Viele Digitalisierungslösungen bringen nichts ohne einen ordentlichen Datensatz. Manufacturing-X soll zukünftig der Industrie beim Datenaustausch helfen.

Viele Digitalisierungslösungen bringen nichts ohne einen ordentlichen Datensatz. Manufacturing-X soll zukünftig der Industrie beim Datenaustausch helfen. (Bild: Panuwat - stock.adobe.com)

„Manufacturing-X entwickelt sich mit Hochdruck weiter, auch in den letzten sechs Monaten hat sich sehr viel getan“, berichtet Dr. Olaf Sauer, stellvertretender Institutsleister am Fraunhofer IOSB. Im Rahmen von Manufacturing X sind mittlerweile noch viele weitere Projekte angelaufen. Dazu gehören neben Factory-X unter anderen etwa Process-X und Chemie-X für die Prozessindustrie, Wind-X, Semiconductor-X, Healthtrack-X für das Gesundheitswesen oder die Robotik-bezogenen Initiativen RoX und Robot-X. Auch Aerospace-X ist bereits mit Partnern gestartet, die sich wie das „Who’s who“ der Branche lesen.

Alle Projekte profitieren davon, dass mit Standardisierungen wie OPC-UA, Umati und der Industrie 4.0-Verwaltungsschale (AAS) bereits wichtige Vorarbeiten für 'Plug&Produce' geleistet wurden: Auf dieser Basis kann nun strukturiert und interoperabel bidirektional mit dem Shopfloor kommuniziert werden.

Olaf Sauer ist stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer IOSB und dort verantwortlich für die Geschäftsentwicklung und für Marketing & Vertrieb im Geschäftsfeld Automatisierung.
Olaf Sauer ist stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer IOSB und dort verantwortlich für die Geschäftsentwicklung und für Marketing & Vertrieb im Geschäftsfeld Automatisierung. (Bild: Fraunhofer IOSB)

„Das Manufacturing-X Guidance Board hat seine Arbeit aufgenommen und sogenannte Topic Groups eingesetzt, in denen Expert:innen aus den einzelnen X-Projekten vertreten sind. Die Gruppen tagen bereits regelmäßig und klären übergreifend über alle Projekte technische und organisatorische Sachverhalte“, berichtet Sauer.

So befasst sich zum Beispiel die Topic Group Modelling damit, wie Assets modelliert werden sollen. Diese Standardisierung ist ein entscheidender Aspekt, damit Daten später nicht wieder per Schnittstelle zwischen den einzelnen Manufacturing-X-Projekten übersetzt werden müssen, sondern zum Beispiel auf Basis standardisierter Digitaler Zwillinge direkt gelesen und verarbeitet werden können.

Kongress Digitale Fabrik

Digitale Fabrik
(Bild: Gorodenkoff - stock.adobe.com)

Auf dem Kongress "Digitale Fabrik" treffen sich jährlich Expertinnen und Experten der digitalen Produktions- und Fertigungsplanung zum intensiven und vor allem persönlichen Austausch.

 

Der nächste Kongress findet am 10. und 11. April 2025 in Neckarsulm statt.

 

Weitere Informationen zum Kongress gibt es hier: Alles zur Digitalen Fabrik!

Datenräume sind eine Chance auf Selbstbestimmung

„Der Datenraum benötigt einen Vertrauensraum, weil nur dort die Unternehmen bereit sind, ihr kostbares Gut – die Daten – fließen zu lassen“, erklärt Hartmut Rauen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des VDMA. Mit dem basisdemokratischen Ansatz von Manufacturing-X, Daten zu teilen, ohne die Souveränität darüber zu verlieren, habe man diesen gordischen Knoten gut durchschlagen. Damit können Unternehmen ihr Domänenwissen gewinnbringend entlang ihrer Partnerstrukturen öffnen, ohne ihre Daten etwa an große Player wie Hyperscaler abgeben zu müssen. Die DNA der Datenräume schließt aus, dass Daten zentral gespeichert werden.

Dass geteilte Daten einen erheblichen Mehrwert bringen können, haben aus Sicht der Experten bereits die meisten Unternehmen verstanden. Rauen sieht diese Datenökosysteme als große Chance, in der „zweiten Halbzeit“ global besser bei der Digitalisierung mitzuspielen und die Bedenken der Branche zu überwinden.

