In Deutschland werden viele innovative Technologien erforscht und entwickelt. Doch nicht immer profitieren auch deutsche Unternehmen davon. Das muss sich ändern.

In Deutschland werden viele innovative Technologien erforscht und entwickelt. Doch nicht immer profitieren auch deutsche Unternehmen davon. Das muss sich ändern. (Bild: JEGAS RA - stock.adobe.com)

Deutsche Forscher sind spitze. Im angesehenen ‚Impact Ranking‘, einem internationalen Vergleich von 1705 Hochschulen durch das britische Magazin Times Higher Education, belegt die Technische Universität München (TUM) den ersten Platz. Weltweit angesehen sind auch die Wissenschaftler deutscher außeruniversitärer Forschungseinrichtungen, wie der Fraunhofer-, Max-Planck- oder Helmholtz-Gesellschaft. Deren Institute prägen gemeinsam mit Großunternehmen und Hochschulen wie der TUM in Deutschland Cluster, die zu den 100 innovationsstärksten Regionen der Welt zählen.

Der Raum München belegt in einem entsprechenden Vergleich der World Intellectual Property Organization Rang 22. Köln landet auf Platz 25, Stuttgart vier Ränge dahinter. Diese Standorte ziehen für Deutschland eher untypisch auch Experten aus dem Ausland an. „In Stadt- und Landkreis München arbeiten fast so viele ausländische Ingenieure wie in Berlin und ganz Ostdeutschland zusammengenommen“, veranschaulicht der Leiter des Clusters „Bildung, Innovation und Migration“ am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), Prof. Axel Plünnecke.

In diesen Clustern entstehen zudem Neuheiten, die Deutschland im ‚Innovationsindikator 2023‘ der Unternehmensberatung Roland Berger und des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung, einem Vergleich von 34 Industriestaaten, den Spitzenplatz bei neuen Produktionstechnologien und die Ränge zwei und drei bei der Energieerzeugung und der Kreislaufwirtschaft bescheren.

Die Innovationsstärke der deutschen Wirtschaft lässt nach

Hinter dieser Innovationsstärke stehen jedoch meist Großunternehmen. Insgesamt lässt die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nach. So ist der Anteil, der Unternehmen, die aktiv neue Produkte oder Verfahren entwickeln, in den vergangenen fünf Jahren um 19 Prozent auf nur noch 38 Prozent aller Betriebe gesunken, berichtet die Bertelsmann-Stiftung in einer 2023 veröffentlichten Studie.

„Wir sehen, dass gerade kleine und mittlere Unternehmen ihre Innovationstätigkeit immer stärker auf Kundenwünsche reduzieren“, berichtet der Leiter der Studie, Armando Garcia Schmidt. „Sie sind sehr gut vernetzt mit ihren Kunden, aber sie verpassen damit neuere technologische Trends.“

Der ‚Innovationsreport 2023‘ der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) bestätigt das. Drei von zehn der Kammermitglieder gaben darin an, Neuheiten künftig sogar noch mehr mit Kunden und Lieferanten entwickeln zu wollen. Nur 16 Prozent der Befragten planen dagegen, ihre Zusammenarbeit mit Hochschulen und Forschungsinstituten vertiefen.

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Innovationen entstehen gemeinsam mit dem Kunden

Dafür gibt es nachvollziehbare Gründe. Nirgendwo auf der Welt konzentrieren sich im Maschinenbau Unternehmen und ihre Lieferanten so sehr wie in Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Knapp über 40 Prozent der europäischen Arbeitsplätze im Maschinenbau stellen deutsche Unternehmen“, betont der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Hartmut Rauen. Geschäftsbeziehungen sind daher hierzulande so engmaschig geknüpft, dass die Firmen auch Innovationen fast zwangsläufig gemeinsam vorantreiben.

Diese Nähe sowie die partnerschaftliche und inkrementelle Herangehensweise an Neuentwicklungen sind für den Maschinenbau ein herausragendes Kennzeichen des deutschen Innovationssystems. „Innovation, Fortschritt und damit wirtschaftliche Prosperität sind hier immer eine Teamleistung zwischen Maschinenbauer und Kunde“, fasst Rauen zusammen.

Diese Stärke droht sich jedoch, in einen schwerwiegenden Nachteil umzukehren. Denn um international wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen deutsche Maschinenbauer ihre Produkte zunehmend digitalisieren und um datenbasierte Dienstleistungen ergänzen.

