40-Fuß-Standardcontainer sind die häufigsten Seecontainer weltweit. Mit ihren Innenmaßen von rund 12 mal 2,3 mal 2,4 Metern haben sie eine Nutzlast von zirka 26 Tonnen. Diese Container zu entleeren, ist eine schwere, heute in den Häfen überwiegend noch manuelle Arbeit.
„Künftig soll sie mithilfe eines neuartigen Roboters erledigt werden“, sagt Wolf Lampe, Leiter Zentralbereich Nachhaltigkeit und neue Technologien bei BLG Logistics. Dieser Gedanke ist freilich nicht neu, lässt sich aber erst jetzt umsetzen. In der Zeit zwischen 2009 und 2013 habe sich BLG Logistics dieser Thematik schon einmal angenommen, die Ergebnisse der damaligen Versuche flössen in die jetzige Entwicklung ein.
Maschinelle Kognition
Lampe weiter: „Das derzeitige Projekt endet mit prototypischen Test in 2020 und wir gehen davon aus, dass dann unmittelbar im Anschluss ein praxistaugliches Gerät zur Verfügung stehen wird.“
Vor allem, wegen der Fortschritte bei der maschinellen Kognition, die auch wiederum stark von den Fortschritten im Bereich Sensorik, Algorithmik und künstliche Intelligenz in den letzten Jahren profitierte. Aber auch Komponenten zur Bilderkennung und Bildverarbeitung seien besser geworden.
Robotik in Kombination mit Fördertechnik
Das klingt gut. Doch wie sieht so ein Industrieroboter überhaupt aus? Dazu erklärt Lampe: „Das ist eine Maschine, die auf omnidirektionalen Rädern fährt und dadurch auf der Stelle wenden oder seitwärts verfahren kann. Sie greift die Kartonagen und zieht sie auf eine Förderplattform, die jeweils auf die Unterkante der Kartonlage justiert wird.“ Der Roboter könne an existierende oder neu geplante Fördertechnik angeschlossen werden.
„Eine Kernfunktionalität der Maschine ist es, dass die Steuerelektronik für manuelle Eingriffe im Container nicht runter- und hochgefahren werden muss. Für den Fall, dass ein Karton verkeilt ist und der Mensch eingreifen muss, schalte ich den Roboter inaktiv und kann ungefährdet an ihm vorbeigehen – eben ohne die Wartezeiten, die ein Ausfahren der Anlage aus dem Container und ein Runterfahren des Systems mit sich bringen würde“, beschreibt Lampe.
Systemstillstände werden minimiert
Dazu ergänzt Hendrik Thamer, Leiter des Projektes am Bremer Institut für Produktion und Logistik an der Universität Bremen (BIBA): „Unterschiedliche Interaktionsmodule ermöglichen eine intuitive Kontrolle und Steuerung eines oder mehrerer Roboter. So können die Mitarbeiter die Roboter überwachen und bei Störungen schnell mit wenig Aufwand und vor allem ohne Programmierkenntnisse eingreifen. Und das losgelöst vom Arbeitsort der Roboter von einem Leitstand aus. Das Risiko kostenintensiver Systemstillstände wird damit minimiert.“
Digitaler Zwilling
Parallel zur Entwicklung der Mechatronik gibt es auch Simulationen und virtuelle Tests mittels digitalem Zwilling, wie Marco Schrader, Automatisierungs- und Robotikspezialist von Schulz Systemtechnik, erläutert: „Die Planung, die Konstruktion, die Fertigung der Komponenten und die Inbetriebnahme des Roboters werden durch die Abbildung in einem digitalen Zwilling begleitet. So können zum Beispiel die Komponenten bereits im Vorfeld simuliert und virtuell getestet werden.“
Ladung verrutscht oftmals auf dem Schiff
Eine weitere Herausforderung in dem Projekt ist die Analyse des Containerinhaltes. Dazu sagt Lampe: „Die Container, mit denen wir mehrheitlich zu tun haben, werden per Seeschiff transportiert, was zur Folge hat, dass der Inhalt durchgeschüttelt sein kann und sich ein relativ buntes Bild bieten kann, das die Maschine beim Entladen vorfindet. So sei es nicht auszuschließen, dass bei einem kleinen Anteil immer noch der Mensch physisch tätig werden müsse. Wir gehen aber von einem insgesamt sehr hohen Automatisierungsgrad aus.“
Praxistaugliches Gerät
"Wir gehen davon aus, dass im Jahr 2020 ein praxistaugliches Gerät zur Verfügung stehen wird", sagt Wolf Lampe, Leiter Zentralbereich Nachhaltigkeit und neue Technologien, BLG Logistics.
