Die digitale Revolution sorgt ohnehin dafür, dass sich die klassische Rolle der Servicetechniker wandelt. Eine gute Gelegenheit für Maschinenbauer, ihre Personalstrategie für den Service neu zu denken.
Servicetechniker sind eine Berufsgruppe, deren Bedeutung für Maschinenbauer nicht hoch genug eingeschätzt werden kann: Gegenüber den Kunden sind sie das Gesicht des Unternehmens. Und für den Maschinenbauer sind sie hoch profitabel, denn sie verkaufen die margenstärksten Produkte: Ersatzteile. Zusätzlich erwirtschaften sie über ihren Stundenlohn in der Regel einen Profit von rund 15 Prozent.
In Maschinenbau-Sektoren mit hohem Servicebedarf kommt heute rund die Hälfte der Unternehmensgewinne aus dem Service. Und das ist noch nicht alles: Wenn für den Kunden alles rund läuft, ist ein guter Service oft der Hauptgrund dafür, dass auch die nächste Maschine wieder bei demselben Hersteller geordert wird.
Aufseiten der Servicetechniker sieht das Bild allerdings nicht ganz so rosig aus: Heute träumen immer weniger Techniker davon, für ein durchschnittliches Gehalt praktisch jeden Tag unterwegs zu sein; und das im Lieferwagen, in der Economy-Class und in Billighotels. In einer modernen Ehe, in der man sich gemeinsam um Haushalt und Kinder kümmert, entspricht eine solche Lebensweise nicht mehr den aktuellen Ansprüchen.
Und auf Anerkennung und Karrierechancen im eigenen Unternehmen hoffen Servicetechniker ohnehin vergebens. Denn in Maschinenbau-Unternehmen steht der Service typischerweise eher am Rande des Interesses. Das Management ist primär darauf fokussiert, neue funkelnde Maschinen zu entwickeln und zu verkaufen. Service? Da arbeiten die Underdogs, egal ob der Finanzchef sie für Hidden Champions hält.
Vielfältigere Aufgaben im Service
Servicetechniker sind unter diesen Bedingungen immer schwerer zu finden und zu halten. Zum Glück ist die Digitalisierung gerade dabei, die Aufgaben der Serviceorganisation fundamental zu verändern – und kann dabei auch den Beruf des Servicetechnikers deutlich attraktiver machen. Gerade die klassisch betreuten größeren Maschinen sind inzwischen weitgehend online gegangen.
Auch wenn es oft noch keinen Konsens über den Datenbesitz mit den Kunden gibt, mit der neuen Technik sind dennoch schon heute Ferndiagnosen und auch vorbeugende Wartung möglich geworden. Der Service-Helpdesk kann sich „live auf die Maschine schalten“. Per Chat, Konferenzschaltung oder Virtual-Reality-Brille kann er nun den Maschinenführer ertüchtigen, einfache Reparaturen und Ersatzteilwechsel selbst durchzuführen.
Die aktuelle Corona-Pandemie beschleunigt diesen Wandel, indem sie die Menschen weltweit an diverse Formen der Online-Kommunikation gewöhnt. Auch nach der Pandemie werden sie Teil der Geschäftswelt bleiben; das liegt auch daran, dass Online-Zusammenarbeit einfach effizienter ist und Maschinenkunden auch für wertvolle Services nicht mehr zahlen wollen als nötig. Nicht zuletzt ist auch für die Maschinenbauer in Zeiten knapper Servicetechniker wichtig, diese Ressourcen so effizient einzusetzen wie möglich.
Für die Serviceorganisation hat diese Entwicklung weitreichende Folgen:
- Die Maschinenführer des Kunden müssen einfache Technikeraufgaben übernehmen.
- Dafür werden Schulungen entwickelt werden, die von den Fortbildungsakademien der Maschinenbauer (kostenpflichtig) durchgeführt werden.
- Es entsteht ein Bedarf an Hotline-Technikern, die überregional einsetzbar sind, die sich teilweise auch spezialisieren – die aber nicht mehr (ständig) reisen müssen. Sie bieten praktische Hilfestellung für die Servicetechniker „draußen“ und für die Maschinenführer.
- Die Verarbeitung der hereinkommenden Maschinendaten benötigt ein anspruchsvolles Backoffice, um je nach Situation etwa vorbeugend Ersatzteile zu verschicken oder Wartungs- und Schulungsempfehlungen an Kunden auszusprechen.
