Interview

Produktion beflügelt: Digitale Gebäudezwillinge im Metaverse

Für Produktionsbetriebe kann das Industrial Metaverse künftig ein Hebel für mehr Nachhaltigkeit und Effizienz sein, meint Clarissa Hack, Head of Digital Transformation bei Spie Germany Switzerland Austria. Basis dafür: Ein digitaler Gebäudezwilling.

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Mit der Entwicklung vom digitalen Zwilling zum Metaverse zeigt Spie, wie das Industrial Metaverse zur Grundlage für mehr Effizienz und Transparenz in komplexen Infrastrukturen wird.
Mit der Entwicklung vom digitalen Zwilling zum Metaverse zeigt Spie, wie das Industrial Metaverse zur Grundlage für mehr Effizienz und Transparenz in komplexen Infrastrukturen wird.

Frau Hack, welchen Stellenwert hat das Thema Industrial Metaverse für Spie?

Unser Fokus liegt auf innovativen Services, mit denen wir zum einen die Effizienz unserer Kunden, zum anderen aber auch unsere eigene Leistungsfähigkeit steigern können. Dafür befassen wir uns schon seit 2018 unter anderem im Rahmen der ARENA2036 mit dem Thema digitale Gebäudezwillinge. Zusammen mit einem großen Automotive-Kunden und dem Fraunhofer IAO sind wir der Frage nachgegangen, wie sich damit Facility-Management-Prozesse optimieren lassen. In Richtung Industrial Metaverse kann diese Perspektive noch um viele weitere Domänendaten erweitert werden, beispielsweise aus der Produktion und dem Energie-Monitoring. Damit lassen sich anhand von Simulationen noch einmal ganz andere Optimierungspotenziale ableiten.

Dann hat das Metaverse auch eine wirtschaftliche Bedeutung?

Auf jeden Fall. Wir können insbesondere im Hinblick auf Nachhaltigkeit erhebliche Effizienzgewinne erzielen, wenn wir Daten aus Produktion, Energiemanagement und Gebäudemanagement zusammenführen. Ähnlich ist es bei der Vermeidung von Ausfällen durch Predictive Maintenance. Hier sehen wir einen Hebel, unsere bisherigen Services weiter zu verbessern. Zum Beispiel sind wir in der Planung, der Errichtung und im Betrieb von Anlagen, Gebäuden und Infrastrukturen tätig. Schon zu Projektbeginn entstehen umfangreiche, auch 3D-basierte, Daten. Mit BIM (Building Information Modeling) verfolgen wir das Ziel, diese Daten über alle Ziele hinweg präzise und konsistent zu erfassen. Damit schaffen wir die Grundlage für ein vollständiges digitales Abbild der Infrastruktur direkt ab dem Start der Betriebsphase, das wir anschließend über die gesamte Lebensdauer effizient fortführen können.

Wie würden Sie die Reise in Richtung Industrial Metaverse bei Spie in den letzten Jahren beschreiben?

Clarissa Hack ist Head of Digital Transformation bei Spie Germany Switzerland Austria
Clarissa Hack ist Head of Digital Transformation bei Spie Germany Switzerland Austria

Unsere Entwicklung begann mit digitalen Zwillingen, um ein erweitertes remotefähiges Monitoring zu ermöglichen. Anschließend haben wir Gebäudedaten um visuelle Informationen ergänzt und stärker vernetzt. Der Unterschied zwischen einem digitalen Zwilling und dem Industrial Metaverse besteht darin, dass der digitale Zwilling eine einzelne Domäne abbildet, während im Metaverse mehrere Domänen ihre Daten zusammenführen und dadurch umfassendere Analysen möglich werden. Mittlerweile verfügen wir für sämtliche Anwendungsbereiche bereits über Piloten oder Proof of Concepts und beschäftigen uns mit der Überführung dieser Ansätze in Standards.

Welche Mehrwerte konnten Sie damit erreichen?

