Lieferantenmanagement 2.0.

Lieferantenmanagement 2.0: Vertikalisierung der Wertschöpfungskette durch Lieferantenkooperationen. (Bild: j-mel - stock.adobe.com)

Optimierte Planung, verbesserte Lieferfähigkeit, Synergieeffekte, schlanke Bestände und Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung sind nur einige der Vorteile, die sich aus einer umfassenden Supply Chain Collaboration ergeben können. Wer mit seinen Kunden und Lieferanten eine konstruktive Partnerschaft eingehen will, muss jedoch Offenheit und Vertrauen mitbringen. Höveler Holzmann, Spezialist für Supply Chain- und Einkaufsoptimierung, gibt zehn Tipps, wie die Kooperation gelingen kann.

Die Welt wächst zusammen und doch bleiben manche Grenzen immer noch bestehen: Inner- und außerbetriebliche Supply Chains werden oft von hohen Mauern getrennt. Was wäre also, wenn Produzenten ihre Kunden und Lieferanten eng in die Unternehmensstrukturen und -abläufe des eigenen Unternehmens einbinden würden? Wer externe und interne Prozesse und Systeme synchronisiert, reduziert nicht nur Risiken entlang der Lieferkette. Er kann darüber hinaus effektiver und erfolgreicher zusammenarbeiten, agiler und leistungsstärker operieren und sogar die Innovations- und Technologiefähigkeit der Organisation erhöhen.

Doch wie jede Änderung der Unternehmensstrategie birgt auch die Zusammenarbeit in der Lieferkette (Supply Chain Collaboration, SCC) nicht nur Chancen, sondern auch Risiken. Akteure, die eine stärkere Kollaboration mit ihren Lieferanten und Kunden avisieren, sollten diese genau betrachten.

Sie wollen sich am liebsten sofort der Herausforderung stellen, Ihre Supply Chain Collaboration zu stärken? Diese zehn Tipps erleichtern den Start ins Projekt.

1. Starten Sie mit einer Bedarfsanalyse

Kooperationen sind kein Selbstzweck. Ausgangspunkt aller Kooperationsbestrebungen sollten daher die folgenden Fragen sein: In welchen Bereichen wollen wir uns als Unternehmen über eine Kooperation verbessern? Welche strategischen Wettbewerbsvorteile wollen wir generieren beziehungsweise welche operativen Verbesserungen wollen wir herbeiführen? Dabei können Partnerschaften bei einer Vielzahl von Themenfeldern einen wesentlichen Verbesserungstreiber darstellen. Hier eine kleine Auswahl:

  • Kooperationen in Forschung und Entwicklung ermöglichen und beschleunigen Technologie- und Produktentwicklungen
  • Eine Zusammenarbeit in Prognose- und Planungsprozessen erhöht die Lieferfähigkeit, reduziert Bestände (Stichwort: Bullwhip-Effekt) und verringert die Kosten in der gesamten Supply Chain
  • Gemeinsam abgestimmte und digitalisierte Bestell- und Abwicklungsprozesse erhöhen die Effizienz, verringern Fehler und führen zu schnelleren Lieferungen
  • Unternehmensübergreifende Projekte zur Steigerung der Material- und Produktqualität erhöhen die Zufriedenheit entlang der gesamten Lieferkette

2. Durchdenken Sie die gesamte Supply Chain

Als mögliche Kollaborations-Partner kommen natürlich zunächst einmal die vor- und nachgelagerten Unternehmen in der Wertschöpfungskette, also direkte Kunden und direkte Lieferanten, in Betracht. Darüber hinaus kann es aber in bestimmten Fällen durchaus Sinn machen, auch die Kunden der Kunden (zum Beispiel in der Getränkeindustrie den Einzelhandel als Kunden des Getränkefachgroßhandels) oder die Lieferanten der Lieferanten (zum Beispiel Rohwarenlieferanten) als mögliche Partner für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Der Begriff des Lieferanten sollte in diesen Überlegungen weit gefasst werden: So sind grundsätzlich nicht nur Materiallieferanten, sondern auch andere Lieferanten wie Lohnfertiger oder Logistikdienstleister potenzielle Kandidaten für eine Kooperation.

3. Gehen Sie bei der Auswahl möglicher Collaboration-Projekte strategisch vor

Vermutlich werden Sie nach Durchlaufen der Punkte 1 und 2 eine Vielzahl an möglichen Kollaborations-Projekten identifiziert haben. In einer Welt begrenzter personeller (und finanzieller) Ressourcen ist nun die Projektauswahl entscheidend. Hierbei können anhand einer Matrix der potenzielle Nutzen für die eigene Organisation (zum Beispiel finanzieller Nutzen oder strategischer Nutzen) abgewogen werden gegen den entsprechenden Aufwand und die Risiken der Kollaboration.

Priorisiert werden dann die Projekte mit einem guten Verhältnis aus Kosten und Nutzen. Dabei sollte im Auge behalten werden, dass Partnerschaften „auf Augenhöhe“ regelmäßig erfolgsversprechender sind als Partnerschaften zwischen „ungleichgewichtigen“ Partnern.

