Deutschland nach der Deindustrialisierung - so stellt sich die KI das vor. Aber sind die Sorgen begründet?

Deutschland nach der Deindustrialisierung - so stellt sich die KI das vor. Aber sind die Sorgen begründet? (Bild: KI)

Was versteht man unter Deindustrialisierung?

  • Deindustrialisierung bezeichnet einen Strukturwandel in einer Volkswirtschaft, bei dem der industrielle Sektor gegenüber dem Dienstleistungssektor an Bedeutung verliert. Dieser Prozess äußert sich in einem Rückgang der Industriebeschäftigung, einem sinkenden Anteil des Industriesektors am Bruttoinlandsprodukt (BIP) oder der Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland.
  • Die Gründe für die Deindustrialisierung sind vielfältig und können den technologischen Fortschritt, die Globalisierung, wirtschaftliche Umstrukturierungen, veränderte Verbraucherpräferenzen und die Suche nach kostengünstigeren Produktionsstandorten umfassen.
  • Die Auswirkungen der Deindustrialisierung auf die betroffenen Regionen sind oft erheblich und umfassen Arbeitslosigkeit, Einkommensrückgang und städtischen Niedergang.

Befindet sich Deutschland aktuell in einer Phase der Deindustrialisierung?

Deutschland befindet sich derzeit nicht in einer Phase der Deindustrialisierung, aber es gibt Anzeichen für einen beschleunigten Strukturwandel: Der Anteil der Industrie an der Gesamtwirtschaft ist in den letzten Jahren relativ stabil geblieben und lag im Durchschnitt der Jahre 2010-2019 bei 22,4 Prozent der Wertschöpfung. Seit 2018 ist jedoch ein Rückgang der Industrieproduktion zu beobachten, der sich bis 2023 mit einem Minus von 1,5 Prozent fortsetzen wird. Besonders betroffen sind energieintensive Branchen wie die Chemie.

Gründe sind vor allem die gestiegenen Energiepreise infolge des Ukraine-Kriegs, aber auch langfristige Herausforderungen wie Digitalisierung, Dekarbonisierung und demografischer Wandel. Vielmehr zeichnet sich ein beschleunigter Strukturwandel ab, bei dem die Industrie relativ an Bedeutung verliert, während der Dienstleistungssektor wächst.

Was kann man gegen Deindustrialisierung tun?

Um einer unerwünschten Deindustrialisierung entgegenzuwirken, könnten spezifische Maßnahmen von großer Bedeutung sein. Zunächst wäre eine gezielte Unterstützung der Industrie bei der Bewältigung der Energiekrise und der Transformation entscheidend, beispielsweise durch spezielle Förderprogramme. Weiterhin könnte die Förderung von Innovationen und die Investition in Zukunftstechnologien die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie stärken.

Auch die Qualifizierung und Weiterbildung der Beschäftigten spielen eine wichtige Rolle, um den Strukturwandel sozialverträglich zu gestalten. Eine umfassende Wirtschaftspolitik, die den Strukturwandel fördert anstatt ihn zu verzögern, wäre ebenfalls vonnöten. Obwohl derzeit eine beschleunigte Deindustrialisierung in den kommenden Jahren befürchtet wird, ist die Lage nach aktuellen Einschätzungen noch nicht so dramatisch, wie es teilweise in der öffentlichen Diskussion dargestellt wird.

Warum kommt es zu Deindustrialisierung?

Die Deindustrialisierung in vielen Ländern ist das Resultat komplexer Ursachen und spiegelt einen signifikanten Wandel in der globalen Wirtschaftsstruktur wider. Einer der Hauptgründe ist der technologische Fortschritt, insbesondere durch Automatisierung und Digitalisierung, welche die industrielle Produktion effizienter machen und somit den Bedarf an menschlicher Arbeitskraft in der Fertigung reduzieren. Die Globalisierung trägt ebenfalls zu dieser Entwicklung bei, indem Produktionsstätten in Länder mit niedrigeren Lohnkosten verlagert werden. Dies führt zu einem Rückgang der Industriearbeitsplätze in den Industrieländern. Darüber hinaus führt der wirtschaftliche Strukturwandel dazu, dass der Dienstleistungssektor im Vergleich zum Industriesektor an Bedeutung gewinnt. Dies ist teilweise auf veränderte Konsumpräferenzen zurückzuführen, die eine höhere Nachfrage nach Dienstleistungen fördern.