Bei bahnbrechenden, digitalen Innovationen habe der Großteil der deutschen Unternehmen aber einen blinden Fleck, erklärt Armando Garcia Schmidt von der Bertelsmann-Stiftung. Das beobachtet auch Dr. Susanne Gewinnus, die Leiterin des Referats Industrie-Forschung bei der DIHK. „Inkrementelle Innovationen, die oft in enger Zusammenarbeit mit Kunden entwickelt werden, sind sehr wichtig und leisten nennenswerte Beiträge zur Wertschöpfung“, so Gewinnus. „Allerdings dürfen Unternehmen dabei nicht aus dem Blick verlieren, wie sie in einigen Jahren, auf ihrem Markt positioniert sein wollen.“

Bürokratie und Fachkräftemangel sind die größten Innovationskiller

Genau das tun sie aber derzeit, zeigt der DIHK-Innovationsreport. Ihm zufolge wollen vier von zehn mittelständischen Betrieben 2024 nicht in die Entwicklung neuer Produkte und Angebote im Bereich der Industrie 4.0 investieren. Das liegt nicht daran, dass die Betriebe nicht erkennen, was auf dem Spiel steht. Vielmehr leidet das deutsche Innovationssystem trotz seiner Stärken an tiefgreifenden strukturellen Problemen. Deshalb unterstützt es Unternehmen nicht mehr ausreichend bei ihrer Innovationstätigkeit. Vor allem nicht in Zeiten, in denen die Betriebe andere Belastungen kaum mehr meistern können.

In sieben von zehn der von der DIHK befragten Unternehmen bremsen aktuell Bürokratie und Fachkräftemangel die Innovationstätigkeit. „Wenn die Standortfaktoren hierzulande nicht stimmen, gehen finanzielle und personelle Kapazitäten verloren, die Unternehmen brauchen, um Innovationen zu entwickeln“, fasst DIHK-Forschungsexpertin Susanne Gewinnus zusammen.

„Kleine und mittelständische Maschinenbauer investieren drei Prozent ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Genauso hoch sind auch ihre Bürokratiekosten“, berichtet auch Hartmut Rauen vom VDMA. Die Verwaltung der Vergangenheit koste die Betriebe also genau so viel wie die Entwicklung von Chancen für die Zukunft.

Unternehmen haben im Dschungel der Förderprogramme die Orientierung verloren

Nur woran hapert es im Einzelnen? Zunächst ist die Landschaft von Programmen, mit denen Bund und Länder die Forschung fördern, so unübersichtlich, dass Unternehmen Schwierigkeiten haben, das für ihr Projekt passende Angebot finden. Wenn ihnen das gelingt, vergehen durch die Beantragung und Bewilligung der Gelder oft nochmals bis zu eineinhalb Jahre, bevor sie mit ihrer Forschungs- oder Entwicklungsarbeit anfangen können.

Fördergeber wollen in Deutschland nur besonders hochwertige Vorhaben unterstützen, erklärt Volker Zimmermann, Analyst bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), diesen Eklektizismus. Damit schwächen sie aber das deutsche Innovationssystem. Was es daher bräuchte, ist eine Verschlankung der Antrags- und Auswahlverfahren sowie eine zusätzliche Möglichkeit, Fördermittel auch für zeitlich kürzere und finanziell kleiner dimensionierte Projekte beantragen zu können, fordert Zimmermann. "Das könnte zu einer Steigerung der Agilität der Förderung beitragen, indem die Anzahl der geförderten Projekte erhöht und die Zeitspanne, bis verwertbare Forschungsergebnisse vorliegen, verkürzt wird", so der Analyst.

Das Forschungszulagengesetz ist weitgehend unbekannt

Obwohl die Bürokratie im deutschen Fördersystem seit Jahrzehnten in der Kritik steht, setzte die damals von Angela Merkel geführte Bundesregierung erst am 1. Januar 2020 das Forschungszulagengesetz in Kraft. Es ermöglicht Firmen, Fördergelder im Rahmen ihrer Steuererklärung geltend zu machen.

„Es ist bürokratiearm und schnell, und fördert nicht nur Technologien, die die Politik schick findet, sondern auch solche die bislang noch gar niemand kennt“, lobt Hartmut Rauen. Nur sechs von zehn Unternehmen kennen diese Fördermöglichkeit gar nicht, brachte die DIHK in ihrem Innovationsreport zu Tage. Haben sich die Betriebe über Jahre so sehr an die Förderbürokratie gewöhnt, dass sie gar nichts anderes mehr erwarten? Für Susanne Gewinnus von der DIHK steht jedenfalls fest: „Es braucht einen Kulturwandel, bis solche Instrumente angenommen werden.“

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Das Beamtenrecht behindert Kooperation von Wirtschaft und Hochschulen

Diesen Kulturwandel braucht es ebenfalls im deutschen Beamtenrecht. Denn unstrittig ist, dass dieses die kommerzielle Verwertung von Forschungsergebnissen so behindert, dass die Innovationsstärke der deutschen Wirtschaft leidet. "Für die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft spielt die Aufteilung des in der Kooperation entstehenden intellektuellen Eigentums eine zentrale Rolle", schreiben die Analysten von Roland Berger in ihrem Innovationsindikator. Als Dienstherren der beteiligten Forscher beanspruchen Universitäten das geistige Eigentum von Forschungsarbeit aber oft komplett für sich.

