Arbeiter montieren ein gigantisches Recycling Zeichen.

Das Thema Nachhaltigkeit wird in vielen Betrieben immer wichtiger. - (Bild: stock.adobe.com / Yuttana Studio)

Warum wir die Anstrengungen für nachhaltige operative Prozesse verstärken müssen

Das Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 setzte den Rahmen, die Weltwirtschaft auf klimafreundliche Weise zu verändern und so die Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius und möglichst unter 1,5 Grad zu beschränken. Dieser Rahmen wird heute durch vielfältige gegenläufige Aktivitäten empfindlich gestört und somit die Lebensgrundlage aller Lebewesen auf der Erde gefährdet.

Ein Teil dieser Gefährdung geht von der heute angewandten Produktherstellung in verschiedensten Branchen aus. Auch wenn es aufgrund der Heterogenität der Industrien kein einheitliches Bild bezüglich des CO2 Fußabdrucks in der Fertigung gibt, so ist doch davon auszugehen, dass dieser erheblich sein muss. Allein die industrielle IT ist für einen hohen CO2 Ausstoß verantwortlich, der durch die weitere Digitalisierung noch vergrößert wird (s. Abb.).

Abb: CO2-Ausstoß der industriellen IT; Quelle: “Sustainable IT”, Capgemini 2021
Abb: CO2-Ausstoß der industriellen IT; Quelle: “Sustainable IT”, Capgemini 2021.

Laut einer Studie der Unternehmensberatung Capgemini haben sich aber nur ca. 50 Prozent der Industrieunternehmen zu den Pariser Klimazielen bekannt und Maßnahmen eingeleitet, um diese Ziele auch zu erreichen. Weitere Unternehmen haben ebenfalls Nachhaltigkeitsstrategien definiert, deren Zielsetzungen allerdings hinter den notwendigen Zielwerten deutlich zurückbleiben. In Deutschland haben sich 18 Prozent der Unternehmen verpflichtet, CO2-Neutralität bis 2030 zu erreichen – 73 Prozent zielen auf den Zeitraum bis 2040. Das ist aktuellen Studien zufolge zu wenig und auch zu langsam, um unsere aktuellen Lebengrundlagen zu erhalten. Diese Zurückhaltung ist überraschend, denn nachweislich haben diejenigen Unternehmen, die bei der Umsetzung ihrer Nachhaltigkeitsstrategie am weitesten vorangeschritten sind, auch massive wirtschaftliche Vorteile nachweisen können.

Vorteile für Industrieunternehmen aus einer Reduktion ihres CO2 Abdrucks

Die in der Studie teilnehmenden Unternehmen – darunter alle relevanten globalen Großkonzerne aber auch viele KMU – haben immer dann immense ökonomische Vorteile erzielen können, wenn sie Maßnahmen konsequent und in der Breite umgesetzt haben. Die wesentlichen Nutzeneffekte liegen auf der Hand: Kostensenkungen, Kundenbindung, bessere ESG Ratings und nicht zuletzt auch „Legal Compliance“ (was wiederum zu Vermeidung von Zusatzkosten führt) sind die positiven Aspekte im Allgemeinen.

Besonders interessant ist die Tatsache, dass Kostensenkungen praktisch immer als Ergebnis einer Nachhaltigkeitsmaßnahme erzielt werden konnten – war doch lange Zeit in den Köpfen verankert, dass eine umweltfreundliche Produktion in den meisten Fällen mit Mehrkosten verbunden sei. Der Gegenbeweis ist mit Zahlen nun deutlich hinterlegt.

Die unterschiedlichen Maßnahmen mit Nachhaltigkeitseffekt resultieren auch in einer höheren Attraktivität des Unternehmens für Talente, die Ihre Arbeitgeberwahl auch immer mehr an der ökologischen Reputation des Unternehmens ausrichten.

Für Produktionsverantwortliche sind verständlicherweise die kostensenkenden Effekte nachhaltiger Prozesse besonders interessant. Verpackungskostensenkungen durch innovative Verpackungskonzepte und Transportkostensenkung durch Optimierung der Transportwege und –mittel konnten die allermeisten Unternehmen erreichen. Und immerhin 26 Prozent der befragten Unternehmen geben an, dass sie auch direkte Herstellungskosten reduzieren konnten.

Abb.: Nutzenpotenziale nachhaltiger Fertigung
Abb.: Nutzenpotenziale nachhaltiger Fertigung

Die Effizienzpotenziale nachhaltiger Fertigung durch Nutzung digitaler Methoden zeigt ein Beispiel von Unilever. Der Konzern nutzt in einem Werk in Brasilien die „Digital Twin“ Technologie, um optimierte Prozessparameter im Produktionsprozess zu nutzen. Beispielsweise zur Ermittlung der optimalen Temperatur für den Ausstoß von Seifen vor dem Schneidevorgang (Cutting). Durch diesen Ansatz konnten 2,8 Millionen USD Energiekosten eingespart und gleichzeitig eine Produktivitätssteigerung von 3 Prozent erreicht werden.