Ein weiterer Faktor ist die sogenannte „Deindustrialisierungskrise“, die durch den Abbau arbeitsintensiver Industrien und die Flucht von Arbeitsplätzen aus den Städten gekennzeichnet ist. Dies erfolgt oft als Folge von Freihandelsabkommen, welche die Produktion in Ländern mit geringeren Lohnkosten ermöglichen. Zudem führen technologische Neuerungen, die weniger manuelle Arbeit erfordern, zum Wegfall vieler Fertigungsarbeitsplätze.

Diese Entwicklungen sind nicht nur auf fortschrittliche Volkswirtschaften beschränkt, sondern betreffen auch Schwellenländer, die oft sogar schneller deindustrialisieren. Es ist von entscheidender Bedeutung, die komplexen Auswirkungen dieser Trends auf die soziale und wirtschaftliche Struktur der betroffenen Länder zu erkennen. Dazu gehören steigende soziale Ungleichheit und Herausforderungen bei der Umstrukturierung der Arbeitskräfte.

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Inhalt: ZDFheute

Gab es in Deutschland schon einmal eine Phase der Deindustrialisierung?

Ja, es gab in der Vergangenheit Phasen der Deindustrialisierung in Deutschland. So zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals gab es in den 1950er und 1960er Jahren in Westdeutschland einen Strukturwandel von der Schwerindustrie hin zu leichteren Industrien und Dienstleistungen. Viele Kohle- und Stahlstandorte verloren an Bedeutung, was in den betroffenen Regionen wie dem Ruhrgebiet oder dem Saarland zu Arbeitslosigkeit und wirtschaftlichen Problemen führte.

Auch in den 1980er und 1990er Jahre kam es nochmals zu einer Phase des Niedergangs traditioneller Industriezweige wie Bergbau, Stahl- und Textilindustrie, was zu einem weiteren Rückgang der Industriebeschäftigung, insbesondere in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung führte.

Was versteht man unter der Montanindustrie?

Der Bergbau ist ein Sammelbegriff für die Wirtschaftszweige, die sich mit der Gewinnung, Aufbereitung und Weiterverarbeitung von Bodenschätzen wie Kohle, Erzen und Metallen befassen. Dazu gehören vorwiegend die Unternehmen des Steinkohlenbergbaus, der Eisen- und Stahlindustrie sowie der Gewinnung anderer Rohstoffe wie Erze, Metalle, Seltene Erden etc.

Der Bergbau spielte eine Schlüsselrolle bei der Industrialisierung und trug zum wirtschaftlichen Aufschwung vieler Länder bei. Auch wenn der Begriff „Montanindustrie“ heute nicht mehr so gebräuchlich ist, umfasst er nach wie vor alle Unternehmen, die sich mit der Gewinnung, Aufbereitung und Weiterverarbeitung von Bodenschätzen beschäftigen. Zu den bekanntesten Unternehmen in diesem Bereich zählen beispielsweise ThyssenKrupp, Salzgitter, BHP Group oder Rio Tinto.

Was geschieht in einer Phase der Hochindustrialisierung und gab es diese auch in Deutschland?

Hochindustrialisierung bezeichnet eine Phase beschleunigter industrieller Entwicklung in einem Land. Diese Phase gab es auch zwischen 1871 und 1910 in Deutschland. In dieser Zeit holte die deutsche Wirtschaft den Vorsprung anderer Länder auf und wurde selbst zur führenden Industrienation Europas.