Im Ergebnis entstehen in Deutschland daher pro 1000 Einwohnern zwar in etwa so viele wissenschaftliche Publikationen wie in den USA. An Hochschulen gibt es hierzulande aber nur 44 Prozent so viele Ausgründungen wie an Universitäten in den Vereinigten Staaten, berichtet der Start-up-Verband.

Politische Pleite – Die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation

Um dies zu ändern, beschloss die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag 2022, eine „Deutsche Agentur für Transfer und Innovation“ (DATI) einzurichten. Sie soll die Zusammenarbeit von Fachhochschulen sowie kleinen und mittelgroßen Universitäten und Unternehmen fördern und dabei entstandene Forschungsergebnisse schneller in die kommerzielle Anwendung bringen.

„Wegen fehlender Orientierung und Führung“ ist es Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) bislang aber nicht mal gelungen, die DATI personell auszustatten, kritisiert Norbert Osterwinter, für das Thema „Nachhaltige soziale Marktwirtschaft“ zuständiger Projektmanager bei der Bertelsmann-Stiftung. Wer die Agentur führen wird, soll erst im Verlauf des Aprils, also nach drei Viertel der aktuellen Legislaturperiode feststehen.

Reallabore bringen Innovationen voran

Große Hoffnungen setzt DIHK-Innovationsfachfrau Susanne Gewinnus dagegen in Reallabore, für die die Bundesregierung derzeit den rechtlichen Rahmen schafft. Das sind abgegrenzte Bereiche, die mal nur ein Gebäude, mal ein ganzes Stadtviertel umfassen. In ihnen werden rechtliche Vorgaben für einen festgelegten Zeitraum so gelockert, dass sich andernfalls noch nicht zulässige Innovationen in einer echten Umgebung entwickeln lassen. Mit den Erkenntnissen, die Anwender, Behörden und Unternehmen dabei gewinnen, kann anschließend der Rechtsrahmen geschaffen werden, den es für den sicheren und produktiven Einsatz der Neuheiten braucht. „So lässt sich die Entwicklung von Innovationen leichter, schneller und agiler vorantreiben“, fasst Susanne Gewinnus zusammen.

In Baden-Württemberg etwa fördert das Wissenschaftsministerium ein Reallabor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Dabei werden mit Künstlicher Intelligenz ausgestattete humanoide Roboter in Schulen, Museen, Bibliotheken und Krankenhäusern eingesetzt. Im Fokus der Forscher steht vor allem, wie Menschen auf die smarten Blechkerle reagieren. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen in die Entwicklung künftiger humanoider Roboter einfließen.

„Uns ist es extrem wichtig, dass der Wissens- und Erfahrungsaustausch in beide Richtungen geht, so dass wir anschließend genau die Technologien entwickeln können, welche Menschen wirklich brauchen“, erklärt Professor Tamim Asfour vom Institut für Anthropomatik und Robotik des KIT.

In Hamburg wiederum wurde die Köhlbrandbrücke in ein Reallabor verwandelt. Dort erforschen Bund und Hansestadt, wie sich die Instandhaltung des Bauwerks mit einem digitalen Zwilling verbessern lässt.

Bundesweit gibt es auch zahlreiche Reallabore im Bereich der erneuerbaren Energien. Bayern, Baden-Württemberg und Berlin etwa untersuchen, wie sich Großwärmepumpen in Fernwärmenetze einbinden lassen. Nordrhein-Westfalen forscht zum Einsatz von Wasserstoff in der Stahlproduktion, Berlin in einem weiteren Projekt dazu, wie sich Aquifere als Wärmespeicher in Nahwärmenetzen nutzen lassen.

Deutschlands Innovationssystem fehlt die Dynamik, die es für Spitzenleistung braucht

Solche Projekte zeigen, dass es in Deutschland nach wie vor innovative Unternehmen sowie erstklassige akademische und außeruniversitäre Forschung gibt – obwohl sich an den strukturellen Problemen des deutschen Innovationssystems seit Jahrzehnten kaum etwas geändert hat. Dessen Dynamik ist wegen seiner strukturellen Schwächen aber "nicht als zufriedenstellend zu bewerten", fassen die Autoren des „Innovationsindikators 2023“ zusammen. Deutschland belegt in dem Ranking daher seit Jahren einen Platz im oberen Mittelfeld. "Ein Aufschließen zur Spitzengruppe oder eine kontinuierliche Verbesserung der Innovationsfähigkeit sind aber nicht zu erkennen", so die Analysten.

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