Die technologischen Umbrüche der letzten Jahre haben auch den Markt für Enterprise Asset Management verändert. "EAM-Systeme sind deutlich attraktiver geworden, seit Industrie 4.0 diskutiert wird. Früher war die Instandhaltung ein reines Cost Center – heute wird das Thema auch als Wettbewerbsvorteil gesehen", berichtet Dr. Ansgar Niehof, Geschäftsführer der GIS – Gesellschaft für integrierte Systemplanung aus Weinheim, die auf die Einführung unterschiedlicher Systeme für Enterprise Asset Management spezialisiert ist.
Seit die Assets im Internet der Dinge in der Lage sind, ihre Betriebszustände zu kommunizieren, wird die Notwendigkeit von Enterprise Asset Management deutlicher – denn die Daten können in das System einfließen, um zum Beispiel die Instandhaltung zu steuern, Stichwort Predictive Maintenance. Mit der Erhebung von Echtzeitdaten rückt zumindest theoretisch auch das Konzept des Digitalen Zwillings in greifbare Nähe. Doch vielfach sei die Datenerfassung für die Instandhaltung zu aufwendig und teuer im Vergleich zum möglichen Nutzen, meint Niehof.
AR und VR als Ergänzung für Enterprise Asset Management
Als sinnvolle Unterstützung haben sich Anwendungen aus dem Bereich Augmented und Virtual Reality herauskristallisiert, seit die Datenbrillen auch im längeren Einsatz tragbar und bezahlbar sind. Das gilt vor allem für das Training, System-geführte Prozesse, aber auch, um externe Experten live hinzuzuziehen. Die Verbindung zum EAM-System gelinge zwar nicht von selbst, doch die großen Anbieter warten mit entsprechenden Schnittstellen auf, berichtet der GIS-Geschäftsführer.
Zu den Trends gehört auch mobiles Instandhaltungsmanagement. "Das lohnt sich eher für Anwender, die in der Fläche unterwegs sind wie beispielsweise Energieversorger oder Unternehmen mit großen Werksgeländen", meint Karl Liebstückel, EAM-Experte und Professor an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg Schweinfurt. Zwar seien mobile Lösungen schon weiter verbreitet, aber noch nicht flächendeckend im Einsatz, selbst wenn viele Anbieter es im Portfolio haben.
Noch nicht bereit für Enterprise Asset Management
Trotz vieler erfolgreicher Pilotprojekte ist es zur breitflächigen Predictive Maintenance jedoch noch ein langer Weg, meint Niehof. "Die meisten Unternehmen sind froh, wenn sie Condition-Based-Maintenance hinbekommen und schon recht gut aufgestellt, wenn sie das mit EAM implementiert haben."
Zwar seien alle großen Systeme dafür ausgelegt - Vorhersagen jedoch, dass aufgrund eines Aggregatzustands zum Beispiel ein Kompressor in sechs Wochen ausfallen wird, seien noch selten in der Praxis anzutreffen. "An dieser Stelle muss Fach-Know-how in die Systeme, um entsprechende Regeln für Predictive Maintenance festzulegen. Da hilft auch KI nur bedingt weiter", stellt Niehof fest. Zu diesem Thema arbeitet GIS derzeit mit der RWTH Aachen und IBM an einer Analyse.
"Wenn man sich die Industrielandschaft anschaut, dann gibt es einzelne Unternehmen mit Leuchtturmprojekten, aber das heißt noch lange nicht, dass Themen wie die Einbeziehung von IoT selbstverständlich oder gar flächendeckend sind", bestätigt auch Liebstückel. Der Experte ist sich sicher: Die Integration von Themen wie IoT, Augmented Reality oder Digital Twins kann es nie als Standard von der Stange geben: Es wird immer eine eigene Anpassungsleistung erforderlich sein. "Die Anbieter müssen aufpassen, dass sie ihre Anwender nicht abhängen", glaubt Liebstückel.