Dank des digitalen Zwillings können wir uns vor Instandhaltungen oder Störungen optimal auf die Situation vor Ort vorbereiten – etwa indem wir benötigte Ausrüstung wie eine Podest-Leiter gleich mitnehmen und unnötige Wege vermeiden. So erzielen wir bereits einfache, aber wirkungsvolle Effizienzgewinne. Die relevanten Daten stehen zudem auch direkt vor Ort zur Verfügung. Für uns bietet das Metaverse zudem eine Möglichkeit, Herausforderungen wie dem demografischen Wandel oder dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken – beispielsweise, indem wir übergreifende Daten für Predictive Maintenance nutzen, um Ausfälle zu vermeiden und Instandhaltungsmaßnahmen besser planen zu können. Damit entfallen viele ungeplante Ad-hoc-Einsätze: Wir können unsere Fachkräfte gezielter einsetzen, ohne dass der reguläre Ablauf gestört wird.

Welche Systeme kommen dafür zum Einsatz?

Unternehmensintern führen wir die Daten zunächst auf einer eigenen Data Integration Plattform zusammen. Dort können wir unterschiedliche Systeme verbinden und kombiniert auswerten. Für unsere Proofs of Concept in der Arena2036 nutzen wir zudem das Omniverse von Nvidia, um übergreifende Daten einzubinden. Aktuell implementieren wir außerdem Building X von Siemens für Gebäudedaten. Die Zusammenarbeit mit Siemens in der Arena2036 ist für uns besonders spannend, da wir für den Betrieb zahlreicher Liegenschaften des Unternehmens zuständig sind.

Helfen diese Technologien, Themen besser für die Kunden zu visualisieren?

Definitiv. Durch eine Visualisierung im digitalen Zwilling und im Industrial Metaverse lässt sich vor allem eine höhere Transparenz erzielen. Wenn wir beispielsweise einen neuen Facility-Management-Vertrag übernehmen, erfassen wir das Gebäude direkt digital – und zwar mittels Camera Walk, der das ganze Gebäude in 3D abscannt. So können wir vorhandene Mängel sofort erfassen und dokumentieren. Gespräche mit Kunden sind auf dieser Basis natürlich viel effizienter: Bilder sagen mehr als tausend Worte.

Könnte man sagen, dass im Produktionsumfeld die Gebäude das räumliche Fundament im Industrial Metaverse sind?

Grundsätzlich wirken im Industrial Metaverse alle relevanten Daten zusammen. Teilweise haben Kunden schon ein Industrial Metaverse, in dem Produktionsprozesse und Produkte gemeinsam simuliert und als digitaler Zwilling abgebildet werden. Das Gebäude selbst hat allerdings einen starken Einfluss auf die wertschöpfenden Prozesse, schon allein hinsichtlich der Medienversorgung, sodass wir diese Daten zusätzlich integrieren. Ein Beispiel: Nur wenn alle Tore funktionsfähig sind, läuft auch die Intralogistik reibungslos. Von diesen scheinbar trivialen Korrelationen gibt es viele. Betrachtet man alle Faktoren gemeinsam, entsteht ein deutlich größerer Hebel.

Sie hatten das Thema Energieeffizienz genannt. Was kann das Zusammenspiel von Daten im Industrial Metaverse hier beispielsweise bewirken?

Es macht einen großen Unterschied für die Auslegung und Steuerung einer Lüftungsanlage, ob ein Produktionsbetrieb im Ein- oder Mehrschichtbetrieb arbeitet. Werden solche Nutzungsmodelle mit weiteren Betriebs- und Produktionsdaten verknüpft, lässt sich die Lüftung deutlich gezielter steuern und entsprechend optimieren. Die Potenziale variieren je nach Branche, Produktionsbetrieb und Gebäudetechnik. Dieses Thema untersuchen wir derzeit in einem gemeinsamen Forschungsprojekt der Arena2036 in der Industrial Metaverse Community.

