Laut einer Studie der AHK aus dem Jahr 2022 haben bereits zwei Drittel der deutschen Unternehmen begonnen ihre Lieferketten an die zunehmenden Störungen anzupassen, die wir in den letzten fünf Jahren erlebt haben – von der Pandemie über geopolitische Konflikte bis hin zur Klimakrise. Viele Firmen erwägen, ob und wie sie ihre Produktionsstätten ins eigene Land oder zumindest in nahe gelegene Regionen zurückverlagern können. Bei der Entscheidung zwischen Offshoring, Onshoring und Nearshoring gilt es, die jeweiligen Vor- und Nachteile sorgfältig abzuwägen.
Offshoring – Ein Auslaufmodell?
Offshoring ist seit langem ein bewährtes Geschäftsmodell. Unternehmen verlagerten ihre Produktion in Niedriglohnländer, um global wettbewerbsfähig zu bleiben. Nicht nur die chinesische Wirtschaft profitierte massiv davon, auch die deutsche Wirtschaft blühte auf. Dank der hohen Spezialisierung der Arbeitskräfte vor Ort profitieren deutsche Unternehmen von deren Expertise in den jeweiligen Industriezweigen. Besonders die Halbleiterindustrie zehrt seit Jahren von diesem Modell, während sich in asiatischen Ländern eine enorme Fachkenntnis entwickelt hat. Zudem haben diese Länder effiziente Lieferketten aufgebaut, um Materialien kostengünstiger zu beschaffen. Aufgrund mehrerer Bezugsquellen vor Ort ist auch das Ausfallrisiko geringer.
Allerdings sehen wir, dass sich die Bedingungen ändern. Mit dem wachsenden Fachwissen, steigen auch die Löhne vor Ort immer weiter an. Gleichzeitig wird der Kostenvorteil günstiger Arbeitskräfte aufgrund der Weiterentwicklung von KI und Robotertechnik immer weiter geschwächt. Je nach Branche und Spezialisierung kann das Offshoring dennoch weiterhin attraktiv bleiben, da Unternehmen von der bereits vorhandenen Expertise profitieren. In vielen Fällen ist es kosteneffizienter, auf das existierende Fachwissen zurückzugreifen, statt es im Heimatland mühsam aufzubauen. Besonders in der Halbleiterproduktion kann sich dies lohnen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
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Wie beeinflusst der CO₂-Fußabdruck die Strategie?
Was den Umweltschutz anbelangt, ändern sich derzeit ebenfalls die Prioritäten. Heute sind Unternehmen daran interessiert, ihre ökologische Bilanz zu verbessern. Der mit langen Transportwegen verbundene hohe CO2-Fußabdruck steht mit diesen Zielen im starken Widerspruch. Deshalb wird für viele Unternehmen das Onshoring oder auch Reshoring genannt, immer attraktiver.
Warum wird Onshoring immer beliebter?
Ein zentraler Vorteil der Verlagerung der Produktion vom Ausland zurück ins Inland sind kürzere Vorlaufzeiten, ein verbesserter Kundenservice und potenziell niedrigere Kosten sowie eine Reduzierung des CO2-Fußabdrucks durch kürzere Transportwege. Zudem wollen Unternehmen geopolitische Risiken und die Abhängigkeit von weit entfernten Lieferanten minimieren.
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Allerdings sollte man beim Onshoring auch die potenziellen Nachteile und versteckten Kosten im Blick behalten. Eine sorgfältige Planung und Abwägung aller Faktoren sind entscheidend, um langfristig erfolgreich zu sein. Die Verlagerung der Produktion von einem Land wie China nach Europa ist deutlich teurer, vor allem aufgrund höherer Lohnkosten und Umweltsteuern. Letztere sind eine sinnvolle Initiative, um nachhaltigeres Wirtschaften zu fördern – dennoch ist es ein Kostenfaktor, den jedes Unternehmen je nach Branche abwägen muss.
Gleichzeitig lassen sich wider Erwarten die Transportkosten nicht immer deutlich senken, auch wenn die Produktion näher am Absatzmarkt liegt. Eine aktuelle Umfrage von Buck Consultants International zeigt, dass ein Viertel der Unternehmen, die ihre Produktion verlagert hatten, geringere Einsparungen erzielten als erwartet. Ein weiteres Problem ist die Suche nach geeigneten Lieferanten für die neue Produktionsstätte. Wenn Lieferanten wiederum die meisten Rohstoffe aus fernen Standorten beziehen, bleiben die Lieferketten anfällig.