- Klassische Außendiensttechniker werden nicht mehr so oft gebraucht – aber wenn, dann für anspruchsvolle Reparaturen.
Eine solche Servicestruktur eignet sich prinzipiell auch für diejenigen Maschinenbau-Sektoren, in denen sich zunehmend anspruchsvollere Services wie Produktionsberatung, Betreibermodelle oder Pay-per-Use durchsetzen.
Neue Kultur für attraktivere Servicekarrieren
Für Maschinenbauunternehmen ist diese Veränderung der Serviceorganisation eine gute Gelegenheit, auch die Karrierewege im Service einer gründlichen Überarbeitung zu unterziehen. Denn alle oben genannten Probleme des Servicetechniker-Daseins können adressiert werden.
1. Ansehen des Service im Unternehmen verbessern: Ein Jahr im Service sollte künftig ein Muss in der Karriere eines aufstrebenden Maschinenbauers werden. Umgekehrt sollten auch Servicemitarbeiter in die Entwicklung neuer Maschinen mit eingebunden werden; sie wissen, wie das Ersatzteil-, Reparatur- und Upgrade-Geschäft funktioniert. Auch in der Unternehmenskommunikation und auf der Website muss dem Service ein gleichgewichtiger Platz eingeräumt werden.
2. Service-Karrierepfade mit hoher Flexibilität definieren: Es wird nach wie vor vielreisende Servicetechniker geben – und sie werden auch künftig nicht erster Klasse unterwegs sein können. Aber sie sollten die Möglichkeit haben – etwa bei Familiengründung –, im Unternehmen anders eingesetzt zu werden. Zudem sollten sie eine langfristige „Senioritätsperspektive“ haben, zum Beispiel ab 50 selten reisende Hotline-Techniker zu werden.
3. City-Center gründen: Nicht nur Servicetechniker sind schwer dazu zu bewegen, auf das Land zu ziehen, wo viele Maschinenbauer angesiedelt sind. Das gilt beispielsweise auch für Entwicklungs- und Softwareingenieure. Ein Zweitbüro in einer attraktiven Stadt kann diese Hürde beseitigen und eine neue Welt an Bewerbern eröffnen.
4. Passende Nebenleistungen und Incentives aufbauen: Die Gehälter im Service haben eine natürliche Decke. Doch moderne Generationen sind oft weniger an Geld als an Lebensqualität und Gestaltungsfreiheit interessiert. In den letzten Jahrzehnten haben sich Sabbaticals, Homeoffice-Tage und jobübergreifende Fortbildungsangebote in vielen Branchen bewährt.
5. Selbstständiges Arbeiten gewährleisten: Viele kreative Servicemitarbeiter haben mit den klassisch-restriktiven Strukturen eines Investitionsgüterherstellers zu kämpfen. Ihnen fehlt oft so etwas wie eine „Kultur des Vertrauens“. Typischerweise benötigen auch kleine Service-Investitionen Monate, bis sie schließlich abgewiesen werden – weil es in der Zentrale kein Verständnis für das Servicegeschäft gibt und traditionell der Maschinenbau auch keine großen unternehmerischen Freiheiten kennt; schon gar nicht im Service.
Wenn Maschinenbauer die neue, digitale Servicestruktur mit innovativen Jobangeboten und einer modernen Unternehmenskultur füllen können, steht einem weiteren Servicewachstum nur noch eins entgegen: der Mangel an richtigen Service-Ideen. Wenn Sie an diesem Thema interessiert sind, gibt es auf der Deloitte Webseite ein aktuelles Whitepaper zum Thema „Der Wettbewerb um Servicetechniker“ als kostenlosen Download.
Über den Autor
Oliver Bendig ist als Partner bei Deloitte verantwortlich für den Maschinen- und Anlagenbau und ein international anerkannter Experte für After Sales und Customer Service. Seit mehr als 20 Jahren berät er seine Kunden von der Strategieentwicklung und Umsetzung bis zur gemeinsamen Realisierung der Resultate. Schwerpunkte seiner Tätigkeiten sind u.a. Wachstumsprogramme, Service Excellence, Pricing sowie Performanceoptimierung und digitale Transformationen. Er ist Mitglied des Advisory Board der ISLA (weltweit führendes Netzwerk von Service Leaders) und Senior Advisor des Investmentkomitees der Region Shenzhen, China.