Diese Phase war durch folgende Entwicklungen gekennzeichnet:

  • Rascher Aufschwung der Industrie:
    Die industrielle Produktion wächst sehr schnell und Deutschland entwickelt sich von einem überwiegend agrarisch geprägten Land zu einem industriell und großstädtisch geprägten Land. Zwischen 1871 und 1914 versechsfacht sich die deutsche Industrieproduktion, die Exporte vervierfachen sich.
  • Aufstieg zur führenden Industrienation:
    In der Phase der Hochindustrialisierung entwickelte sich Deutschland zur größten Industrienation Europas. Sein Anteil an der Weltindustrieproduktion lag 1914 bei rund 15 Prozent, der Großbritanniens bei 14 und der Amerikas bei 32 Prozent.
  • Strukturwandel und Wachstum:
    Traditionelle Industriezweige wie Bergbau, Stahl- und Textilindustrie expandierten stark. Neue Branchen wie die Automobilindustrie entwickelten sich zu wichtigen Industriezweigen. Der Bau von Eisenbahnen und die Erhöhung der Transportkapazitäten waren entscheidend für das Wirtschaftswachstum.

Die Hauptunterschiede zwischen der Industrialisierung und der Hochindustrialisierung in Deutschland sind:

Industrialisierung:

  • Begann in Deutschland um 1830
  • Kennzeichnete den allgemeinen Übergang von einer agrarisch geprägten zu einer industriell geprägten Wirtschaft
  • Führte zum Aufstieg traditioneller Industriezweige wie Bergbau, Stahl und Textilindustrie
  • Technische Innovationen wie Dampfmaschine und Baumwollspinnmaschine waren prägend
  • Strukturwandel von der Ständegesellschaft hin zu einer Klassengesellschaft

Hochindustrialisierung:

  • Fand in Deutschland zwischen 1871 und 1914 statt
  • Bezeichnete eine Phase des beschleunigten industriellen Wachstums und Strukturwandels
  • Neue Schlüsselbranchen wie Chemie, Maschinenbau und Elektrotechnik nahmen eine Führungsrolle ein
  • Deutschland entwickelte sich zur größten Industrienation Europas und überholte Großbritannien
  • Produktionsformen wie Taylorismus und Fordismus trugen zur Effizienzsteigerung bei
  • Ausbau der Infrastruktur wie Eisenbahn war entscheidend für den Industrieaufschwung

Was ist die Tertiärisierung?

Tertiärisierung bezeichnet einen wirtschaftlichen Strukturwandel, bei dem der Dienstleistungssektor (tertiärer Sektor) gegenüber dem Industriesektor (sekundärer Sektor) an Bedeutung gewinnt. Konkret bedeutet dies, dass der wirtschaftliche Schwerpunkt  sich hin zu Dienstleistungen wie Handel, Verkehr, Verwaltung, Bildung, Gesundheit etc. verschiebt. Außerdem nimmt der Anteil der Beschäftigten im Dienstleistungssektor zu, der Anteil der Beschäftigten in der Industrie nimmt ab.

Ursachen für Tertiärisierung sind technologischer Fortschritt, Automatisierung, Globalisierung und steigender Wohlstand, der die Nachfrage nach Dienstleistungen erhöht. Die Tertiärisierung geht häufig mit sozialräumlichen Veränderungen einher, wie der Entstehung von Dienstleistungszentren in Großstädten. Sie kann aber auch Probleme wie Arbeitslosigkeit und Strukturkrisen mit sich bringen.

Tertiärisierung beschreibt also den Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft als Teil des wirtschaftlichen Strukturwandels.

Gibt es in den USA eine Reindustrialisierung?

Ja, es gibt Anzeichen für eine Reindustrialisierung. Nach Ansicht einiger Experten ergeben sich daraus erhebliche Wachstumschancen für die deutsche Wirtschaft. Um eine substanzielle Reindustrialisierung in den USA zu erreichen, sind allerdings stärkere staatliche Eingriffe notwendig.

Gründe für diese Reindustrialisierung in den USA sind der technologische Fortschritt und die Automatisierung, die die Wettbewerbsfähigkeit der US-Industrie erhöhen. Hinzu kommen politische Maßnahmen zur Förderung der Industrie und zur Begrenzung des Einflusses von Großkonzernen sowie Veränderungen in den globalen Lieferketten und Produktionsnetzwerken.

