Im deutschen Maschinenbau lebt Innovation von Vernetzung. Doch der EU Data Act und US-amerikanische Plattformbetreiber gefährden die Kooperation zwischen Hersteller und Anwender.

Im deutschen Maschinenbau lebt Innovation von Vernetzung. Doch der EU Data Act und US-amerikanische Plattformbetreiber gefährden die Kooperation zwischen Hersteller und Anwender. (Bild: MH - stock.adobe.com)

Deutschland kann Innovation. Davon ist die Unternehmensberatung Roland Berger überzeugt. In ihrem aktuellen „Innovationsindikator“, einem einschlägigen Vergleich von 35 Ländern, holte sich Deutschland 2023 bei „neuen Produktionstechnologien“ mit Abstand den ersten Platz. Bei Energietechnologien und solchen für die Kreislaufwirtschaft belegt es die Ränge zwei und drei.

Die World Intellectual Property Organization bestätigt das gute Ergebnis im jährlich erscheinenden „World Innovation Index“. Beim Vergleich der Zahl der gehaltenen Patentfamilien mit der Höhe des Bruttoinlandsprodukts, schnitten Erfinder und Unternehmen 2023 in keinem anderen untersuchten Land besser ab als Deutschland. Das heißt, gemessen an seiner Wirtschaftskraft besitzt Deutschland mehr Schutzrechte für eine breitere Palette von Technologien als jedes andere Land.

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Hidden Champions sind Deutschlands innovative Stärke

Diese melden oft Hidden Champions an – größere mittelständische Unternehmen, die in ihrem Bereich globale Marktführer, aber dennoch oft nur Brancheninsidern bekannt sind. Weltweit gibt es rund 3400 solcher Unternehmen. Jedes zweite davon ist in Deutschland beheimatet.

Mit sechs Prozent ihres Umsatzes geben diese hochinnovativen Mittelständer mehr für Forschung und Entwicklung aus als der Durchschnitt der Industriebetriebe. Außerdem haben sie pro Mitarbeiter fünfmal so viele Patente angemeldet wie Konzerne.

Viele Hidden Champions kommen aus dem Maschinenbau, zum Beispiel der Hersteller von Sensoren für die Automation Balluff, der Spezialist für Mess-, Steuer- und Regelungssysteme Bürkert Werke, der Hersteller von Ventilatoren Ebm-Papst oder die Maschinenfabrik Reinhausen. In Summe gab daher auch der Maschinenbau 2023 mit 8,7 Milliarden Euro sechs Prozent mehr für Forschung und Entwicklung aus als im Vorjahr, meldet der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA).

Disruption und Innovation sind nicht dasselbe

Maschinenbauer bringen aber anders als Halbleiter-Konzerne wie Nvidia, Plattformbetreiber wie Microsoft, oder Unternehmen, die wie Open AI Modelle Künstlicher Intelligenz (KI) entwickeln, selten disruptive Innovationen hervor – Neuerungen, deren Mehrwert so groß ist, dass sie bestehende Technologien vom Markt verdrängen.

Weil deutsche Unternehmen selten disruptiv sind, werden sie häufig gar nicht als innovativ wahrgenommen. Das ist ein Trugschluss.

Hartmut Rauen, stellvertretende Hauptgeschäftsführer des VDMA
Hartmut Rauen, stellvertretende Hauptgeschäftsführer des VDMA (Bild: VDMA)

„Der Maschinenbauer in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist ein Innovations-Hotspot Europas und der Welt“, versichert der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des VDMA, Hartmut Rauen.

Die Stärke der Betriebe liegt allerdings meist in der Entwicklung und Fertigung analoger Produkte sowie auf deren allmählicher Weiterentwicklung. Diese erfolgt auf Basis von in der Anwendung gewonnenen Erkenntnissen oder sich dabei ergebenden neuen oder zusätzlichen Anforderungen. Für diese inkrementelle Herangehensweise der Maschinenbaubetriebe gibt es gute Gründe.

Im Maschinenbau ist Kooperation die Basis von Innovationen

Der Maschinenbau ist im deutschsprachigen Raum eine Branche, in der Geschäftsbeziehungen so engmaschig geknüpft sind, dass auch Innovationsprozesse fast zwangsläufig von Kunden und Lieferanten gemeinsam betrieben werden. Käufer von Maschinen und Anlagen setzen dabei darauf, dass deren Hersteller nicht nur ihre eigenen Produkte, sondern auch den Fertigungsprozess des Abnehmers hervorragend kennen und verstehen.

„Eine mehrere hundert Millionen Euro teure Anlage lässt sich nicht ohne einen umfassenden Austausch von Ideen, einen immensen Vorlauf im Engineering und umfassende Machbarkeitsdiskussionen herstellen“, veranschaulicht der Geschäftsführer des VDMA-Fachverbandes Software und Digitalisierung, Prof. Claus Oetter. Deshalb lasse sich der Innovationsprozess im Maschinenbau auch nicht mit dem in der Automobil- oder Pharmaindustrie vergleichen.

