Podiumsdiskussion Digitalisierung Wilk Finkler Pastow Schneider

(Bild: Anna McMaster)

Eine Teilnehmerumfrage ergab: 52 Prozent der Saalbesucher:innen versuchen, so viele Prozesse wie möglich zu digitalisieren. 48 Prozent gaben an, mit Fingerspitzengefühl zu digitalisieren und nur dort, wo es auch Sinn ergibt.

„Die Digitalisierung ist in vielen Unternehmen noch nicht angekommen“, stellte Michael Finkler dennoch fest, Vorstand des größten VDMA-Fachverbands Software und Digitalisierung und Geschäftsführer des ERP-Anbieter Proalpha Business Solutions GmbH. „Es muss ein echtes Umdenken in der Industrie stattfinden, bei dem Mehrwerte für den Kunden in den Vordergrund rücken“, so der Experte. Unternehmen sollten hier voranschreiten, auch wenn man noch nicht ganz sicher ist, wo die Reise hingeht. Diese Empfehlung stützte Finkler auf eine Umfrage in fünf Märkten, wo die Kunden klares Interesse an Bezahl-Services hätten.

Madchinenbau-Gipfel 2023
(Bild: Weinzierl)

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Digitale Geschäftsmodelle sind Wettbewerbsfaktor

Gibt es Gründe dafür, dass sich der Maschinenbau in der Breite schwertut mit der Business-Transformation? Während Digitalvorreiter Trumpf auf Pay-per-Part-Modelle setzt, fällt dies Komponentenherstellern schwerer. „Pay-per-Volume nach gepumpten Volumen würde passen, ist aber in der Praxis nicht so einfach. Das klassische Investitionsgütermodell funktioniert noch sehr gut, das fordern die Kunden weiter“, erklärte Moritz Pastow, Program Manager Digital Services & Industrial IoT beim Pumpenhersteller Lewa GmbH. Es sei extrem komplex, sich bei Pay-per-Part im Prozessverbund mit vor- und nachgelagerten Komponenten abzustimmen. Man sei dankbar, dass sich zunehmend Standards wie OPC-UA, VDI 2770 oder Umati etablieren.

Gerade bei kundenindividuellen Produkten seien digitale Modelle schwieriger. „Wir sehen uns im Thema Überwachung, weil Pumpen ein kritisches Element in Anlagen sind und der Kunde Interesse an Prozessstabilität hat“, so Pastow. Das Leistungsversprechen sei also mit der Pumpe als Sensor für die Anlage die Gesamtüberwachung am Leitstand zu verbessern. Dafür setzt das Unternehmen auf eine Cloud-First-Strategie und transformiert sein Geschäftsmodell. „Es ist unser Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb, über das mechanische Produkt hinaus Services anzubieten“, resümierte Pastow.

Den Mut für die nächste Stufe der Digitalisierung aufbringen

„Wir haben viel investiert und auch viel gelernt, die Digitalisierung geht nicht ohne Erkenntnisgewinn“, sagt Dr. Thomas Schneider, geschäftsführender Direktor Forschung und Entwicklung bei der Trumpf Werkzeugmaschinen SE + Co. KG. Die erste Etappe sei geschafft, doch es werde ein steiniger Weg. Man müsse den Mut aufbringen, aus dem Gelernten die nächste Phase einzuläuten. „Wir haben bereits viele Kunden überzeugt, gemeinsam lernen wir wahnsinnig viel. Aber wir haben noch viele Kunden, die einsteigen könnten“, sagte Schneider über die Resonanz im Kundenspektrum.

Man wolle nicht mehr im Labor die perfekte digitale Strecke bauen, das koste viel Geld und habe sich als schwierig erwiesen. Stattdessen will man sie gemeinsam mit erfolgreichen Kunden gestalten und die Kunden von der Notwendigkeit eines Re-Engineering überzeugen. Nicht ganz einfach, wenn man die letzten Jahrzehnte erfolgreich war, weil man keinen Serienstand gemacht habe, der heute jedoch das Ziel sei.

Schneider sagt klar: Die Daten gehören prinzipiell dem Kunden. Wenn der Kunde die Daten teilt, kann seine Maschine besser dazulernen. Dabei setzt Trumpf auf den digitalen Zwilling. „Der Digital Twin ist heute noch im Engineering-Prozess verhaftet. Wir transformieren in den nächsten acht Jahren unser PLM-System. Die Wette ist, dass der digitale Zwilling von der Entwicklung bis in den Service greift“, konstatierte Schneider. Eine Riesenherausforderung, denn man müsse immer wieder zeigen, dass es eine Perspektive für die Monetarisierung gebe.

KI lässt sich besser skalieren als gedacht

Mit den eigenen KI-Lösungen sei man in der Praxis bei großen Kunden immer schon auf vorhandene Plattformen und Standards getroffen, sodass schnell klar war: „Kein Kunde wird sagen, ich setze als Hauptlösung auf die Plattform zum Beispiel von Firma Festo. Unser Produkt muss sich also einfügen können in eine Struktur, die schon da ist. Bei kleineren Kunden hingegen müssen wir einen Standard vorgeben, der aber nicht nur aus unseren Lösungen besteht“, erklärte Tanja Maaß, Geschäftsführerin der Festo-Tochter Resolto Informatik GmbH.

