Polymere Werkstoffe sind in der additiven Fertigung weit verbreitet. Aber metallische? Jetzt wollte es ein deutscher Automobilzulieferer wissen: Kann er ein konventionell gefertigtes Bauteil (Gießen oder Fräsen etc.) in einer Losgröße von jährlich 10 000 Stück zukünftig durch additive Fertigungsverfahren ersetzen? Bei dem Referenzbauteil handelt es sich um eine Dämpfergabel aus dem Fahrzeugbau. Eine in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer EMI herausgebrachte Studie zeigte dabei deutlich Vor- und Nachteile, allerdings auch noch nicht gänzlich ausgeschöpfte Möglichkeiten der additiven Fertigung.
Additive Manufacturing meist in hochpreisiger Anwendung
Marius Bierdel vom Fraunhofer EMI erklärt: „Polymere Werkstoffe können eingesetzt werden, wenn keine thermische oder elektrische Leitfähigkeit nötig ist. Diese Technologie ist auch schon sehr weit fortgeschritten. Sind hingegen metallische Werkstoffe notwendig, dann handelt es sich noch nicht um ein weit verbreitetes Phänomen – aber es gibt den Einsatz von additiv gefertigten Komponenten vor allem in hochpreisigen Automobilen wie beispielsweise dem BMW i8. Das ist aber sicherlich noch kein Standard, der über die gesamte Industrie verbreitet ist.“ Zumeist geht es um die Einsparung von Masse. Dieser Anreiz ist vor allem in der Luftfahrtindustrie sehr stark, um letztlich im Betrieb der jeweiligen Komponenten Treibstoff zu sparen.
Additive Manufacturing bietet mehr Flexibilität
Vor allem die Volumenreduktion am Bauteil trage wesentlich zur ressourcenschonenden Fertigung und Nutzung bei. Doch das seien laut Bierdel nicht die einzigen Vorteile, denn „zunächst einmal haben wir mit der additiven Fertigung ganz neue Möglichkeiten. Das heißt, es gibt neue Designfreiheiten, die mit konventionellen Herstellungsverfahren einfach nicht möglich sind. Somit lässt sich in die Bauteile Funktion integrieren, zum Beispiel Kühlkanäle oder andere Sensoren. Wir haben auch die Möglichkeit, ganz unterschiedliche Komponenten, die vorher in verschiedenen Bauprozessen konventionell zusammengebaut werden mussten, in nur einem Fertigungsschritt zusammenzufassen und dann zu einem finalen Part im 3D-Druck-Prozess sozusagen zu vereinigen. Es ist also Pflicht, sich im Vorfeld ein System anzuschauen um zu erkennen, wo sich die Vorteile der additiven Fertigung am besten einbringen lassen.“ (siehe dazu auch Kasten: Computergestützte Strukturoptimierung)
Metall-3D-Druck in der Produktion
Im Tagesgeschäft höre Bierdel oftmals von der Industrie, dass sie ein Bauteil habe, das sie genau so additiv fertigen lassen möchte. „Das ist aber in den allermeisten Fällen überhaupt nicht sinnvoll. Denn wenn ich die additive Fertigung nutzen möchte, dann muss ich auch additiv denken. Ich muss also den Designfreiraum und die Einschränkungen, die aus den konventionellen Fertigungsverfahren kommen, zunächst beiseite lassen und völlig neu denken. Dieses neue Denken und den Designraum ausnutzen, das machen wir, indem wir numerische Strukturoptimierungsverfahren nutzen“, sagt Bierdel.
