Auf Deutschlands größtem Baggerpark in Walldorf lernen Besucher das Staunen. Zentimetergenau zieht auf dem Gelände des Bildungswerks BAU Hessen-Thüringen eine Raupe ein Planum ab. Die Maschine, die das schafft, wiegt über zwölf Tonnen. Etwas weiter hebt ein Bagger eine Baugrube so exakt aus, dass er keinen Kubikzentimeter mehr Erde entfernt als erforderlich. Die Bediener der Baumaschinen sitzen derweil entspannt im Führerstand. Sie müssen nur noch kontrollieren, ob die Maschinen ihre Arbeit korrekt verrichten.
Möglich wird dies, weil moderne Baustellengeräte mit Geopositionierungssystemen (GPS) und einer Maschinensteuerung ausgerüstet sind. An diese übertragen Baustellenleiter per WLAN ein digitales Modell des zu bearbeitenden Geländes sowie des zu erstellenden Bauwerks. Wo die Mobilfunkabdeckung dies nicht zulässt, füttert der Maschinenführer seinen Bagger oder Grader per USB-Stick mit der digitalen Vorlage.
Eine Maschinensteuerung vermeidet teure Nacharbeiten
Dank des GPS kann die Maschine ihre Position in der Fläche ebenso wie in der Höhe jederzeit präzise bestimmen und mit dem Modell abgleichen. Mit Hilfe dieser Daten sowie der Informationen zu Gelände und Bauwerk aus dem Modell bringt die Maschinensteuerung den Löffel eines Baggers oder das Schild einer Planierraupe während des Arbeitsvorgangs immer in die optimale Position.
So stellt sie sicher, dass die Maschine nur dort Erde bewegt, wo dies für den zu erstellenden Keller oder die Straße erforderlich ist. Sie sorgt auch dafür, dass nicht mehr Material ausgehoben wird als nötig. Bagger und Raupen mit einer Maschinensteuerung laufen deshalb nur so lange und bringen dabei nur so viel Kraft auf, wie erforderlich ist, um die geforderte Arbeit auszuführen.
„Automatisierte Baumaschinen erzielen außerdem Arbeitsergebnisse von einer einheitlicheren Qualität als Bagger, Walzen oder Raupen ohne automatische Maschinensteuerung dies können“, ergänzt Stefanie Samtleben Gruppenleiterin Integrale Fabrikplanung beim Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und –automatisierung (IFF) und Ansprechpartnerin für Bauausführung beim Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrum – Planen und Bauen. Mit diesem fördert das Bundeswirtschaftsministerium die Digitalisierung in Handwerksbetrieben sowie kleinen und mittelständischen Bauunternehmen.
Tiefbauarbeiten auf den Zentimeter genau
„Mit einer satellitengestützten GNSS-Maschinensteuerung lassen sich Tiefbauarbeiten auf einen Zentimeter genau ausführen. Wenn dann die moderne Lasertechnik den Baumaschinenführer unterstützen, lassen sich sogar Genauigkeiten im Millimeterbereich erzielen,“ bestätigt auch Torsten Wachenbrunner Leiter des Bereichs Weiterbildung beim Bildungswerk BAU Hessen-Thüringen im Aus- und Fortbildungszentrum (AFZ) Walldorf. Dieses trägt mit dem Baggerpark in Walldorf als „Schaufenster Baumaschinentechnik“ zur Arbeit des Kompetenzzentrums bei.
„Dank dieser Arbeitsqualität fallen weniger Nacharbeiten an. Lohn- und Kraftstoffkosten sinken“, ergänzt Steffi Samtleben vom Fraunhofer IFF. Personal und Diesel stellen für Bauunternehmen die größten Positionen bei den Betriebskosten dar. Mit automatisierten Maschinen können sie daher erheblich produktiver arbeiten. Das ist längst überfällig. Denn laut einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey legte die Produktivität am Bau in den vergangenen zwei Jahren im Schnitt nur um ein Prozent pro Jahr zu. In der Produktion von Industriebetrieben stieg sie dagegen um mehr als Dreieinhalbfache.