Ansatzpunkte zur Reduzierung des CO2 Ausstoßes und gleichzeitigen Steigerung der Wirtschaftlichkeit

Ansätze zur CO2-Reduzierung und simultaner Steigerung der Wirtschaftlichkeit finden sich in allen Bereichen der Unternehmen.

  • Produktentwicklung: Schon seit Jahren arbeitet die Industrie daran, ihre Produkte mit weniger Materialeinsatz herzustellen – die Maßnahme des „Reducing“ steht hierbei im Vordergrund. Ein gängiges Beispiel sind der Automobilbau und auch die Flugzeugherstellung. Durch Engineering-Maßnahmen werden die Produkte immer leichter – hauptsächlich durch weniger Material oder durch Verwendung alternativer Materialien. So wurde zum Beispiel Stahl durch Aluminium ersetzt und schließlich vermehrt Kunststoffe verwendet, was eine Senkung des Erdölverbrauchs und geringeren Energieeinsatz in der Produktion bewirkte und gleichzeitig eine spürbare Reduzierung des CO2 Ausstoß zur Folge hatte.  Aus wirtschaftlicher Sicht konnten hierbei bereits Milliarden eingespart werden. Heute sind die Unternehmen noch einen Schritt weiter und verfolgen einen ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz, indem sie Erdöl-basierte Materialien durch organische Stoffe ersetzen. Diese werden bereits in der Polsterung, bei Griffen und Verkleidungen eingesetzt. Algen spielen in diesem Einsatzgebiet eine immer größer werdende Rolle. Die Ernte, der Transport und die Verarbeitung sind sowohl kostengünstig als auch umweltfreundlich. Diese Richtung der Produktentwicklung ist ein vielversprechender Ansatz für nachhaltige Produktgestaltung bei gleichzeitig niedrigeren Kosten.
Abb.: Ansatzpunkte für nachhaltiges Manufacturing
Abb.: Ansatzpunkte für nachhaltiges Manufacturing
  • Einkauf: Erneuerbare Energiequellen werden von praktisch allen nachhaltig agierenden Unternehmen eingesetzt, teilweise im Energieeinkauf, teilweise aber auch im Ersatz des Energieeinkaufs durch Selbstversorgung – Automobilwerke produzieren Ihren Strom bereits sehr häufig auf ihren Fabrikdächern durch Einsatz von Photovoltaik. Kosteneinsparung und Umweltverträglichkeit sind hier bereits Realität. Noch mehr Möglichkeiten bieten sich im Bereich der Stromgewinnung, insbesondere durch Nutzung von Abwärme. Eine weitere Maßnahme, die sich im Einkauf bereits etabliert hat, ist die gesteigerte Nachhaltigkeits-Anforderung an die Zulieferer, welche ihr Umweltengagement mit Zertifikaten nachweisen müssen.
  • Produktion: Energiemanagement ist ein großer Hebel. Basierend auf einem Monitoring der Anlagen, real-time Überwachung und KI-basierter Optimierung des Energieeinsatzes an den Maschinen, erzielen die digitalen Vorreiter bereits massive Kosteneinsparungen durch eine bedarfsorientierte Energiezuführung. Dadurch wird nicht nur die Emissionsmenge reduziert, sondern in Folge auch Kosten für Energieverbrauch eingespart. Durch neue Fertigungsverfahren wie 3D Druck werden auch die Abwasserbelastungen mit Chemikalien, der Wasserverbrauch an sich und der Verschnitt reduziert.
  • Logistik:  Reduzierung von Bewegungen, die energiegeführt sind, führen zu CO2-Emmissionsreduktion. Hierbei werden sowohl innerbetriebliche als auch externe Transportketten durch Netzwerkoptimierungssoftware analysiert, simuliert und dadurch effizienter gestaltet. Transporte kosten Ressourcen, jeder nicht durchgeführte Transportmeter spart daher Geld und reduziert Emissionen. Dank der Transportoptimierung mit intelligenter Software wird dadurch auch der Rücktransport im Closed-Loop Verfahren nicht zu einer stärkeren Belastung führen. Leerfahrten können vermieden werden, optimale Routen reduzieren den Energieverbrauch. So können Produkte ihrem 2. und 3. Lebenszyklus zugeführt werden, ohne die Umwelt weiter zu belasten. Die Folge sind Einsparungen von Ressourcen, Kosten und Emissionen jeglicher Art.
  • Informationstechnik: Die Digitalisierung ist ein wichtiger Baustein bei der Optimierung der bestehenden Prozesse. Umso wichtiger ist es, auch den Einsatz von IT umweltverträglich zu gestalten, da sowohl Produktion als auch der Betrieb von Hard- und Software ebenfalls Ressourcen verbrauchen. Durch Cloudifizierung sind hier bereits heute Optimierungen möglich. Die größte Bedeutung kommt in diesem Bereich die Verwendung von möglichst energie-effizienter Codierung (also der bestmöglichen Programmiersprachen) sowie die intelligente Steuerung der CPU- Nutzung zur Vermeidung oder Reduzierung von Idle time zu. Diese Aspekte dürfen bei der Gesamtbetrachtung zur Reduzierung des CO2 Abdrucks nicht vernachlässigt werden, stehen bei vielen Unternehmen bedauerlicherweise aber noch nicht genügend im Fokus.