Metall im 3D-Druck-Verfahren
Die Volumenreduktion der Komponenten lasse sich demnach nur durch additive Fertigungsverfahren erreichen. Je komplexer eine Komponenten ist, desto mehr lohne sich der Einsatz der additiven Fertigungsverfahren. Dazu Bierdel: „Wenn wir uns anschauen, wie wir Bauteile strukturoptimieren – so läuft das meist auf ein bionisch anmutendes Konzept hinaus. Diese bionischen Strukturen lassen sich oftmals gar nicht mehr konventionell fertigen, weil mitunter gitterartige Strukturen enthalten sind oder sehr komplexe Strukturen, die einfach mit konventionellen Verfahren wirtschaftlich nicht mehr fertigbar sind.“ Das kann Frank Schäflein von Stratasys ebenfalls bestätigen: „Über die Hälfte der Hörgeräte werden auf die Art und Weise hergestellt, da es sich um recht komplexe Geometrien handelt, bei denen die Fertigung aufwendiger ist und additiv gleich Kanäle mit gefertigt werden können.“
Additive Manufacturing mit erhöhtem Energieaufwand
Doch wie sehen eigentlich die umweltbezogenen Wirkungskategorien im Vergleich aus? Dazu hat das Fraunhofer EMI in Zusammenarbeit mit dem Freiburger Öko-Institut unter Leitung von Andreas Köhler VDI-Richtlinien als Bewertungskriterien benutzt, die zum Beispiel den kumulativen Energieaufwand beziffern. Oder den kumulierten Rohstoffaufwand – also die Menge des eingesetzten Metalls. Hinzu kommen Wasserverbrauch, Flächeninanspruchnahme (Größe der Anlage, Bereitstellung an Logistik) und das Treibhausgaspotenzial. Dazu erklärt Bierdel: „Innerhalb der VDI Studie haben wir am Fraunhofer EMI in Kooperation mit dem Öko-Institut herausgefunden, das der elektrische Grundstrombedarf der Anlagentechnologie sehr hoch ist. Um die Anlage im Stand-by-Modus laufen zu lassen, ist der Strombedarf schon relativ hoch. Das deutet darauf hin, den Aspekt der Effizienzsteigerung in den nächsten Jahren zu verfolgen.“
Neue Technologie in künftiger Anwendung
Momentan sei es so, dass die meisten Anlagen einen Laser haben – die neueste Generation der Anlagen arbeite jetzt schon parallel mit vier Lasern. „Durch die höhere Anzahl von Lasern wird auch die Baugeschwindigkeit gesteigert. Dieser Trend schreitet immer weiter voran.
Noch neuer ist der Gedanke über Diodenlaser. Dabei wird nicht nur ein Punkt belichtet, sondern flächig, was wiederum einen massiven Gewinn an Baugeschwindigkeit erzielen würde“, ergänzt Bierdel. Dadurch müsse der Bauraum nicht mehr so lange geheizt werden und die Schutzgasatmosphäre müsse nicht mehr so lange gehalten werden, was letztlich auch den Stromverbrauch reduziere.
Mehr Material pro Schicht macht Prozess schneller
„Dann gibt es noch die Möglichkeit, die Schichtdicke zu erhöhen. Bis jetzt haben die Schichten nur eine Dicke von 60 Mykrometern, was natürlich eine lange Bauzeit nach sich zieht. Hat man nun die Möglichkeit, dickere Metallschichten aufzutragen, ließe sich auch die Bauzeit noch mehr reduzieren. Das ist mit der Laserleistung gekoppelt – bei höherer Leistung kann auch die Schicht dicker werden“, so Bierdel.
Generative Fertigungsverfahren in Luft- und Raumfahrt
Vor allem in der Luft- und Raumfahrtindustrie bedeuteten die Vorteile der additiven Fertigung einen massiven Gewinn – zum Beispiel durch Reduzierung der Masse und das Integrieren von Funktionen wie beispielsweise Kühlkanäle. „Für die Raumfahrt können hochindividualisierbare Produkte hergestellt werden, die meist auch nur einmal eingesetzt werden, weil es sich nicht lohnt, konventionelle Fertigungsverfahren dafür zu nutzen“, berichtet Bierdel.
Rapid-Verfahren im Überblick
- Rapid Prototyping: Damit lassen sich Prototypen schnell fertigen, wodurch sich der Entwicklungszyklus verkürzen lässt. Das wird heute schon bei den großen OEMs (Erstausrüster –englisch: Original Equipment Manufacturer) und Zulieferern eingesetzt, um möglichst schnell die Risiken in den Entwicklungszyklen herauszunehmen.
- Rapid Tooling: Der Anwender produziert seine Werkzeuge für die Produktion bestimmter Bauteile on demand. Solche Bereiche, werden auch heute schon in der Industrie verstärkt eingesetzt.
- Rapid Manufacturing: Der Nutzer möchte einsatzbereite Komponenten herstellen. Wichtig ist dabei, welches Material verwendet werden soll. Für manche Industriezweige ist es ausreichend, Polymerwerkstoffe zu verwenden. Bei metallischen Werkstoffen sind die Ansprüche hingegen anders.