Motivation überdenken
Bei der Auswahl des Enterprise Asset Management sollten Unternehmen gezielt ihre Motivation untersuchen, meint EAM-Experte Niehof. Geht es um mehr Transparenz? Um das Einsparen von Kosten? Darum, juristisch klar aufgestellt zu sein mit fundierter Dokumentation? Hauptmotivation im Management sei häufig die immer stärkere Regulierung in vielen Märkten, deren Einhaltung sichergestellt werden muss. Hinsichtlich der Funktionalität leisten alle großen Systeme Ähnliches, konstatiert Niehof.
"Die Anbieter müssen aufpassen, dass sie ihre Anwender nicht abhängen." - Prof. Karl Liebstückel, Professor an der FHWS
Dazu gehören ganz klassisch das Work Order Management, wiederkehrende Prüfungen, Ersatzteilmanagement mit Kosten-Controlling und Anlagenbeschreibung. Auch Garantieverfolgung und Kompetenzabbildung der Mitarbeiter sind Standard. Je nach Bedarf muss geschaut werden, ob das System mehrsprachig ist und in mehreren Währungen Zahlen verfolgen kann.
Auch kommt es darauf an, wie individuell man Prozesse abbilden möchte: Passt ein stärker vorkonfiguriertes System wie von Infor, das auf Best Practice basiert, oder möchte man sämtliche Parameter selbst konfigurieren wie bei IBM Maximo?
"Das wichtigste vor der Softwareauswahl ist die Analyse, welche Geschäftsprozesse und Anlagen vorhanden sind, um zu überprüfen, ob die Software in der Lage ist, die technische Anlagenstrukturierung vorzunehmen und die Geschäftsprozesse abzubilden", sagt Liebstückel.
Gerade diese Strukturierung gestalte sich teilweise recht schwierig, vor allem bei komplexen Anlagen. Auf die Unternehmensgröße kommt es nicht an – zunehmend nutzen auch kleine Mittelständler EAM-Software, meint Liebstückel. Er rät: "Es sollte besonderes Augenmerk auf den Integrationsmöglichkeiten in bestehende Systeme und Applikationen liegen."
Informationen einholen
Hier gelte es zu unterscheiden, ob ein Stand-Alone-System wie IBM Maximo Vorteile bringt, oder auf den ERP-Hersteller gesetzt wird, dessen Lösungen vielleicht ohnehin schon im Einsatz in der Anlage sind. "Datenschnittstellen muss man nicht nur programmieren, sondern auch immer weiterentwickeln und im Tagesgeschäft betreuen. Damit ist pro Werk bei großen Installationen teilweise ein Mitarbeiter beschäftigt", berichtet der Experte. Doch auch beim gleichen Anbieter wie SAP steht die organisatorische Verknüpfung mit Bereichen wie Buchhaltung, Controlling, Einkauf oder Lager an.
"Die meisten Kunden müssen anfangen, ihre Asset-Strukturen ins System aufzunehmen." - Jerry Browning, EAM Product Manager, IFS
Den Auswahlprozess sinnhaft gestalten
"Der Anwender kann aufgrund technischer Features nicht unterscheiden, welches System das Beste für ihn ist", ist sich Niehof sicher. Er rät deshalb, die Anbieter jeweils zu verpflichten, anhand eines konkreten Prozess-Szenarios Informationen darüber zu liefern, wie sie das Problem mit ihrem System lösen würden.
"Viele Lastenhefte sind so aufgebaut, dass Funktionen beschrieben werden, dann sagen alle Anbieter, ja klar, das ist out of the box lieferbar. Erst wenn man sieht, was zum Beispiel herauskommt, wenn ein spezifischer Arbeitsauftragsprozess umgesetzt wird, sieht der Anwender, was geht und was nicht", erklärt Niehof.
Aus Sicht von Liebstückel sollte bei der Auswahl der Software darauf achten, dass nicht nur klassische Instandhaltungsprozesse abgedeckt werden, sondern auch Wachstumsmöglichkeiten bestehen, denn viele Unternehmen dehnen ihre Instandhaltungsprozesse heute in andere Bereiche aus.