Nur in den Unternehmen, die ganzheitlich nachhaltig denken und handeln sind die Vorteile realisierbar. Vorreitern des „Sustainable Manufacturing“ ist es mit einer konsequenten Kombinierung aus nachhaltigem und kostenorientiertem Handeln bereits gelungen, Ausgaben in Milliardenhöhe einzusparen.

Allerdings fällt vielen Unternehmen die notwendige holistische Sichtweise nicht leicht, denn diese haben sich im Laufe der Industrialisierung immer mehr in Silos entwickelt. Ein ganzheitliches, intelligentes Handeln, ist dadurch oft schwierig.

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Vorgehensweise abhängig von der Unternehmenssituation

Die Frage wie ein Unternehmen sich ganzheitlich nachhaltig ausrichtet, hängt von der Ausgangsposition ab. Ist Nachhaltigkeit bereits als Unternehmensstrategie verankert, gilt es schnell in die Umsetzung zu gehen. Ist das Unternehmen noch ganz am Anfang muss das Thema Nachhaltigkeit in der Strategie verankert und auf die Operative heruntergebrochen werden. Ein generischer Ansatz teilt sich in 3 Phasen auf:

  1. Strategiereview – hier geht es darum herauszufinden, ob die Strategie vollständig ausgearbeitet ist: Ist der Lebenszyklus komplett abgedeckt? Werden alle sechs „R“ berücksichtigt? Sind die Verantwortlichkeiten geklärt und die Strategie in der Organisation klar kommuniziert?
  2. Absicherung der Governance – sind die Verantwortlichkeiten und Zielsetzung klar definiert. Nur so wird es auch zur Umsetzung kommen. Sind die Kapazitäten verfügbar? Sind die Entscheidungsprozesse deutlich?
  3. Umsetzung – dazu braucht es eine klare Definition der realistischen Anwendungsfälle. Sind diese identifiziert, klar beschrieben und priorisiert? Werden neue Technologien benötigt? Ist das Unternehmen in der Lage umzusetzen – kapazitativ und qualitativ?

Für Unternehmen, die die Punkte 1 und 2 bereits umgesetzt haben und nun die Hebel und Ansatzpunkte für Maßnahmen suchen, empfiehlt es sich, ein integriertes Produkt Lifecycle Assessment (iLCA) durchzuführen. Dies zeigt die Handlungsfelder und auch die Potenziale auf – sowohl auf der wirtschaftlichen-, als auch auf der ökologischen Seite.

Abb.: iLCA Vorgehensweise
Abb.: iLCA Vorgehensweise

Das Assessment identifiziert für alle relevanten Unternehmensprozesse die Potenzialbereiche, und führt zu konkreten Maßnahmen. Zum einen wird die gesamte Breite der 6R Palette genutzt, zum anderen wird der gesamte Lebenszyklus der Produkte betrachtet. Somit werden auch die Potenziale identifiziert, die außerhalb der Unternehmensmauern liegen.

Bekanntlich sind zwischen 60 Prozent und 90 Prozent der Potenziale in der übergeordneten Lieferkette – sowohl beim Inbound als auch beim Outbound und auch im Second Life zu finden. Große Unternehmen wie zum Beispiel Airbus oder auch Aldi Süd haben das iLCA bereits umfassend und erfolgreich eingesetzt, um ihre Nachhaltigkeitsstrategie umzusetzen.

Das iLCA identifiziert was zu tun ist – die Umsetzung muss dann konsequent durchgeführt werden. Die nächsten 10 Jahre sind entscheidend, um unsere Lebengrundlagen zu erhalten und die Wirtschaftlichkeit positiv zu beeinflussen.

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