Ein Mann hält in seiner Hand ein Smartphone, das mehrere Oberflächen und damit die Vernetzung anzeigt

Der digitale Wandel muss jetzt auch in den KMU Einzug halten, weil der Innovationsdruck in Deutschland auf den Mittelstand wächst. Im Beitrag steht, wie das geht. - (Bild: AdobeStock - sdecoret)

Die schlechte Nachricht zuerst: Es gibt noch keinen Blueprint für die Einführung der Digitalisierung im Mittelstand, den alle nachfolgenden Unternehmen für sich anwenden können. Jedes KMU muss noch seinen eigenen Weg gehen. Gute Nachrichten zur Einführung des digitalen Wandels in KMUs gibt es aber zur Genüge. Die nachfolgenden Erfahrungsberichte von Start-Ups und dem Fraunhofer IEM beschreiben, wie agile, mittlere Unternehmen die Transformation bewältigt haben - mit einem Praxisbeispiel ganz am Schluss.

Eine erste Einschätzung dazu kommt von Tobias Rappers, Managing Director bei der Maschinenraum GmbH. Diese ist eine geteilte Innovationsplattform für deutsche Familienunternehmen, entsprungen aus der Transformationsgeschichte der Viessmann Gruppe: "Ich glaube, dass die digitale Transformation im Mittelstand nur erfolgreich sein kann, wenn mittelständische Unternehmen sich zusammentun und sich gemeinsam in diesen neuen Themenfeldern orientieren. Denn der Gedanke der Netzwerke spielt dabei eine sehr große Rolle."

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Tobias Rappers
Tobias Rappers, Managing Director bei der Maschinenraum GmbH.

Mein konkreter Tipp für alle KMU zur digitalen Transformation im Mittelstand: "Die Kultur der Organisation nicht vergessen und dem Aktionismus verfallen, einfach Sachen wild zu machen und zu starten", sagt Tobias Rappers. - Bild: Maschinenraum GmbH

Agile Transferprojekte für digitale Technologien

Seitens des Fraunhofer IEM gibt es sogenannte Transferprojekte, um Digitalisierung in KMU einzuführen, wie Laban Asmar, Strategische Produkt- und Unternehmensgestaltung, Gruppe Innovationsmanagement, Fraunhofer IEM darstellt. Diese Transferprojekte sind geförderte Projektformate, an denen binnen sehr kurzer Zeit und sehr intensiv ein Ergebnistransfer von Forschung in die Industrie gearbeitet wird.

Dazu nennt Asmar ein Beispiel: "In der Regel sind die meisten Projekte für softwarebasierte Unternehmen ausgelegt. Hier aber geht es um ein Unternehmen mit stark Hardeware-basierten Produkten, die jetzt zunehmend digitalisiert werden. Die mechatronischen Systeme wurden mit zunehmender Intelligenz versehen. Demnach sind die Projekte nicht 1:1 übertragbar und wir versuchen dieses für das mittelständische Unternehmen zu integrieren."

Asmar betont, dass es dabei extrem wichtig ist, die reale Herausforderung in den Mittelpunkt zu stellen – und nicht den forschungsseitigen Ansatz. "Und es muss immer im Blick sein, wie man es am Ende nachhaltig ins Unternehmen integrieren kann", so Asmar.

Laban Asmar Fraunhofer IEM
Laban Asmar, Strategische Produkt- und Unternehmensgestaltung, Fraunhofer IEM.

Mein konkreter Tipp für alle KMU zur digitalen Transformation im Mittelstand: "Pragmatisch denken und einfach mal machen und dabei keine Angst vor neuen Kooperationen und anderen neuen Sachen haben," sagt Laban Asmar. - Bild: Fraunhofer IEM

Beratungsunternehmen für den digitalen Wandel

Viel Erfahrung kann Johanna Claussen mitbringen. Sie hat selbst schon Startups gegründet, war von einem größeren Unternehmen übernommen worden und ist nun Mitgründerin der Pionier-Manufaktur GmbH. Sie erklärt, warum sie den Bedarf sieht, ein Beratungsunternehmen für die digitale Transformation zu gründen: "In Deutschland wächst der Innovationsdruck auf den Mittelstand - man denke nur an Tesla und Uber, die den etablierten Unternehmen richtig Schwierigkeiten bereiten können."

