Ausgestattet mit Sensoren erkennt der smarte Handschuh von Mimetik Fehler beim Montageprozess.

Ausgestattet mit Sensoren erkennt der smarte Handschuh Fehler beim Montageprozess. (Bild: Mimetik)

Ein Handschuh, mit dem sich manuelle Montageabläufe digitalisieren lassen. Genau das hat das Start-up Mimetik entwickelt und damit auf dem 18. Kongress "Digitale Fabrik" die Start-up-Challenge gewonnen. Mimetik wurde als Spin-off der TU Dresden im Juli 2020 gegründet und beschäftigt mittlerweile zehn Mitarbeitende.

Das junge Unternehmen um das Gründerduo Dr. Ievgenii Tsokalo und Dr. Merve Sefunç hat mit den smarten Handschuhen einen Weg gefunden, Handbewegungen zu erfassen und zu digitalisieren. Mit den so gewonnenen Bewegungsdaten können die Handschuhe sowohl Abläufe in der Montage kontrollieren, um Fehler und damit Ausschuss zu vermeiden, als auch Roboter steuern.

Ein Handschuh besteht aus zwei Teilen: einem waschbaren Basishandschuh und einem mit Sensoren und Elektronikeinheit ausgestattetem Überzug. Beide werden mit Klettverschluss miteinander verbunden. Pro Handschuh sind insgesamt sechs 9DoF-IMU-Sensoren angebracht, jeweils an den vier Fingern, dem Daumen und auf dem Handrücken.

Das Gewicht von rund 100 Gramm schießt die Box mit der Elektronik und dem Akku ein, welche ebenfalls mit Klettverschluss oberhalb des Handgelenks fixiert wird. Dadurch wird die natürliche Bewegung des Handgelenks nicht beeinträchtigt und der Träger kann ungehindert in Gehäuse oder ähnliches hineingreifen.

Kongress Digitale Fabrik mit Start-up-Challenge

Das Gründerduo Dr. Merve Sefunç (links) und Dr. Ievgenii Tsokalo (rechts) wurden von den Teilnehemenden zu den Siegern der Start-up-Challenge gewählt.
Das Gründerduo Dr. Merve Sefunç (links) und Dr. Ievgenii Tsokalo (rechts) wurden von den Teilnehemenden zu den Siegern der Start-up-Challenge gewählt. (Bild: Franziska Blume)

Auf dem 18. Kongress Digitale Fabrik im Mai 2023 haben sich rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu den aktuellen Themen rund um die Digitale Fabrik ausgetauscht. Die Themenschwerpunkte waren unter anderem der Stand der Forschung und zukünftige Entwicklungen und Herausforderungen bei Catena X und dem Industrial Metaverse, die datengetriebene Ausrichtung auf Gewerke und der digitale Zwilling.

 

Ein Highlight des Kongresses: Die Start-up Challenge. Vier junge Unternehmen haben ihre Ideen präsentiert. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben anschließend per App abgestimmt, wer die innovativste Lösung präsentiert hat.

 

Der nächste Kongress findet 2024 statt. Hier klicken, um mehr zur Veranstaltung zu erfahren.

Digitaler Zwilling unterstützt den Träger

Zudem wurden die smarten Handschuhe so konzipiert, dass sie selbst über Arbeits- oder Schutzhandschuhe getragen werden können. Die Datenübertragung erfolgt über dem im Base-Kit enthaltenen WiFi-Router, die Verarbeitung der Daten über die mitgelieferte Software. Da Mimetik zudem eine Datenbank für sämtliche Operationen aus der Montage entwickelt, lässt sich die Lösung für jeden Kunden ohne wesentlichen Aufwand anpassen.

Derzeit liegt unser Fokus auf der Automobilindustrie, da dort trotz hohem Automatisierungsgrad noch sehr viel Handarbeit in der Montage nötig ist“, berichtet Tsokalo über die ersten Einsätze in der Praxis. Durch die Digitalisierung von Bewegungsabläufen kann bei manuell ausgeführten Prozessen wie Schrauben, Bohren, Markieren, Schneiden, Fixieren oder Kleben sowohl der Prozess selbst optimiert als auch die Qualität verbessert werden. „Ist der Prozess bereits digitalisiert, können die Handschuhe die Bewegung dem Prozess zuordnen und erkennen, wenn zum Beispiel eine Schraube vergessen oder ein Bohrloch nicht markiert wurde“, erklärt Sefunç die Qualitätssicherung durch die gezielte Werkerunterstützung.

Für das Feedback an den Werker im Fehlerfall stehen mehrere Optionen zur Verfügung: Mit zusätzlichen Aktuatoren im Handschuh weist eine Vibration darauf hin, dass gerade etwas falsch gemacht wurde. „Manchmal reicht das schon aus, um den Fehler zu beheben, da wir das Feedback in Echtzeit geben können und der Mitarbeiter weiß, was er gerade getan hat“, sagt Tsokalo.

Eine Rückmeldung ist aber auch visuell oder durch einen Sprachassistenten möglich, falls entsprechende Hardware am Arbeitsplatz vorhanden ist. Droht durch den Fehler ein kritischer Ausfall, kann der Handschuh bei Bedarf sogar ein Signal an einen Experten senden, der den Werker durch eine persönliche Beratung unterstützen kann.

