Zeitenwende und Ukrainekrieg, E-Mobilität, Decoupling und China – Unternehmen sehen sich derzeit einem ganzen Sammelsurium an Herausforderungen gegenüber. „Auch Corona hat Spuren hinterlassen“, sagt Markus Horn, Geschäftsführer der Paul Horn GmbH. Adaptionsfähigkeit sei heute entscheidend. „Wir sind in einem riesigen Change-Prozess in Deutschland, Europa und der Welt. Dieser Prozess ist unglaublich hinsichtlich der Menge an unterschiedlichen Themen und der Geschwindigkeit. Eine Vorhersagbarkeit ist im globalen Kontext heute praktisch unmöglich“, erklärt Horn.
Es sei klar, dass nicht alle Unternehmen diese Adaptionsfähigkeit mitbringen. Einige könnten so auf der Strecke bleiben, ebenso wie Menschen, die das nicht verstehen. Die Politik lasse die Unternehmen in Deutschland damit weitgehend allein, auch weil die nötige Entbürokratisierung für mehr Handlungsspielraum nicht stattfinde. „Was uns von der Politik fehlt, ist ein langfristiger Plan statt Klientelpolitik“, moniert der Geschäftsführer.
Warum mehr Prozesse nach innen verlagert werden
„Wir erleben seit Corona, dass sich die Rahmenbedingungen ganz schnell ändern. Wer sich am schnellsten anpassen kann, hat die besten Karten“, fasst es Horn zusammen. Dafür sei gerade in Familienunternehmen ein Spagat erforderlich, denn langfristige Planung sei für dieses Umfeld typisch.
Als Präzisionswerkzeughersteller habe man die eigenen Prozesse schon seit langem kontinuierlich auf Geschwindigkeit und Innovation ausgerichtet. Die Werkzeuge seien eine wichtige Voraussetzung, um Maschinen, die oft Millionen Euro wert sind, effizient zu betreiben. Die Kundenerwartungen sind dementsprechend hoch, berichtet Horn. Innerhalb von fünf Tagen kann das Unternehmen mit einem GreenLine-Verfahren kundenindividuelle Werkzeuge produzieren und liefern und hebt sich damit vom Wettbewerb ab.
Um agiler zu sein, hat sich der Werkzeugspezialist eine Ressourcenauslastung in der Regel von 60 bis 85 Prozent verordnet, damit Auftragsspitzen abgefangen werden können. „Man muss sich gewisse Reserven erhalten, wenn man in der Produktion reaktionsfreudig sein will“, beschreibt Horn die Strategie. Dazu gehört auch, dass mehr Prozesse nach innen verlagert werden. Durch das Insourcing bei der Beschichtung der Hartmetallwerkzeuge spare man heute beispielsweise mehrere Tage im Prozess ein.
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China: Horn hat mehrere Strategien erarbeitet
Auch vom Absenken der Lagerbestände, wie es früher üblich war, ist man abgekommen – eine schmerzliche Erkenntnis aus der Finanzkrise in 2009. „Damals hatten wir die Lagerbestände auf Limit gefahren, nach der Krise gab es dann sehr schnell mehr Bestellungen und die Lager sind leergelaufen“, erinnert sich Horn. Eine hohe Geschwindigkeit bei der Auslieferung funktioniere angesichts der Volatilität nur mit hoher Lagerhaltung.
In China ist das Unternehmen mit einer Verkaufsgesellschaft präsent. „China ist nicht nur ein großer Absatzmarkt, vor allem kommen viele Rohstoffe wie Seltene Erden, Lithium, Kobalt und Kupfer vielfach von dort. Auch technologisch ist China ein relevanter Markt“, konstatiert Markus Horn. Aus seiner Sicht ist die Situation sehr viel komplexer als im Fall von Russland.
„Wir sind klar gegen Krieg, das ist nie eine Lösung, sondern bringt in erster Linie Leid und Zerstörung. Gleichzeitig steht in der UN-Menschenrechts-Charta auch das Recht auf Wohlfahrt. Hier müssen viele moralische Aspekte gegeneinander abgewogen werden“, sagt Horn. Man halte sich natürlich an den Rahmen, den die Politik vorgibt, und an eigene Werte.
„Die Abhängigkeit mit Blick auf China ist ein großes, drohendes Szenario, von dem man sich nicht ganz abschneiden kann. Wir haben mehrere Strategien erarbeitet, für den Fall, dass Sanktionen kommen könnten. Zugleich hoffen wir auf Augenmaß und darauf, dass der Handel weiterläuft“, so Horn. Wenn wir uns vom Osten abschirmen, wäre der Preis extrem hoch, glaubt der Geschäftsführer: Gerade weil viele Technologien und Rohstoffe aus China kommen, die für die Nachhaltigkeitsanstrengungen notwendig sind, und weil Wohlstand für viele Menschen in Europa auf dem Spiel stehe.