So werden Dienstleistungen an andere Unternehmen angeboten, in Sub-Contracting-Prozessen Geräte extern aufgearbeitet oder im Pool-Management Fahrzeuge, Stapler, Werkzeuge oder Kräne verliehen, was jeweils mit Reinigungs- und Reparatur-Arbeiten verbunden ist. Ein EAM-System sollte diese Aufgaben unterstützen können. Genauso wichtig ist das Potenzial, neue Technologien zu nutzen.
Herausfordernd wird es dann nach der Auswahl insbesondere bei der Übernahme der Daten. "Die klassische Hürde in allen Projekten ist die Frage nach der Erstdatenbefüllung", erklärt Ansgar Niehof. Die Erwartungshaltung des Anwenderunternehmens sei, dass seine Instandhaltung passend für seine Anlage beschrieben ist.
Bei einer Anlage in der chemischen Industrie mit einer Million Assets wie Pumpen und Leitungen müsse jedoch alles erst einmal ins System eingebracht werden. "Das wird oft dramatisch unterschätzt und kann im Projekt schnell 60 Prozent der Gesamtkosten ausmachen, speziell wenn es um Altanlagen geht, die nicht gekennzeichnet sind", erklärt Niehof.
IDC MarketScape: Weltweite Bewertung von Anbietern für SaaS- und Cloud-fähige EAM-Anwendungen für 2019
So sind die EAM-Anbieter aufgestellt:
Die großen Anbieter haben unterschiedliche Architekturkonzepte, mit denen sie die neuen Technologien einbeziehen. Alle setzen dabei auf die Cloud. Dass sich die Instandhaltung verändern muss, stellt keiner von ihnen in Zweifel.
IBM Maximo:
Gartners Magic Quadrant für EAM-Lösungen (siehe oben) sieht IBM Maximo vorn. In der Lösung stecke jahrzehntelange Industrieerfahrung mit vielen industriespezifischen Leistungsmerkmalen, erklärt man bei IBM. Erst im Februar hatte das Unternehmen das Release einer APM-Suite (Asset Performance Management) angekündigt, die KI und Advanced Analytics in die Software einbezieht.
"Neue Technologien eröffnen neue Anwendungsbereiche wie vorausschauende Wartung, den Aufbau verteilter, transparenter Öko-Systeme mittels Blockchain oder integrierte Produktionssteuerung und -optimierung auf Basis von KI und Analytics", sagt Christopher Marcus Daerr, Leiter Marketing Watson IoT Europe.
EAM trage dazu bei, deutlich geringere Ausfallzeiten und damit eine Kostenersparnis zu erreichen sowie eine bessere Produktionsplanung und die Erweiterung von Geschäftsfeldern zu ermöglichen, meint Daerr. Zu den wichtigsten Trends für das Asset Management zählt für ihn, dass vernetzte Produkte selbst immer intelligenter werden, ob Autos, Flugzeuge, Schiffe oder ganze Produktionsanlagen – ebenso wie Schienennetzwerke, Häfen oder Flughäfen. "KI wird gerade im Kontext von EAM und Instandhaltung von Produktionsanlagen – oder allgemeiner Assets – ein Tor zu vielen Optimierungen aufstoßen", ist sich Daerr sicher.
Infor:
Infor EAM ist an die branchenspezifischen ERP-Cloud-Suites des Anbieters angepasst, zusätzlich kommt die KI-Plattform Infor Coleman auf Basis der jeweiligen Daten zum Einsatz. Die Plattform soll dabei helfen, Ineffizienzen zu reduzieren und Wartungsprobleme noch besser vorherzusagen.
Die wichtigsten EAM-Features: Mit der Lösung lassen sich Geräteausfälle prognostizieren, vorbeugende Wartungsarbeiten durchführen, Einkauf und Beschaffung optimieren, die Personalkosten verfolgen und Ausfallzeiten reduzieren. Die Vorgehensweise in der Instandhaltung verändert sich, meint man bei Infor.