4. Konkret werden und Nutzen aufzeigen

Nach der internen Entscheidung, welche Kooperationsprojekte angegangen werden sollen, geht es nun darum, den anvisierten Partner für das Projekt zu gewinnen. Diese haben häufig nicht auf diese Art von Anfrage gewartet und in vielen Fällen ist hier zunächst einmal ein ganzes Stück an Überzeugungsarbeit zu leisten. Dies gilt insbesondere für Kooperationen mit Kunden.

Bei Kooperationen mit Lieferanten sind die Themen – je nach Marktmacht – häufig etwas einfacher einzusteuern. Um den Partner für das Projekt zu gewinnen ist es entscheidend, die Anfrage möglichst konkret zu stellen und die gemeinsamen Vorteile aus einer Outside-in Perspektive schon einmal herauszuarbeiten. Hilfreich ist es darüber hinaus, wenn das Projekt auf einer möglichst hohen Management-Ebene beim potenziellen Kooperationspartner eingesteuert wird, um das Thema auch beim Partner mit der nötigen Priorisierung zu versehen.

5. Setzen Sie gemeinsame Ziele und entwickeln Sie den gemeinsamen Business Case

Nichts ist in einer ausgewogenen Partnerschaft so wichtig wie das Schaffen einer Win-Win-Situation, um beide Seiten langfristig für die Partnerschaft zu incentivieren. So ist es bei der Definition der Ziele und des gemeinsamen Business Cases entscheidend, Aufwand und Nutzen der Kooperation so auf die Partner zu verteilen, dass für beide Seiten ein attraktiver Business Case resultiert.

In der Praxis erlebt man es häufig, dass die Verteilung der Vorteile aus der Kooperation deutlich mehr Zeit in Anspruch nimmt als die Ausarbeitung dieser Vorteile. Nichtsdestotrotz sind diese Diskussion und das abschließende Ergebnis ein wesentlicher Erfolgsfaktor für eine gelungene Partnerschaft.

6. Arbeiten Sie in „doppelt“ übergreifenden Teams

Zur Realisierung der Ziele ist es nun regelmäßig erforderlich, in „doppelt“ übergreifenden Teams zu arbeiten: Einerseits ist bei einer Partnerschaft zunächst einmal ein unternehmensübergreifendes Team erforderlich, das aus Mitarbeitenden aller Kooperationspartner besteht, um dem Projekt auf allen Seiten den nötigen Nachdruck zu verleihen.

Andererseits ist das Team auch unternehmensintern cross-funktional aufzusetzen. So reicht es im Regelfall nicht aus, bei Lieferantenkooperationen lediglich den Einkauf und bei Kundenkooperationen nur den Vertrieb zu beteiligen. Die meisten der klassischen Kooperationsthemen (siehe Punkt 1) sind typische Querschnittsthemen, an denen dann auch im eigenen Unternehmen die relevanten Funktionen zu beteiligen sind.

7. Implementieren Sie die vertraglichen, prozessualen und IT-technischen Grundlagen

Viele der regelmäßigen Inhalte von Partnerschaften sind mittel- bis langfristiger Natur. Sowohl Themen aus dem strategischen Bereich wie gemeinsame Produktentwicklungen, als auch operative Themen, wie optimierte Abwicklungsprozesse. Um dieser langfristigen Zusammenarbeit auch die richtige Struktur zu geben, ist zu Beginn einiges an Grundlagenarbeit zu leisten.

So empfiehlt es sich, die Zielsetzungen und die gegenseitigen Verpflichtungen in einer Zusammenarbeit auch in einer gemeinsamen Vereinbarung niederzulegen – auch vor dem Hintergrund, den Investitionen in dieses Projekt eine gewisse Investitionssicherheit zu bieten. Darüber hinaus sind insbesondere bei den gemeinsamen operativen Verbesserungen klare Prozesse und Abläufe zu definieren mit einer leistungsstarken IT zu hinterlegen.

8. Lernen Sie aus Fehlern anderer und antizipieren Sie Rückschläge

Wahrscheinlich wurde kein Thema in Supply Chains wie das Thema „Partnerschaft“ in den vergangenen Jahrzehnten so intensiv bemüht, während das tatsächliche Verhalten der Unternehmen häufig alles andere als partnerschaftlich war. Schon vor über 20 Jahren wurde versucht, den Kollaborationsgedanken entlang von strukturierten Vorgehensweisen zu institutionalisieren.

Als Beispiele aus der Konsumgüterindustrie können hier Efficient Consumer Response (ECR) oder Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR) genannt werden. In anderen Branchen gab und gibt es ähnliche Ansätze.

