboter sind nahtlos in bestehende logistische Gesamtsysteme integrierbar.

Ausgangslage vor dem Pilotprojekt

Bei dem Pharma-Konzern habe SSI Schäfer auf Basis einer bestehenden Anlage begonnen, wo zuvor nur manuelle Kommissionierarbeitsplätze vorhanden waren. "Wir haben eine Roboter-Arbeitszelle hinzugefügt, die die Last einer Person an einem Kommissionierarbeitsplatz übernimmt", sagt Jammernegg.

Dabei habe SSI Schäfer die Integration des Roboters so optimal gewählt, dass der Pickvorgang eben auch für den Roboter 'ergonomisch' sei.

"Denn auch der Roboter hat ja wie der Mensch eine gewisse Ergonomie, Reichweite und seine technischen Eigenschaften. Die Bewegung eines Knickarm-Roboters wird langsamer, wenn ich nur eine Achse bewegen muss, um zum Zielpunkt zu kommen. Wenn genau so etwas in einer Anwendung vermieden wird – und das haben wir getan – dann ist das Ergebnis am Ende optimal, so dass der Roboter am schnellsten den Weg von A nach B fährt", erläutert Jammernegg.

6-Achs-Roboter bei der High-Speed-Kommissionierung
Mit 6-Achs-Robotern und der passenden Software Wamas erreicht SSI Schäfer eine High Speed-Einzelkommissionierung. - (Bild: SSI Schäfer)

Was macht der Wettbewerb?

Doch auch der Wettbewerb scheint nicht zu schlafen wie Werner Kraus, Abteilungsleiter Roboter- und Assistenzsysteme, Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA berichtet: "Die US-Firma RightHand Robotics behauptet, schon 1.000 Picks pro Stunde für ähnliche Artikel zu erreichen. Allerdings ist da keine Lösung zur Identifizierung enthalten."

Knapp habe mal behauptet, 1.200 Picks pro Stunde zu erreichen. Sileane Robotique spreche von 1.000 Picks und SSI Schäfer mit einer Delta-Kinematik sogar 2.400 – natürlich nicht aus dem vollen Chaos heraus. "Bei Knapp und Sileane kommen 6-Achs-Roboter zum Einsatz", so Kraus weiter.

Es gebe aber auch Lösungen von SwissLog und Bastian Solutions, die im Bereich zwischen 600 beziehungsweise 400 Picks pro Stunde lägen. "In der Regel werden Vakuum-Greifer verwendet, die Beschleunigungskräfte sind da die limitierende Größe", ergänzt Kraus.

Intralogistik heute: Zehntausende verschiedene Artikel

"In der Logistik gibt es die Herausforderung, dass die Variantenvielfalt sehr hoch ist und der Betreiber des Lagers in der Regel nicht die Macht über das Produktdesign hat. So hatte man beispielsweise bei Würth vor 20 Jahren sechs unterschiedliche Kartongrößen, die ein Palettierroboter greifen muss – also in etwa klein, mittel, groß. Das war vergleichsweise einfach. Wenn man heute nicht nur fertige Kartons sondern auch deren Inhalte automatisiert handhaben möchte, hat man es mit Zehntausenden verschiedenen Artikeln zu tun", sagt Werner Kraus.

"In der Logistik gibt es die Herausforderung, dass die Variantenvielfalt sehr hoch ist und der Betreiber des Lagers in der Regel nicht die Macht über das Produktdesign hat. So hatte man beispielsweise bei Würth vor 20 Jahren sechs unterschiedliche Kartongrößen, die ein Palettierroboter greifen muss – also in etwa klein, mittel, groß. Das war vergleichsweise einfach. Wenn man heute nicht nur fertige Kartons sondern auch deren Inhalte automatisiert handhaben möchte, hat man es mit Zehntausenden verschiedenen Artikeln zu tun", sagt Werner Kraus, Abteilungsleiter Roboter- und Assistenzsysteme, Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. - Bild: Fraunhofer IPA

2.400 Picks pro Stunde! Mit welchem System?

Inwieweit SSI Schäfer auch schon 2.400 Picks pro Stunde erreicht haben soll, erklärt Jammernegg: "Es ist grundsätzlich richtig, dass wir auch schon Leistungen von 2.400 Picks pro Stunde abbilden konnten. Allerdings waren die Anforderungen sehr spezifisch. Bezüglich der Auftragsstruktur ging es um 'Picken im Durchlauf', die Lagerung war 'geordnet in sehr flachen Behältern' und das Produktspektrums lediglich 'klein und leicht' und so weiter. Deshalb konnte das Konzept nur einen sehr schmalen Bereich abdecken und wir haben es daher nicht weiter verfolgt."

Automatisches System macht das Kommissionieren schneller

Mit dem aktuellen System decke SSI Schäfer Standard-Lagerbehälter bis zu einer Höhe von 320 Millimeter ab. "Diesen Hub kann ein Deltaroboter nicht abdecken, weshalb wir nun mit einem 6-Achs-Roboter arbeiten", verdeutlicht Jammernegg. Das Produktspektrum sei dadurch deutlich größer, weil keine so extremen Beschleunigungen beziehungsweise Geschwindigkeiten erreicht würden, wodurch auch größere und schwerere Produkt kommissionierbar seien.

