Neue Ansätze von Greifern basieren auf Flexibilität – auch dank Künstlicher Intelligenz. Komplexe mechatronische Greifer haben gegen adaptive das Nachsehen.
Viele Roboter sind auf Greifaufgaben spezialisiert. Doch von den Greifern, die heute im Einsatz sind, sind nur wenige flexibel. Dazu Werner Kraus, Leiter der Abteilung Roboter- und Assistenzsysteme vom Fraunhofer IPA aus Stuttgart: „Die ganze Greiftechnik ist im Moment sehr fragmentiert. Anhand einer Studie haben wir festgestellt, dass es über 100 Unternehmen gibt, auch die Patentlandschaft ist unglaublich groß. Es gibt praktisch beliebig viele Greifprinzipien und trotz Industrie 4.0 ist der Greifer immer noch ein ‚bottle neck‘, da er werkstückspezifisch ausgewählt beziehungsweise ausgelegt werden muss.“
Audi erprobt das Werkzeug von Festo
Seit Neuestem gibt es aber nun doch Greifer, die deutlich flexibler sind. Solch einen Greifer erprobt Audi in Ingolstadt: den FlexShapeGripper der Firma Festo, der mittlerweile auch als fertiges Produkt käuflich zu erwerben ist. Er kann Objekte greifen, halten, einem Mitarbeiter anreichen oder in einen Werkstückträger einbringen. Dazu erläutert Thomas Schraml, Fachexperte in der Technologieentwicklung Fertigungsassistenzsysteme bei Audi: „Wir haben den Greifer erstmals vor circa drei Jahren erprobt, eine weiterentwickelte Variante dann vor rund einem Jahr. Dabei hat sich gezeigt, dass im sogenannten Flex ShapeGripper ein gewisses Zukunftspotenzial steckt.
Sprungmarken zu den einzelnen Textabschnitten
- Automation auch in der Großserienproduktion
- Mehr Möglichkeiten durch flexibles Greifen
- Griff ermöglicht Handhabung individueller Werkstücke
- Auf der Suche nach dem Universalgreifer
- Funktion des Greifsystems erfolgt durch Saugnapf
- Automatisierung: Aufwälzgreifer als Innovation
- Weitere Entwicklung benötigt KI und Machine Learning
- Maschine ist kein Ersatz für menschliche Hand
- Robotik: Automatisierte Produktion an der Grenze der Physik
Automation auch in der Großserienproduktion
Ein Einsatz in der Großserienproduktion bei Audi ist prinzipiell denkbar, sofern wir dort einen geeigneten Anwendungsfall identifizieren, bei dem die Vorteile des Greifers zur Geltung kommen.“ Dabei verforme sich eine elastische Kappe unter dem Einfluss von Druckluft und Federkraft. Sie stülpe sich über das Objekt, das es zu greifen gelte, und schließe es fest ein.
Der außergewöhnliche Greifer könne daher Objekte mit völlig unterschiedlichen Formen greifen, sammeln und wieder abgeben, ohne dass ein manueller Umbau notwendig sei. Die Silikonkappe des Adaptiven Formgreifers DHEF stülpe sich über fast jedes beliebig geformte Greifobjekt. Dadurch entstehe ein fester Formschluss. Das elastische Silikon passe sich präzise an viele unterschiedliche Geometrien an.
In Kombination mit einem pneumatischen Antrieb greife der Adaptive Formgreifer energiearm und sicher. Somit werde der Greifer zur praktischen Automatisierungskomponente. Die Sensornut für Standardsensoren zur Positionsabfrage sowie der Bajonettverschluss zum einfachen Austausch der Kappe trügen ihren Teil dazu bei.
Formhand Greifer greift Bauteile aus der Automobilindustrie
Mehr Möglichkeiten durch flexibles Greifen
Produktmanagerin Stefanie Seiler von Festo ergänzt dazu: „Zukünftig kann der Adaptive Formgreifer überall dort eingesetzt werden, wo mehrere Gegenstände gleichzeitig oder Objekte mit unterschiedlichen Formen gehandhabt werden müssen.“
Das umfasse mehr Bereiche als die Automobilindustrie, zum Beispiel das Handling von Kleinteilen im klassischen Maschinenbau, Zuführeinheiten für Verpackungsanlagen, Greifen von Obst und Gemüse in der Lebensmittelindustrie, Servicerobotik bei Montageaufgaben oder Prothesenergänzungen in der Medizintechnik.
Griff ermöglicht Handhabung individueller Werkstücke
Bei Audi beschäftigt sich die Abteilung ‚Technologieentwicklung Fertigungsassistenzsysteme‘ mit neuen Produktionstechnologien, die die Mitarbeiter im Arbeitsprozess unterstützen. In einem Technikum außerhalb des Werksgeländes treibt das Team derzeit Kernthemen wie die Zusammenarbeit von Mensch und Roboter, die Unterstützung der Mitarbeiter in der Montage, neuartige Leichtbauroboter sowie neue Sensorik und Anzeigekonzepte voran.
