Eine Frau musst bei Mitarbeitern mit Hilfe eines Temperaturgeräts Fieber.

Unternehmen haben verschiedene Schutzmaßnahmen getroffen, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. (Bild: Adobe Stock/Mrsuchat)

Die ganze Welt muss momentan eine Wirtschaftskrise bewältigen. Die deutsche Industrie ist dabei keine Ausnahme. Nach und nach versuchen Unternehmen den Regelbetrieb wieder so gut es geht zum Laufen zu bringen, die Verluste zu gering wie möglich zu halten und Insolvenzen zu vermeiden. Krisenmanager Rüdiger Tibbe hat in einem Webinar von PRODUKTION erklärt, was jetzt für Firmen am wichtigsten ist. Tibbe ist Senior Partner und Managing Director bei der Münchner Industrie-Taskforce Excelliance Management.

Covid-19 hat laut Tibbe die Realwirtschaft außer Kraft gesetzt. Nur wenige Wirtschaftssektoren seien verschont geblieben. Ein großer Unterschied zur Finanzkrise. Denn diese sei zunächst eine – wie es der Name schon sagt – Finanzkrise gewesen, die sich erst verspätet und sukzessive auf andere Industriesektoren ausgebreitet habe. Das zeigt sich auch an der Entwicklung des Bruttosozialprodukts: Die Krise 2008 hatte wenig, die Coronakrise dagegen jetzt schon einen signifikanten Einfluss darauf. Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten zur Krise:

Waren die deutschen Unternehmen gut auf die Coronakrise vorbereitet?

„Gegen das Virus selbst können Unternehmen nichts machen“, sagte Tibbe. Gerade der Maschinenbau und die Autoindustrie seien jedoch gut auf Krisen vorbereitet. Oft gebe es Notfallpläne, die dann eingesetzt werden. Das funktioniere schon sehr lange sehr gut.

Rüdiger Tibbe, der Anzug und Brille trägt.
Rüdiger Tibbe ist Senior Partner und Managing Director bei der Münchner Industrie-Taskforce Excelliance Management. - (Bild: Detlef Szillat)

Das Problem bei der Corona-Pandemie: Es ist eine Krise, die ein einzelnes Unternehmen nicht bewältigen kann. Tibbe sieht deshalb die Politik in der Verantwortung.

Hat die Politik richtig auf die Krise reagiert?

Jein. Deutschland steht im Vergleich zu anderen Ländern gut da, was die Zahl der Infizierten und Toten angeht. Wenn man sich zurückerinnert, habe man sich in den ersten Wochen, als sich der Virus verbreitet hat, noch gedacht, das betreffe nur China, sagte Tibbe. Er frage sich deshalb, ob Deutschland in der Prävention nicht zu langsam war und hätte früher handeln müssen.

Bei den späteren Ad-hoc-Maßnahmen sei alles gut gelaufen. Aber auch diese müssten nach der Krise noch einmal begutachtet werden, um zu schauen, wie welche Maßnahmen gewirkt haben.

Bei all den negativen Auswirkungen durch die Coronakrise: Gibt es auch positives?

Der Krisenmanager ist überzeugt: Es gibt auch Chancen durch die Corona-Pandemie. Dazu zählen für ihn das Homeoffice. Viele hätten nun festgestellt, dass mobiles Arbeiten gut funktioniert. Die Mitarbeiter bringen sich ein und können zu Hause teilweise konzentrierter arbeiten als in einem Großraumbüro. 

Vor allem in der Automobilindustrie könne die Krise zum Treiber für neue Technologien und Transformation werden. Das hänge jedoch stark davon ab, wie sich die Zukunft gestaltet. Hier könne die Politik durchaus steuern, wohin die Reise gehen soll – also hin zu neuen Technologien oder dem Verbleib bei alten.

Wie lange werden die Industrieunternehmen brauchen, um wieder auf die Beine zu kommen und auf welche Faktoren kommt es an? Wann kehrt der alte Wohlstand zurück?

Die ernüchternde Antwort von Experte Tibbe: In drei bis vier Jahren. Der Blick in die Glaskugel sei aber natürlich sehr schwierig, weil es viele Einflussfaktoren gibt. Einer davon sei, wann es einen Impfstoff gegen Covid-19 gibt. Es werde auch davon abhängen, wie sich verschiedene Wirtschaftssektoren entwickeln. „Nicht alle werden wieder gleichzeitig anlaufen“, so Tibbe.

Dazu zählen Tourismus und Luftfahrt, aber auch die Automobilbranche. Denn diese sei komplett am Boden. Das Geschäft müsse also wieder hochfahren und gleichzeitig müsse die Transformation vorangetrieben werden. Das sei extrem anspruchsvoll. Zusätzlich sei die Finanzstärke stark reduziert und es müsse über die strategische Geschäftsmodellpositionierung nachgedacht werden.