Über SPIE Germany Switzerland Austria

SPIE Germany Switzerland Austria ist eine Unternehmenseinheit der SPIE Gruppe und der führende Multitechnik-Dienstleister für Gebäude, Anlagen und Infrastrukturen. Rund 20.000 Technikbegeisterte setzen sich täglich an 750 Standorten gemeinsam mit unseren Kunden für eine klimafreundliche und digitale Zukunft ein.

Die SPIE Gruppe ist der unabhängige europäische Marktführer für multitechnische Dienstleistungen in den Bereichen Energie und Kommunikation. Mit 55.000 Mitarbeitenden und einer starken lokalen Präsenz erwirtschaftete SPIE im Jahr 2024 einen konsolidierten Umsatz von 9,9 Milliarden Euro und ein konsolidiertes EBITA von 712 Millionen Euro.

Können Datenräume eine Rolle für das Industrial Metaverse spielen?

Datensouveränität ist ein zentrales Thema. Der jüngste Gipfel zur Europäischen Digitalen Souveränität zeigt, dass die Unabhängigkeit allgemein stärker in den Fokus rückt. Wir arbeiten im Rahmen von Arena2036-X an einem Projekt, das Datentransfers innerhalb von Datenräumen untersucht. Für uns steht dabei im Mittelpunkt, wie wir Energieeffizienzdaten schnell und sicher mit unseren Kunden teilen und gemeinsam nutzen können. Gleichzeitig ist in Deutschland die Bereitschaft, Unternehmensdaten zu teilen, weiterhin gering. Datenrauminfrastrukturen wie Catena-X oder Manufacturing-X haben sich hier als sehr hilfreich erwiesen. Wir wollen daher als Lösung die Open-Source-Infrastruktur Traktus-X einbinden, die vielen dieser Datenräumen als technologisches Rückgrat zugrunde liegt.

Welche Hürden sind zu nehmen, um die passenden Daten für das Metaverse zu erheben?

Die größte Herausforderung besteht darin, von Kundenseite die Daten für die Infrastrukturen, Anlagen oder Gebäude zu erhalten, die wir betreiben. Teilweise sind bereits (3D-)Daten aus der digitalen Fabrikplanung vorhanden, die wir gewinnbringend integrieren können. Dennoch lassen sich BIM-Daten aus der Bauphase im späteren Betrieb nicht eins zu eins weiterverwenden – sondern wir müssen Daten ergänzen oder entfernen, wenn sie keinen Mehrwert liefern. Am Anfang steht daher immer eine komplette Datenerfassung in unseren Systemen. Wir nutzen in diesem Kontext auch die Lösung des Scan-Technologie-Herstellers Faro, um die Gebäude per Laserscan in unserem System zu visualisieren. Die einfache Bedienbarkeit ist ein wichtiger Faktor, damit wir nicht jedes Mal einen Vermessungsingenieur benötigen, um eine Aufnahme zu machen. Stattdessen können unsere eigenen Mitarbeitenden den Scan direkt im Prozess durchführen. So erfassen sie visuelle Daten, die unmittelbar in den digitalen Zwilling einfließen. Insgesamt gilt: Die Qualität der Daten ist typischerweise sehr heterogen. Klassisches Beispiel ist ein Instandhaltungsprotokoll, in dem Maßnahmen unvollständig protokolliert sind. Am Ende hängt gute Datenqualität auch immer vom Menschen ab.

Also geht es darum, dass die Mitarbeitenden den Nutzen der Daten verstehen?

Genau. Technik allein reicht nicht aus. Wir arbeiten deshalb kontinuierlich an unserer digitalen Kultur und daran, das Bewusstsein zu schärfen, warum gute Datenqualität wichtig ist. Aus meiner Sicht ist es entscheidend, Mehrwerte schnell aufzuzeigen und spürbar zu machen: Nur dann entsteht intrinsische Motivation.