Ein Vergleich: Onshoring vs. Offshoring
On- und Offshoring sind zwei Konzepte in der globalen Wirtschaft, die sich auf die Verlagerung von Geschäftsprozessen und Arbeitsplätzen beziehen:
Onshoring
Onshoring, auch als Reshoring bekannt, bezeichnet die Praxis, Geschäftsaktivitäten zurück in das Heimatland eines Unternehmens zu verlagern. Dies kann verschiedene Gründe haben:
Vorteile des Onshoring:
- Bessere Qualitätskontrolle
- Kürzere Lieferketten
- Schutz geistigen Eigentums
- Nutzung lokaler Fachkräfte
- Positive Auswirkungen auf die heimische Wirtschaft
Unternehmen entscheiden sich oft für Onshoring, um Risiken zu minimieren und die Kontrolle über ihre Produktion zu verbessern.
Offshoring
Offshoring hingegen bezieht sich auf die Verlagerung von Geschäftsprozessen oder Produktion in ein anderes Land, typischerweise um Kosten zu senken oder andere Vorteile zu nutzen.
Gründe für Offshoring:
- Niedrigere Lohnkosten
- Zugang zu neuen Märkten
- Steuerliche Vorteile
- 24/7-Betrieb durch Zeitzonenunterschiede
- Nutzung spezialisierter Fachkräfte im Ausland
Offshoring kann verschiedene Formen annehmen, von der Auslagerung einzelner Geschäftsprozesse bis hin zur Errichtung eigener Produktionsstätten im Ausland.
Ein weiterer Nachteil ist der Fachkräftemangel in Europa. Laut einer Umfrage des ifo-Instituts gaben 35 Prozent der befragten deutschen Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe an, dass ihre Geschäftstätigkeit durch fehlende Fachkräfte behindert wird. Onshoring erfordert also eine langfristige Planung und Investition in den Aufbau einer qualifizierten Belegschaft für inländische Produktionsanlagen. Nach der Produktionsverlagerung kann es etwas Zeit in Anspruch nehmen, bis die volle Kapazität erreicht wird. Die Vorteile des Onshorings in Bezug auf die Widerstandsfähigkeit oder Kosteneinsparungen entfalten sich daher schrittweise und werden oft nur nach einigen Jahren deutlich.
Was macht Nearshoring zur idealen Lösung?
Eine weitere Möglichkeit ist das Nearshoring oder auch Friendshoring genannt in Nachbarländern oder in Regionen, die als politische und ökonomische Verbündete gelten oder mit denen gemeinsame Rahmenverträge bestehen. Neben den kürzeren Lieferwegen reduzieren sich in der Regel durch die fehlende Zeitverschiebung auch die Kommunikationswege und damit die Reaktionszeit bei Beeinträchtigungen. Durch diese Maßnahme können die übergreifenden Kosten als auch die Kosten der Arbeitskräfte je nach Verlagerungsland günstiger werden. Die Gesamtkosten sind im Vergleich zum Offshoring allerdings meist höher. Daher gilt es auch hier, wie beim Onshoring, sorgfältig abzuwägen, ob die erzielten Vorteile die potenziellen Nachteile aufwiegen können.
Welche Risiken müssen Unternehmen abwägen?
Alle drei Strategien bieten ihre Vor- und Nachteile, die je nach Branche und Unternehmenszielen unterschiedlich ins Gewicht fallen. Um eine fundierte Entscheidung zu treffen, sollten die Rahmenbedingungen genau und individuell beurteilt werden. Gleichzeitig müssen Unternehmen überlegen, was sie im Hier und Jetzt tun können, um die Widerstandsfähigkeit ihrer Lieferketten zu verbessern. Denn es ist nur eine Frage der Zeit, wann es eine weitere große Störung gibt, die weitreichende Auswirkungen haben kann.
Neben der Neuevaluierung ihrer Strategie sollten Lieferkettenverantwortliche auch ihre gesamte Lieferkette transparenter machen. Das unterstützt nicht nur bei der Entscheidungsfindung, sondern kann auch helfen proaktiv auf Störungen oder Veränderungen in der geopolitischen Landschaft zu reagieren und nachhaltigeres Wirtschaften zu vereinfachen.
überarbeitet von: Dietmar Poll