Eines von zehn deutschen Unternehmen will die Volksrepublik verlassen.

Eines von zehn deutschen Unternehmen will die Volksrepublik verlassen. (Bild: Rawf8 - stock.adobe.com)

Ist das Trennungsschmerz oder vorrübergehender Frust? Sechs von zehn deutschen Unternehmen beurteilen China nicht mehr als Standort, an dem es sich lohnt zu investieren, ergab im Herbst 2022 die jährliche Umfrage der deutschen Auslandshandelskammern (AHK) in der Volksrepublik zum Geschäftsklima dort tätiger deutscher Firmen.

Von diesen wollen nur noch 51 Prozent ihre Investitionen in den kommenden Jahren ausbauen. Das sind 20 Prozentpunkte weniger als in der Vorjahresumfrage. Besonders groß ist der Anteil der Unternehmen, die ihr Engagement zurückfahren wollen mit 28 Prozent unter Firmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden. Kleine Betriebe mit weniger als 250 Beschäftigten planen dies nur zu 18 Prozent.

Eines von zehn deutschen Unternehmen will die Volksrepublik verlassen

Die Umfrage ergab auch, dass fast jedes zweite in China tätige deutsche Unternehmen von der Volksrepublik als Absatzmarkt enttäuscht ist. Elf Prozent der Befragten planen sogar das Land zu verlassen – ein Drittel davon, aufgrund der weltweit zunehmenden geopolitischen Spannungen, jeweils 26 Prozent wegen der Wirtschaftspolitik der Kommunistischen Partei (KP) und weil sie künftig weniger Wachstum auf dem chinesischen Markt erwarten.

Da die chinesische Regierung zum Zeitpunkt der Erhebung im Spätsommer 2022 noch an ihrer Null Covid-Politik festhielt, erklärten die Unternehmen ihre Ernüchterung gegenüber der Volksrepublik auch damit. Die monatelangen Lockdowns haben sich bei neun von zehn der Befragten massiv auf den Umsatz ausgewirkt. Bei 87 Prozent der Unternehmen sank auch der Gewinn.

Die AHK-Umfrage zeigt allerdings auch, dass jedes zweite Unternehmen weiter in China investieren will und neun von zehn Betrieben weit davon entfernt sind, dem Land den Rücken zuzukehren. „Die Volksrepublik bleibt für Unternehmen ein wichtiger Markt, in den sie mehrheitlich weiter wirtschaftliches Vertrauen haben. Aber das Vertrauen in die Rahmenbedingungen hat deutlich nachgelassen“, fasst Jens Hildebrandt die Ergebnisse der Umfrage zusammen. Er ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der AHK in Peking und dortiger Delegierter der deutschen Wirtschaft.

China ist nicht mehr verlängerte Werkbank und Lokomotive der Weltwirtschaft

Neben der Geschäftsklimaumfrage hat Hildebrandt gemeinsam mit seinen Kollegen in den anderen AHKn in China und der Unternehmensberatung Roland Berger soeben auch eine Umfrage mit dem Titel „The New China Story“ veröffentlicht. Sie zeigt weitere Gründe für den Sinneswandel vieler Unternehmen gegenüber der Volksrepublik.

Diese kann Investoren demnach heute nicht mehr mit vergleichsweise geringen Lohnkosten, niedrigen Umwelt- und Sozialstandards locken. Die Produktivität dort eingesetzten Kapitals sank daher in den vergangenen 20 Jahren im Vergleich zur Europäischen Union um fast ein Viertel. Zugleich wird die Wirtschaft in der Volksrepublik wegen der rapid alternden chinesischen Bevölkerung nie wieder so schnell wachsen wie in den vergangenen Jahrzehnten.

Die Volksrepublik hat also ihren Status als verlängerte Werkbank und zunehmend auch ihre Zugkraft als Hochgeschwindigkeitstriebwagen der Weltwirtschaft verloren. Zugleich steigen die regulatorischen Anforderungen und der Druck der KP auf Unternehmen, sich in den Dienst ihrer politischen und ideologischen Ziele zu stellen. Durch den seit 2018 andauernden Technologie- und Wirtschaftskrieg mit den USA verlangt die Partei von chinesischen Firmen und ausländischen Investoren, die Volksrepublik dabei zu unterstützen, sich wirtschaftlich und technologisch von den Vereinigten Staaten und zunehmend auch Europa abzukoppeln.

„Im vergangenen Jahr hat die Regierung in Peking die Maßnahmen, mit denen sie die Industrie im Land auf diese Ziele einnordet nochmals deutlich verschärft“, betont Dr. Max J. Zenglein, Chefvolkswirt des Mercator Instituts für China Studien (Merics).

Decoupling führt zu mehr lokaler Wertschöpfung deutscher Firmen in China

Dieses technologische Decoupling bedroht bei 87 Prozent der von den AHKn befragten Unternehmen das Geschäft. Für jede fünfte Firma ist es der wichtigste Grund, weshalb sie nicht mehr in China investiert.