Im ersten Schritt sorge Predictive Maintenance dafür, Service-Intervalle vorab zu planen und Ausfällen vorzubeugen. "Mit Machine Learning kündigt sich der nächste Entwicklungsschritt an, die Prescriptive Maintenance. Statt wie bisher drohende Ausfälle vorauszusagen, werden hier ergebnisorientierte Empfehlungen für den Betrieb und die Instandhaltung aus der Analytik heraus erarbeitet", erklärt Michael Burkhard, Account Manager EAM bei Infor. Die Auswertung von Wartungsdaten erfolgt dann durch Algorithmen mit natürlicher Sprachverarbeitung, die Computer zuvor nicht leisten konnten, so Burkhard.
IFS:
Die ursprünglich mal für das Management von Kernkraftwerken entwickelte Software von IFS sieht sich als von Haus aus auf Asset-intensive Unternehmen ausgerichtet. Man könne Anwender dabei unterstützen, konkurrierende geschäftliche Prioritäten in Bezug auf Produktion, Wartung, Qualität, Auftragslieferung und Zuverlässigkeit auszugleichen, erläutert Jerry Browning, EAM Product Manager bei IFS.
Zudem lasse sich der gesamte Asset-Lebenszyklus aus finanzieller Sicht abdecken. Zwar hat man einen IoT-Business Connector entwickelt und integriert Video zum Beispiel in Arbeitsaufträge. Derzeit wird jedoch noch daran gearbeitet, die Lösung für Augmented Reality und Fernunterstützung zu erweitern und Tools für die Edge-Datenerfassung zu schaffen.
So macht Künstliche Intelligenz die Instandhaltung smart:
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Diese Daten sollen in Verbindung mit IoT/KI als Grundlage für vorausschauende Wartung dienen. "Die meisten Kunden müssen jedoch anfangen, ihre Asset-Strukturen in das System aufzunehmen. Grundlegende Fehlerberichte und eine kalender- oder zyklusbasierte vorbeugende Wartung müssen zuerst implementiert werden, um eine Grundlage für die komplexeren Technologien zu schaffen", sagt Browning.
IFS will Anwender dort mitnehmen, wo sie gerade stehen, indem auch in den Updates für ältere Versionen neue Features zur Verfügung gestellt werden. Aus Sicht von Browning sind derzeit noch Agilität und Skalierbarkeit die wichtigsten Funktionen. Perspektivisch werden KI und IoT und damit die Möglichkeit immer wichtiger 'Was wäre wenn'-Szenarien auszuführen, um die Auswirkungen alternativer Maßnahmen abzuschätzen.
SAP:
SAP bietet mit Intelligent Asset Management fünf Lösungen für die Nutzung von Sensortechnologie und vorausschauenden Analysen für EAM. "Unsere Software lässt sich in ERP- und betriebliche Softwaresysteme integrieren – auch im Rahmen von Industrie 4.0", erklärt Thomas Ohnemus, Vice President Solution Marketing, Digital Supply Chain bei SAP.
Grundlage sei eine gemeinsame Datenbasis in der Cloud, mit der ERP-Datenbank SAP S/4HANA als Fundament. Einem Benchmarking zufolge lasse sich durch die vollständige Integration von Anlagenmanagementsystemen die Anlagenrentabilität um 17 Prozent steigern. Echtzeit-Analysetools sollen helfen, die Qualität des Außendienstes zu verbessern und Kosten zu senken. Die Software nutzt Leonardo-Technologien wie IoT und Machine Learning, um sensorgestützte Erkenntnisse, Automatisierung und vorausschauende Wartung zu ermöglichen. Als Eckpfeiler sieht Ohnemus digitale Zwillinge, mit deren Hilfe in Simulationen und 3D-Visualisierungen vorausschauende Erkenntnisse für die Wartung des realen physischen Objekts gewonnen werden, um so dessen Lebensdauer zu verlängern und Betriebszeiten zu optimieren. „Der Einsatz von Blockchains wird zu revisionssicheren Wartungsprotokollen innerhalb einer Lieferkette führen“, glaubt Ohnemus. KI unterstütze künftig auch den Techniker vor Ort mit Reparaturanweisungen auf seinem mobilen Endgerät, bis zur Einblendung von Informationen in seine Datenbrille.
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