
"Der entscheidende Faktor ist nicht, ob Schraubverbindungen ein zweites oder drittes Mal genutzt werden, sondern ob die jeweils geltende Sicherheitsvorgabe eingehalten und sorgfältig gearbeitet wird." Holger Junkers Schraubfachingenieur (DSV)® (Bild: Adobe Stock_Blende8)
Ressourcenschonendes Arbeiten spielt in der Industrie eine immer größere Rolle. Das betrifft auch Bereiche, die eher weniger im Fokus stehen. Dazu gehört die mehrmalige Verwendung von Schrauben oder besser Schraubgarnituren im Zuge einer Wartung: die Wiederholverschraubung. Selbst wenn das auf den ersten Blick wie ein Nischenthema wirkt, lohnt sich ein genaueres Hinsehen.
Die Wiederverwendung von Schrauben ist keine Neuheit: Schon immer wurden Schraubverbindungen mehrmals eingesetzt – im privaten Umfeld sowieso, aber auch bei professionellen Anwendungen. Genauere Vorgaben und Vorschriften, höhere Standards und neue Risiken haben der Wiederverwendung von Schrauben in den vergangenen Jahrzehnten allerdings Grenzen gesetzt. Umso wichtiger ist es, dieses Thema bereits in Grundlagenschulungen zu implementieren. Denn der entscheidende Faktor ist nicht, ob Schraubverbindungen ein zweites oder drittes Mal genutzt werden, sondern ob die jeweils geltende Sicherheitsvorgabe eingehalten und sorgfältig gearbeitet wird. Das schließt unter anderem aus, dass eine Schraubgarnitur nach dem Lösen direkt wieder eingesetzt und mit den gleichen Parametern angezogen wird. Vor der Wiederhol-verschraubung muss es eine systematische Reinigung gegeben haben. Denn zur präzisen Verschraubung sind nicht nur saubere Außen- und Innengewinde unabdingbar, sondern es greifen auch schraubfallspezifische Anforderungen. Diese sind gemäß den Anforderungen der VDI/VDE MT 2637 Blatt 1 zu prüfen.
Der zweite Anlauf
Als Wiederholverschraubung zählt nicht nur die Nutzung einer Schraubgarnitur bei der Wartung: Werden die geforderten Kontrollgrößen einer Verschraubung mit dem ersten Anziehen nicht erreicht, so dass die Schraube erneut angezogen werden muss, gilt diese bereits als Wiederholverschraubung.
Im Mittelpunkt dieser Thematik stehen drei Fragen, deren Beantwortung ein Schlüssel zur richtigen Entscheidung ist:
- Warum sollte man Schrauben wiederverwenden?
- Wann darf man das?
- Worauf ist zu achten?
Die erste Frage lässt sich am einfachsten beantworten. Schraubgarnituren sind ein Kostenfaktor. Je größer, individueller und anspruchsvoller diese sind, desto höher liegt der Beschaffungspreis einer Garnitur. Allein eine extra angefertigte M30-Garnitur mit zwei Muttern und Unterlegscheiben kostet zwischen 25 und 30 Euro. Für spezielle M45-Garnituren können die Preise leicht auf über 80 Euro – pro Garnitur – schnellen. Davon ausgehend, dass bei einem Industrieprojekt oder im Anlagenbau mehrere 100 Schraubverbindungen eingesetzt sind, potenziert sich der Beschaffungspreis rasch. Jede wiederholt verschraubte Einheit trägt zur Kostenreduktion bei.
Ein weiterer Vorteil ist die Verfügbarkeit. Gerade bei Spezialverschraubungen oder sogenannten Zeichnungsschrauben, kann es ein Vorteil sein, Schraub-verbindungen ein weiteres Mal einzusetzen, da die Beschaffung erhebliche Zeit in Anspruch nehmen kann. Denn oft werden sie abgezählt angeliefert – flexibles Reagieren dementsprechend nicht möglich; insbesondere, wenn die Wiederholverschraubung eine Reaktion auf ein nicht korrektes Erstanziehen ist. Denn Zeit spielt eine herausragende Rolle: Je länger eine Anlage ausfällt oder nicht in Betrieb genommen werden kann, desto größer sind die Produktionseinbußen und damit die wirtschaftlichen Folgen für ein Unternehmen.

Nicht nur ökonomisch sinnvoll
Die Wiederverwendung von Schraubgarnituren bietet in erster Linie einen ökonomischen Vorteil. Zusätzlich ergibt sich ein positiver ökologischer Effekt: Die Herstellung von Schraubgarnituren ist energieintensiv und benötigt Stahl. Jede wiederverwendete Schraube trägt dementsprechend positiv zur Klimabilanz bei. Das mag noch keinen relevanten Faktor darstellen. Doch die Agenda 2030 der Vereinten Nationen mit ihren 17 Zielen für eine nach-haltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) bezieht auch die globale Produktion mit ein und dürfte auf kurz oder lang Auswirkungen auf viele Bereiche der Industrie und noch mehr auf deren Kundenbeziehungen haben.