3D-Druck verschlankt Logistikketten
Aber auch in anderen Industriezweigen bestehe die Möglichkeit, die Vorteile der hohen Anpassungsfähigkeit an Kundenwünsche auszunutzen. Denn in unserer Gesellschaft, in der viele ihr eigenes individuelles und spezifisches Produkt wünschten, lasse sich die generative Fertigung hervorragend einsetzen, um hoch individualisierte Produkte an den Markt zu bringen. Bierdel weiter: „Man kann auch sehr schnell auf Trends reagieren, da keine ganze Logistikkette dahinter steht, keine Werkzeuge produziert und keine Teile vorlagert werden müssten. So lässt sich ein On-Demand Manufacturing ermöglichen, indem die Logistikketten zusammengeschrumpft werden. Die Bahn überlegt, nur noch CAD-Daten, also digitale Kopien der Bau- beziehungsweise Ersatzteile, vorzuhalten, und erst, wenn es benötigt wird, wird es produziert. Das spart natürlich immense Lagerkapazitäten und damit Geld.“
Additive Manufacturing in der Automobilindustrie
Wir wollten wissen, warum sich der Automobilzulieferer so sehr für den Vergleich zwischen konventioneller und additiver Fertigung interessiert hat. Bierdel erklärt dazu: „Die additive Fertigung ist für manche Vertreter der Industrie ein Mysterium. Doch inzwischen ist klar, dass es sich hier um eine Technologie handelt, mit der man sich beschäftigen muss – einfach, um am Markt wettbewerbsfähig bleiben zu können.“ Und warum sie für die jeweiligen Industriezweige interessant ist, weiß Bierdel ebenfalls zu erklären: „Da gibt es sehr individuelle Antworten. In unserem Fall war es so, dass der Zulieferer wissen wollte, wie er auch in Zukunft wettbewerbsfähig bleiben kann, wenn es eventuell heißt, geringere Stückzahlen oder komplexere Komponenten zu produzieren. Die generative Fertigung hat das Potenzial, diese fundamentalen Zielkonflikte, nämlich Kapital versus Stückzahl und Kapital versus Zweck, zu durchbrechen.“
3D-Druck ermöglicht komplexere Bauteile
Weiterhin seien die Industrieunternehmen auch daran interessiert, ein Gefühl dafür zu bekommen, was es eigentlich bedeute, diesen ganzen Prozess zu durchlaufen. „Also das andere Denken zu verinnerlichen sowie die Konstrukteure zu trainieren, dass sie andere Wege gehen. Hinzu kommt, dass sie den Fertigungsprozess besser verstehen möchten, um folgende Fragen zu beantworten: Welche Teile kommen da heraus, welche Eigenschaften haben sie und kann ich diesen auch vertrauen? Sind die Dichten gleich und wie steht es um die Festigkeiten? Kann man sie überhaupt mit der konventionellen Fertigung vergleichen? Da gilt es auch, Vorurteile abzubauen“, verdeutlicht Bierdel.
Additive Technologie löst Probleme
Einer, der es wissen muss, wo die additive Fertigung zum Einsatz kommt, ist Schäflein von Stratasys: „Unsere Kunden kommen mittlerweile aus allen Branchen. Allgemein kann man sagen: Die additive Fertigung wird tendenziell eher dort eingesetzt, wo es Probleme bei der herkömmlichen Fertigung gibt.“ Mittlerweile gebe es auch kaum jemanden aus der Automobilindustrie, der sie nicht einsetzt. Viele Systeme würden auch für die Vorserienfertigung, Ersatzteilfertigung oder die Variantenfertigung eingesetzt. Schäflein weiter: „Als Beispiel möchte ich die S-Klasse von Mercedes nennen. Da sind maximal 100 Fahrzeuge während der Serienlebensdauer identisch. Das sind die Bereiche, in denen es immer wieder Anforderungen gibt, dass Komponenten erstellt werden, die in geringen Stückzahlen benötigt werden und die Kopfzerbrechen bereiten – aus welchen Gründen auch immer. Das muss nicht nur die Geometrie sein, das kann auch die Materialbeschaffenheit sein oder der Bedarf an Werkzeugen. Das können auch Anforderungen an Herstellungsverfahren sein.“
Mehr Know-how bei polymeren Materialien
