Herr Bendig, Sie beschäftigen sich seit über 20 Jahren mit dem Maschinenbau und sagen, dass sich die Branche künftig mehr auf Aftersales konzentrieren soll. Warum?
Oliver Bendig: Im Aftersales wird das Geld verdient. Ich habe viele Kunden, die machen den größten Teil ihres Profits genau in diesem Bereich. Dennoch wurde der Aftersales in der Vergangenheit stiefmütterlich behandelt – eben weil er so gut lief und die CEOs andere Baustellen hatten, die sie lösen mussten. Im Aftersales wurden in den vergangenen Jahren zum Beispiel die Pricing- und Vertriebsmodelle optimiert. In den vergangenen Monaten – auch schon vor der Corona-Pandemie – haben dann aber immer mehr Maschinenbauer gesagt: ‚Im Aftersales ist jetzt das Ende der Fahnenstange erreicht‘. Wachstumsraten von drei bis acht Prozent sind einfach nicht mehr vorstellbar.
Wie ist es zu dieser Entwicklung gekommen?
Bendig: Die Kunden haben sich immer öfter überlegt, ob sie ihre Ersatzteile und Consumables wirklich noch bei den OEMs kaufen müssen oder nicht woanders günstiger beziehen können. Dadurch haben die Unternehmen natürlich Kunden verloren. Bei einer Druckmaschine kann ich zum Beispiel auch die Farben, das Öl etc. woanders günstiger kaufen. Viele der Teile sind auch Standardteile, da braucht der Kunde nicht unbedingt einen Maschinenbauer, über den er das bezieht. Das haben kleine Serviceprovider verstanden und sich erfolgreich im Aftersales positioniert.
Viele Kunden haben also gesagt: Die schwierigen Teile überlassen wir dem Maschinenbauer, den Rest organisieren wir selbst. Dadurch bricht den Maschinenbauern vor allem in der zweiten Hälfte des Lebenszyklus ihrer Maschinen das Geschäft weg.
Die Unternehmen haben natürlich immer wieder versucht, Kunden besser an sich zu binden, zum Beispiel durch Serviceverträge und Webshops. Jetzt ist es aber so, dass in vielen Bereichen alles ausgeschöpft ist und die Maschinebauer sich überlegen müssen, wie sie das Geschäft für die Zukunft absichern.
Und was können sie jetzt unternehmen?
Bendig: Es gibt verschiedene Ansatzpunkte. Viele sind gerade schon dabei, die gesamte Wertschöpfungskette zu digitalisieren. Durch Corona sind Entscheidungen in diese Richtung leichter geworden, weil Kunden das inzwischen auch einfordern. Es werden Prozesse und Anwendungen digitalisiert, die Frage ist dabei aber natürlich: Wie verdiene ich damit Geld und unterscheide mich von den lokalen Serviceprovidern?
Können Sie ein Beispiel nennen, wie Unternehmen das konkret umsetzen?
Bendig: Siemens Mobility hat sich zum Beispiel dem Thema Teile-Identifikation gewidmet. Es ist nicht immer leicht, das richtige Ersatzteil zu finden, was oft dazu führt, dass Kunden mehrere Teile bestellen und die falschen dann zurückschicken müssen. Siemens Mobility sagt jetzt durch Digitalisierung der Wertschöpfungskette schaffen sie es, innerhalb von 10 Sekunden das entsprechende Teil zu identifizieren. Dann braucht der Kunde drei Minuten, um das Ersatzteil zu bestellen und innerhalb von 24 Stunden wird es geliefert. Das ist möglich, weil viele Teile inzwischen auch additiv gefertigt werden können. Das ist vor allem ein Vorteil, wenn kein Warehouse in der Nähe ist. Immer mehr Maschinenbauer setzen auf dieses Thema.
Siemens Mobility Services: Ersatzteile für den Schienenverkehr
Die wichtigsten Ersatzteile europaweit innerhalb von 24 Stunden erhalten (weltweit 48 Stunden): Das ist das Versprechen des Easy-Spares-Konzept von Siemens Mobility. Neben einem Lagerbestand für „jedes sinnvolle Ersatzteil“ werden mechanische Teile, die sich laut Unternehmen wirtschaftlich nicht vorrätig halten lassen, mit Additive Manufacturing hergestellt.
