Geschlossene Unternehmen - sieht so die Zukunft der deutschen Industrie aus?

Geschlossene Unternehmen - sieht so die Zukunft der deutschen Industrie aus? (Bild: bluedesign - stock.adobe.com)

„Die Deindustrialisierung Deutschlands ist in vollem Gange“, sagt Harald Müller, Geschäftsführer der Bonner Wirtschafts-Akademie (BWA). Die Verunsicherung in weiten Teilen der Wirtschaft sei seit dem vergangenen Jahr so groß, dass Produktionsverlagerungen ins Ausland längst in großem Stil vorbereitet und teilweise schon umgesetzt würden, weiß der BWA-Chef aus vielen Gesprächen mit Vorständen, Geschäftsführern und Betriebsräten aus dem Mittelstand und der Konzernwelt.  „Es geht nicht mehr um die Frage ob, sondern nur noch um die Fragen wie und wie schnell“, hat Harald Müller festgestellt.

Als Ursachen für diese Entwicklung macht der BWA-Chef „fundamental falsche Weichenstellungen in der Energiepolitik“ aus. Er sagt: „Weite Teile der Wirtschaft haben das Scheitern der sogenannten Energiewende vorausgesehen und längst Maßnahmen ergriffen, um sich davor zu schützen. Die Abwanderung ist nur die ultima ratio einer Entwicklung, die schon lange absehbar war.“

Warum ganze Industriezweige abwandern und es keiner merkt

Der Leiter der Bonner Wirtschafts-Akademie ist sich sicher, dass ganze Wirtschaftszweige ins Ausland abwandern werden. Dazu gehören die chemische Industrie, die metallverarbeitende Industrie und die Automobilproduktion, einschließlich der jeweiligen Zulieferernetze. Er illustriert dies anhand eines Beispiels: „Die Chemiestandorte leben davon, dass sich rund um die Großindustrie ein ganzes Geflecht kleinerer Firmen angesiedelt hat. Geht der Große, folgen die Kleinen.“

Müller weiß aus seiner langjährigen Erfahrung in Beratungsprojekten der BWA, dass viele chemische Fertigungsanlagen nach der regelmäßigen Revision nicht mehr in Betrieb genommen werdenn. Es sei wirtschaftlich nicht sinnvoll, die Anlagen mit überhöhten Energiekosten zu betreiben. Müller kritisiert, dass die Politik oft die Zusammenhänge nicht kenne und sogar den Rückgang des Verbrauchs fossiler Energieträger feiert, ohne zu berücksichtigen, dass stillgelegte Produktionen die Ursache dafür seien. „Daher fällt es oftmals gar nicht weiter auf, wenn die Anlagen hierzulande abgebaut werden und im Ausland wieder in Betrieb gehen. Nur die Belegschaft merkt, was los ist, wenn Kündigungen ins Haus stehen.“

So sei de Reifenproduktion in Deutschland bereits in der Abwicklung, sagt Müller. Dem Automobilsektor prophezeit er eine ähnliche Zukunft. Er erklärt: „Die politische Einbahnstraße in Richtung E-Mobilität hat ausländischen Autoherstellern vor allem aus China und den USA den Weg nach Deutschland geebnet und zugleich zu schweren Verwerfungen bei den heimischen Herstellern geführt.“ Den Versuch, die Kaufentscheidungen der Verbraucher entlang „politischer Linien von Fördern und Verboten zu lenken, statt dies dem Spiel von Angebot und Nachfrage zu überlassen“, stuft der BWA-Chef als gescheitert ein. Er stellte die Zusammenhänge dar: „Die Verunsicherung auf Kundenseite führt zur Kaufzurückhaltung und damit zu Unsicherheiten auf der Herstellerseite. Die Autohersteller haben ihre Planungsbasis verloren und wissen nicht mehr, welche Stückzahlen sie in welchen Schichten überhaupt noch produzieren sollen, um nicht auf den Wagen sitzen zu bleiben.“

 

Was ist Deindustrialisierung?

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Deindustrialisierung beschreibt den strukturellen Wandel einer Volkswirtschaft, bei dem der industrielle Sektor im Verhältnis zu den Dienstleistungssektoren an Bedeutung verliert. Dieser Wandel zeigt sich durch den Rückgang der Beschäftigtenzahlen in der Industrie, den Anteil des industriellen Sektors am Bruttoinlandsprodukt (BIP) oder durch die Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland. Die Gründe für Deindustrialisierung sind vielfältig und können technologischer Fortschritt, Globalisierung, wirtschaftliche Umstrukturierung, veränderte Verbraucherpräferenzen und die Suche nach kostengünstigeren Produktionsstandorten umfassen. Die Auswirkungen der Deindustrialisierung auf betroffene Regionen sind oft erheblich und umfassen Arbeitslosigkeit, Einkommensrückgang und städtischen Niedergang.

