Frau Schiffmann, Sie vertreten die These, dass Journaling bei der beruflichen Neuorientierung helfen kann, um Klarheit zu finden und ins Tun zu kommen. Was versteht man denn unter Journaling und wie sind Sie dazu gekommen?
Maxine Schiffmann: Journaling ist das schriftliche Reflektieren von eigenen Gedanken, Themen und der eigenen Erfahrungen. Das ist so wertvoll, weil man dadurch über eine Thematik nachdenkt und nicht – wie sonst oft – in Gedankenschleifen gefangen ist. Durch das Aufschreiben können wir unsere Gedanken vertiefen und eine gewisse Distanz dazu aufbauen. Wir nehmen also eine Metaebene ein und schauen uns die Situation mit einem frischen Blick an.
Ich selbst habe in einer Phase, in der es mir nicht so gut ging, gemerkt, wie gut es mir tut, meine Gedanken zu verschriftlichen und mich mit ihnen auseinanderzusetzen.
Das Tool Journaling ist außerdem so einfach: Man braucht nur einen Zettel und einen Stift. Jeder hat einmal Situationen, die herausfordernd sind und da hilft es, neue Möglichkeiten herauszuarbeiten. Das geht viel leichter, wenn man die Gedanken zu Papier bringt, weil man dann auch konzentrierter ist.
Sie schreiben selbst, Sie waren im falschen Job und „nach außen hin erfolgreich, aber innerlich leer“. Sie zitieren auch eine Studie wonach jeder zweite Berufstätige mit den Arbeitsbedingungen unzufrieden ist, knapp jeder Dritte fühlt sich aufgrund des Arbeitsalltags häufig erschöpft. Können Sie sich erklären, warum das so ist?
Schiffmann: Ein Grund ist, dass wir in Deutschland relativ früh den Weg definieren, den wir beruflich gehen werden. Das fängt schon in der Ausbildung an. Aber was meine Stärken sind, das merken wir oft erst im Laufe der Zeit und nicht zu Beginn der beruflichen Laufbahn.
Ich habe das Gefühl, dass es in der Gesellschaft nicht gewünscht ist, sich später dann umzuorientieren. Dabei ist das inzwischen gar nicht mehr so schwer. Und die Fähigkeiten, die man im momentanen Job erlernt hat, gehen ja nicht verloren. Die helfen dann auch im nächsten Job.
Aber oft sagen die Menschen, sie sind entweder zu jung oder zu alt, um den Beruf oder den Job zu wechseln. Dies ist einer der größten inneren Hürden, die es zu überwinden gilt: denn wir selbst können gar nicht wissen ob wir zu jung / alt / unerfahren sind, bevor wir es überhaupt probiert haben. Genau wie der Spruch besagt: „Wenn dir etwas wichtig ist, wirst du einen Weg finden. Wenn dir etwas nicht wichtig ist, findest du eine Ausrede.“
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Lassen Sie uns auf ein paar Punkte in Ihrem Buch zu sprechen kommen: Sie schreiben auch, dass es immer Jobs und Aufgabengebiete gibt, die morgen wieder veraltet sind und auf der anderen Seite neue Jobs entstehen. Muss da im Mindset von vielen ein Umdenken passieren? Sollte man also immer wieder überlegen, was ist meine Berufung ist?
Schiffmann: Auf jeden Fall. Für mich ist Berufung ein Weg, auf dem ich wachse und sich etwas verändern darf. Ich stehe für mich ein, aber auch für die Firma, für die ich arbeite. Denn wenn ich mit meiner Position unzufrieden bin, kann ich meinem Arbeitgeber auch nicht alles geben. Deshalb sage ich auch immer: Wir sind nicht „fertig“. Wir dürfen und müssen uns immer weiterentwickeln. Dabei bin ich ein Freund davon, dass wir uns an unseren Stärken orientieren und uns in diese Richtung weiterentwickeln.
Ich sehe in Unternehmen oft, dass der Fokus darauf liegt, Schwächen zu optimieren. Es wird versucht, diese auszumerzen.
Dabei erhalten wird die beste Performance, wenn wir schauen, wo unsere Stärken sind und diese strategisch weiterentwickeln. Denn wir kreiere keine Stärke, wenn wir in Schwächen investierten. Dieser Prozess ist ein Zusammenspiel von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Dabei geht es im Kleinen los: Wie rede ich mit meinen Mitarbeitenden, was ist der Inhalt des Gesprächs?