Der Konzern erklärt außerdem, dass der ganzheitliche Prozess in den vergangenen Jahren „wie ein Puzzle“ zusammengesetzt wurde. Deshalb sollen Teile innerhalb von zehn Sekunden identifizierbar und innerhalb weniger Minuten bestellbar sein.
Mit welchen Themen beschäftigt sich die Branche sonst noch, um im Aftersales wieder erfolgreich zu sein?
Bendig: Die Maschinenbauer arbeiten momentan extrem an der Konnektivität der Maschinen. Da steckt die Frage dahinter, wie ich die Geräte so miteinander verbinden kann, dass man in sie hineinschauen kann, sieht, welches Problem vorliegt und es dann dem Servicetechniker meldet. Diese Art der vorausschauenden Wartung lässt sich zum Beispiel an einer Aufzugstür illustrieren: Je nachdem wie schnell oder langsam sie schließt, ist absehbar, wann der Aufzug größere Mängel haben wird. Dann weiß ich: Ich muss einen Servicemitarbeiter hinschicken.
Ein weiteres Modell, das aus meiner Sicht immer stärker kommt, ist ein Netflix des Maschinenbaus, also ein Subscription-Modell. Das heißt, Kunden abonnieren beziehungsweise mieten eine Maschine. Ein wesentliches Thema ist dabei die Risikobilanzierung: Wenn eine Maschine gemietet wird, dann ist der Kaufpreis nicht mehr sofort fällig, sondern die Zahlungen strecken sich über mehrere Jahre der Nutzungsdauer. Sobald es eine Rezession gibt, steht die Maschine dann still und der Kunde braucht im Subscription-Modell nichts mehr zu zahlen. Jungheinrich zum Beispiel war auch hier ein Innovationsführer und hat schon früh die ersten Schritte getan. Heute bieten sie sehr erfolgreich Fahrzeuge im Subscription-Modell an und ihre Kunden schätzen die Flexibilität, Gabelstapler zu kaufen, zu mieten oder eben nach Bedarf zu bezahlen. Auch Heidelberg hat ein solches Modell für seine Druckmaschinen.
So sieht das Netflix-Modell bei Heidelberger Druck und Jungheinrich aus
- „Subscribe to a smart future“ heißt es bei Heidelberg. Dafür bietet das Unternehmen zwei Modelle: Bei Subsription Smart kümmert sich Heidelberg um Consulting und Training, Prinect, Consumables sowie Service. Bei der Plus-Variante kommt auch das Equipment dazu.
- Langzeitmieten gibt es bei Jungheinrich. Im „Rental“-Modell sollen Kunden von einem All-inclusive-Paket profitieren. „Rental bietet Ihnen den reinen Nutzungsgedanken ohne Übernahmeverpflichtung am Vertragsende“, schreibt das Unternehmen. Wie hoch die monatliche Rate ist, hängt dabei von der Vertragslaufzeit fest. Am Ende der Laufzeit können die Kunden dann entscheiden, ob sie auf ein neues Modell umsteigen oder den bestehenden Vertrag verlängern. Daneben bietet Jungheinrich noch ein Leasing-Modell an.
Zählt das neue Pay-per-Part-Modell von Trumpf da auch dazu?
Bendig: Ganz genau. Was Trumpf jetzt macht ist genau die richtige Richtung. Da treffen sich Industrie 4.0 und Insurance 4.0. Denn ein Maschinenbauer kann das Risiko eines Subscription-Modells nicht komplett alleine schultern und da kommt dann der Versicherer ins Spiel. Deshalb geht Trumpf hier genau den richtigen Weg, indem es das Joint Venture gründet. Das Subscription-Modell ist ein Modell, das sich langsam entwickeln muss, bei dem die Unternehmen lernen müssen und auch Rückschläge haben werden.
Mehr zum neuen Geschäftsmodell von Trumpf lesen Sie hier.
Das heißt, alle Maschinenbauer sollten das Geschäftsmodell jetzt einführen?
Bendig: Bei dem Thema gibt es kein schwarz/weiß-Denken. Sowohl das Verkaufsmodell, als auch das Netflix-Modell werden auf dem Markt nebeneinander bestehen. Auf letzteres muss sich ein Unternehmen auch gut vorbereiten, es muss ein Ecosystem aufgebaut werden und man muss genau aufpassen, mit welchem Kunden ich ein Subscription-Modell mache.