Die Gründer des Start-ups Mimetik: Dr. Ievgenii Tsokalo (links) und Dr. Merve Sefunç (rechts).
Die Gründer des Start-ups Mimetik: Dr. Ievgenii Tsokalo (links) und Dr. Merve Sefunç (rechts). (Bild: Mimetik)

Neuentwicklung mit gesellschaftlicher Mission

Mit der Lösung leistet Mimetik nicht nur erfahrenen Mitarbeitendn Hilfestellung. „Wir wollen damit auch die Besetzung von Arbeitsstellen verbessern“, verrät Tsokalo die gesellschaftliche Mission hinter der Neuentwicklung. Oftmals fehlt Bewerbern die Erfahrung im Bereich Montage, doch ausreichend Zeit für die entsprechende Einarbeitung zu finden ist im Fertigungsalltag nur begrenzt möglich.

Die smarten Handschuhe realisieren das digitale Training am Arbeitsplatz und geben neuen Mitarbeitern gleichzeitig das Gefühl von Sicherheit. Tsokalo erklärt: „Bei einem neuen Job hat man immer Angst, etwas falsch zu machen. Die Echtzeitassistenz erfolgt völlig personalisiert und niemand erfährt, inwieweit dieser digitale Assistent geholfen hat.“

Eine Werkerassistenz ist auch mit Kamera-basierten System möglich. Im Vergleich dazu haben die smarten Handschuhe jedoch mehrere entscheidende Vorteile. „Für die Echtzeitfähigkeit benötigt unsere Lösung nicht nur weniger Rechenleistung und somit weniger Strom, sie ist auch nicht räumlich begrenzt“, nennt Tsokalo zwei der Pluspunkte.

Während bei visuellen Systemen sich die Aufzeichnung der Bewegung auf den Bereich beschränkt, den die Kamera erfassen kann, kann sich der von den Handschuhen registrierte Arbeitsbereich über mehrere, auch weiter entfernte Arbeitsplätze erstrecken. „Zudem sind unterschiedliche Lichtstärken im Arbeitsbereich genauso irrelevant wie plötzlich auftretende Hindernisse. Während diese nämlich der Kamera die Sicht auf die Hand versperren können, erzeugt der Handschuh weiterhin arbeitsrelevante Daten“, ergänzt Sefunç.

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Rohdaten enthalten keinen Personenbezug

Der größte Unterschied zwischen den beiden Systemen jedoch liegt im Schutz von Privatdaten, da Kameras viel mehr erfassen, als für die Tätigkeit nötig ist. Tatoos, Ringe, Uhren oder Verletzungen lassen Rückschlüsse auf die Person zu. „Natürlich erfasst man mit den Kameradaten nur, was man mit dem Kunden vereinbart hat. Aber die Feinheiten in den Rohdaten machen vielen Leuten Sorgen“, weist Tsokalo auf die Datenschutzregulierung hin, aufgrund derer optische Sensoren in Deutschland viel weniger verbreitet sind als in den USA.

Deshalb sind für ihn die Handschuhe für Anwendungen in der EU eindeutig die bessere Lösung. Und nicht zuletzt gibt es noch einen finanziellen Aspekt, der für die Handschuhe spricht. Kameras brauchen Kabel, deren Verlegung oftmals kostspieliger ist als die Kamera selbst. Bevor der Kunde diese Lösung überhaupt nutzen kann, muss er in Vorleistung gehen. Wenn man mehrere Arbeitsplätze ausrüsten möchte, braucht man natürlich mehrere Kameras – oder eben ein Paar Handschuhe. Ist nämlich die Datenerfassung an einem Arbeitsplatz nicht permanent nötigt, kann der Überzug mit den Sensoren einfach an den Kollegen oder die Kollegin mit eigenem Basishandschuh weitergegeben werden.

Hinter dieser Möglichkeit verbirgt sich ein weiteres Feature der Mimetik-Innovation: Die Erfassung der Bewegung erfolgt anhand eines Algorithmus, der den Prozess auch dann erkennt, wenn der Träger zum Beispiel aufgrund einer Verletzung einen Finger nicht wie gewohnt bewegen kann. Der Algorithmus wird dann automatisch angepasst. Diese eindeutige Zuordnung eines Prozesses bzw. eines Befehls trotz Varianz in der Bewegung erlaubt auch die zuverlässige Steuerung eines Roboters. Verschiedene Kommandos für die Steuerung hat Mimetik Software-seitig bereits umgesetzt, anwendungsspezifische Erweiterungen sind möglich.

Aktuell baut das Start-up mit der Unterstützung von Kooperationen Datenbanken für die unzähligen Bewegungen auf, die sich mit den Handschuhen erfassen und unterstützen lassen. Dabei beschränkt sich ihr Einsatzgebiet nicht nur auf Industrie und Forschung. „Vor allem die Medizin könnte davon profitieren. Sei es für die automatisierte Dokumentation der Patientenbehandlung durch das Pflegepersonal oder die Früherkennung eines Tremors“, nennt Sefunç mögliche Anwendungen. Allerdings sollte eine Diagnose von Krankheiten, zu deren typische Anzeichen ein Zittern der Hände zählen, mithilfe einer speziellen Datenverarbeitung erfolgen.

(Bearbeitet von Anja Ringel.)

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