Jeder spricht davon aus der Krise herauskommen zu wollen. Aber gibt es eine konkrete Idee, was mittelständische Automobilzulieferer und Maschinenbauer jetzt tun können?

Zulieferer haben sehr wenige Möglichkeiten, wenn sie zum Beispiel stark von der Automobilindustrie abhängen, sagte Tibbe. Die einzige Chance: Die betroffenen Unternehmen können stark in die Innovation reingehen und sich Gedanken machen, wie sie mit ihren Produkten zur Transformation beitragen können.

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Das allerwichtigste sei jedoch im Moment die Finanzstruktur. Firmen müssen auf ihre Kosten schauen und die Finanzierung sicherstellen, mahnte Tibbe.

Wird die Industrie wieder komplett hochfahren?

Niemand wisse, ob und wann eine zweite Welle kommt. Falls sie kommt und die Industrie wieder herunterfahren müsse, „wird es richtig schlimm werden“, sagte Tibbe. Falls nein werde es trotzdem noch einige Zeit dauern, bis das produzierende Gewerbe wieder auf dem alten Stand zurück ist. Tibbe geht auch hier von drei bis vier Jahren aus.

Bis es einen Impfstoff gebe, müsse man immer mit den entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen handeln. Dort, wo dies nicht möglich sei, würde er nicht die Verantwortung übernehmen wollen, ohne Schutzmaßnahmen auf das alte Niveau zurückzukehren. „Alles hängt sehr stark davon ab, wie sich die nächsten Wochen entwickeln“, sagte der Krisenmanager.

Und wie sieht es um Projektgeschäft aus?

Die Frage der Finanzierung von Projektgeschäften sei schon vor der Krise ein schwieriges Thema gewesen, erklärte Tibbe. Der Maschinen- und Anlagenbau sei stark davon abhängig, wie es anderen Industrien geht. Wenn diese Kunden dann selbst in einer Krise sind, werde es schwierig ein Projektgeschäft zu finanzieren.

Tibbe empfiehlt diesen Firmen dann, in engem Austausch mit Banken und Investoren zu versuchen, entsprechende Sicherheiten zu bekommen und darüber das Geschäft zu realisieren. Es handle sich dabei um eine schwierige Situation, auf die es keine Pauschalantwort gebe.

Geraten große Konzerne wie Lufthansa in die Krise, wird oft der Ruf nach Hilfe des Staates laut. Kann ein Staat grundsätzlich ein guter Unternehmer sein?

Die Rolle des Staates sei in erster Line, einen Rahmen zu schaffen und darüber zu wachen, dass Regeln, die aufgestellt wurden, auch eingehalten werden, so Tibbe. Deshalb gerate der Staat in eine Konfliktsituation, wenn er sich an Unternehmen beteiligt. „Der Staat als Gesellschafter ist keine gute Idee“, meinte Tibbe.

Wenn der Staat auf der anderen Seite aber ein Unternehmen wie Lufthansa retten soll, wie soll es sonst gehen, fragt der Experte. Teilweise sei er durch die jetzige Sondersituation dazu gezwungen, als so zu handeln.

Wie wird die Wirtschaft nach der Krise allgemein aussehen? Werden wir eine andere Unternehmenslandschaft erleben?

Die Krise beschleunigt die Transformationsprojekte in den verschiedenen Industriesektoren, ist sich Tibbe sicher. Es sei dabei schon vor Corona viel auf den Weg gebracht worden. Darüber hinaus haben die Unternehmen vor allem in Sachen Digitalisierung und Homeoffice viel gelernt.

Welche Branchen wird die Krise am härtesten treffen und wer geht vielleicht als Gewinner hervor?

Stark gebeutelt sind laut Tibbe natürlich die Automobilindustrie, der Maschinen- und Anlagenbau, aber auch Luftfahrt und Tourismus. Der Handel – zum Beispiel Karstadt und Kaufhof – sei ebenfalls stark betroffen. In diesem Bereich sei der Onlinehandel einer der Gewinner. Weitere Profiteure der Krise sind für Tibbe die Pharma- und Biotecindustrie.

Gibt es „Goldene Regeln“ für Unternehmer und Geschäftsführer, die sie jetzt beachten sollten?

Tibbe verweist dabei auf folgende Punkte:

  • Eine positive Grundeinstellung: Es gehe immer weiter.
  • Kommunizieren: Man sei nicht allein in dieser Krise. Deshalb solle man nun eine Gemeinschaft bilden und gemeinsame Lösungen entwickeln.
  • Verantwortung übernehmen.
  • Disziplin: Auch wenn es hart ist, müssen man nun die Projekte, die man hat, vorantreiben.

Der Experte sieht außerdem positiv in die Zukunft: Die Stärke der deutschen Industrie sei Engineering und auch die guten Ausbildungen. Es gebe deshalb kein anderes Land, das derzeit so gut aufgestellt sei, so der Experte. Man müsse die Marke „Made in Germany“ deshalb wieder befeuern und Stärke zeigen.

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