Was meinen Sie damit? Kann ein Unternehmen auch den falschen Kunden auswählen?
Bendig: Ein Kunde, der nicht an einer partnerschaftlichen Beziehung zum Maschinenbauer interessiert ist, sollte nicht an einem Subscription-Modell teilnehmen dürfen. Was ich damit meine: Ein großes Unternehmen wird nicht alle Maschinen von ein und derselben Firma haben, sondern von verschiedenen. Er wird gekaufte und gemietete Maschinen haben. Bei normaler Auftragslage ist alles super und alle Maschinen werden laufen. Aber was passiert, wenn die Auftragslage runtergeht? Ein Kunde, der nicht loyal ist, wird erst einmal die auf Outcome-Basis gemietete Maschine ausschalten und die gekaufte weiterlaufen lassen. Der Leidtragende ist dann natürlich der Maschinenbauer, der das Gerät zur Verfügung stellt, aber keine Erlöse mehr erzielt.
Gerade am Anfang muss beiden Parteien klar sein: Wir sitzen in einem Boot und vertrauen einander. Ein Maschinenbauer sollte deshalb sehr vorsichtig auswählen, mit welchem Kunden er ein solches Modell macht.
Zurück zum Thema Digitalisierung. Sie haben schon angedeutet, dass das nicht überall so einfach ist. Wo genau liegen denn die Probleme?
Bendig: Es ist eine Sache, eine App aufs Handy zu installieren und von Digitalisierung zu sprechen. Die Digitalisierung einer Produktionsstrecke, bei der verschiedene Maschinen miteinander verbunden sind, das ist schon die Königsdisziplin der Digitalisierung. Da müssen Standards eingehalten werden. Da geht es um Fragen wie: was mache ich, wenn die Maschine eines anderen Anbieters am Beginn der Produktionskette defekt ist und deshalb „meine“ Maschine später im Prozess unverschuldet nicht produzieren kann?
Wenn man das Auto anschaut, da kann man inzwischen per App überprüfen, wie voll der Tank noch ist und ob die Fahrzeugtür geschlossen wird. Das kann man auch für jede Maschine machen, fast alle Maschinenbauer arbeiten daran. Die Maschinendaten müssen dann aber auch gepflegt werden, wenn der Techniker etwas an der Maschine ändert.
Welchen Einfluss hatte die Coronakrise auf die Digitalisierung?
Bendig: Alle hatten das Problem, dass die Maschinen weitergelaufen sind und der Maschinenbauer auch den Service gewährleisten musste, sie konnten ihre Techniker aber nicht rausschicken. Man kann gar nicht genug betonen, wie extrem wichtig Fernunterstützungsfunktionen gerade jetzt geworden sind, um die Geschäftstätigkeit aufrechterhalten zu können. Indem der Servicetechniker aus der Ferne auf die Maschine zugreift, könnte er schon heute 80 Prozent der elektronischen Probleme schnell und effizient online lösen. Diese Entwicklung werde auch nach der aktuellen Krise voranschreiten.
Für die Maschinenbauer bedeutet das: Sie müssen ein Hotline Center schaffen, in dem die besten Techniker sitzen, die sich dann auf die Maschinen draufschalten können und durch Augmented Reality genaue Anweisungen geben können. Solche Dinge haben sich durch die Corona-Pandemie beschleunigt und das wird sich noch weiterentwickeln, weil es schneller und günstiger ist, als mehrmals einen Servicetechniker zum Werk fahren zu lassen. Das wird zu einem immer größeren Vorteil für den Maschinenbau und ist eine riesige Chance, Kunden zu binden.
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Wie schätzen Sie die Lage des deutschen Maschinenbaus allgemein ein?
Bendig: Im Vergleich zu anderen Industrien ist der Maschinenbau gut durch die Krise gekommen, ist aber natürlich hart gebeutelt. Der Maschinenbau hat aber durch die Mitarbeiter eine Mentalität in den Unternehmen, bei der überlegt wird, was können wir ändern, um gestärkt aus der Krise zu kommen. Die Krise wird genutzt, um bestimmte Dinge anzustoßen, die vorher schwierig waren. Es gibt natürlich überall noch Verbesserungsbedarf, aber der Maschinenbau steht viel besser da, als manchmal gesagt wird.