Ernüchternd muss man aber leider feststellen, dass insbesondere CPFR weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist und sich kaum Erfolge eingestellt haben. Daher ist es entscheidend, die Fallstricke von Kooperationen immer im Auge zu haben. Diese können beispielsweise sein:

  • Mangelndes Vertrauen der Partner
  • Ausbleibende oder lediglich auf einer Seite anfallende Erfolge
  • Geringe Investitionsbereitschaft in die Partnerschaft
  • Technische Schwierigkeiten
  • Überlagerung der Partnerschaft durch andere Prioritäten im Unternehmen oder durch Streitpunkte im Geschäftsverhältnis mit dem Partner in anderen Bereichen
  • Ungleichmäßige Verteilung von Erfolgen, zum Beispiel Kosteneinsparungen

9. Messen und dokumentieren Sie die Erfolge Ihrer Partnerschaften

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: Verlassen Sie sich keinesfalls darauf, dass die Vorteile Ihrer SCC sich von allein zeigen werden. Um den Nutzen abzubilden, ist eine fortlaufende Erfolgsmessung anhand geeigneter KPIs unerlässlich. Sie bietet nicht nur Argumente für den internen Nachweis des Projekterfolgs. Eindeutige, quantitativ belastbare Zahlen erhalten auch die Motivation beider Partner aufrecht.

Eröffnet sich in der Zukunft die Gelegenheit für eine weitere Kollaboration oder für die Ausweitung der bestehenden Zusammenarbeit auf zusätzliche Partner, geben Ihnen KPIs zudem hilfreiche Mittel an die Hand, um den Nutzen für alle Beteiligten nachzuweisen. Gerade im Bereich der SCC lassen sich Projekterfolge regelmäßig gut messen. Einige Beispiele sind:

  • Gesteigerte Prognosegüten, verbesserte Lieferfähigkeit und geringere Bestände durch Collaborative Forecasting
  • Geringerer Ausschuss durch gemeinsam optimierte Materialien
  • Gesteigerte Umsätze mit kollaborativ entwickelten Produkten
  • Verminderter Personaleinsatz durch gemeinsam digitalisierte Bestellprozesse

Im Sinne eines Joint Performance Managements ist es entscheidend, die ermittelten Werte mit dem Partnerunternehmen regelmäßig abzustimmen und Differenzen sofort zu klären, um bei der Kommunikation der gemeinsamen Projekterfolge keine Zweideutigkeiten aufkommen zu lassen. Stellen Sie im Anschluss sicher, dass die Erkenntnisse aus Ihrer Kollaboration mit anderen Geschäftsbereichen geteilt werden.

Das Silo ist Geschichte – kein Unternehmen kann es sich heute noch leisten, dass Abteilungen hermetisch abgeschirmt oder gar gegeneinander arbeiten. Kommunizieren Sie daher Effizienzsteigerungen und Kostenersparnisse als Best Practices, die sich auf andere Geschäftsbereiche übertragen lassen.

10. Steuern Sie aktiv und beenden Sie auch Partnerschaften, wenn es sein muss

Auch Partnerschaften bedürfen einer regelmäßigen Bewertung. Sollten sich gemeinsam entwickelte und verabschiedete Verbesserungseffekte nicht (beziehungsweise nicht mehr oder nur einseitig auf Seiten des SC Partners) einstellen, so sollte dies offen kommuniziert werden. Eine vertiefte Partnerschaft nur um der Partnerschaft willen ist kein Unternehmensziel.

Darüber hinaus gibt es Situationen, in denen sich im Zeitablauf ein anderes Unternehmen als das aktuelle Partnerunternehmen als der möglicherweise bessere Partner für das eigene Unternehmen herauskristallisiert. Daher sollten Sie Ihr Portfolio an Partnerschaften regelmäßig bewerten und aktiv steuern – und eine Partnerschaft auch beenden, wenn dies erforderlich sein sollte.

Fazit: Langfristige Zusammenarbeit für anhaltende Erfolge

Gegenseitige Wertschätzung, gemeinsame Ziele und Vertrauen sind wichtige Faktoren, die eine Partnerschaft zum Erfolg führen. Wenn Sie in Ihrem Supply Chain Partner jemanden gefunden haben, mit dem Sie auf Augenhöhe in derselben Sprache sprechen und der die gleiche Strategie verfolgt wie Sie, spricht vieles dafür, die Zusammenarbeit auf ein neues Level zu heben.

Bedenken Sie dabei, dass für eine erfolgreiche SCC anfangs oft dicke Bretter zu bohren sind. Denn selbst wenn beide Organisationen das gleiche Ziel verfolgen, beschreiten sie dabei nicht immer dieselben Wege. Loten Sie das Potenzial einer Kollaboration daher sorgfältig aus: Kommunizieren Sie transparent und realistisch und vergleichen Sie Ziele und Strategien der eigenen Organisation und Ihres potenziellen Partners.

Sind sich beide Seiten über die grundsätzlichen Ziele und Chancen einer tiefergehenden Zusammenarbeit erst einmal einig, steht einer langfristig erfolgreichen Supply Chain Collaboration nichts im Wege.

Zu den Autoren

Prof. Dr. Matthias Lütke Entrup verantwortet als Partner der Höveler Holzmann Consulting GmbH den Bereich Supply Chain Management und ist Professor für Operations Management an der International School of Management in Dortmund.

 

Dennis Goetjes arbeitet als Partner für die Höveler Holzmann Consulting GmbH und ist spezialisiert auf gesamthafte Optimierungen im Supply Chain Management.

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