Wenn man sich immer weiterentwickelt, macht es dann Sinn, sich die Fragen, die Sie den Leserinnen und Lesern in Ihrem Buch an die Hand geben, alle paar Jahre wieder zu stellen?
Schiffmann: Ja, denn man sollte sich immer wieder fragen, ob meine jetzige berufliche Rolle so ist, wie ich mir das vorstelle. Mein Buch soll ein Ratgeber sein, der zu Beginn hilft, seinen Weg zu finden. Es ist aber auch eine Einladung, sich die Fragen aus dem Berufungsmodell jedes Jahr neu zu stellen. Denn jedes Jahr findet man andere Nuancen, die einem helfen, den nächsten passenden beruflichen Schritt zu gehen.
Das muss nicht heißen, jedes Jahr den Job oder das Unternehmen zu wechseln. Oft helfen schon neue Vereinbarungen innerhalb meiner bestehenden Rolle, um wieder erfüllt und mit frischer Motivation an die Arbeit zu geben. Es geht in meinem Buch also nicht immer um den großen Wechsel, sondern auch um die kleinen Nuancen und die Frage, wie gehe ich mit mir im Arbeitsalltag um. Denn wir sollten mehr auf das hören, was wir gerade brauchen. Und das muss man proaktiv einfordern.
Ich habe mir noch einen Punkt aus dem Buch herausgepickt, und zwar Nummer 5 der Tipps: „Folge dem Ruf des Lifestyles“. Sie schreiben, Beschäftigte sollten sich nicht dem Lifestyle oder der Arbeitsroutine des Arbeitgebers anpassen, sondern versuchen, die Arbeit in den eigenen Lifestyle zu integrieren. Was steckt da dahinter?
Schiffmann: Die berufliche Erfüllung hängt auch sehr stark davon ab, ob die Arbeitsroutine zu meiner Lebenssituation passt. Da macht es schon einen Unterschied, ob man Single ist oder kleine Kinder zu Hause hat. Natürlich kann man sagen, es ist eine Luxussituation: Kann ich es mir überhaupt leisten und schauen, wie ich arbeiten möchte? Aber vieles, was vorher nicht ging, ist nach zwei Jahren Pandemie jetzt möglich.
Viele Eltern haben dann zum Beispiel abends gearbeitet, wenn die Kinder im Bett waren. Sowohl die Mitarbeitenden, als auch die Unternehmen müssen hier mehr Flexibilität schaffen, um dem neuen Lifestyle gerecht zu werden. Die Firmen sollten alles tun, die Beschäftigten, die sie haben und die gut sind, zu halten, denn das ist lukrativer als ständig neu zu akquirieren. Und das können sie schaffen, indem sie neue Arbeitsmodelle einführen. Es gibt zum Beispiel schon Firmen, die mit einer Vier-Tage-Woche experimentieren.
Wenn man sich jetzt denkt: Ich probiere Journaling einmal aus. Haben Sie ein, zwei Tipps, wie man am besten startet?
Schiffmann: Es gibt kein richtig oder falsch. Es geht darum, Ideen auf Papier zu bringen. Dabei findet man durch Reflexionsfragen heraus, was einen gerade beruflich bewegt. Das kann man einfach stichpunktartig aufschreiben. Beispielsweise mit der Frage: „Was bewegt oder stresst mich gerade beruflich?“
Mit den Vertiefungsfragen kann man das Ganze dann konkretisieren und neue Lösungen auf Papier finden. Journaling ist also eine Art Selbst-Coaching.
Viele sind ja denke ich in der Arbeit schon daran gewöhnt, Mindmaps zu erstellen oder To-Do-Listen zu schreiben. Das ist dann bestimmt hilfreich, oder?
Schiffmann: Ja und darauf können wir aufbauen. Mindmaps aber auch Listen eignen sich dazu, Themen zur priorisieren. Man kann zum Beispiel damit anfangen, sich zu fragen, was sind meine Prioritäten beim nächsten Meeting und diese dann aufzuschreiben. Das kann auch nur eine Minute dauern. Dadurch schafft man dann neue Klarheit.
Jetzt dürfen Sie nochmal kurz Werbung für Journaling machen: Warum sollte sich jeder zumindest einmal mit dem Thema beschäftigen?
