
Kann eine verpflichtende Ausbildung für alle den Fachkräftmangel reduzieren? Ja, denkt unsere Kolumnistin Viktoria Schütz. (Bild: industrieblick - stock.adobe.com)
Als produzierendes Unternehmen stehen wir vor einem gravierenden Problem: die zunehmende Ausbildungsmüdigkeit junger Menschen und der daraus resultierende Mangel an Fachkräften mit praktischer Arbeitserfahrung.
Das Studium gilt heute als Königsweg - doch die Realität sieht anders aus. Die Studienabbruchquote liegt bei beachtlichen 27-35 Prozent, je nach Fachrichtung sogar deutlich höher. Das bedeutet: Für jeden dritten bis vierten jungen Menschen führt das langersehnte Studium zu einem Knick im Lebenslauf und vermutlich zu einem Gefühl des Scheiterns.
Selbst erfolgreichen Absolvent:innen fehlt häufig die praktische Berufserfahrung. Nicht umsonst wird Lehrer:innen oder Politiker:innen vorgeworfen, noch nie „richtig gearbeitet“ zu haben - ein Vorwurf, der zeigt, wie wichtig praktische Arbeitserfahrung für Glaubwürdigkeit und fundierte Entscheidungen ist.
Ein radikaler Lösungsansatz: Verpflichtende Berufsausbildung
Meine Idee: eine verpflichtende praktische Berufsausbildung für alle, nach der Schule oder parallel zum Abitur. Modelle mit 14 Schuljahren, die mit Abitur und Berufsausbildung abschließen, existieren bereits und zeigen den Weg.
Die Vorteile wären immens:
- Fundierte Berufsentscheidungen: Jeder würde zunächst einen praktischen Beruf erlernen und erst dann entscheiden, ob ein Studium tatsächlich notwendig ist. Dies würde die hohen Abbruchquoten reduzieren.
- Gesellschaftliche Aufwertung: Wenn alle praktische Arbeit kennengelernt haben, steigt automatisch die Wertschätzung für diese Berufe. Der künstliche Graben zwischen "Kopf- und Handarbeit" würde verschwinden.
- Flexibilität im Berufsleben: Mit einer soliden praktischen Basis könnten Menschen flexibler zwischen verschiedenen Positionen und Berufen wechseln - ein entscheidender Vorteil bei der zunehmenden Lebensarbeitszeit.
- Praxistaugliche Führungskräfte: Zukünftige Akademiker und Führungskräfte hätten echte Arbeitserfahrung und könnten fundierter über Arbeitsprozesse und -bedingungen entscheiden.
Dieser Ansatz könnte nicht nur den Fachkräftemangel lindern, sondern auch eine gerechtere und praxisnähere Gesellschaft schaffen, in der theoretisches und praktisches Wissen gleichwertig geschätzt würden.
Was sagen Sie zu meinem Gedankenexperiment? Schreiben Sie mir info@viktoria-schuetz.de
Das ist Viktoria Schütz

Viktoria Schütz ist geschäftsführende Gesellschafterin der Deguma-Schütz GmbH. Sie leitet das Familienunternehmen seit 2019 in zweiter Generation. Davor arbeitete sie unter anderem bei Zalando und Bionade. Schütz studierte Global Management in Bremen, São Paulo und Shanghai sowie Marketing-Management an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde.
Schütz setzt sich sehr für das Thema New Work ein und hat bei sich im Unternehmen die Vier-Tage-Woche eingeführt.