Selbstverständlich nutzen Maschinenbauer auch disruptive, meist in den USA entwickelte Technologien wie KI. Diese ermöglichen neue datenbasierte Funktionen und neue Nutzungen von Maschinen und Anlagen wie Condition Monitoring, vorausschauende Instandhaltung oder den Verkauf der Leistung der Maschine statt dieser selbst – Equipment as a Service genannt.

Kukas Chief Innovation Officer Tagscherer über gutes Innovationsmanagement und Mitarbeiterführung

Daten allein helfen im Maschinenbau gar nichts

Mit den von vernetzungsfähigen und mit Sensoren ausgestatteten Maschinen erzeugten Daten allein, lässt sich im Maschinenbau allerdings wenig anfangen. „Der Mehrwert entsteht nur, weil Maschinenbauunternehmen die Technologien mit ihrem Wissen über Fertigungsprozesse in den Branchen ihrer Kunden verbinden können“, so Oetter. Unternehmen müssen verstehen, welche Pain Points sie mit ihren Maschinen für ihre Kunden beseitigen und wie sie diese aus Datensätzen ablesen können.

Prof. Claus Oetter, Geschäftsführer des VDMA-Fachverbandes Software und Digitalisierung
Prof. Claus Oetter, Geschäftsführer des VDMA-Fachverbandes Software und Digitalisierung (Bild: VDMA)

Wer das heute bereits tut, nutzt das Potenzial, das die smarte und vernetzte Automatisierung von Maschinen, Anlagen in der Industrie 4.0 bietet. Diese sowie die Nutzung der Daten, die Maschinen bei ihrem Betrieb generieren, darf aber nicht die Domäne einzelner Technologieführer wie der Jagenberg-Gruppe oder der Körber AG bleiben.

Wenn der deutsche Maschinenbau international wettbewerbsfähig bleiben will, muss er seine Maschinenkompetenz, das Verständnis für seine Kunden und die Digitalisierung dieser Stärken branchenweit auf ein neues Niveau heben. Seine Kunden erwarten, dass sie durch ihre Investition in mit klugen Steuerungen und Sensoren ausgestattete Maschinen, schneller und produktiver werden. Das gelingt nur, wenn Spezialisten entweder beim Lieferanten oder einem Serviceanbieter die Daten ihrer Maschinen zielgerichtet auswerten.

„So ergibt sich durch die Industrie 4.0 für Maschinenbauunternehmen die Chance, neue, datenbasierte Geschäftsmodelle zu entwickeln“, erklärt Oetter. „Dabei können sie oft ein umfangreicheres Serviceangebot schaffen, als nur die datenbasierte Optimierung der Maschinenleistung und -laufzeit.“

Wildern Plattformbetreiber aus den USA bald im Markt der Maschinenbauer?

Diese Geschäftschancen jedoch sind in Gefahr. Denn an den Daten der Maschinen sind auch Digitalkonzerne und Cloudanbieter wie Microsoft oder AWS interessiert. Der im Januar in Kraft getretene Data Act der Europäischen Union (EU) spielt ihnen dabei in die Hände. Die Mitgliedsstaaten müssen ihn bis September 2025 in nationales Recht umsetzen. Dann verbietet es die neue Rechtslage Maschinenbauern in der EU, sich die Nutzung der von ihren Produkten generierten Daten in Verträgen oder AGB exklusiv zu sichern. Ihre Kunden können ihre Daten dann auch an US-Unternehmen verkaufen.

Sollten sich die Digitalkonzerne mit ihren Plattformen zwischen Maschinenbauern und ihren Kunden positionieren, verlieren vor allem mittelständische Betriebe den direkten Kontakt zu ihren Kunden und damit die Grundlage für künftige Innovationen und neue Dienstleistungen.

Letztlich würden sie zu Zulieferern von Hardware degradiert, könnten mit dieser aber nicht mehr die gleichen Margen erzielen wie bislang, während andere das große Geschäft machen. Vor diesem Szenario warnte die Unternehmensberatung McKinsey schon 2021 in einer weithin beachteten Studie. Wenn die Unternehmen diese Bedrohung abwenden wollen, so die Analysten, sei es eine „Grundvoraussetzung“, dass sie Digitalisierung nicht nur zur Optimierung ihrer Prozesse nutzten, sondern die Geschäftschancen, die sich aus ihr ergäben, zur strategischen Priorität machen.

Kongress Digitale Fabrik

Digitale Fabrik
(Bild: Gorodenkoff - stock.adobe.com)

Auf dem Kongress "Digitale Fabrik" treffen sich jährlich Expertinnen und Experten der digitalen Produktions- und Fertigungsplanung zum intensiven und vor allem persönlichen Austausch.

 

Der nächste Kongress findet 2025 statt.

 

Weitere Informationen zum Kongress gibt es hier: Alles zur Digitalen Fabrik!