"Die inzwischen oft geforderte Verifikation im Zuge des Picks - also die Barcodelesung - war damit natürlich auch nicht abgedeckt, ist jetzt aber optional möglich", weist Jammernegg auf einen weiteren Vorteil hin.

Autonomes Handling ermöglicht dem Bediener mehr Zeit für andere Arbeit

Jammernegg wagt auch schon einen Blick nach vorne: "Der nächste Schritt in einer neuen Anlage ist - die natürlich nicht nur Roboter beinhaltet, sondern auch Lagersystemtechnik, Fördertechnik, Shuttles und dergleichen - wiederum den menschlichen Kommissionierer zu unterstützen, aber nicht komplett zu ersetzen."

In diesem System bliebe für den Menschen mehr Zeit für andere, höherwertige Aufgaben. Doch auch heute brauche es noch manuelle, menschliche Prozesse. "Zwei Drittel der Arbeiten können über Roboter und ein Drittel über den Menschen kommissioniert werden. Denn es gibt immer wieder Produkte, bei denen ein Roboter an seine Grenzen kommt", stellt Jammernegg klar.

Software ermöglicht schnelles, automatisches Kommissionieren

Zentrales Element zur Steuerung der Roboter ist bei SSI Schäfer der sogenannte Robot Material Flow Controller (RMC), der die 3D-Vision-Daten verarbeitet und auf dieser Basis die Bewegungen der Roboter vorgibt. Durch den modularen Aufbau der Logistiksoftware Wamas können individuell angepasste Lösungen realisiert werden.

Einschränkungen gebe es durch die Traglast, da liege das maximale Gewicht aktuell bei 500 Gramm. "Lasten von 20 oder 50 Gramm kann der Roboter mit Maximalgeschwindigkeit handeln, 300 oder 400 Gramm werden geschwindigkeitsreduziert gehandelt, weil die Gefahr zu groß ist, dass der Roboterarm etwas verliert", schränkt Jammernegg ein.

SSI Schäfer liefere übrigens in einem Neubau die komplette Intralogistik von Fördertechnik über Shuttlesystem, A-Frames - also Schachtautomaten - sowie die Software.

SSI Schäfer als Roboterhersteller?

"Wir sind kein Roboterhersteller. Deswegen arbeiten wir in diesem Bereich mit zwei Partnerunternehmen zusammen. Das ist zum einen die Firma FPT Robotik in Amtzell, mit der wir bereits seit über zehn Jahren hinsichtlich der Knickarm-Roboter kooperieren. In partnerschaftlicher Zusammenarbeit haben wir gemeinsam beispielsweise die hochdynamische Piece Picking Applikation entwickelt", sagt Markus Jammernegg.

Außerdem erwarb SSI Schäfer im Jahr 2016 die Mehrheitsanteile an der RO-BER Industrieroboter GmbH und stärkte damit seine Kompetenzen im Bereich Portalrobotersysteme mit Schwerpunkt De- und Palettierung, sowie Kommissionierung und Sequenzierung.

Beschränkungen für den Einsatz von Robotern im Lager

Doch welche Beschränkungen gibt es eigentlich für den Einsatz von Robotern im Lager? Dazu sagt Kraus: "Die ganzen heutigen Lager sind für die Arbeitsabläufe von Menschen optimiert – und eben nicht für den Roboter. Das behindert momentan noch viele Applikationen." Versuchten Unternehmen Roboter im Brownfield zu integrieren, dann stelle sich heraus, dass dies nicht funktioniere beziehungsweise Roboter in das Layout einfach nicht hineinpassten.

"Vergleicht man dies mit Automotive, dann haben sowohl die OEM als auch die Zulieferer unheimlich viel Energie in ‚design for automation‘ gesteckt. Denn da sind die Produktdesigns so verändert worden, dass sie mit einem Roboter gut handhabbar sind und die Produkte auch sauber zu erkennen sind. Die Automotive-Branche hat somit aus Sicht der Güter, wie sie gehandhabt werden sollen, alle Voraussetzungen geschaffen", ergänzt Kraus.

Andere Begebenheiten in Materialfluss und Logistik

In der Logistik sei das nicht der Fall, denn viele der Objekte würden auch weggeschmissen und eine Verpackung sei so günstig gemacht, wie es nur geht. "Das stellt Roboter natürlich vor Hürden - und sei es lediglich, die Umlauffolien einer Palette zu entfernen, womit sich ein Roboter relativ schwertut", verdeutlicht Kraus und nennt ein weiteres Beispiel: "Beim Inbound habe ich mit Gitterboxen zu tun, in die der Zulieferer zuvor willkürlich Artikel hineingestopft hat, aber eben nicht nach einem geregelten Muster. Auch das ist für Roboter enorm schwierig."

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