Digital Twins dienen bei Spie als Abbild von Gebäuden und Anlagen.
Digital Twins dienen bei Spie als Abbild von Gebäuden und Anlagen.

Warum ist es so essentiell, die Daten für den Digitalen Zwilling immer aktuell zu halten – und wie bekommt man das hin?

Wie gut die Daten sind, hängt maßgeblich von ihrer Aktualität ab. Wenn das System auf einem veralteten Stand ist, funktioniert es nicht zuverlässig und die Akzeptanz sinkt. Hier haben wir den Vorteil, dass wir als technischer Dienstleister direkt vor Ort sind, wenn sich Anlagen, Infrastrukturen oder Gebäude ändern. Diese Änderungen dokumentieren wir nun direkt in unseren Regelprozessen: Die Mitarbeitenden aktualisieren per Faro-Laserscan oder 360-Grad-View die Daten und übertragen sie direkt ins System. KI-gestützte Computer Vision wird für uns immer wichtiger, um den gesamten Prozess zu optimieren. In ersten Pilotprojekten trainieren wir Modelle bereits auf spezifische Objekte wie Brandschutzklappen oder einen Feuerlöscher, damit sie diese automatisch erkennen und während der Aufnahme direkt markieren. Ziel ist es, diese Objekte dann in ein BIM-Modell oder in unsere Anlagenstruktur zur transferieren. Gerade bei 3D-Modellen hilft die KI dabei, die visuelle Darstellung stets aktuell zu halten.

Wie gut funktioniert es schon, die Realität automatisiert abzubilden?

Seit unseren ersten Experimenten zur automatisierten Objekterkennung 2019 mit einem Forschungsinstitut hat sich viel getan. Wir sehen jetzt, dass wir einige Objekte im Vorbeigehen mit einer 360-Grad-Kamera identifizieren können. Da es im Gebäudekontext sehr viele Objekte gibt, ist das Training der KI entsprechend aufwendig. Im Schaltanlagenbau hingegen geht es um eine begrenzte Anzahl an Komponenten – da kann man die KI deutlich einfacher anlernen. Aber ich denke, wir sind schon auf einem sehr guten Weg und erwarten zeitnah umfassendere Lösungen.

Welchen Nutzen kann GenAI für die Datenqualität bringen?

Derzeit führen wir Piloten durch, um unsere Servicetechniker und -technikerinnen zu befähigen, künftig während Instandhaltungsmaßnahmen aktiv mit GenAI zu arbeiten. Die KI gibt ihnen Tipps und Empfehlungen aus unserem gebündelten Erfahrungswissen. Gleichzeitig lernt die KI durch ihre Rückmeldungen, welche Lösung jeweils zur Fehlerbehebung geführt hat.

Wie können Maschinen- und Anlagenbauer in solchen Szenarien vom Industrial Metaverse profitieren?

Die Produktionsplanung kann auf Basis aktueller Daten beispielsweise die nächste Nachtschicht im Industrial Metaverse präziser simulieren. Bei Umplanungen kann man dank beschleunigter Echtzeitdaten schneller reagieren. AGVs (Automated Guided Vehicles) sind zudem darauf angewiesen, dass ihre Umgebung exakt den hinterlegten optimalen Routen entspricht. Dafür braucht es eine aktuelle Übersichtskarte für die Routenplanung.

Ein Blick in die Glaskugel: Wird sich das Industrial Metaverse durchsetzen – und wenn ja: wie schnell?

Ich bin mir sicher, dass sich das Industrial Metaverse durchsetzen wird. Die Frage ist nur wann, denn die einzelnen Branchen sind unterschiedlich weit entwickelt. Das Beispiel von BIM (Building Information Modeling) zeigt: Sobald Auftraggeber den Mehrwert erkennen und entsprechende Anforderungen in Ausschreibungen aufnehmen, müssen Anbieter nachziehen. Das könnte die Verbreitung des Industrial Metaverse deutlich beschleunigen.

überarbeitet von: Dietmar Poll