Innovationen erfordern auch bei Daten eine Sharing Economy

Die zweite Halbzeit in der Digitalisierung von Maschinen und Anlagen hat also begonnen. Um sie zu gewinnen, müssen mehr Maschinenbauer anders mit Daten umgehen als heute. Um mit ihren innovativen Stärken die heute möglichen datenbasierten Zusatzleistungen entwickeln und anbieten zu können, müssen sie meist Daten zukaufen, um Algorithmen trainieren zu können.

Diese Informationen werden sie aber nur dann finden, wenn sie selbst und andere Unternehmen bereit sind, die von ihren Maschinen erzeugten Daten zu teilen. Diese Bereitschaft jedoch nahm zuletzt ab, fand der Digitalverband Bitkom in einer Umfrage heraus. Während drei von zehn der über 600 Teilnehmenden angaben, Daten anderer Unternehmen zu nutzen beziehungsweise nutzen zu wollen, erklärten sich nur 17 Prozent der Befragten bereit, eigene Daten mit anderen zu teilen. In der vorangegangenen Umfrage taten das 2022 noch 21 Prozent der Teilnehmenden.

Wenn deutsche Maschinenbauer ihre Innovationsstärken erhalten wollen, muss sich an dieser Situation etwas ändern. Dazu soll die in die Digitalstrategie der Bundesregierung vom August 2022 aufgenommene Initiative Manufacturing-X beitragen. Durch sie soll in der Zusammenarbeit von Bundesministerien, Unternehmen und Verbänden ein Datenraum entstehen, in dem Industrieunternehmen jeder Größe vertrauensvoll und ohne den Verlust der Souveränität über ihre Daten weltweit mit diesen handeln können.

Die technischen Grundlagen für den Austausch der Informationen wurden mit dem „Referenzarchitekturmodell für Industrie 4.0“ (RAMI 4.0) und herstelleroffenen Standards für die Maschinenkommunikation wie OPC UA bereits geschaffen. Auch Technologien für rechtssichere Geschäfte mit Daten gibt es – etwa Blockchain und Smart Contracts. Für das Funktionieren des Datenraums zentrale Systeme lassen sich bei der europäischen Cloud Gaia-X, der Industrial Digital Twin Association (IDTA) oder der OPC-Foundation hosten.

Mit Manufacturing-X setzt der Maschinenbau auf die Macht der Crowd

„Manufacturing-X bildet so einen Gegenentwurf zu den zentralistischen und disruptiven Plattformgeschäftsmodellen“ von Cloudanbietern aus den USA, erläutert der VDMA. Noch wichtiger als die auf mehrere Schultern verteilte technische Infrastruktur sind dafür aber die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen Unternehmen ihre Daten in Manufacturing-X austauschen. So braucht es einen rechtssicheren Nachweis, dass in dem Datenraum gehandelte Daten authentisch sind und bestimmten Qualitätskriterien entsprechen. Das lässt sich etwa mittels eines Zertifikats lösen, das Maschinen brauchen, um sich in die technische Infrastruktur des Datenraums einzuloggen.

Damit Unternehmen wiederum jederzeit die Souveränität über ihre Daten behalten, bleiben diese so lange auf ihren eigenen Servern oder in ihren Clouds, bis sie sich entscheiden, die Informationen zu Konditionen zu verkaufen oder zu teilen, die sie in individuell mit ihrem Partner vereinbarten Verträgen festlegen. So können Sie darauf vertrauen, dass ihre Geschäftsgeheimnisse und ihr geistiges Eigentum geschützt sind und nicht von Plattformbetreibern unbefugt an Dritte weitergegeben werden.

„Da Manufacturing-X so das bei Daten bislang weitverbreitete Denken im unternehmensspezifischen ‚Ego-System‘ durch die Kooperation und den Austausch in einem Eco-System ersetzt, fördert es die Bereitschaft, Daten zu teilen und erlaubt dem deutschen Maschinenbau seine innovativen Stärken zu nutzen, um in der Digitalisierung die zweite Hälfte der Spielzeit zu gewinnen“, fasst Hartmut Rauen vom VDMA zusammen.

Industrial Metaverse Conference
(Bild: SV Veranstaltungen)

Kommen Sie zur Industrial Metaverse Conference und erkunden Sie die neuesten Entwicklungen und Innovationen an der Schnittstelle von Industrie und virtuellen Welten. Die Konferenz bringt führende Experten, Technologen und Geschäftsstrategen zusammen, um Einblicke in die Verwendung von Metaverse-Technologien in der Fertigung, Automatisierung und digitalen Transformation zu teilen.

 

Die findet am 9. und 10. Juli 2024 im Nestor Hotel Ludwigsburg statt. Es werden unter anderem Expert:innen von Volkswagen, Siemens, Sick, Schunk und Mercedes-Benz sprechen.

 

Weitere Informationen und das Programm gibt es hier: Zur Industrial Metaverse Conference.

Überarbeitet von Julia Dusold

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