Klassifizierung der Packszenarien
Dafür ist in erster Linie Projektpartner Framos zuständig. Er entwickelt Methoden für eine zuverlässige Klassifizierung der Packszenarien und Analyse des Containerinhaltes. „Die Objekterkennung basiert auf 2D-/3D-Bilddaten. Sie verwendet modernste Methoden der Bildverarbeitung und kombiniert diese mit maschinellem Lernen“, erklärt Simon Che’Rose, Entwicklungsleiter bei Framos.
So könne das System unter anderem erkennen, ob ein Container vollautomatisch durch den Roboter entladen werden kann, oder darin besondere Situationen herrschen, die eine manuell vom Leitstand aus gesteuerte Bedienung des Roboters erfordert. „Zudem werden Lage und Orientierung des Inhaltes analysiert und ermöglichen eine optimale Planung des Entladevorganges“, ergänzt Che’Rose.
Güterumschlag deutlich höher
Wie genau die Entladung am Containerhafen vonstatten geht, erklärt Wolf: „Der Roboter nutzt ein Vakuumsystem, um Kartons an ihrer Frontseite zu ‚fassen‘. Systeme mit Greifern, die auf zwei Kartonseiten aufliegen, haben wir ausgeschlossen, vor allem auch, weil in der obersten Lage nur ein räumlich sehr beschränkter Raum zur Verfügung steht.“
So gebe es bei Volumenladungen wie bei Textilien meist nur einen relativ schmalen Spalt zur Containerdecke. Auf diese und ähnliche Güter spezialisiere sich BLG Logistics zunächst, da Kartonagen, die nicht palettiert sind, ein großvolumiges Geschäft in der Handelslogistik seien.
Weg vom Greifen - hin zum Ziehen
„Wir wollen weg von einem Greifen hin zu einem Ziehen der Kartonagen. Eine neuartige Kinematik verbessert das Nachführen der Förderplattform vor der Ladungsfront zur jeweiligen Paketunterseite. Der Vakuumsauger zieht das Packstück auf die entsprechend positionierte Förderplattform“, ergänzt Wolf.
Dabei überwache der Mensch die Arbeit der Automaten, die an unterschiedlichen Standorten im Einsatz sind, von einem zentralen Leitstand aus. Von dort könne er bei Bedarf eingreifen. Ist die Beladesituation zu chaotisch – sind Pakete eingeklemmt oder Kartonagen beschädigt, Stapel umgestürzt – gerieten Bilderkennung und Greifmechanik an ihre Grenzen.
Das Team um den Entladeroboter
Dazu forscht das BIBA – Bremer Institut für Produktion und Logistik an der Universität Bremen mit den Entwicklungspartnern BLG Handelslogistik und Schulz Systemtechnik aus Bremen und Framos aus Taufkirchen bei München in dem neuen Projekt ‚Interaktives Robotiksystem zur Entleerung von Seecontainern‘ (IRiS).
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) fördert dieses dreijährige Vorhaben im Rahmen des Programms für Innovative Hafentechnologien (IHATEC) mit 2,2 Millionen Euro. Der Gesamtumfang beträgt 3,16 Millionen Euro. Begleitet wird das Projekt vom Projektträger TÜV Rheinland und Verbundkoordinator ist BLG Handelslogistik.
Umschlagplatz durch Leitstand im Blick
In diesen Grenzsituationen sei eine Übernahme der Steuerung durch den Leitstand geplant, beispielsweise mittels eines Joysticks.
„Dazu liefert dem Menschen der Roboter eine räumliche Ansicht der Kartonagenwand im Container. Bei einer Packsituation, die das Eingreifen eines Mitarbeiters vor Ort erfordert, wie das Lösen eingeklemmter Kartons, verständigt der Leitstand den Standort. Der Roboter wird inaktiv geschaltet und ein Mitarbeiter kann an der Maschine vorbei in den Container gehen“, so Lampe.
Automatisierungsquote: Wo arbeiten die meisten Roboter?
Global betrachtet arbeiten im Schnitt 74 Roboter pro 10.000 Mitarbeiter in der Fertigungsindustrie. Das gab die International Federation of Robotics (IFR) in der jüngsten Statistik bekannt. Klicken Sie sich durch und sehen Sie, wie die Roboterdichte laut IFR weltweit verteilt ist.