IDDA.Seal Applikation zum Abdichten des Leuchtentopfs

Bei IDDA.Seal werden einzelne PVC-Tropfen auf die abzudichtenden Bauteile aufgetragen. Das spart händische Nacharbeit und Material. - (Bild: Atlas Copco)

Die Nahtabdichtung bei Karosserien ist besonders wichtig, um Korrosion zu vermeiden. Aber auch für die Optik des Fahrzeugs ist die Dichtmasse auf den Nähten relevant, zum Beispiel an Dachkanten, Türen oder Heckklappen. Besonders bei modernen Fahrzeugen, die komplexe Geometrien mit vielen Ecken, Kanten und Rundungen haben, ist das Auftragen der Dichtmasse auf die Schweißnähte nicht immer einfach.

"In der Regel hatte unsere Branche die Anwendungen mit konventioneller Technik gut im Griff", erläutert Olaf Leonhardt, Geschäftsführer von Atlas Copco IAS. "Aber durch immer komplexere Geometrien sind in den letzten Jahren ganz neue Herausforderungen aufgetaucht."

 

Was sind die Herausforderungen beim Nahtabdichten?

Die große Herausforderung in der Nahtabdichtung ist es, die Karosserie-Dichtmasse mit der nötigen Qualität und Produktivität aufzutragen. Gido Hoppe, Planung lackierte Karosserie bei Audi in Ingolstadt, sieht die Herausforderungen vor allem darin, die PVC-Dichtmasse automatisiert so aufzutragen, dass keine Nacharbeit mehr notwendig ist und die Abdichtung so unauffällig wie möglich ist: "Alles, was ich von außen sehe, sollte so klein und so filigran wie möglich sein, dass konstruktiv keine Änderungen gemacht werden müssen, nur weil an bestimmte Stellen eine PVC-Raupe hin muss." Außerdem sehe das Auto schließlich auch viel besser aus, wenn man die PVC-Abdichtungen nicht so sehr sehen würde.

Wie sieht der typische Ablauf im Karosseriebau aus?

  1. Rohbauprozess, bei dem die unterschiedlichen Blechteile zusammengefügt werden zu einer kompletten Karosse
  2. Lackiererei-Prozess (Paint Shop): Im Lackiererei-Prozess wird die Karosse gereinigt, grundiert, abgedichtet und nach dem Abdichten wird sie dann lackiert. Durch das Abdichten wird die Karosse geschützt gegen Feuchtigkeitseintritt und gegen Korrosion, aber es wird auch noch Dämpfungsmasse aufgetragen.
  3. Montage-Arbeiten im Bereich Power Train
  4. Endmontage

Die Schwierigkeiten liegen darin, dass die Stellen häufig schwer zugänglich sind und es bei den bisher eingesetzten Verfahren notwendig ist, dass die Düse rechtwinklig zum Bauteil steht. Besonders unpraktisch ist, dass vor allem in Kurven oder Ecken Verdickungen entstehen. Dazu Hoppe: "An Stellen, an denen man umorientiert, also an denen der Roboter seine Fahrtrichtung wechselt, habe ich bei der heutigen Technik immer das Problem, dass ich vor einer Umorientierung immer eine Anhäufung von Material bekomme, kurz danach gibt es eine Einschnürung und dann gibt's wieder eine Anhäufung." Das sei genau das, was in Zukunft verhindert werden solle.

 

Dichtmasse-Tröpfchen lösen Probleme

Daher haben Audi und Atlas Copco an einem Verfahren geforscht, dass ebenjene Herausforderungen effizient angehen soll. "Ursprünglich trägt man die Dichtmasse mit einer Rundstrahl-Düse auf", erläutert Hoppe. "Das muss man sich vorstellen wie bei einer Zahnpastatube: Ich drücke hinten drauf und das was vorne rauskommt, lege ich auf eine Oberfläche - und das ist es dann." Genau das habe man verändern wollen. "Deswegen haben wir eine Tropfenapplikation entwickelt." Die ersten Versuchsreihen wurden in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA ausgeführt, danach erfolgte die Entwicklung in Kooperation mit Atlas Copco.

Wie das Verfahren im Audi-Werk in Győr eingesetzt wird, können Sie in diesem Video sehen:

Wie funktioniert die neue Methode zum Nahtabdichten?

Das so entstandene neue Verfahren zur Nahtabdichtung in Lackierereien heißt IDDA.Seal; IDDA steht hierbei für Intelligent Dynamic Drop Application. Während in der konventionellen Applikation die Dichtmasse in einem kontinuierlichen Volumenstrom aufgetragen wird, punktet IDDA.Seal wortwörtlich mit einer hochfrequenten Tropfenapplikation. Der Clou: jeder einzelne Tropfen ist kontrollierbar und manipulierbar - so ist es möglich jede beliebige Geometrie inklusive Lücken zu realisieren.