Claussen erweckt gemeinsam mit den Kunden Innovationen zum Leben, um diese in den Mittelstand zu integrieren und berät über das Outsourcing der Innovationen in ein Start-up.

"Dafür braucht man mehrere Bausteine aus beiden Welten – also nicht nur das Branchenwissen und die Erfahrung der Mittelständler und von den etablierten Unternehmen, sondern eben auch die Dynamik des High tech-Know hows eines Startups, das wir jetzt mitbringen", unterstreicht Claussen.

Johanna Claussen, Mitgründerin Pionier-Manufaktur GmbH
Johanna Claussen. - (Bild: Pionier-Manufaktur)

Mein konkreter Tipp für alle KMU zur digitalen Transformation im Mittelstand: "Wir empfehlen gerne einen Idee- oder Kreativworkshop zu veranstalten – mit uns oder alleine. Dazu lädt man sich eine bunte Gruppe aus Mitarbeitern verschiedener Bereiche ein, vielleicht noch einen Kunden, der vorausdenkend ist. Da kann man Brainstormen und Schub aufnehmen," sagt Johanna Claussen. - Bild: Pionier-Manufaktur 

Das Thema digitale Transformation etablieren

Einblicke in die Welten eines etablierten Unternehmens und eines Startups hat Dr. Johannes Stemmer, Director Digital Transformation, Beumer Group GmbH & Co. KG, ein Unternehmen für Sortier- und Verteiltechnik, Gepäckfördertechnik sowie Palletier- und Verpackungstechnik.

„Bei uns ist das Thema digital so richtig im Jahr 2017 gestartet. Im Rahmen einer Startup-Safari haben wir uns informiert, was alles im digitalen Kontext möglich ist. Als Konsequenz ist die Erkenntnis entstanden, dass wir das Thema digitale Transformation eigenständig benennen und dem organisatorisch einen Platz geben wollen."

Informationen über Technologie teilen

Auch Stemmer ist der Meinung, dass sich die mittleren Unternehmen in Industrie und Wirtschaft informieren müssen, was andere machen, da es keinen Blueprint dafür gibt, wie genau man die Digitalisierung umsetzen sollte. Denn jedes mittelständische  Unternehmen habe ein Stück weit die eigene Adaption der Möglichkeiten auf den eigenen Kontext.

"Wir hatten uns Viessmann und Glöckner angeschaut. Für mich haben viele dieser Konzepte zwei, wenn nicht drei zentrale Stränge: Das eine ist evolutionär – also wie kann ich meine Kernmaschine oder mein Kernprodukt smart machen. Auf der anderen Seite ist etwas Revolutionäres - also mit welchem Geschäftsmodell muss ich mich reiben, womit muss ich mich agil challengen und was ist potenziell auch disruptiv zu dem, was ich heute mache", erläutert Stemmer.

Transformation digitaler Technologien im Dreiklang

Anhand dessen habe man für die Beumer Group in Workshops einen Dreiklang entwickelt. Als erstes ein internes Team, das sich um interne Digitalisierungsprojekte kümmert – um auch sichtbar zu machen, woran in der Beumer-Welt schon digital gearbeitet wird – also um Transparenz über digitale Technologien zu erhalten.

"Unter dem Gedanken evolutionär haben wir die Beumer Group Evolution gegründet - in Dortmund gegenüber dem Fraunhofer IML. Dort sitzt auch mit circa 60 Kilometer geographischem Abstand zum Beumer Stammsitz - bewusst, um Abstand zum Tagesgeschäft zu haben - ein agiles Entwicklerteam mit dem Ziel, Prototypen zu entwickeln. Das befindet sich ganz nah am Kunden, um Beweise zu generieren, dass eine digitale Technologie wie zum Beispiel ein neuer Sensor, eine App oder eine Plattform im Stande ist, ein ganz konkretes Problem zu lösen", verdeutlicht Stemmer die Wichtigkeit dieser Technologien.