Moderne Baumaschinen machen Betriebe produktiver
Die Produktivität steigt aber nicht nur durch die Automatisierung der Maschinen. Sensoren an den Geräten messen auch deren Laufzeiten, ihre Belastung sowie den Treibstoffverbrauch. „So lässt sich frühzeitig erkennen, wann Komponenten verschlissen sein werden und repariert oder ausgetauscht werden müssen“, erklärt Stefanie Samtleben. Die vorausschauende Wartung minimiere die Zeiten, in denen die Maschinen stillstehen.
„Auch der Zeitpunkt für Ihre Betankung lässt sich so wählen, dass er den Baustellenbetrieb möglichst wenig stört“, ergänzt Samtleben. „Maschinen zeichnen heute außerdem auf, wie lange sie in welchen Motorauslastungsbereichen gearbeitet haben. Das gibt Bauunternehmen Aufschluss darüber, ob der von ihnen für eine bestimmte Baustelle gewählte Bagger oder Kran für die zu erledigenden Aufgaben zu groß oder klein bemessen war“, ergänzt Torsten Wachenbrunner vom AFZ Walldorf. Mit diesen Informationen könnten Betriebe den Einsatz ihrer Geräte und damit ihres Kapitals passgenau planen. „Über kurz oder lang werden sie daher den gesamten Maschinenpark digitalisieren“, ist Wachenbrunner überzeugt.
Verbindung aus Digitalisierung und Maschinentechnik fasziniert junge Menschen
Zugleich steigt durch automatisierte Maschinen die Arbeitssicherheit. Außerdem - und das ist für die meisten Baubetriebe noch wichtiger - helfen die Geräte, den seit Jahren anhaltenden Fachkräftemangel in der Branche abzumildern. In der Frühjahrsumfrage 2021 des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe gaben zwei von drei Mitgliedsunternehmen an, dass sie bei ihrer Geschäftstätigkeit nichts so sehr behindere wie der Mangel an qualifizierten Mitarbeitern. „Erfreulicherweise steigt die Zahl der jungen Menschen, die sich zum Baugeräteführer ausbilden lassen, derzeit aber wieder an“, berichtet Torsten Wachenbrunner.
Der Grund liegt für ihn auf der Hand. „Jugendliche fasziniert die Kombination von maschineller Technik und Digitalisierung bei modernen Raupen, Radladern oder Baggern.“ Das freut auch die Händler und Hersteller der Baumaschinen. Trotz der Corona-Pandemie sanken ihre Umsätze 2020 nur um 0,5 Prozent unter das sehr gute Ergebnis des Jahres 2019, meldet der Bundesverband Baumaschinen-, Baugeräte- und Industriemaschinen-Firmen.
Für 2021 erwartet er ein leichtes Wachstum von rund einem halben Prozent. „Wir sind tatsächlich mit einem blauen Auge davongekommen. Hätte man uns Anfang der Pandemie prophezeit, dass der Umsatzrückgang nur moderat sein wird, wir hätten es nicht geglaubt“,sagt der Vorsitzende des Bereichs Baumaschinen und Baustoffanlagen im Verband Deutscher Maschinen und Anlagenbau, Franz-Josef Paus.
Baumaschinenhersteller schwärmen von der digitalen Baustelle
Künftiges Wachstum soll den Plänen der großen Baumaschinenhersteller zufolge nicht nur der mit Hilfe der Digitalisierung erweiterte Funktionsumfang einzelner Maschinen bringen. Die Hersteller träumen vielmehr von der voll digitalisierten Baustelle. Auf dieser sind sämtliche Geräte über das Internet der Dinge und ein 5G-Netz mit einer cloudbasierten Plattform vernetzt.
Auf dieser optimiert Künstliche Intelligenz die Abläufe und die Logistik auf der Baustelle. Mobile und autonome Roboter vermessen regelmäßig das Gelände und melden ihre Daten an die Cloud. Dort erstellt Software ein tagesaktuelles Modell des Geländes auf der Baustelle. Bagger erledigen dann mit Hilfe der Daten selbständig Erdarbeiten und informieren je nach Bedarf einen oder mehrere Lastwagen, damit diese den Aushub abtransportieren. An den Maschinen angebrachte Sensoren und Kameras dokumentieren zudem in Echtzeit den Baufortschritt und liefern Daten für die Abrechnung der erfolgten Arbeiten.
Die Technische Universität (TU) Dresden sowie die TU Kaiserslautern testen den digitalen Baustellenbetrieb bereits in Pilotprojekten. Bis er in Deutschland Alltag wird, ist jedoch noch ein weiter Weg zurückzulegen.