Mit IDDASeal applizierte Dichtmasse auf Metalloberfläche
Dank der Tropfenapplikation sind komplexe Geometrien mit Lücken (oben und rechts) und Überlagerungen (links) möglich. - (Bild: Julia Dusold)

"Der Tropfen ist die kleinstmögliche Applikationseinheit, die wir uns vorstellen können; und wenn wir diese kontrollieren, haben wir auch die maximale Präzision", berichtet Sten Mittag, Research & Technology Manager bei Atlas Copco. "Wir arbeiten mit einem einzelnen Tropfen, setzen diesen beliebig oft hintereinander und bauen damit eine Linie auf." Nutzt man nun mehrere Düsen lassen sich mehrere Linien nebeneinander aufbauen und es entsteht eine Fläche, die vollständig kontrolliert werden kann. "Ich kann jeden einzelnen Tropfen applizieren oder auch weglassen", so Mittag weiter. Außerdem lässt sich das Volumen pro Tropfen individuell einstellen sowie die Frequenz der Tropfen manipulieren. Auch die Schichtdicke des Dichtstoffs ist frei wählbar.

Was sind die Vorteile des neuen Abdichtverfahrens?

In den technischen Abläufen liegen auch die Vorteile des Verfahrens zur Nahtabdichtung:

Die Punktapplikation ermöglicht es, die Geometrie beliebig einzustellen. Während man bei anderen Technologien Bereiche der Raupe, die zu dick geraten sind, händisch mit einem Schaber abziehen muss, ist das bei dem neuen Verfahren daher nicht mehr nötig. "In dem Moment, in dem ich etwas abziehe, reduziere ich den Korrosionsschutz, was ich eigentlich nicht will", erläutert Hoppe die Problematik der Nacharbeit, die sich zusätzlich zum Zeitaufwand ergibt. "In Zukunft ist das alles nicht mehr nötig. Ich fahre einfach mit dem Applikator über die Karosserie, ohne dass ich eine Nacharbeit benötige."

Vergleich zwischen Dünnstrahlverfahren und IDDASeal im Leuchtentopf
Vergleich Dünnstrahl-Applikation (oben) und IDDA.Seal (unten): bei der Dünnstrahl-Applikation entstehen wesentlich mehr Verdickungen, die händisch abgeschabt werden müssen. - (Bild: Julia Dusold)

Die Frequenz ist ein weiterer Freiheitsgrad, der durch die Tropfenapplikation im Vergleich zur konventionellen Applikation hinzukommt. "Da wir in Echtzeit bestimmen können, wann jeder einzelne Tropfen kommt, haben wir eine sehr viel höhere Dynamik und können uns damit individuell an die Robotergeschwindigkeit anpassen", erklärt Mittag. "Das heißt unsere Grenze ist jetzt nicht mehr länger, dass wir einen möglichst homogenen Ausfluss haben; sondern unsere Grenze ist der Roboter. Damit können wir einen höheren Effizienzgrad erreichen."

Tropfenapplikation macht schräges Auftragen möglich

Ein weiterer Vorteil der Tropfen ist, dass die Tropfen separierbar sind und damit eine höhere Energiedichte besitzen. "Ein separierter Tropfen kann mit einem wesentlich höheren Energieinhalt vollgepumpt werden", stellt Mittag fest. "Das bedeutet, wir können mit wesentlich höheren Abständen applizieren -3 bis 80 Millimeter sind kein Problem." Das bedeutet, dass der Tropfen von der Düse abgeschossen wird und genau dort aufkommt, wo er auch hin soll. Eine Stromauf- oder Stromab-Wirkung durch den Impuls des Volumenstroms entfällt. Für Mittag ein wichtiger Punkt: "Der Vorteil davon ist, dass ich schräg applizieren kann und nicht wie bisher nur im 90-Grad-Winkel, da der Tropfen dort liegen bleibt, wo er aufschlägt."

Atlas-Copco-IAS-Geschäftsführer Leonhardt ergänzt: "Der große Vorteil gegenüber konventioneller Anwendungen ist auch folgendes: Wir erstellen ein Pattern in Frequenz und Tropfengröße und unabhängig davon, was im Untergrund passiert, bleibt die Oberfläche gleich." So ist es möglich, die Oberflächenstruktur zu wählen, in Abhängigkeit von den Ansprüchen an die Naht.

Diesen Vorteil der beliebig aussehenden Nahtabdichtung sieht auch Hoppe von Audi. "Ich kann beliebige Abmessungen der PVC-Raupe realisieren - ich kann Höhe und Breite frei wählen. Das war bisher nicht so. Da habe ich einen Bauraum von ungefähr zweieinhalb Millimetern in der Höhe und zehn bis zwölf Millimeter in der Breite. In Zukunft kann ich ab 0,3 Millimetern aufwärts die Schichtdicke und -breite frei wählen."