„Mit dem Adaptiven Formgreifer von Festo erprobt das Audi-Technikum das Handling von Bauteilen mit freien Formen und runden Geometrien. Aufgrund seiner Flexibilität und dem Wegfall von scharfen Kanten eignet er sich unter anderem für den Einsatz bei empfindlichen Objekten wie Luftdüsen und Applikationsleisten. Außerdem kann der Greifer in einem Bewegungsgang mehrere Teile, wie zum Beispiel Muttern aus einer Schale aufnehmen.“
Auf der Suche nach dem Universalgreifer
Hat sich somit nun endlich die Problematik nach einem wirklich flexiblen Greifer in Wohlgefallen aufgelöst? Offensichtlich nicht so ganz, wenn mann den Ausführungen von IPA-Mann Kraus folgt: „Wir sind immer noch auf der Suche nach dem Universalgreifer – dafür ist der FlexShapeGripper von Festo ein gutes Beispiel, da er sich Konturen anpasst und soft ist. Einen ähnlichen Greifer finden wir auch bei dem Start-up Formhand, der ähnlich funktioniert.“
Funktion des Greifsystems erfolgt durch Saugnapf
In diesem Fall handele es sich auch um einen Saugnapf, der sich Konturen anpasse wie zum Beispiel Blechteilen aus dem Karosseriebau – ähnlich einem Kaffeesatzgreifer. Dort seien Kugeln verbaut und es werde ein Vakuum erzeugt, wodurch sich der Greifer der Form anpasse und so auch sehr flexible Konturen greifen könne.
Kraus weiter: „Der große Vorteil dabei: Ein komplexes mechatronisches System kann durch solch einen Greifer ersetzt werden. Somit komme ich mit den Systemen von Festo oder Formhand weg von sehr komplizierten mechatronischen Systemen hin zu sehr einfachen Greifern, die auch eine hohe Werkstückvielfalt greifen können.“
"Trotz Industrie 4.0 und Künstlicher Intelligenz ist die größte Hürde nach wie vor der fehlende Universalgreifer", sagt Werner Kraus, Leiter der Abteilung Roboter- und Assistenzsysteme, Fraunhofer IPA Stuttgart. - Bild: Fraunhofer IPA
Automatisierung: Aufwälzgreifer als Innovation
Ein weiterer Fokus liege auf der Hardwareentwicklung, „da haben wir auch eine Ausgründung, die Premium Robotics heißt, die den Aufwälzgreifer im Mittelpunkt hat“, fügt Kraus hinzu. Dabei handele es sich um einen Greifer für Warehouse-Anwendungen. Er könne das gesamte Artikelspektrum eines Supermarktes handhaben.
Das geht folgendermaßen, wie Kraus erklärt: „Der Aufwälzgreifer fährt mit einer Walze gegen das Objekt, hebt es an und zieht es dann auf ein Förderband. So kann er auch offene Gebinde wie einen Karton mit Joghurtbechern komplett greifen, während ein Vakuumgreifer ja nur von oben die Becher ohne den Karton greifen könnte.“
Weitere Entwicklung benötigt KI und Machine Learning
Demnach sind beim Thema ‚flexibler Greifer‘ deutliche Fortschritte erkennbar – dennoch ist noch Luft nach oben. Inwieweit Künstliche Intelligenz eine Lösung sein könnte, beschreibt Kraus: „Wir arbeiten daran, mithilfe von KI und Machine Learning aus einfachen Greifern mehr rauszuholen. Da wird 2D/3D-Erkennung mittels Kameras in Kombination mit datengetriebenen Verfahren wie Reinforcement Learning genutzt, um mit einem einfachen Zwei-Finger-Greifer komplexe oder für den Roboter unbekannte Bauteile zu greifen.“
Maschine ist kein Ersatz für menschliche Hand
Das hört sich gut an – also alles eitel Sonnenschein? Mitnichten, gibt Kraus zu erkennen, denn „trotz Industrie 4.0 und KI ist die größte Hürde nach wie vor der fehlende Universalgreifer. Es gibt schlichtweg kein Pendant zur menschlichen Hand, das einerseits technisch gut und auch noch wirtschaftlich ist. Man kann für eine Fünf-Finger-Roboterhand 50 000 Euro ausgeben. Für 5 000 Euro kämen wir da vielleicht ins Geschäft.“
Robotik: Automatisierte Produktion an der Grenze der Physik
Laut Kraus seien wir jetzt auch an der Grenze der Physik angelangt. Denn ein Greifer müsse in der Größenordnung von mehreren zehn Millionen Zyklen durchhalten. „Da ist die Dauerfestigkeit entscheidend. Einen Greifer zu bauen, der so flexibel ist wie die menschliche Hand und der zehn bis 20 Jahre im 24/7-Betrieb hält – das ist tatsächlich für die Mechanik die größte Hürde“, stellt Kraus abschließend klar.