Dennoch wird auch im Maschinenbau ein Jobabbau befürchtet, nachdem Autobauer und Zulieferer reihenweise ankündigen, Mitarbeiter zu entlassen. Teilen Sie diese Befürchtung?
Bendig: Viele gehen von einer sehr langsamen Erholung im Maschinenbau aus. Nichtsdestotrotz bin ich auf eine Sicht von zwei bis drei Jahren sehr positiv gestimmt, weil die Qualität der Maschinen gut ist. Die Maschinenbauer nutzen die jetzt freigewordenen Kapazitäten, um sich voranzubringen. Das ist etwas, was ich an der Branche sehr schätze.
Viele Maschinenbauer sagen auch zu mir: Kümmert euch nicht so sehr um uns, klar machen wir auch Kostensenkungsprogramme, aber wir sind auch unterwegs und schauen auf unsere wichtigsten Supplier, damit die durch die Krise kommen. Manche haben zum Beispiel von sich aus Discount-Programme vorübergehend ausgesetzt, damit ihre Lieferanten die Talfahrt überstehen. Im Maschinenbau wird also auf Lieferanten und Mitarbeiter geachtet. Aber natürlich wird auch der Maschinenbau schrumpfen müssen.
Sie werden aber nicht drastisch Leute entlassen, denn der Maschinenbau will seine guten Mitarbeiter nicht verlieren. Die Unternehmen brauchen diese Beschäftigten schließlich nach der Krise wieder. Und dann neue Mitarbeiter zu suchen und einzuarbeiten kostet viel Geld und Mühe. Es wird also zu Stellenstreichungen kommen, aber nicht so drastisch wie in der Autobranche.
Wagen wir noch einen Blick in die Zukunft: Welche Themen oder Geschäftsmodelle werden künftig auf den Maschinenbau zukommen?
Bendig: Es gibt eine Technologie, die noch ein bisschen dauern wird, die aber in Zukunft eine schöne Möglichkeit für den Maschinenbau werden kann und das ist Blockchain. Dabei wird die komplette Wertschöpfungskette abgedeckt. Man wird künftig jede einzelne Komponente einer Maschine tracken können, also von welchem Supplier sie wann geliefert wurde etc. Teile, die aus der Maschine ausgebaut werden, werden abgemeldet, Ersatzteile angemeldet.
Warum ist das so wichtig?
Bendig: Dabei geht es um das Thema Gewährleistung, weshalb Blockchain im Automobilbereich schon recht stark ist. BMW war da einer der ersten. Sie können durch Blockchain genau sagen, welches Teil in welchem Auto ist und müssen zum Beispiel bei einer Rückrufaktion nicht die komplette Serie zurückholen, sondern nur die Fahrzeuge, in die das defekte Teil tatsächlich eingebaut wurde. Das ist ein Riesenvorteil.
Im Fall vom Maschinenbau kann ein Unternehmen dann zum Beispiel zum Kunden sagen, wenn du Teile austauschst, ist es okay, wenn ein bestimmtes Teil nicht von uns ist, aber gib es zumindest in der Blockchain ein, damit wir wissen, es ist da. In diesem Fall kann der Maschinenbauer dann auch auf den Kunden zugehen und fragen, was hätten wir machen müssen, damit das nächste Mal das Originalteil genommen wird. So entsteht Kundenbindung. Denn das Absatzgeschäft mit Ersatzteilen gilt es zu sichern.
Um wieder zum Beispiel zurückzukommen: Ein Autobauer kann auch genau sehen, wie viele Kilometer das Auto gefahren ist und wann es wieder in die Werkstatt sollte, um ein bestimmtes Teil austauschen zu lassen. BMW ist da wie gesagt Vorreiter in der Industrie, sie haben eine digitale Parts Chain etabliert. Dieses Prinzip funktioniert auch im Maschinenbau. Das Thema wird dort aber erst in drei bis fünf Jahren spruchreif sein, weil die Maschinenbauer momentan noch mit der Digitalisierung zu tun haben und das bindet extrem viele Kapazitäten.