Insgesamt deuten die Forschungsergebnisse darauf hin, dass in den USA tatsächlich eine Wiederbelebung und Stärkung des industriellen Sektors stattfindet, die als „Reindustrialisierung“ bezeichnet wird und auch Auswirkungen auf andere Volkswirtschaften wie Deutschland haben könnte.

Welche Unternehmen wollen Deutschland verlassen?

Derzeit planen mehrere deutsche Unternehmen, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern. Hier nur einige prominente Beispiele:

  • Der Haushaltsgerätehersteller Miele will bis 2026 rund 500 Millionen Euro einsparen und dafür Teile der Produktion nach Polen verlagern.
  • Auch der Automobilhersteller Porsche erwägt, Teile seiner Produktion ins Ausland zu verlagern.
  • Auch der Reinigungsgerätehersteller Kärcher will Arbeitsplätze von Reutlingen nach Lettland verlagern.

Die Unternehmen stammen aus unterschiedlichen Branchen - aus der Hausgeräte-, der Automobil- und der Reinigungsbranche. Auch im Maschinen- und Anlagenbau gibt es durchaus Bestrebungen, die Fertigung ins Ausland zu verlagern.

Warum wollen Unternehmen ins Ausland abwandern?

Die geplanten Verlagerungen deutscher Unternehmen ins Ausland sind vor allem auf mehrere kritische Faktoren zurückzuführen. Die hohen Kosten in Deutschland, insbesondere die gestiegenen Energie- und Lohnkosten, machen den Standort für viele Unternehmen unattraktiv. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass 82 Prozent der befragten Unternehmen Energiesicherheit und -kosten als entscheidendes Motiv für ihre Auslandsinvestitionen nannten.

Eine weitere Verschlechterung der Standortbedingungen wird erwartet, da viele Umfrageteilnehmer prognostizieren, dass Deutschland in den nächsten drei Jahren an Attraktivität verlieren wird. Hierbei spielen Probleme wie Bürokratie und eine hohe Steuerlast eine wesentliche Rolle.

Des Weiteren wird die globale Wettbewerbsfähigkeit als ein treibender Faktor identifiziert, da Unternehmen weltweit nach den kostengünstigsten Produktionsstandorten suchen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Dies betrifft insbesondere die Verlagerung einfacher Produktionsprozesse wie die Bauteilfertigung. Der Strukturwandel hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft sowie Fortschritte in Digitalisierung und Automatisierung fördern ebenfalls die Neigung, Produktionsstätten ins Ausland zu verlegen.

Was kann der Staat gegen die Abwanderung der Industrie tun?

In der Ökonomie wird von manchen Experten die Auffassung vertreten, dass der Staat verschiedene Maßnahmen ergreifen kann, um die Abwanderung von Industrieunternehmen aus Deutschland zu verhindern. Eine der vordringlichen Maßnahmen ist die Senkung der Energiekosten für Unternehmen. Die hohen Energiekosten werden von vielen Unternehmen als Hauptgrund für die Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland angeführt. Der Präsident des BDI schlägt daher eine Absenkung der Stromsteuer auf das EU-Mindestniveau und eine Senkung der Netzentgelte vor, um die Stromkosten zu reduzieren.

Zudem könnte eine Verbesserung der Standortbedingungen die Attraktivität Deutschlands steigern. Als notwendig erachtet werden Maßnahmen zum Bürokratieabbau und zur steuerlichen Entlastung, da viele Unternehmen eine weitere Verschlechterung der Standortbedingungen in den nächsten Jahren erwarten. Weiterhin könnten gezielte Subventionen und Anreize, wie ein Strompreisdeckel für energieintensive Unternehmen, finanziert durch eine Übergewinnsteuer, hilfreich sein.

Dieses Modell orientiert sich an den Praktiken anderer Länder wie den USA und China, die ihre Industrien mit hohen Subventionen unterstützen. Schließlich wird empfohlen, die Transformation und Innovation zu fördern. Investitionen in Zukunftstechnologien und die Förderung von Innovationen könnten die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie stärken. Zudem könnten Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen für Beschäftigte den Strukturwandel sozialverträglich gestalten.

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