Haben die dort Beschäftigten nach zwei bis drei Monaten etwas gebaut, wird es laut Stemmer mit zehn bis 15 Kunden gespiegelt und bei gutem Kundenfeedback schließlich zu einem Beumer-Produkt. "Es dient dazu, das Kerngeschäft zu stützen und unser Förderband smart zu machen", ergänzt Stemmer über den Nutzen der Transformation.

Johannes Stemmer, Director Digital Transformation, Beumer Group GmbH & Co. KG
Johannes Stemmer, Director Digital Transformation, Beumer.

Mein konkreter Tipp für alle KMU zur digitalen Transformation im Mittelstand: "Bewahren Sie sich eine gesunde Skepsis um Ihre Geschäftsmodelle stetig zu hinterfragen und lernen Sie von anderen, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen," sagt Johannes Stemmer. - Bild: Beumer

Revolutionäre Veränderung durch mehr Information und Digitalisierung

Um die revolutionäre Veränderung geht es bei den unbequemen und völlig andersartigen Dingen gemessen am Geschäftsmodell. "Dazu haben wir die Beam GmbH in Berlin gegründet – das ist ein Company Building-Konzept. Der Prozess ist ähnlich zu dem in Dortmund. Denn wir suchen uns richtig gute B2B-Probleme, pitchen diese vor Gründerteams unter dem Motto 'Hier ist das Problem und ihr bringt euer Talent und euren Enthusiasmus mit', dann startet eine dreimonatige Validierungsphase", sagt Stemmer.

Die Gründerteams haben dabei alles zur Verfügung wie Daten, Zugang zu Experten und Kunden. Nach drei Monaten steht die Klärung an, wie das Problem geartet war und wie das jeweilige Gründerteam es würde lösen wollen.

"Dann entscheiden wir, ob die Beam GmbH oder die Beumer Group mit den Gründern zusammen ein Unternehmen gründet, um das langfristig zu halten. Somit wollen wir durch eigene Startups ein sukzessives Portfolio an digitalen Unternehmen erarbeiten, die sich im Kontext des Kerngeschäfts tummeln und durchaus auch im Wettbewerb stehen dürfen. Denn am Ende wird sich das bessere Konzept durchsetzen", ist sich Stemmer sicher.

Praxisbeispiel: Pooling-Konzept für Ersatzteile

Johannes Stemmer spricht aus der Praxis: "Wir haben die Erfahrung gemacht – je potenziell unbequemer oder disruptiver ein Thema ist, desto mehr erfordert es Kommunikation. Mit der Kommunikation muss im Stammhaus selbst eine Basis an Akzeptanz geschaffen werden – in dem Wissen, dass das Ergebnis auch Veränderungspotenzial für die Beumer Group von morgen hat. Die Beschäftigten müssen mitgenommen werden, weil man sie an allen Ecken und Enden zur Validierung der Ideen braucht – sie müssen Teil dieser Geschichte werden.

Dazu ein Praxisbeispiel: Wir denken über ein Pooling-Konzept für Ersatzteile nach – mit dem Ziel, Ersatzteilbestände unserer Kunden digital zu vernetzen. Das heißt, wir verkaufen am Flughafen A ein lokales Ersatzteilpaket und auch an einem Flughafen B. Das ist heute unser Geschäftsmodell.

In Zukunft wollen wir die Bestände digital vernetzen, so dass alle Kunden aus einem gemeinsamen Pool heraus bedient werden können. Für den Kunden ist das vorteilhaft, denn er hat eine höhere Verfügbarkeit zu weniger Kapitalbindungskosten. Für uns ist erst einmal im klassischen Geschäftsmodell nicht so vorteilhaft, weil wir unterm Strich weniger Ersatzteile verkaufen.

Wir sind uns aber sicher, dass diese Konzepte zunehmend umgesetzt werden und es immer mehr Player gibt, die das machen. Für so ein Konzept muss man die Organisation mitnehmen, weil man sonst am internen Widerstand enorm viel Energie verliert. Von daher ist es absolut wichtig, dass die Beschäftigten des Unternehmens Teil dieser Geschichte werden."

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