Martha Rehnberg von der Beratung Dare Disrupt

Martha Rehnberg arbeitet für die Beratung 'Dare Disrupt' in Kopenhagen und ist auf Themen wie 3D-Druck und 'Zukunft der Produktion' spezialisiert. - (Bild: Dare Disrupt)

Nachhaltigkeit und die Reduktion von Kohlenstoffdioxid wird in den skandinavischen Ländern schon lange großgeschrieben. Es gibt dort von Haus aus eine Menge Unternehmen, die sich mit Ökologie, mit erneuerbaren Energien und insbesondere Windkraft beschäftigen. Das ist auch auf Dänemarks größter Messe, der 'hi Tech & Industry Scandinavia' zu beobachten, die der Windkraft eine eigene Halle widmet.

Auch auf der Messe: Märtha Rehnberg. Sie hat die Beratung Dare Disrupt mitgegründet. Rehnberg ist auf Themen wie 'die Zukunft der Produktion', 3D-Druck oder eine exponentielle Denkweise spezialisiert.

Warum ist Nachhaltigkeit für Unternehmen wichtig?

Viele Jahre hat sich die Industrie auf die Massenproduktion fokussiert, um die Stückzahlkosten zu reduzieren. Das ist jedoch nicht immer ökologisch beziehungsweise nachhaltig. In Zeiten der globalen Erwärmung fordern daher viele Menschen ein Umdenken und mehr soziale Verantwortung in Bezug auf die Umwelt. Rehnberg erklärt, dass Unternehmen grundsätzlich weg von der volumengetriebenen Produktion und mehr in Richtung einer wertorientierten Produktion denken sollten.

Viele produzierende Unternehmen beschäftigen sich aus ihrer Sicht schon lange mit dem Thema Nachhaltigkeit, jedoch nur im inkrementellen Stadium. Das bedeute, sie suchen sich zum Beispiel Zulieferer, die sich an klimafreundliche Verhaltensregeln halten oder sie passen ihre Montage-Linie an, sodass sie weniger Energie benötigt.

Im Großen und Ganzen wird Rehnberg zufolge so aber kein CO2 gespart: "Industrieunternehmen sind heute in der Lage, ihre Treibhausgas-Emission Jahr für Jahr zu senken. Jedoch sinke nur der Ausstoß pro produzierter Einheit. Die Unternehmen produzieren dann aber im Gegenzug mehr Einheiten als zuvor, sodass sich der CO2-Verbrauch im Gesamten nicht reduziert."

Um den Klimawandel aufzuhalten, braucht es nun eine systemische Veränderung und die funktioniert nur mit radikalen Lösungen, betont die Disruptions-Expertin. "Wir haben schon zu lange gewartet und unsere bisherigen Maßnahmen waren nicht ausreichend", erläutert Rehnberg.

Sie weist darauf hin, dass die EU-Regierung bereits mitarbeitet. So sei das Verbot für Plastiktüten im Einmalgebrauch das am schnellsten verabschiedete Gesetz gewesen, dass die europäische Union je erlassen hat. 

Wie gehen die nordischen Länder das Thema Klimaschutz an?

In Skandinavien ist Windkraft von Natur aus stark. Rehnberg sieht hier einen Wettbewerbsvorteil. Die neue dänische Regierung hat sich außerdem zum Ziel gesetzt, die CO2 Emissionen bis 2030 um 70 Prozent zu senken. "In Schweden ist es ähnlich und ich denke, Klimaschutz ist bei uns in den nordischen Ländern viel stärker in unseren Werten verankert als im restlichen Europa", beschreibt Rehnberg die Situation.

Die Disruptions-Expertin sieht grundsätzlich die Werte einer Gesellschaft als größten Antrieb für Veränderung. "Gerade in Schweden verlagern sich die Werte im Moment sehr stark. Die Menschen achten auf die Umwelt und denken in Richtung Nachhaltigkeit. Aufgrund der sogenannten Flugscham geht die Zahl der Flugpassagiere dort bereits zurück. Und das neueste ist die 'Kauf-Scham', die die Menschen davon abhält, neue Klamotten oder Geräte zu kaufen. Und es ist wichtig, solche Werte-Veränderungen zu beobachten", erläutert Rehnberg.

Rehnberg selbst ist in Frankreich aufgewachsen und hat viel mit Deutschen zusammengearbeitet. Dabei ist ihr aufgefallen, dass in beiden Ländern eine sehr hierarchische Kultur herrscht, ganz nach dem Top-down-Prinzip. In Dänemark und Schweden herrscht ihrer Meinung nach eine horizontal geprägte Kultur, bei der die Distanz zur Politik niedriger ist.