Schiffmann: Es gibt kein Tool, das so leicht ist und so schnell neue Klarheit, Selbstsicherheit und Ideen bringt wie Journaling. Denn wir müssen alle dafür sorgen, dass es uns gut geht und deshalb müssen wir uns auch um uns selbst kümmern. Um die eigene Resilienz zu fördern und Stresssituationen zu lockern. Denn sonst nehmen wir die Belastungen aus der Arbeit mit nach Hause. Indem wir uns damit befassen und die Dinge kurz aufschreiben, hilft es, den Stress gut zu bewältigen. Deshalb sollte jede und jeder Journaling ausprobieren.
In Ihrem Buch schreiben Sie zu Beginn, dass Sie die weibliche Anrede nutzen werden, weil hauptsächlich Frauen Jounaling nutzen. Ist das also kein Thema für Männer?
Schiffmann: Es ist ein globales Thema, welches Frauen sowohl als auch Männer betrifft. Frauen spüren ihre Unzufriedenheit vielleicht schneller, weil sie oft mehr auf ihr Gefühl hören. Viele Männer sind noch sehr stark im Verstandsmuster, weil sie glauben, sie müssen jetzt das tun, was vernünftig ist. Sie merken aber auch mehr und mehr, dass es wichtig ist, selbst erfüllt zu sein. Ich merke bei meinen Coachingklienten, dass wir es uns erstmal erlauben müssen, beruflich erfolgreich und zufrieden zu sein. Es macht keinen Sinn, jeden Tag acht bis neun Stunden zu arbeiten und nicht erfüllt zu sein – aber viele denken, sie hätten keine andere Wahl. Diesen Irrglauben möchte ich aus dem Weg schaffen.
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Das heißt aber auch, dass die Unternehmen umdenken müssen, oder?
Schiffmann: Ja, denn das Umdenken findet vor allem bei der jüngeren Generation statt, die sich bei der Arbeit einbringen möchte. Wenn nicht bald ein Umdenken stattfindet, wird es für viele Firmen immer schwerer, junge Menschen zu begeistern. Denn inzwischen gehen so viele junge Menschen in die Selbstständigkeit, weil sie glauben, dass sie in einem Unternehmen nicht den Lifestyle und die Freiheiten haben, die sie als Selbstständige haben. Das ist meiner Meinung nach nicht immer ein guter Trend. Denn viele Menschen können in einem Team innerhalb eines Unternehmens glücklich werden und werden dort auch gebraucht. Aber dafür fehlen oft die richtigen Voraussetzungen. Die müssen jetzt geschaffen werden. Die Frage „wie möchten meine Mitarbeiter leben und arbeiten“ hat deshalb auch immer mehr Einfluss in den Unternehmen.
Rezension: Viel Input und Inspiration
Journaling? Wieso soll ich Tagebuch schreiben? Zum Thema Journaling gibt es – übrigens auch in unserer Redaktion – die unterschiedlichsten Meinungen. Den einen hilft es, die anderen können mit dem Konzept wenig anfangen. Maxine Schiffmanns Buch „Das Berufungsprinzip – Wie du mit Business Journaling deine berufliche Erfüllung findest“ ist für beide Parteien etwas.
Denn in Ihrem Buch erklärt die Expertin nicht nur, um was es beim Business Journaling geht, sie nimmt die Leserinnen und Leser auch an die Hand und gibt viele Themen und Reflexionsfragen als Inspiration mit. Dabei berichtet sie von ihrem eigenen beruflichen Werdegang und zitiert erfolgreiche Unternehmer wie Apple-Gründer Steve Jobs. Schiffmann motiviert die Lesenden immer wieder, sich auch mit – auf den ersten Blick – einfachen Dingen auseinanderzusetzen, wie zum Beispiel den eigenen Stärken, Fähigkeiten und Erfahrungen.
Denn daraus kann man dann laut ihrem Journaling-Prinzip Schlüsse für den nächsten beruflichen Schritt ziehen. Ob und wie man die Fragen dann beantwortet und welche Folgen jeder einzelne dann daraus zieht, ist natürlich individuell. Schiffmann zeigt in ihrem Buch aber überzeugend, dass Business Journaling ein Weg sein kann, Klarheit zu finden und die eigenen Potenziale voll auszuschöpfen.
Das Buch ist im Übrigen auch für Firmenchefs interessant. Denn es zeigt, welche Themen vielen Mitarbeitenden wichtig sind und kann so als Inspiration für die eigene Firmenphilosophie dienen.