Klare Vorgaben
Es gibt weder eine Bestimmung, die eine Wiederverwendung von Schrauben fordert, noch gibt es ein klares, generelles Verbot. Einzelne Hersteller oder Generalunternehmer fordern allerdings, dass bestimmte Schraubgarnituren bei Wartungsarbeiten auszutauschen sind. Festgelegt wird das schraubfallspezifisch oder generell. Diesen Vorgaben ist bei Arbeiten selbstverständlich zu folgen. Allerdings wäre es an dieser Stelle interessant, die Konstruktionsabteilungen der Auftraggeber über die Vorteile und Möglichkeiten von Wiederholverschraubungen zu schulen. Denn in vielen Fällen ist eine zweite oder sogar mehrmalige Verwendung einer Schraubgarnitur nicht nur zweckmäßig, sondern auch sicher. Das erleben wir als Verbraucher zweimal im Jahr beim Wechsel von Winter- auf Sommerreifen und vice versa.
Relevant für eine Wiederholverschraubung aus fachlicher Sicht ist allein, dass sie die für sie vorgegebenen Parameter erfüllt. Und das ist in vielen Fällen möglich. Oft wird zudem unterschätzt, was man aus einer Schraubverbindung auch bei der zweiten oder dritten Nutzung noch herausholen kann. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass nicht jedes Anziehverfahren gleichermaßen geeignet ist, eine Schraubverbindungen ein weiteres Mal zu nutzen. Denn aufgrund der Beanspruchung während des Anziehens, kann es zu Belastungen kommen, die eine Mehrfachverwendung aufgrund der Auswirkungen auf das Material ausschließen.
Maßgeblich für die Monteure ist in allen Fällen die bereits erwähnte VDI/VDE MT 2637: Sie befasst sich mit der notwendigen Qualifikation für alle mit der Schraubtechnik befassten Personen und geht sowohl auf Konstruktion als auch auf Montage ein.
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Materialbelastung als Faktor
Je nach Schraubverfahren – Drehwinkelverfahren oder streckgrenzgesteuert – entstehen in den Schraubverbindungen ein unterschiedliches Vorspannkraftniveau und eine unterschiedliche Streubreite. Beiden Verfahren gemein ist allerdings, dass die Schraube in den über elastischen Bereich belastet werden kann. Das stellt auch kein Problem dar. Wichtig ist in diesem Zusammenhang allerdings, ob diese Belastung kontrolliert oder unkontrolliert erreicht wird.
Aus diesem Grund bietet das streckgrenzgesteuerte Anziehverfahren (SGA) die größte Sicherheit, da sie die Schraube definiert streckt: So wird beim Beenden des Anziehvorgangs entsprechend der relativen Abschaltschwelle zuverlässig Rp0,2 / +-0,1 erreicht. Es besteht also eine gute Reserve, welche durch das folgende Setzverhalten vergrößert wird und der Schraube genug Beanspruchungsreserve für die Schraubenzusatzkraft gibt. Kritisch ist es, wenn die Schraube unkontrolliert oder zu weit in die Plastifizierung gebracht wurde. Das schließt eine Wiederverwendung gerade beim typisch überelastischen drehwinkelgesteuerten Anziehverfahren eher aus: Denn die größte Genauigkeit wird hierbei durch die Überschreitung der Streckgrenze der Schraube erzielt.
Kontrolle ist besser
Unabhängig vom Anziehverfahren gilt daher: Bevor eine Schraubgarnitur ein zweites oder drittes Mal genutzt werden kann, muss sie fachmännisch kontrolliert werden und für gut befunden werden. Darüber hinaus – wie bereits beschrieben – sind Reinigung und eine eventuelle Schmierung ebenfalls Bestandteile einer Wiederholverschraubung. Gemäß VDI/VDE-MT 2637 Blatt 1 ist eine Schraub-fallanalyse auch für die Freigabe einer Mehrfachverschraubung durchzuführen; vor allem bei Verschraubungen der Kategorien A und H, um die notwendigen Prozess- und Rahmenbedingungen definieren zu können.
Vorteile nutzen
Eine Wiederholverschraubung lässt sich an vielen Stellen nicht nur realisieren, sondern auch planen: Das betrifft die Wartung von Industrieanlagen, Fahrzeugen oder Anlagen zur Energieerzeugung genauso wie deren Konstruktion. Denn die erforderlichen Vor-spannkräfte lassen sich schraubfallspezifisch auch beim wiederholten Anziehen in ausreichendem Niveau und Streuung erzielen, genauso wie die benötigte Klemmkraft in der Verbindung.
Es gibt an dieser Stelle ein enormes Potenzial, weil jede wiederverwendete Schraub-garnitur ein kleiner Beitrag zur Nachhaltigkeit ist und vor allem zu einer großen Kosten- und Zeitersparnis führt. Das Wissen dazu ist vorhanden, die erforderlichen Vorgaben ebenfalls. Gute Schulungsanbieter mit den erforderlichen Kompetenzen gemäß der VDI/VDE-MT 2637 Blatt 2 vermitteln dies Monteuren, Konstrukteuren und Planern gerne. Dabei reicht ein rein organisatorischer Nachweis nicht aus. Denn jeder einzelne Trainer hat die Anforderungen zu erfüllen, um den Erfolg einer Schulungsmaßnahme zu gewährleisten.
Quelle: Akademie der Schraubverbindung (AdSV)