"In Bezug auf den Klimawandel ist das hochinteressant", sagt Rehnberg. Denn es seien meist die jungen Leute, die etwas verändern wollen und sich trauen, über Disruption nachzudenken. Und wie Rehnberg nun beobachtet, ist diese Denkweise in Schweden und Skandinavien viel weiterverbreitet als etwa in Frankreich.

Aus der Praxis: Diese nachhaltigen Lösungen gibt es bereits

Auf Skandinaviens größter Messe 'hi Tech & Industry' gab es einige spannende Produkte und Lösungen rund um das Thema Nachhaltigkeit und grüne Produktion zu bestaunen, die wir auf Video festgehalten haben. Im Video lernen Sie zum Beispiel, wie industrielle Teilereinigung auch ohne gefährliche Chemikalien und Lösungsmittel funktioniert. Außerdem erfahren Sie, wie ein dänisches Start-up einen grünen Energie-Speicher entwickelt hat und warum Röntgentechnik in Zukunft die Mülltrennung und das Recycling erleichtern könnte.

Wie kann Nachhaltigkeit in der Industrie gemessen werden?

Das wichtigste beim Thema Nachhaltigkeit und Umweltschutz ist laut Rehnberg, dass Firmen ihr Wachstum von ihrer Klimabilanz entkoppeln. Deutschland sei zum Beispiel führend darin, dass sich Industriezweige in Richtung Servitization bewegen und nicht mehr nur Produkte anbieten, sondern zugehörige Services.

"Und genau das ist ein Beispiel dafür, wie man nachhaltig arbeitet und Wachstum vom Treibhausgas Ausstoß entkoppelt", erläutert Rehnberg. Denn Services basierten oft auf Software und nicht auf neu produzierten Produkten. Und Servertechnik, die zum Betrieb der Software notwendig ist, könne mit erneuerbarer Energie betrieben werden und benötige im Vergleich zu einer Produktionsanlage von Haus aus weniger Energie.

Wenn man nun also als Industrieunternehmen seinen Fußabdruck in Sachen CO2 optimieren möchte, muss man das immer in absoluten Zahlen messen und berechnen und nicht auf ein bestimmtes Produkt bezogen. Das rät Rehnberg. Alles andere sei nur Greenwashing, betont die Expertin.

Wie kann die Industrie von Greenwashing auf nachhaltiges Handeln umsteigen?

Aus Sicht von Rehnberg basieren Umweltschutz und nachhaltiges Handeln immer auf politischen Vorgaben. Es klinge zwar etwas radikal, aber man müsse in Zukunft ihrer Meinung nach auf wissenschaftsbasierte Politik setzen, vor allem beim Thema Umweltschutz. Denn das aktuelle Zwei-Grad-Ziel der internationalen Klimapolitik reiche nicht aus, um den Klimawandel aufzuhalten. Da sind sich Wissenschaftler einig, sagt Rehnberg.

"Würde man sich in der Politik auf wissenschaftsbasierte Ziele einigen, müsste der Preis für den Ausstoß von CO2 zum Beispiel um rund 300 Prozent steigen", erklärt die Disruptions-Expertin. Und das wiederum würde wiederum die Wirtschaftlichkeit von Betrieben beeinflussen.

Firmen sollten laut Rehnberg schon heute über solche Szenarien nachdenken. Plane ein Betrieb etwa diesen möglichen extremen Preisanstieg von CO2 Emissionen als Restriktion in seinen Innovationsprozess ein, inspiriere das direkt, neue Produkte oder Services zu entwickeln.

Rehnberg empfiehlt außerdem, sich nach neuen Partnern umzuschauen. "Man muss seine existierende Supply Chain aufbrechen, denn nicht jeder Zulieferer vertritt automatisch dieselben neuen Werte in Sachen Umweltschutz wie man selbst", erklärt die Expertin. 

Neue, gleichgesinnte Partner machen es jedoch einfacher, sich als Firma zu bewegen. Denn das sei oft hart, sagt Rehnberg aus Erfahrung. Und man braucht auf dem Weg hin zu mehr Nachhaltigkeit auch viel neue Kompetenzen und Wissen über neue Technologien. Und das zugehörige neue Business model könne man sich ebenfalls einfacher mit Partnern ausdenken. "Man muss querdenken und seine Einstellung ändern", fasst Rehnberg zusammen. Und das sei schwer.

Wie wird Nachhaltigkeit im Unternehmen umgesetzt?