Zwei Beispiele für Deindustrialisierung sind:

  • Das Ruhrgebiet war einst das Herz der deutschen Schwerindustrie. Doch auch nach dem Rückgang der Kohlebergwerke und der Stahlindustrie hat die Region ihre Stärke bewahrt. Heute ist sie ein wichtiger Standort für Technologie, Bildung und Dienstleistungen und hat sich erfolgreich neu erfunden.
  • Der Rust Belt im Nordosten und Mittleren Westen der USA war einst das Zentrum der US-amerikanischen Schwerindustrie. Doch ab den späten 1970er Jahren führten Automatisierung, Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland und zunehmende internationale Konkurrenz zu einem starken Rückgang der Industriearbeitsplätze. Heute ist der Rust Belt jedoch ein wichtiger Standort für die Automobilindustrie und andere Branchen, die auf hoch qualifizierte Arbeitskräfte angewiesen sind. Städte wie Detroit, Cleveland und Pittsburgh haben in der Vergangenheit einen starken Bevölkerungsrückgang, soziale Probleme und ökonomischen Niedergang erlebt. Doch durch die Fokussierung auf neue Technologien und Dienstleistungen haben einige dieser Städte begonnen, sich zu regenerieren.

Warum der Brückenstrompreis eine regulatorische Irrfahrt ist

Weite Teile der deutschen Wirtschaft zahlen laut Müller bis zu dreimal mehr für Strom als ihre internationale Konkurrenz. „Die Politik musste handeln“, versteht der BWA-Chef, aber den Brückenstrompreis stuft er als „regulatorische Irrfahrt“ ein. Müller begründet: „Statt Investitionen in grüne Energien gezielt zu fördern, werden alle Energieformen mit der Gießkanne subventioniert. Besser wäre es gewesen, dem gewerkschaftlichen Vorschlag zu folgen, das Geld gezielt denjenigen Unternehmen zukommen zu lassen, die auf regenerative Energieformen umschwenken, um Mitnahmeeffekte zu reduzieren.“ Viele Firmen würden nämlich den Brückenstrompreis nutzen, um sich damit „die „Brücke ins Ausland“ finanzieren zu lassen. „Die Unternehmen nehmen mit, was sie hierzulande kriegen können, während sie die Verlagerung etwa in die USA vorantreiben“, weiß er.

Die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung erfährt in weiten Teilen der Wirtschaft eine Abfuhr, hat Akademie-Geschäftsführer Harald Müller nach eigener Aussage festgestellt. „Die meisten Führungskräfte aus der Wirtschaft, mit denen ich spreche, stufen den Versuch einer Wasserstoff-basierten Energiewirtschaft als unrealistisch ein“, sagt er. Als die häufigsten Argumente hört er: „Wasserstoff hat ein dreimal so hohes Volumen wie Erdgas, lässt sich nur mit hohem Aufwand und daher mit hohen Kosten transportieren und die Explosionsgefahr ist viel zu hoch.“ Nach Müllers Einschätzung geht ein Großteil der Industriemanager inzwischen davon aus, dass sich die Wasserstoffstrategie als eine „ähnliche Luftnummer“ wie die grüne Energiewende entpuppen wird. Er sagt: „Öl und Gas sind zwar politisch nicht en vogue, aber erscheinen vielen Führungskräften als die derzeit einzigen verlässlichen Energieträger für eine industrielle Produktion im großen Stil.“

Russisches Gas als "Verzweiflungstat"

Er wisse aus Projekten, so der BWA-Geschäftsführer, dass Teile des produzierenden Gewerbes versuchen, die für sie existenzbedrohlich hohen Energiekosten durch den indirekten Import von russischem Öl und Gas zu umgehen. Der Umweg erfolge nach seinen Erfahrungen häufig über die Schweiz: Die Eidgenossen bezögen Öl und Gas aus Russland, das anschließend nach Deutschland importiert werde. Müller: „Die Zahlungen an die Schweiz für diese fossilen Energieträger erfolgen im Einvernehmen mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, sind also völlig legal. Es ist eine Verzweiflungstat der Unternehmen, um den unsäglich hohen Energiekosten zu entkommen und ihre Produktion der kläglichen Industriepolitik zum Trotz in Deutschland zu halten.“

Laut Müller erfolge diese Form, das Energieembargo gegen Russland zu unterlaufen, auch über andere Länder. Er beklagt: „Die Politik erhebt den moralischen Zeigefinger und überlässt die Wirtschaft dem verzweifelten Kampf, die industrielle Produktion und damit Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten. Das wird auf Dauer nicht gut gehen.“

Bürokratie treibt Unternehmen ins Ausland

Neben den falschen Weichenstellungen in der Energiepolitik nennt Harald Müller die Bürokratie als maßgeblichen Treiber der Deindustrialisierung. Als Beispiel verweist er auf das Verbot von Per- und Polyfluoralkylverbindungen (PFAS) aufgrund von Änderungen der Chemikalienverordnung REACH durch die EU-Kommission.

„Dadurch ist die Fertigung von Produkten, bei denen wasserabweisende Oberflächen eine wichtige Rolle spielen, von Autos bis Kleidung, in der EU drastisch erschwert worden“, sagt Harald Müller. Er fragt sich, „ob der Bundesregierung überhaupt bewusst ist, dass PFAS auch für die Chipproduktion benötigt werden, die sie mit Milliardensubventionen nach Deutschland holt?“

Sein Resümee: „Das Versprechen der Bundesregierung, Deutschland auf bezahlbaren grünen Strom umzustellen, wird auf Jahre nicht erfüllbar sein. Die Unternehmen harren nicht aus, bis dies möglicherweise irgendwann einmal Realität wird, sondern wandern ab. Das gilt umso mehr, als alternative Industriestandorte insbesondere in den USA verlockende Angebote machen. Man muss bedenken, dass Energie in den USA ein beinahe vernachlässigbarer Kostenfaktor ist.“

BWA Akademie

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