Die Mehrheit der deutschen Unternehmen beugt sich allerdings dem Druck der KP. Von den 51 Prozent der Firmen, die weiter in China investieren, will die Hälfte dort Produktionsstätten auf- und ausbauen. Ebenso viele Unternehmen verlagern die Beschaffung für ihre dortigen Fabriken nach China. Vier von zehn Organisationen bauen auch Forschungs- und Entwicklungskapazitäten für den chinesischen Markt in der Volksrepublik auf. „Diese „local-for-local“-Strategie ist der entscheidende Erfolgsfaktor für ausländische Unternehmen, die ihre Positionierung und Wettbewerbsfähigkeit in China stärken wollen,“ schwärmen die AHKn und Roland Berger in ihrer Studie „The New China Story“.

Merics-Ökonom Max Zenglein sieht das kritischer. „Europäische Unternehmen, die aus Angst vor dem Decoupling der USA und Chinas versuchen, ihre Wertschöpfung in der Volksrepublik autark aufzustellen, entkoppeln damit letztlich nur ihr China-Geschäft vom restlichen Auslandsgeschäft. Ich halte das für eine strategische Fehleinschätzung“, warnt Zenglein.

Taiwan-Konflikt: China könnte deutsche Investoren enteignen

Denn im Falle eines chinesischen Überfalls auf Taiwan könnten diese Investitionen verloren sein, bestätigt der Leiter des Clusters globale und regionale Märkte beim Institut der Deutschen Wirtschaft, Jürgen Matthes. Auf den Versuch Pekings, die Insel mit Festlandchina zu vereinen würden die USA mit umfangreichen Sanktionen antworten und erwarten, dass ihre Alliierten diese übernehmen. „Enteignungen in China sind dann nicht mehr ausgeschlossen“, meint Matthes. „Ein solches Szenario birgt daher erhebliche Verlustrisiken für einige der in China stark exponierten deutschen Firmen.“

Denn sie verlören Zugang zu einem Markt, auf dem sie laut Statistischem Bundesamt 2022 knapp 107 Milliarden Euro umsetzten und Waren für 191 Milliarden Euro einkauften. So groß war das Handelsbilanzdefizit noch nie. Noch beunruhigender ist jedoch, dass in der Elektroindustrie knapp 60 Prozent der mittelständischen Betriebe ihre Produktion einstellen müssten, wenn Zulieferungen aus China ausblieben. In der Metallverarbeitung, dem Maschinenbau und der Autoindustrie sind 45 Prozent der Mittelständler von Zulieferern im Reich der Mitte abhängig. Das ergab im Dezember 2022 eine Studie der DZ Bank.

Ohne Rohstoffe aus China müsste manche Firma den Betrieb einstellen

Auch die Aluminiumgießerei G.A. Röders in Soltau würde unter einem Konflikt mit China leiden. Das aus einem 1815 gegründeten Handwerksbetrieb entstandene Familienunternehmen stellt im Spritz- und Druckgussverfahren Werkzeuge und Formteile her. Dabei verarbeiten die 500 Mitarbeiter des Mittelständlers zwölf Legierungen – darunter duktile und korrosionsfeste Alu-Magnesium-Legierungen. „Magnesium gibt es heute aber nur noch von chinesischen Zulieferern“, erklärt Geschäftsführer Gerd Röders. „Fielen diese aus, müssten wir die hiesige Aluminiumgießerei schließen, sobald wir und die Zwischenhändler von denen wir Magnesium beziehen, ihre Lager abgebaut haben.“

Um solche Schwierigkeiten zu vermeiden, wollen 55 Prozent der deutschen Mittelständler laut der Studie der DZ Bank ihre Lager aufstocken. Jedes zweite Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe, will zudem Importe aus China reduzieren, ergab eine Umfrage des ifo Institutes für Wirtschaftsforschung schon kurz vor dem russischen Überfall auf die Ukraine. Der World Business Outlook der deutschen AHKn bestätigte dies im Herbst 2022. Ihm zufolge sucht jedes zweite befragte Unternehmen aus der Eurozone nach neuen Lieferanten, um Risiken zu diversifizieren und die Gefahr zu minimieren, dass ihre Lieferkette reißt. Jeder zweite Teilnehmer sucht neue Partner in seinem eigenen Land, nur 18 Prozent dagegen in der Region Greater China.

Die Chance, dass China Taiwan bis 2030 überfällt ist groß

Die Zurückhaltung gegenüber der Volksrepublik und das Bewusstsein der Risiken, die von einem Engagement dort ausgehen, sind also groß. Nur wie wahrscheinlich ist es, dass es in Fernost zum Schlimmsten kommt und Peking Taiwan überfällt?

„Staatspräsident Xi Jinping hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er die Vereinigung mit Taiwan bis zum 100. Bestehen der Volksrepublik 2049 abgeschlossen haben will“, erklärt Dr. Tim Rühlig, Senior Research Fellow am Zentrum für Geopolitik, Geoökonomie und Technologie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. „Sicher hat er auch ein Interesse daran, seinen Namen mit der Vereinigung zu verbinden.“ Xi ist aber bereits 69 und damit bald zu alt, um einen Krieg zu führen.

„Auch beim Blick auf das durch die alternde Bevölkerung nachlassende Wirtschaftswachstum und die Tatsache, dass der Westen durch den Ukraine-Krieg wachgerüttelt wurde und Europa wieder bereit ist, aufzurüsten, könnte die chinesische Regierung zu dem Schluss kommen, dass das optimale Zeitfenster für einen Angriff auf Taiwan noch vor 2030 liegt“, resümiert Rühlig. Das deutsch-chinesische Verhältnis dürfte dann wirklich von Trennungsschmerz geprägt sein.

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