Für ihn ist es ein gutes Zeichen, dass der VDMA an vielen der Projekte beteiligt ist, teilweise als Konsortialpartner wie bei Factory-X oder als Konsortialführer wie im Projekt Scale-MX, das die Ergebnisse aus den X-Projekten über Kongresse, Weiterbildungen und Öffentlichkeitsarbeit an die Industrie vermittelt. „Die Idee ist ja: Wir bauen ein ganzes Ökosystem auf – und ein Ökosystem braucht eben eine Massenbewegung, dabei kann ein starker Wirtschaftsverband einen wichtigen Beitrag leisten“, so Rauen. Jetzt sind die Maschinen- und Anlagenbauer selbst aufgerufen, zum Gelingen beizutragen.

Neue EU-Regulierung verleiht Datenräumen Schubkraft

Unternehmen haben mittlerweile auch gute Gründe, sich mit dem Thema Datenökosysteme auseinanderzusetzen: Schon ab 12. September gilt der EU Data Act, dann sind Unternehmen in der Pflicht, ihren Kunden die Daten aus ihren vernetzten Produkten und verbundenen Diensten verfügbar zu machen, sofern sie nicht wettbewerbsrelevant sind.

Der Datenraum bietet ideale Voraussetzungen, um dieser neuen Regulierung nachzukommen, meinen die VDMA-Experten. „Die große Stärke des Datenraums liegt darin, sehr lange Prozesse zu unterstützen, die über Standorte und Unternehmensgrenzen hinwegreichen. Das ist auch für den kommenden Digitalen Produktpass besonders wichtig“, erklärt Christoph Herr, Industrial Evangelist Manufacturing-X beim VDMA.

Ein weiterer entscheidender Vorteil sei, dass alle Datenraum-basierten Applikationen kompatibel sind und sich wie Legosteine zusammensetzen lassen – ohne jemals ein Vendor-Lockin zu riskieren. „Was für das Unternehmen die mikroökonomische Souveränität ist, ist für eine Volkswirtschaft, für Deutschland und für Europa, die makroökonomische Souveränität. Der Gesetzgeber hat großes Interesse daran, neue Abhängigkeiten wie im B2C-Bereich zu vermeiden, indem wir im B2B-Bereich unsere eigenen digitalen Ökosysteme aufbauen“, fasst Herr zusammen.

Interoperabilität ist über alle Manufacturing-Branchen hinweg auf gutem Weg

Bereits seit Februar 2024 läuft das für den Maschinen- und Anlagenbau besonders relevante Projekt Factory-X, das in Hannover erste Demonstratoren zu einigen initialen Anwendungsszenarien vorstellen wird. „Die Schwierigkeit in den Manufacturing-X-Projekten besteht darin, dass man möglichst schnell Lösungen sehen will, um den Nutzen zu verstehen. Zugleich ist aber alles vorwettbewerblich und kann aus kartellrechtlichen Gründen erst später in markttaugliche Produkte überführt werden“, nennt Olaf Sauer eine wesentliche Herausforderung.

Doch dafür gibt es bereits Lösungen. Mit der zentralen Factory-X-Komponente des „modularen FX-Port“ (übergreifend MX-Port) wurde ein modulares Konzept für Shared Services geschaffen, um verschiedene Ebenen interoperabel abzubilden. Dazu zählen die Konnektivität zwischen Maschinen, Komponenten und etwa ERP-Systemen, und die Abbildung von Policies – also Regeln und Kontrollmechanismen für die Datenräume.

Manufacturing-X wird auf der Hannover Messe greifbar

Auf der Hannover-Messe werden auf dem Stand der Plattform Industrie 4.0 in Halle 8 bereits erste Ergebnisse aus den Gruppen vorgestellt. So soll es etwa einen Konsens dazu geben, wie OPC-UA und die Verwaltungsschale zusammenspielen sollen – damit wurde ein bisher latenter Konflikt gelöst. Auch in punkto Internationalisierung – ein Aspekt, der für die ganze Initiative von zentraler Bedeutung ist – gibt es dort News.

Der International Manufacturing-X-Council hat erste Kooperationsvereinbarungen unter anderem mit Korea, Japan, Frankreich oder Italien abgeschlossen. „Für Unternehmen wie DMG Mori ist natürlich entscheidend, dass alles, was wir hier erarbeiten, auch bei japanischen Kunden funktioniert. Viele andere Maschinenbau-Unternehmen benötigen ebenfalls global einsatzfähige Lösungen“, erklärt Sauer. Dafür wird mit Initiativen in den jeweiligen Ländern zusammengearbeitet.