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Hawe Hydraulik stellt sich flexibel auf
„Wir sehen, wie schnell sich Dinge verändern und dass wir es mit einer zunehmenden Volatilität zu tun haben. Die Unsicherheit wird sicherlich auch weiter sehr hoch bleiben. Das beginnt schon beim Thema zukünftige Wahlen in den USA und der Frage nach der Verlässlichkeit als Partner für Europa“, erklärt Wolfgang Sochor, COO des Hydraulikherstellers Hawe Hydraulik.
Das gelte nicht nur für die Ukrainefrage, sondern auch für die wirtschaftliche Zusammenarbeit rund um Zölle und Handel. „Es ist für uns sehr wichtig zu wissen, was wir von den USA als großem Handelspartner zu erwarten haben, nachdem wir sehen, dass in Richtung China für uns ein großes Fragezeichen im Raum steht“, konstatiert Sochor.
Schon bei mittelfristigen Szenarien werde aktuell die Vorhersagegenauigkeit wesentlich schwieriger. Die Adaptionsfähigkeit ist Sochor deshalb besonders wichtig: Man müsse Unternehmen heute sehr flexibel aufstellen, um auf Überraschungen vorbereitet zu sein und schnell auf Veränderung zu reagieren.
Das Unternehmen hat eine strategische und eine Risk-Management-Abteilung, die regelmäßig in Vorstandssitzungen eingebunden sind. Ein wichtiger Schwerpunkt liegt für Sochor heute auf der Fähigkeit, schnelle Entscheidungen treffen zu können. Dafür hat sich die Firma in Richtung Agilität gewandelt.
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Dieses US-Gesetz betrifft Hawe direkt
„Wir haben ausgehend von Grundannahmen aus der aktuellen Situation und Dingen, die wir nicht beeinflussen können, einige Szenarien entwickelt, auf die wir uns vorbereiten. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich die Globalisierung in den nächsten fünf bis zehn Jahren so einstellt, wie man in den letzten zehn Jahren angenommen hat“, sagt Sochor.
Bei Hawe verfolgt man deshalb andere Strategien, um sich in den Märkten aufzustellen und sich für die Regionen anders zu positionieren. Das soll einen Vorteil bieten, falls es etwa zu einer weiteren Entkopplung kommt.
Der Richtungswechsel des US Patriot Acts beispielsweise betrifft das Unternehmen direkt, denn die Hydraulikprodukte werden auch im Umfeld der regenerativen Energien eingesetzt. Deshalb bereitet man sich bereits darauf vor, die lokale Wertschöpfung in den USA zu stärken. Für einzelne Produkte sei das schon erfolgt.
Erst im vergangenen Jahr hat Hawe ein neues, modernes Werk in China gebaut. Damit habe man die bereits vorhandenen zwei Produktionsstandorte zusammengefasst und die Transportwege deutlich reduziert. Vor Ort wird im Wesentlichen für den chinesischen Markt entsprechend der lokalen Marktanforderungen gefertigt. Die Situation mit Blick auf potenzielle Sanktionen, sollte China Taiwan überfallen, sei schwer einzuschätzen, sagt Sochor.
Das Thema perspektivischer Sanktionen sei nicht eins zu eins mit den Reaktionen auf den Ukrainekrieg zu vergleichen: „Russland war für Hawe, wie für viele deutsche Unternehmen, fast ausschließlich ein Vertriebsmarkt, “, sagt Sochor. „Die Verzahnung zwischen China und Deutschland ist viel umfassender. Das lässt sich nicht so schnell ersetzen und die Unternehmen vieler Branchen müssen sich darauf vorbereiten.“
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Energieerzeugung: Das sind die Pläne von Hawe
Das Thema Lieferkettenprobleme ist für den Hydraulikspezialisten weniger drängend. „Während Corona hatten wir keine allzu starke Problematik, weil wir eine sehr hohe Wertschöpfungstiefe an unseren Produktionsstandorten haben. Wir setzen schon seit längerer Zeit auf eine Mehrlieferantenstrategie und regionale Diversifizierung bei Rohstofflieferanten, beispielsweise bei Stahl“, so der Hawe-COO.
Das habe geholfen, die nötige Resilienz zu beweisen. Jetzt will man noch einen Schritt weitergehen und die Energieerzeugung stärker selbst in die Hand nehmen. In Kaufbeuren sollen weitere zwei Megawatt durch Photovoltaik auf dem Hallendach erzeugt werden. Mit der eigenen PV-Anlage und einer zusätzlichen PV-Freilandfläche kann Hawe je nach Wetterlage 30 bis über 75 Prozent am Standort Deutschland decken.
Auch auf Beschaffungsseite gilt die Strategie „local for local“. „Das hilft uns einerseits bei der Entkopplung von überregionalen Ereignissen. Andererseits trägt es zu ökologischer Nachhaltigkeit bei, in der Region zu beschaffen“, stellt Sochor fest. Zudem setze das Unternehmen stark auf Digitalisierung und Industrie 4.0, um die Prozesse in Produktion und Beschaffung zu unterstützen. „Das ist absolut notwendig, wenn man eine so hohe Wertschöpfungstiefe hat“, meint der COO.
Aktuelle Meldungen aus der Industrie
Energiekrise, Lieferengpässe, Fachkräftemangel: Die Industrie steht vor vielen Herausforderungen. Alle Meldungen aus Maschinenbau und Co finden Sie in unserem News-Blog. Hier klicken!