Bisher handele es sich noch um Teile aus Kunststoffen, mittlerweile gebe es aber bei einem OEM den oberen, metallischen Verbinder für die B-Säule, der via additiver Fertigung hergestellt werde. Polymere Werkstoffe hingegen sind wesentlich weiter verbreitet. „Die Gründe dafür sind allerdings sehr vielfältig. Einer der Gründe ist, dass Metallbauteile in der Regel höher belastet sind und dass höher belastete Bauteile in der Regel auch sicherheitsrelevant sind. Das ist eines der größten Probleme bei der additiven Fertigung“, beschreibt Schäflein. Es gebe noch zu wenige Informationen bezüglich der Haltbarkeit und der Lebensdauer der Komponenten. Steifigkeit und dergleichen seien zwar durchaus bekannt, nicht aber die Lebensdauer. Dazu Schäflein weiter: „Produziere ich einen Flügel für ein Flugzeug, dann weiß ich zwar, dass es fliegen wird – aber nicht, wie oft es fliegen wird. Das sind eben Risiken, die nicht eingegangen werden dürfen.“
Additive Metallfertigung bei Schienenfahrzeugen
Mittlerweile gebe es aber Teile, die für Schienenfahrzeuge zugelassen sind. Da gibt es Metalle und auch Kunststoffe, die sind jetzt zumindest, was die Feuerfestigkeit anbelangt, zugelassen. „Da bietet die Firma Siemens ihren Kunden Bauteile an, die verbaut werden dürfen. So wie Blinkerhebel, Halterungen für Fahrkartenentwerter für Straßenbahnen oder auch Ladestationen für USB-Stecker, die eben nicht sicherheitsrelevant sind. Bis hin zur Abdeckschürze für die Wagenkupplung, die sogar zwei Meter groß ist“, weiß Schäflein zu berichten.
3D-Druck von metallischen Bauteilen
Warum der Einsatz der additiven Fertigung teilweise relativ zäh vonstatten geht, weiß Schäflein ebenfalls zu berichten: „Das ist genauso ein Herantasten wie bei vielen anderen Fertigungsverfahren zuvor. Es ist eine ganz normale Einführung einer neuen Fertigungstechnologie. Es wird eine Weile dauern mit Bereichen, in denen es schneller geht und in anderen Bereichen eben länger dauert. Das sind hauptsächlich ökonomische Gründe und ich denke, in naher Zukunft auch ökologische.“
Computergestützte Strukturoptimierung
Ziel ist es, ein Verfahren zu entwickeln, das es ermöglicht, optimierte Teile zu generieren. Als Basis dienen in der Industrie übliche Lastenhefte, in denen definiert ist, wie hoch Kräfte, Momente, Thermalfelder usw. sind. Genau diese Belastungsrandbedingungen lassen sich in ein digitales Modell übertragen und zusätzlich definieren, wie groß der maximale Designraum sein darf. Dann gilt es noch, die Schnittstellen zu anderen Bauteilen zu definieren. Dazu gehören Zielfunktion und Randbedingungen – beispielsweise soll das Volumen reduziert werden, aber gleichzeitig darf auch die Steifigkeit oder Festigkeit einen gewissen Wert nicht unter- oder überschreiten. Alle diese Randbedingungen werden jetzt zusammengenommen und in diesem Topologie-Optimierungsprozess implementiert. Daraus lässt sich dann unter diesen definierten Belastungsszenarien ein optimiertes Bauteil erzeugen. Dieses Bauteil hat oftmals bionisch anmutende Strukturen.
Herstellung mit additiven Fertigungstechnologien genau betrachten
Bierdel weist zudem darauf hin, dass es sich bei der Dämpfergabel um ein Einzelfallszenario handele. „Man kann im Vorfeld nie grundsätzlich sagen, ob sich ein additives Fertigungsverfahren rechnet, sondern es ist immer notwendig, eine Einzelfallbetrachtung zu machen, um zu erkennen, wo die Vorteile der additiven Fertigung sinnvoll einzubringen sind. Bei jedem einzelnen Produkt muss ein Bewertungsmechanismus durchlaufen werden, um wirklich zu einer validen Entscheidung zu kommen.“
Das sieht Martin Vogt, Geschäftsführer des VDI ZRE und Auftraggeber der Studie, ganz ähnlich: „Die Studie zeigt, dass unter Ressourcengesichtspunkten im Einzelfall sehr genau abzuwägen ist, wann additive und wann konventionelle Herstellungsverfahren gewählt werden.“