Im Funkloch gibt es keine vernetzte Baustelle
„Denn eine schnelle, stabile und kabellose Datenübertragung ist die Grundvoraussetzung für die digitalisierte Baustelle“, erklärt der Koordinator des Projekts der TU Dresden, Professor Jürgen Weber. Genau daran hapert es aber in Deutschland. „Auf vielen Baustellen haben wir ein riesiges Problem mit der Verfügbarkeit von Mobilfunknetzen“, erklärt Torsten Wachenbrunner vom AFZ Walldorf. Oft müsse zu Baubeginn erst mal mit Richtfunk ein lokales Netz aufgebaut werden, um die Baustelle digital betreiben und die modernen Telematik- sowie Datentransferfunktionen der Maschinen nutzen zu können.
Daneben fehlt es an zuverlässigen Plänen, die zeigen wo unter einer Straße oder einem Platz Gas-, Strom- und Wasserleitungen verlaufen. Wo es solche Pläne gibt, liegen sie aufgrund des Digitalisierungsrückstands der Bauverwaltung meist nicht digital vor.
Auch der Betrieb vollautonomer Baustellenmaschinen ist heute rechtlich noch nicht möglich. „Das kommt auch in den nächsten zehn Jahren nicht“, erwartet Wachenbrunner. Schon deshalb, weil sich Baumaschinen nicht nur wie Autos in zwei Dimensionen bewegen, sondern auch ihre Arbeitsvorgänge in der dritten Dimension der Höhe sowie die Arbeitsabläufe der anderen auf der Baustelle tätigen Gewerke berücksichtigt werden müssten.
Die digitale Baustelle braucht einheitliche Datenstandards
Um eine Baustelle, die auf ihr genutzten Maschinen sowie die Planer im Büro über eine Plattform zu vernetzen, muss zudem jedes an angeschlossene System mit Daten arbeiten können, die andere Anwendungen gemessen oder erzeugt und übertragen haben. „Diese Durchgängigkeit haben wir bislang nicht“, räumt Fraunhofer-Fachfrau Stefanie Samtleben ein.
So arbeiteten Planer unter Umständen mit Tools für das Building Information Modeling. Der dabei häufig genutzte Datenstandard IFC bilde aber nicht die Trajektorien, Linien und Vektoren des Geländes ab, die Maschinensteuerungen in den Baumaschinen brauchen. Diese wiederum nutzen häufig den Standard LandXML. Dieser bildet aber keine Informationen ab, mit denen sich Geräte produktiver einsetzen und betreiben lassen.
„Deshalb ist es unerlässlich, dass sich alle an einem Tiefbauprojekt Beteiligten frühzeitig darüber verständigen, welche Informationen jeder von ihnen für seine Arbeit von den anderen braucht, und sich idealerweise alle auf einen für ihren Einsatzbereich geeigneten Datenstandard einigen“, rät Samtleben.
Die Bereitschaft, sich derart offen auszutauschen, fehlt aber oft, hat Baumaschinenfachmann Torsten Wachenbrunner erfahren. „Unternehmen befürchten, dass Wettbewerber dadurch Einblick in ihre Kalkulationsgrößen und andere Betriebsinterna bekommen könnten“, berichtet Wachenbrunner.
Digitalisierung am Bau erfordert Offenheit und Kooperationsbereitschaft
Eines der größten Hindernisse für eine weiterreichende Digitalisierung am Bau sei überhaupt, dass oft die Denke fehlt, die dafür nötig wäre – also die Bereitschaft sich mit anderen Betrieben und Gewerken auszutauschen, Arbeitsabläufe aufeinander abzustimmen und offen für neue Technologien zu sein.
Diese Kultur versuchen Wachenbrunner, Samtleben und zahlreiche andere Experten im Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Planen und Bauen bei Veranstaltungen, Workshops und Konferenzen zu entwickeln. Der Baggerpark Walldorf dient ihnen dabei als Probier- und Erlebniswerkstatt, auf dem sie Schüler für den Beruf des Baumaschinenführers begeistern und Auszubildende ebenso wie erfahrene Fachkräfte im Rahmen von Aus- und Weiterbildungsangeboten mit allen Finessen der Technik vertraut machen. Dabei hat noch jeder Teilnehmer darüber gestaunt, was moderne Baumaschinen alles können.