Podcast: Olaf Sauer über Manufacturing-X und die Zusammenarbeit vom Fraunhofer IOSB mit der Industrie

Hilfestellung für kleine und mittlere Unternehmen der Branche

Ein Schwerpunkt wird bei Manufacturing-X auf darauf gelegt, Unternehmen beim Einstieg in potenzielle neue Geschäftsideen zu unterstützen. „Wir sehen uns als Verband auch vor der Herausforderung, einen Beitrag zu leisten, damit die Tausenden von Mittelständlern sich hier einfacher auf den Weg machen können. Dazu haben wir beispielsweise zusammen mit Partnern einen vorwettbewerblichen Demonstrator entwickelt, der auf der Hannover Messe vorgestellt wird und in dem die Thematik aus KMU-Sicht ‚vorgedacht‘ ist“, sagt Hartmut Rauen.

Damit könnten die Unternehmen zum Beispiel sicherstellen, dass sie ihre Daten und Prozesse richtig für digitale Produkte vorbereiten und dass ihre Lösungswelten per Konnektor an das Datenökosystem angebunden werden können. Das sei die Voraussetzung, um dort eigene Applikationen anzubieten und etwa vorhandene Bezahlfunktionen einfach nutzen zu können, so Rauen.

Autoindustrie ist ein ergänzungswürdiges Vorbild

Während die Autoindustrie schon relativ weit dabei ist, mithilfe von Catena-X den Anwendungsfall „resiliente Lieferkette“ umzusetzen, stellt sich die Situation im Maschinen- und Anlagenbau komplexer dar. Es existiert keine Hierarchie wie in der Autobranche, bei denen die OEMs den Weg für die Tier-Ebenen vorgeben.

„An der Spitze der Hierarchie steht bei uns häufig ein mittelständischer Spezialmaschinenhersteller mit 200 Beschäftigten – der aber nicht die Marktmacht hat, anderen Playern die Regeln vorzugeben. Die Technologieanbieter sind im Vergleich dazu riesige Zulieferer. Die Pyramide steht bei uns quasi auf dem Kopf. Zudem ist die Branche sehr divers aufgestellt“, sagt Hartmut Rauen. Deshalb komme es stärker auf Überzeugungsarbeit an, um die Vorteile aufzuzeigen.

Dennoch liefert die intensiv von der letzten Bundesregierung geförderte Forschung rund um Catena-X wichtige Blaupausen, etwa rund um Traceability. Doch der Fraunhofer-Experte meint auch: „Der wichtigste Vorteil ist aus unserer Sicht das, was über Catena-X hinausgeht. Wir tauschen auch viele Daten aus, die entlang der Fabrik-Supply-Chain entstehen, um zusätzlich den Gesundheitszustand von Komponenten und Maschinen abzubilden“.

Wie Sie IoT-Daten und -Devices im Griff haben

Ein spannender Anwendungsfall befasst sich mit Software-Updates auf Komponenten und Maschinen. Das Thema ist gerade auch aus Cybersecurity-Sicht für viele Maschinen- und Anlagenbauer besonders dringlich. „Wenn jetzt Tausende von Komponenten im Feld sind, braucht es einen sicheren und regelkonformen Weg, um Firmware- oder Software-Updates aufzubringen“, erläutert Sauer. Ein anderer Use Case zielt auf das gemeinsame Engineering von verketteten Anlagen ab, also Linien, in denen mehrere Anlagen und Roboter zusammenwirken.

Im Mittelpunkt stehen vor allem Anwendungsfälle für den Austausch von Laufzeitdaten, die anfallen, wenn Maschinen oder Anlagen laufen und die für das Condition Monitoring benötigt werden. So gibt es Use Cases für den autonomen Betrieb von Maschinen beispielsweise für Fabriken mit Drei-Schichtbetrieb und für das Energie- und Lastmanagement, um teure Lastspitzen zu vermeiden. Grundlage ist immer die hohe Datentransparenz bis auf Maschinenebene. Strukturierte Daten sind nicht zuletzt der Schlüssel, um KI massentauglich anzuwenden und damit weitere Automatisierungspotenziale zu heben.

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