Rehnberg rät Industriebetrieben, sich zunächst über neue Technologien zu informieren, die für ihr Geschäftsfeld interessant sein könnten. Als Beispiel nennt sie das Unternehmen Adidas, die bis 2023 20 Prozent ihrer Schuhe per 3D-Druck produzieren möchten. "Das sind rund 30 Millionen Paare", rechnet Rehnberg vor.

Um das zu realisieren, müsse Adidas nicht nur seine Lieferkette anpassen, auch das Geschäftsmodell werde sich ändern. Laut Rehnberg plant Adidas, dass Ladenbesucher sich in Zukunft die Füße scannen lassen und dann mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz und 3D-Druck ein perfekt sitzender Schuh produziert wird.

Und damit sei die Basis für ein Abo-Modell für Schuhe geschaffen, ganz á la Spotify. Braucht man neue Schuhe, wird dann einfach ein neues, perfekt sitzendes Paar ausgedruckt. Im Moment sind solche 3D-gedruckten Schuhe zwar noch deutlich teurer als regulär produzierte Adidas-Schuhe. Aber das werde sich laut Rehnberg mit der schnellen Entwicklung der 3D-Druck-Technik noch ändern.

Gleichzeitig kaufen sich die Konsumenten dann voraussichtlich weniger Schuhe. Da die Schuhe aber perfekt sitzen, sei man eher bereit, einen höheren Preis zu bezahlen. Und genau das sei ein Beispiel, warum sich die Veränderung von einer volumengetriebenen hin zu einer wertegetriebenen Produktion auch wirtschaftlich rechnen könne.

Wie kann die Industrie nachhaltiger denken in Sachen Umweltschutz und Klimaschutz?

Eine praktikable Sache ist es für Rehnberg, zunächst die Finanzierungs-Planung einer Firma unter die Lupe zu nehmen. Es gehe darum, wie die Kapitalrendite für Maschinen, geplant wird. Auch hier sollte die Industrie laut Rehnberg umdenken und einen wertegetriebenen Ansatz einem volumengetriebenen Ansatz vorziehen.

Man könne zum Beispiel versuchen, Maschinen zu leasen und nicht zu kaufen. Vorteil dabei sei, dass man immer die neueste Technik nutzen kann. Und man müsse nicht auf veralteten Maschinen arbeiten, die mit einer Laufzeit von zehn Jahren kalkuliert wurden und daher noch genutzt werden müssen, obwohl es bessere Technik gibt.

Was können deutsche Firmen von den skandinavischen lernen?

Aus Sicht von Rehnberg sollte jeder von jedem lernen. Ihrer Meinung nach geht es beim Thema Nachhaltigkeit aber zum Großteil um die persönliche Denkweise. "Hier in Skandinavien setzen wir uns ziemlich mutige Ziele auf der Nachhaltigkeits-Agenda", berichtet die Disruptions-Experting. Sie habe erst vor kurzem mit einem Stahlkonzern aus Schweden gearbeitet. Der habe sich nun auf die Fahnen geschrieben, eine Recycling-Quote von 100 Prozent zu erreichen.

Als darüber im Rahmen von Diskussionen über CO2 und Klimaschutz bei der europäischen Kommision diskutiert wurde, hatte Rehnberg einen Streit mit einem Deutschen. Denn der meinte, das Ziel sei absurd und lächerlich, denn man könne keine 100prozentige Recycling-Quote erreichen. Das sei technisch nicht möglich.

Rehnberg bestätigt zwar die Aussage und unterstreicht, dass 100 Prozent Recycling aktuell nicht möglich sei. Dennoch pflege man in Schweden einen anderen Ansatz: "Wir setzen uns ein mutiges Ziel und errreichen es dann auch irgendwie."

Dadurch angetrieben schauen sich die Unternehmen eher nach neuen Partnern und neuen Technologien um. In Bezug auf 100prozentige Recycling könne man sich beispielsweise von biologischen Prozessen oder von einer Kombination bereits vorhandener Rexycling-Prozesse inspirieren lassen. "Und das funktioniert erst, wenn man das absurde oder lächerliche aktzeptiert und annimmt", erklärt Rehnberg.

Automatisierungsquote: Wo arbeiten die meisten Roboter?

Süßer Roboter

Global betrachtet arbeiten im Schnitt 74 Roboter pro 10.000 Mitarbeiter in der Fertigungsindustrie. Das gab die International Federation of Robotics (IFR) in der jüngsten Statistik bekannt. Klicken Sie sich durch und sehen Sie, wie die Roboterdichte laut IFR weltweit verteilt ist.

Sie möchten gerne weiterlesen?