Komplizierte Geometrien inklusive Aussparungen spritzbar

Mittag nennt noch einen weiteren Punkt: "Hindernisse umfahren - ich schaffe es jetzt einfach meine Applikation da wegzuschalten, wo ich sie nicht brauche. Ich kann also Konturen ausschneiden." Bisher seien dies noch zuvor einprogrammierte Muster, doch eine Erkennung der Hindernisse mithilfe von Sensoren sei bereits in Planung.

Verbrauch von Dichtmasse wird reduziert

Es ist mit IDDA.Seal also möglich, die Nahtgeometrie inklusive Aussparungen genauer bestimmen zu können und Nacharbeit zu verringern. Daraus ergibt sich noch ein weiterer Vorteil: Es kann Dichtmasse gespart werden. Im Vorführzentrum von Atlas Copco werden im Vergleich zum konventionellen Verfahren 25 Prozent weniger spritzbare Dichtmasse benötigt.

Bei Audi wird das Verfahren bisher in der Lackiererei in Győr in Ungarn eingesetzt, bisher lediglich für die Abdichtung des Leuchtentopfs. Doch schon damit kann Dichtmasse gespart werden und Hochrechnungen haben ergeben, dass bei einem kompletten Auto sehr viel Einsparpotenzial vorhanden ist. "Wir gehen davon aus, dass mehrere Kilogramm Materialeinsparung pro Fahrzeug möglich sind", berichtet Hoppe.

IDDA.Seal gewinnt Oberflächenpreis des Fraunhofer IPA

Mitarbeiter von Atlas Copco und Audi mit dem Preis Die Oberfläche
Atlas Copco und Audi freuen sich über den Oberflächentechnik-Preis: Dr. Sten Mittag,
Thomas Heußer (Audi AG), Berthold Peters, Joachim Gerstlauer, Arnd Hemmerlein (von
vorne nach hinten). - (Bild: Atlas Copco)

Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA hat IDDA.Seal als Innovation beim Oberflächenpreis 'Die Oberfläche' mit dem zweiten Platz ausgezeichnet.

Die Jury begründete die Auszeichnung damit, dass das neuartige Applikationsverfahren eine echte Innovation gegenüber den bisherigen Verfahren zur Dichtstoffapplikation darstellt. Es ermöglicht die automatisierte, hochpräzise Abdichtung auch für komplexe Geometrien in modernen Automobilkarosserien. Dank der präzisen und flexiblen Applikation mit variabler Auftragsbreite werden der Automatisierungsgrad erhöht, manuelle Nacharbeit um bis zu 40 Prozent reduziert und bis zu 50 Prozent Material eingespart. All das bei einer gleichzeitigen Steigerung der Abdichtungsqualität.

Der Oberflächentechnik-Preis hat das Ziel, allgegenwärtige und dennoch oft übersehene Querschnitts- und Schrittmachertechnologien zu würdigen und neuartige Anwendungen aus diesem Bereich voranzutreiben. Das Fraunhofer IPA hat den Preis 2012 ins Leben gerufen. Eine interdisziplinäre Jury verleiht die Auszeichnung alle zwei Jahre. Kriterien für die Auszeichnung sind Innovationsgrad, Nachhaltigkeit, Enabler-Qualitäten und industrielle Machbarkeit. Atlas Copco IAS und Audi wurden als einer von drei Preisträgern geehrt, die aus 23 Bewerbungen ausgewählt wurden.

Welche weiteren Anwendungsgebiete sind in Zukunft möglich?

Bisher wird das Verfahren bei Audi nur an speziellen Stellen eingesetzt. Doch wie Hoppe berichtet, wird die Anwendung des Verfahrens in Zukunft sicherlich im Rahmen von neuen Modellen oder dem Umbau von Fertigungsstraßen auf weitere Teile der Karosserie ausgeweitet werden.

Ziel ist die Ausweitung auf das ganze Fahrzeug: "Das ist die Revolution, von der wir ausgehen", so Hoppe. "Wenn ich jetzt sage, 'wir machen das alles', wäre das zu früh, so weit sind wir noch nicht. Aber der Ansatz ist auf jeden Fall vorhanden, dass man es für ein gesamtes Fahrzeug einsetzen kann und weitere Vorteile generieren kann."

Leonhardt denkt bei der Anwendung des Verfahrens noch weiter: "Es ist durchaus denkbar, die Applikation auch in anderen Gebieten einzusetzen. Der Vorteil dieser Technologie, dass man auch bei geringeren Geschwindigkeiten eine hohe kinetische Energie im Strahl hat, der ist für mich extrem beeindruckend. Daher ist das für mich der Startpunkt einer Reise, mit der man das Thema Kleben und Auftragstechnologien in Zukunft neu definieren wird."

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