Das Alleinstellungsmerkmal in diesem Markt, wo es um unzählige Komponenten in der Maschine geht, sei die Domänen-Expertise. Pneumatik tief zu verstehen beispielsweise sei ein Know-how, mit dem sich Standards setzen ließen, die der Kunde auch verstehe. Grundsätzlich sei man jedoch von den anfänglichen Digitalisierungsideen, vertikale Services anzubieten, wieder abgekommen. Allein Resolto habe zunächst über 200 vertikale Use Cases angeboten.

Tanja Maaß beim Maschinenbau-Gipfel
Tanja Maaß, Geschäftsführerin der Festo-Tochter Resolto Informatik (Bild: Anna McMaster)

Um vom Experimentieren mit oft auch unwirtschaftlichen Ideen wegzukommen, habe man ein internes AI-Center für die Erprobung gegründet. Dabei entdeckte man Überraschendes: „Lange haben wir in der KI gedacht, dass sich diese Modelle, die wir trainieren, relativ schlecht auf viele andere Use Cases übertragen lassen“, sagt Maaß.

In der Praxis habe sich aber zum Beispiel gezeigt, dass sich ein Projekt der Schweißzangenüberwachung bei einem Autohersteller dann auch relativ leicht auf eine andere Aufgabe, die Zylinderüberwachung im Presswerk, übertragen ließ – ohne die Modelle tief neu zu trainieren. „Man kann also sehr wohl horizontale Lösungen und einen Standard-Stack anbieten“, so die KI-Expertin. Sie sieht vor allem das Thema Predictive Control, also die kontinuierliche Qualitätsüberwachung, im Fokus, sogar noch vor Predictive Maintenance.

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Die Sicherheit bleibt Kernthema der Digitalisierung

Eine weitere Saalumfrage zum Thema IT-Sicherheit zeigte: Immerhin 7,7 Prozent gaben an, schon mal Opfer eines Ransomware-Angriffs geworden zu sein, bei dem die Daten verschlüsselt wurden. Knapp zwei Drittel konnten das bisher verhindern. 28 Prozent können es nicht sagen. Von immerhin 60 betroffenen Unternehmen weiß der VDMA in diesem Jahr.

Arndt Bake, CDO der Basler AG, die Produkte für die Bildverarbeitung wie Industriekameras herstellt, berichtete vom Hack seiner Firma: Man habe sich eigentlich für einen Mittelständler vernünftig geschützt gewähnt. Derzeit befinde man sich in Phase drei, der kompletten Überholung der Infrastruktur, die sonst gut vier Jahre dauere. „Wir ziehen das jetzt in 1,5 Jahren durch“, so Bake. Die Schuldfrage zu stellen, helfe nicht, und verhindere einen offenen Umgang in der Zukunft – auch wenn es meist Mitarbeitende sind, die eine E-Mail geöffnet oder einen Button gedrückt und damit den Virus in das System gelassen haben.

Arndt Bake (links) und Wolfgang Straßer (Mitte)
Arndt Bake, CDO der Basler AG (links) und Wolfgang Straßer, Geschäftsführer der @-yet GmbH (Mitte) sprachen beim Forum Digitalisierung über Cybersicherheit. (Bild: Anna McMaster)

Wie sollte man mit einem Cyberangriff umgehen?

Was tut man denn als Erstes im Angriffsfall, wollte Steffen Zimmermann wissen, Moderator und Leiter Competence Center Industrial Security beim VDMA. Zunächst sei es ein großer Schock, wenn knapp 1000 Mitarbeitende plötzlich nicht mehr arbeiten können. „Man geht in das Krisenprojekt hinein, mit dem Fokus darauf, die wichtigsten Prozesse, die Kunden und Umsatz betreffen, ans Laufen zu kriegen“, so Bake. Nach knapp fünf Tagen sei man zuversichtlich gewesen, „dass man aus dem Schlamassel wieder herauskommt“. In knapp 1,5 Wochen habe man es geschafft, wieder produktionsfähig zu sein.

„Das war sehr schnell und funktionierte sicherlich nur, weil ein gutes Back-up da war. Das ist in dieser Situation wirklich wichtig“, merkte Wolfgang Straßer an, Geschäftsführer der @-yet GmbH, Security-Experte für Forensik und Risikomanagement. Straßer hat schon mehreren von Cyberattacken betroffenen VDMA-Mitgliedern geholfen, darunter dem vor einigen Jahren gehackten Automatisierungsexperten Pilz.

Zunächst gehe es darum, zu schauen, wie der Täter hereingekommen ist. Kann man die alte Umgebung wieder aufbauen oder muss eine neue Umgebung entstehen, damit der Täter nicht wieder hereinkommt? „In aller Regel geht es um den Neuaufbau“, sagt Straßer, „bis zu vier Wochen braucht es, um die wichtigsten Prozesse herzustellen. Aber es dauert bis zu einem Jahr, bis alles wieder normal läuft. Das ist für viele schockierend und sie wollen es nicht wahrhaben“.

Der Tipp der Experten, wie sich Unternehmen am besten wappnen können: „Die Wahrscheinlichkeit betroffen zu sein, ist hoch, man muss vorberietet sein und sich darauf einstellen“, rät Arndt Bake. Und Straßer meint: „Prävention ist alles: Was sind die wichtigsten Prozesse und Daten? Was ist zu schützen?“ Dafür brauche die IT Geld und Skills, man müsse die Maßnahmen vorantreiben und immer am Thema dranbleiben, weil die Digitalisierung voranschreitet. Im Angriffsfall dient der VDMA als Anlaufstelle, um Experten zu vermitteln und vielleicht auch gegenseitige Hilfe von Mitgliedsunternehmen zu organisieren.

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