Festo verfolgt einen regionalen Ansatz in den Wachstumsmärkten
„Die Adaptionsfähigkeit oder Resilienz hat für Festo als Technologieführer in der Automatisierung einen enorm hohen Stellenwert“, sagt Christian Österle, Leiter Corporate Communication bei Festo. „Das stellt hohe Anforderungen an Unternehmen und Mitarbeiter. Wir haben unsere Strategie daher sehr agil ausgerichtet, um damit genügend Raum für neue technologische Entwicklungen zu lassen und kurzfristig notwendige Anpassungen an die aktuelle wirtschaftliche und geopolitische Lage vornehmen zu können.“ So habe man viele der Krisen auch als Chancen zur Neuausrichtung nutzen können.
Ein Beispiel dafür sei der wachsende Geschäftsbereich LifeTech mit Medizintechnik und Laborautomatisierung seit Corona. „Unser Ziel ist es, so gut wie möglich vor die Welle zu kommen und uns noch breiter aufzustellen. Für eine zeitgemäße Marktversorgung mit resilienten und nachhaltigen Lieferketten verfolgen wir immer mehr unseren regionalen Ansatz in den Wachstumsmärkten und bauen dort unsere lokale Produktion und Supply Chain aus“, erklärt Österle. Der Automatisierungsanbieter ist global mit 60 Landesgesellschaften vertreten. Auch bei Festo hat sich deshalb das Sourcing verändert, zum Beispiel in Richtung Parallelisierung der Produktion und Second Source.
Festo beobachtet die geopolitische Lage sehr genau
Bei Störungen in bestimmten Regionen könnte man so Aufträge an andere der weltweiten Produktionsstandorte verlagern. Für die am stärksten nachgefragten Produkte habe man die Lagerbestände sicherheitshalber erhöht. Zudem will man auch aus Nachhaltigkeitsgründen die Zielmärkte möglichst direkt aus der Region versorgen.
Gibt es bereits Pläne, wie man mit der Situation umgeht, sollte China Taiwan überfallen? „Natürlich beobachten wir die aktuelle geopolitische Lage sehr genau. Wir haben in den letzten Jahren unsere Produktionskapazitäten in China stark ausgebaut, vor allem, um von dort die asiatischen Märkte schnell und sicher beliefern zu können. Über verteilte Logistik-Hubs haben wir unsere Wertschöpfungskette bereits gut absichern können“, sagt Österle. Daneben sehe man aber auch sowohl im asiatischen als auch im transatlantischen Raum günstige Standortbedingungen in anderen aufstrebenden Ländern mit guter Infrastruktur.
Download: Dossier Kritische Rohstoffe
Welche Rohstoffe werden als kritisch eingestuft? Und warum? In unserem Dossier Kritische Rohstoffe erklären wir die aktuelle Versorgungslage, warum sie eng mit der geopolitischen Situation verwoben ist, und stellen mögliche Strategien vor, wie Unternehmen reagieren können.
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Das erwartet Sie:
- Warum die Klima- und Verkehrswende neue Abhängigkeiten schafft
- Welche Schlüsselrolle China bei der Rohstoffversorgung spielt
- Welche Maßnahmen die Politik für die Rohstoffsicherheit plant
- Welche Alternativen es zum Einkauf von Primärrohstoffen gibt
- Gesamtüberblick: Welche kritischen Rohstoffe es gibt, wo sie in welchen Mengen gefördert und wie sie verwendet werden
Bürokratisierung und Überregulierung werden zu Hürden
Im Bereich Rohstoffe ist für Festo Aluminium besonders wichtig. „Hier arbeiten wir daran, den Einsatz von Sekundäraluminium zu erhöhen und bereits im Design neuer Produkte das Thema Leichtbau in den Fokus zu rücken. Das spart auch später beim Kunden viel Geld und senkt den CO2-Footprint“, berichtet Österle.
Auch das Thema Energieversorgung hat einen hohen Stellenwert. „Wir haben uns bereits frühzeitig auf die Erzeugung erneuerbarer Energien für unseren eigenen Bedarf umgestellt und sind seit Anfang 2023 an allen Produktionsstandorten und Gebäuden in Deutschland CO2-neutral. Bis spätestens Anfang 2026 soll dieses Ziel weltweit erreicht sein“, so Österle.
Zusätzliche Kapazitäten durch eine Halbleiterproduktion in den westlichen Demokratien würde man bei Festo wünschenswert finden, denn Elektronikprodukte erzeugten momentan die größten Engpässe. Das Unternehmen bietet selbst Automatisierungslösungen an, mit denen sich die Chipproduktion auch in Hochlohnländern in Europa wirtschaftlich realisieren lassen könne. „In Deutschland und auch in der EU bereitet uns allerdings die immer weiter zunehmende Bürokratisierung und Überregulierung zunehmend Sorge. Das macht unsere Industrien langsam, verringert die wertschöpfende Produktivzeit in den Unternehmen und schwächt unsere Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich enorm“, beklagt Österle.